Die goldenen Jahre


Lang lang ist`s her, dass ich mittags in die Kneipe ging und erst nach Mitternacht wieder hinaus torkelte. Nein, ich torkelte selten. Nach einigen Jahren ist man relativ gut trainiert. Ich war immer gut bei Sachen, die Ausdauer benötigen. Damals war die Kneipe ein Stück Zuhause für uns. Man traf sich zwanglos, spielte Billard, scherzte, diskutierte, würfelte oder spielte Karten, schäkerte mit den weiblichen Bedienungen, stritt sich, schlichtete den Streit wieder, verliebte sich und entliebte sich. Hach, das waren noch Zeiten! Natürlich verklärt man im Nachhinein einiges. Es gab auch öde Tage. Aber als wir Anfang Zwanzig waren, und uns die Welt offen stand, wir vor Übermut strotzten, da gab`s ein paar Jahre, die ich die goldenen Jahre nennen würde – also, die goldenen Kneipenjahre. In den Achtzigern war das. In der Hauptsache waren es zwei Kneipen, die Wand an Wand lagen: die Bier-Börse (gibt`s heute noch) und das Billard-Café. Wir machten damals Witze darüber, ob wir in 10 Jahren immer noch an der Bar sitzen würden, - und sowieso wollten wir nicht älter als Vierzig werden. Ein solch hohes Alter war für uns unvorstellbar und schien unendlich weit weg. Wir würden ewig jung bleiben … Ein paar Jahre lang hielt sich dieses Gefühl. Man war beim Bund, in der Ausbildung oder studierte. Die meisten von uns wohnten noch zuhause bei den Eltern.
Die Kneipe wurde zu unserem Wohnzimmer, wo wir unseren Testosteron-Überschuss auslebten. Im Großen und Ganzen ging es dabei friedlich zu. Wir reagierten uns beim Spiel und mit großen Sprüchen ab. Na ja, und der Alkohol …, der floss reichlich. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, sehe ich sie alle wieder: die Freunde und Saufkumpane, die Bedienungen und Kneipenwirte. Damals ging in den Kneipen die Post ab! Es passte einfach alles: unsere Jugend, die Kneipenkultur und das Lebensgefühl. Die Welt war ein einziger Abenteuerspielplatz. Viele Geschichten ließen sich davon erzählen.
10 Jahre später hatten sich die Reihen deutlich gelichtet. Dann schloss das Billard-Café. Ich wohnte inzwischen in einem Nachbarort, hatte meinen Lappen verloren. Immer seltener traf man die alte Garde. Der Ernst des Lebens hatte zugeschlagen: Einigen gingen bereits die Haare aus, andere heirateten oder waren weggezogen, und ich machte im Westerwald eine Alkoholtherapie.
Das war das Ende ... der goldenen Kneipenjahre.
Ich fand seitdem keine Stammkneipe mehr. Entweder behagt mir das Publikum nicht, oder es ist schlicht nichts los. Ich überlegte auch schon, ob`s an mir liegt. Aber das würde ich nicht mal sagen. Es sind einfach andere Zeiten.

Die Sonne scheint zu mir ins Zimmer und holt mich zurück in die Gegenwart. Ich habe heute Heidelberg auf dem Programm. Dort sind einige Kneipen meine Anlaufpunkte. Die Bedienungen kennen mich schon. Ich komme selten aber regelmäßig, trinke an der Bar meine zwei, drei Bier je nach Durst und Laune und zische wieder ab … zur nächsten Station. So lassen sich auch ein paar Stunden verbringen. Damit ich mich nicht langweile, nehme ich eine Lektüre mit. Gern würde ich mal wieder richtig in netter Gesellschaft einen drauf machen – mit Open End sozusagen. Tja. Realistisch gesehen bin ich inzwischen ein alter Sack, so alt, wie ich`s mir früher nicht habe vorstellen können. Wahnsinn, oder?

Shhhhh - 04. Jan. 12, 12:39

Mich interessiert ja meist nur die mitgenommene Lektüre;)

Und ich mag Leute, die in Kneipen lesen.

bonanzaMARGOT - 04. Jan. 12, 12:43

bevor ich in der nase bohre und ständig der bedienung auf den arsch gucke, lese ich lieber und lasse nur mal zwischendurch meine blicke schweifen.
die meisten bücher, die ich in den letzten jahren las, las ich in der kneipe, am see, im schwimmbad oder im urlaub. zuhause habe ich komischerweise nicht die rechte lust zum lesen.
Anja-Pia - 05. Jan. 12, 10:53

