Winterzeit


Könnte man die Seele abstauben wie ein Regal. Vielleicht haben darum manche diesen Putzfimmel. Wenn es innerlich nicht geht, dann wenigstens außen.
Mein Vater stürzte und brach sich das Schlüsselbein und eine Rippe. Nach dem Röntgen sagte die Ärztin, dass es nicht so schlimm sei, da die Schulter okay ist. Hat die eine Ahnung. Es ist prekär, aber besser wäre gewesen, wenn die Verletzungen für eine stationäre Aufnahme ausgereicht hätten. Er bekam also einen Rucksackverband, der ihm gar nicht behagte, und wurde nach Hause entlassen.

Bereits heute Nacht passierte, was im Prinzip vorhersehbar war. Vater riss sich den Verband ab und stürzte in der Küche. Der Notarzt überwies ihn in ein Krankenhaus mit Reha-Einrichtung. Er brach sich noch eine Rippe dazu. Das Unglück verschafft uns (hauptsächlich meiner Mutter) erst mal Luft, um alles Weitere zu organisieren. Vater kann unmöglich nach Hause zurück. Seine Unterbringung in einem Pflegeheim ist unabdingbar.

Es regnet gelbe Blätter von den Bäumen, die in der Sonne golden schimmern. Es ist bitter kalt, aber die Luft ist klar und sauber. Die Berge des Odenwalds tragen weiße Hauben.
Ich glaube nicht, dass mein Vater reha-willig ist. Seine Alzheimer Demenz ist bereits zu weit fortgeschritten. Er vergisst nach wenigen Minuten, was man ihm sagte. Wenn man ihn drängt, reagiert er störrig und wütend. Er ist mit sich und der Welt nicht mehr eins.

Die Uhren wurden auf Winterzeit umgestellt. Seltsam, wie die Dinge sich zueinander fügen. Als würden sie lächeln und gleichzeitig weinen. Könnte man die Seele abstauben wie ein Regal.
Ich reiße die Fenster auf, wische nur oberflächlich über die Regale. Musik läuft. Ich drehe etwas lauter, blinzele in die Mittagssonne. Ich wusste bis dato nicht, dass ein Knochenbruch ein Segen sein kann.

Anja-Pia - 28. Okt. 12, 14:18

Wäre es möglich, dass Du in Anbetracht der besonderen Umstände Deinen Vater an Deinen Arbeitsplatz verlegen lässt?

bonanzaMARGOT - 28. Okt. 12, 14:31

womöglich möglich.
aber 1. nicht in meinem sinne - die gründe kann ich, wenn du willst, ausbreiten. und 2. nicht im sinne meiner mutter, weil sie einen viel zu weiten fahrweg hätte, um meinen vater zu besuchen.
Anja-Pia - 28. Okt. 12, 14:38

Alternativvorschlag: Transferiere Deinen Vater UND Deine Mutter an Deinen Arbeitsplatz. ;-)
bonanzaMARGOT - 28. Okt. 12, 14:47

meine mutter ist noch nicht reif fürs altenheim. und ich weiß auch nicht, ob man da nicht die problematik nur ins altenheim übertragen würde. meine mutter braucht freiraum für sich, um kraft für den kampf gegen ihre krankheit zu schöpfen. der kontakt mit meinem dementen vater überfordert sie ... scheiß egal ob daheim oder im altenheim.
davon abgesehen würde sich meine mutter, wie ich sie kenne, nicht so einfach in einem altenheim akklimatisieren.
lost.in.thought - 28. Okt. 12, 14:49

... und außerdem wird es ja nicht mehr lange Dein Arbeitsplatz sein, da wo Du jetzt bist ?!
bonanzaMARGOT - 28. Okt. 12, 14:51

das kommt dazu, falls meine eltern länger überleben.
Lange-Weile - 29. Okt. 12, 11:58

höhere Gewalt

Hallo Bo.,

es sieht aus, als würde das Leben selbst ordnen und was schon längst überfällig war, in die richtigen Bahnen lenken.
Irgendwie scheint Vadder für eine Entscheidung zu sorgen, für die deiner Mutter gegenwärtig die Kraft fehlt.

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 29. Okt. 12, 12:11

man kann auch sagen: es musste so oder ähnlich kommen. es war nur eine frage der zeit. meine mutter wird sich schwer tun damit, meinen vater dauerhaft in ein heim abzugeben. aber es muss sein, sonst wiederholen sich die gleichen katastrophen. wobei natürlich auch in einem heim keine absolute sicherheit gewährleistet werden kann. das ist ja das vertrackte bei dementen, die weglaufen wollen und sich gegen fremdbestimmung auflehnen. der nächste schritt ist dann eine richterliche verfügung für eine betreuung in gesundheitsfragen und betr. aufenthalt. schließlich leben wir in einem freien land, und man darf niemanden einfach festhalten.
also, wir stehen jetzt erst am anfang, und viele dinge müssen noch gemanagt werden.
weitere schwierigkeiten sind absehbar.

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