Mittwoch, 4. Januar 2012

Die goldenen Jahre


Lang lang ist`s her, dass ich mittags in die Kneipe ging und erst nach Mitternacht wieder hinaus torkelte. Nein, ich torkelte selten. Nach einigen Jahren ist man relativ gut trainiert. Ich war immer gut bei Sachen, die Ausdauer benötigen. Damals war die Kneipe ein Stück Zuhause für uns. Man traf sich zwanglos, spielte Billard, scherzte, diskutierte, würfelte oder spielte Karten, schäkerte mit den weiblichen Bedienungen, stritt sich, schlichtete den Streit wieder, verliebte sich und entliebte sich. Hach, das waren noch Zeiten! Natürlich verklärt man im Nachhinein einiges. Es gab auch öde Tage. Aber als wir Anfang Zwanzig waren, und uns die Welt offen stand, wir vor Übermut strotzten, da gab`s ein paar Jahre, die ich die goldenen Jahre nennen würde – also, die goldenen Kneipenjahre. In den Achtzigern war das. In der Hauptsache waren es zwei Kneipen, die Wand an Wand lagen: die Bier-Börse (gibt`s heute noch) und das Billard-Café. Wir machten damals Witze darüber, ob wir in 10 Jahren immer noch an der Bar sitzen würden, - und sowieso wollten wir nicht älter als Vierzig werden. Ein solch hohes Alter war für uns unvorstellbar und schien unendlich weit weg. Wir würden ewig jung bleiben … Ein paar Jahre lang hielt sich dieses Gefühl. Man war beim Bund, in der Ausbildung oder studierte. Die meisten von uns wohnten noch zuhause bei den Eltern.
Die Kneipe wurde zu unserem Wohnzimmer, wo wir unseren Testosteron-Überschuss auslebten. Im Großen und Ganzen ging es dabei friedlich zu. Wir reagierten uns beim Spiel und mit großen Sprüchen ab. Na ja, und der Alkohol …, der floss reichlich. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, sehe ich sie alle wieder: die Freunde und Saufkumpane, die Bedienungen und Kneipenwirte. Damals ging in den Kneipen die Post ab! Es passte einfach alles: unsere Jugend, die Kneipenkultur und das Lebensgefühl. Die Welt war ein einziger Abenteuerspielplatz. Viele Geschichten ließen sich davon erzählen.
10 Jahre später hatten sich die Reihen deutlich gelichtet. Dann schloss das Billard-Café. Ich wohnte inzwischen in einem Nachbarort, hatte meinen Lappen verloren. Immer seltener traf man die alte Garde. Der Ernst des Lebens hatte zugeschlagen: Einigen gingen bereits die Haare aus, andere heirateten oder waren weggezogen, und ich machte im Westerwald eine Alkoholtherapie.
Das war das Ende ... der goldenen Kneipenjahre.
Ich fand seitdem keine Stammkneipe mehr. Entweder behagt mir das Publikum nicht, oder es ist schlicht nichts los. Ich überlegte auch schon, ob`s an mir liegt. Aber das würde ich nicht mal sagen. Es sind einfach andere Zeiten.

Die Sonne scheint zu mir ins Zimmer und holt mich zurück in die Gegenwart. Ich habe heute Heidelberg auf dem Programm. Dort sind einige Kneipen meine Anlaufpunkte. Die Bedienungen kennen mich schon. Ich komme selten aber regelmäßig, trinke an der Bar meine zwei, drei Bier je nach Durst und Laune und zische wieder ab … zur nächsten Station. So lassen sich auch ein paar Stunden verbringen. Damit ich mich nicht langweile, nehme ich eine Lektüre mit. Gern würde ich mal wieder richtig in netter Gesellschaft einen drauf machen – mit Open End sozusagen. Tja. Realistisch gesehen bin ich inzwischen ein alter Sack, so alt, wie ich`s mir früher nicht habe vorstellen können. Wahnsinn, oder?

ein literarisches Tagebuch

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