Was mich dabei interessiert:
Trinkst Du so viel, weil Du so viel Durst hast,
oder hast Du so viel Durst, weil Du so viel trinkst?
;-)

bonanzaMARGOT - 05. Jan. 12, 12:21

das eine kann das andere ergeben.
steppenhund - 05. Jan. 12, 13:25

Das mit dem Trinken ist so eine Sache

Man braucht schon Motivation, um sich auf etwas anderes umzustellen.
Ich habe früher recht viel getrunken. Nicht nur privat sondern manchmal auch aus beruflichen Gründen. Meine "Highlights" in den Achtziger-Jahren waren einmal 1,5 Liter Vodka (zwischen 10 Uhr früh und 3 Uhr früh des kommenden Tages) und 5,25 Liter georgischen Weißwein bei einem Bankett (der ist allerdings vergleichsweise weniger alkoholreich als bei uns). Beide Mengen hätten mich ins Koma schicken können.
Und selbst 1998 habe ich noch einmal bei einer Firmenfeier 18 Krügeln (0,5l) Bier - nachweislich - verschluckt und bin noch stehenden Fusses beim Lokal hinausgewankt. Gleichzeitig blieb ich aber in Russland auch 2 Jahre vollkommen abstinent und dann ungefähr 2003 auch noch einmal ein ganzes Jahr. Damals konnte ich durchaus noch 2 Liter Wein vertragen, allerdings der nächste Tag war nicht immer erfreulich.
Ich musste dann einmal zu einem Alkoholiker-Workshop. Nicht als Alkoholiker sondern als Führungskraft, um zu lernen, wie man mit Alkoholikern im Dienst umgeht. Danach war ich dann auch wieder ein Jahr komplett alkoholfrei:) Vor 4 Jahren habe ich Bier und Kaffee komplett gekippt. Und seit ca. 2 Jahren, als ich feststellen musste, dass ich langsam im Denken langsamer werde. Darauf beschloss ich, auch den Wein zu reduzieren. Heute stelle ich fest, dass ich kaum mehr als einen halben Liter bei gesellschaftlichen Ereignissen trinke. Und zweimal im Monat vielleicht einen Whiskey.
Ich mache das, weil ich hauptsächlich mit dem Kopf arbeite und das nicht auf Routineabläufe reduzieren kann. Ich kann auch verstehen, dass man einfach trinkt, weil es eine gute Beschäftigung sein kann. Beim Lesen würde mich das Trinken in größeren Mengen stören.
Ich glaube, das einzige Mittel dagegen wäre die Beschäftigung mit etwas, bei dem man sich voll konzentrieren muss. Was weiß ich, vielleicht kleine Modelle bemalen oder sowas.
-
Schreiben tue ich das alles nur wegen der letzten Einträge. Das Gefährliche für mich beim Trinken war immer das "Weitertrinken". Nach den ersten zwei Bier waren es dann 6,8,10, genauso beim Wein. Nach dem ersten Viertel, gesellten sich die anderen wie von selbst dazu.
Ich stelle aber fest, dass es jetzt auch ohne geht. Vielleicht geht das bei dir auch einmal. Und wenn nicht, dann genieße es einfach:)

bonanzaMARGOT - 05. Jan. 12, 13:47

hallo steppenhund, danke für deinen ehrlichen kommentar.
bei den mengen, die du zeitweise trankst, wäre ich hinüber.
meine erfahrung ist, dass jeder trinker andere trinkgewohnheiten mit anderen trinkmengen und anderen alkoholika hat. natürlich kann es parallelen geben, aber eigentlich kann man das trinkverhalten des einen schwer auf den anderen übertragen. es ist ähnlich wie beim rauchen: der eine wird zum kettenraucher, und der andere bleibt mehr oder weniger bei seinen fünf zigaretten am tag.
jeder trinker gefährdet ab einer gewissen trinkmenge seine gesundheit und verliert die kontrolle.
vor 20-30 jahren war mein alkoholkonsum exzessiv und hauptsächlich auf das trinken in gesellschaft beschränkt.
heute würde ich mich als gewohnheitstrinker bezeichnen, der eben jeden tag ein gewisses pensum trinkt - allermeist nicht mehr als einige bier oder eine flasche wein. bei dieser menge macht es mir nichts aus, während der arbeit im nachtdienst zu pausieren.
schon möglich, dass sich mein trinkverhalten und auch die trinkmenge in den nächsten jahren wieder ändern werden - und ich hoffe natürlich, dass es nicht mehr wird sondern weniger.
ja, ich genieße die genuß-droge alkohol. eine gewisse menge empfinde ich als anregend beim schreiben und bei anderen kreativen tätigkeiten sowie bei kommunikativen kontakten.
außerdem schmecken mir bier und wein (inzwischen) tatsächlich besser als die meisten anderen getränke.

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