Als Gebüsche noch Gebüsche waren

Sonntag, 26. Februar 2012

Frühschoppen


Ab und an fehlen mir die alten Kumpels: Armin, Richie, Paule, Schorsch, Greule, Betz, Guntram, Ilona, Heinz, Atze, Susanne, Ilse, Uschi, Mike, Detlef … und viele andere.
Frauen unter den Kumpels? Nein, kein Irrtum. Die Frauen, mit denen man auf Tour gehen konnte, waren rar, aber es gab sie! Sie kloppten mit uns Skat oder zogen mit durch die Kneipen. Einige dieser Frauen waren mehr als nur Kumpels für mich. Wir waren auch keine Clique im herkömmlichen Sinne. Ich hasste Cliquen. Wir trafen uns nach Lust und Laune. Meist an den Wochenenden. Es war klar, wo.
Das Leben zerstreute sie nach und nach in alle Himmelsrichtungen. Wie oft hatten wir uns versprochen, uns nie aus den Augen zu verlieren – im Überschwang der Gefühle. Life goes on.
An einem Sonntag wie heute hätte mich Heinz mit seiner alten Karre zum Frühschoppen abgeholt. Irgendwie hätten wir die Zeit schon totgeschlagen. Vielleicht wären wir wie so oft am Nachmittag bei der Rosa in Rettigheim gelandet, einer Dorfkneipe mit Kultstatus, gut für eine zünfige Brotzeit und einem günstigen Schoppen Wein. Wir waren schon gut drauf, wenn wir einliefen. Die Wirtsstube war total verräuchert, und immer bediente Rosa, eine ca. siebzigjährige Bauersfrau mit einem Koptuch, was zu ihrem Markenzeichen wurde. Ihr Konterfei war auf den Etiketten der Weinflaschen abgedruckt. Wenn Rosa merkte, dass einer zu viel intus hatte oder noch Auto fahren wollte, schenkte sie ihm nichts mehr ein. Da konnte sie rigoros sein. Aber wir hatten uns im Griff. Der Heinz und ich. Meistens.
Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Die schönen Erinnerungen überdauern, die hässlichen treten in den Schatten. Einiges schönt man sich auch zurecht. Über vieles lächele ich heute, dabei war es ziemlich unvernünftig. Wir kannten kein Maß. Wir waren durstig nach Freiheit und Abenteuer!
Ob sie wohl alle sittsame Familienväter und Mütter wurden? Hat der Ernst des Lebens alle gepackt?
Kaum vorstellbar. An Tagen wie heute fühle ich mich wie ein Fossil, das übrig blieb. Aber wie meist ist es nur die halbe Wahrheit: Auch mein Leben veränderte sich, auch ich wurde ernster, oder sagen wir besser gesetzter.
Oder?
Nein, nicht wirklich.






Zwei Kumpels biertrinkender Weise, 1984

Freitag, 17. Februar 2012

Ich verschlief den Rücktritt des Bundespräsidenten


Eine politische Hängepartie nimmt ihr Ende. Es ist kalt in der Wohnung. Meine Finger sind klamm, mein Kopf rammdösig von der Erkältung. Wie sagte man früher? Katarrh. Tolles Wort, was viel eher nach dem klingt, wie ich mich fühle. Herr Wulff hatte seinen Rücktritt verschleppt (bzw. verschlafen). Nun ist es vollbracht. Hin zur nächsten Krankheit!
Vor mir liegt aufgeschlagen ein Leitz-Ordner, in dem meine ersten Gedichte und Texte abgeheftet sind. Ich blättere darin. Meine Anfänge als Dichter. Alles noch handschriftlich. Mit Illustrationen dazwischen. Etwas krakelig manchmal. Nicht ausgereift. Aber Zeugnisse eines jungen Geistes, der sein eigenes Ding machen und nicht nur nachplappern wollte, was ihm vorgebetet wurde. Damals vor über 30 Jahren ging es los mit dem drängenden Fragen und Suchen: Ein Katarrh des Geistes, der Seele, welcher bei mir chronisch wurde.
Ich sehe den jungen Menschen vor mir, der ich einmal war. Er ist noch in mir – wie eine kleine Matroschka Puppe.

Hier ein Text, der bezeichnend für meine damalige Seelenlage ist. Ich spüre es, als hätte ich es gestern geschrieben:


Flucht


Nette Leute sind das,
wenn sie mich in Ruhe lassen,
fange ich nicht an, sie zu hassen,
und ich liebe sie wie mich,
und ich liebe sie wie mich …

Er weicht den Leuten aus, er schaut nicht gerne in ihre Gesichter, denn er liest sein eigenes Schicksal, entdeckt sich selbst mit all seinen Schwächen und seiner Glanzlosigkeit. Nur einer unter diesen vielen? Was bin ich wert? Meine Welt ist so klein.

Die Leute haben Appetit auf Bequemlichkeit. Sie überfüttern sich damit. Sie essen und essen, sie fressen und bekommen den Geschmack nicht mehr vom Gaumen. Sie konsumieren künstliche Süße, künstliches Glück und lassen die wahren Werte verschimmeln.

Er ist immer noch zwischen ihnen. Sein Schicksal ist: er verträgt dieses künstliche Zeug nicht. Es macht ihn krank. Er weicht den Leuten aus und schaut ihnen nicht ins Gesicht.
Da hupt ein Auto, dort schreit einer, noch mehr Schreien und Hupen, Lärm. Schneller gehen, hastig. Das Herz klopft. Aufregung, so viele Eindrücke. Er will sich nicht erdrücken lassen.

Der Lärm lässt nach, die Luft ist klarer. Er geht langsamer und atmet leichter. Die Sonne scheint.
Mit jedem Schritt, mit dem er sich dem Stadtrand nähert, werden seine Gedanken freier und verdrängen die Schatten dieser künstlichen Welt.
Er erfreut sich an den Vorstadtgärten, an den natürlichen Farben und Formen. Es ist sein Kinderbettchen, das ihn einhüllt und wärmt. Er kuschelt sich mit Behagen in diese ungeschminkte Welt und träumt den Traum der Bäume und der Gräser, der Wolken am Himmel.
Seine Gedanken verstummen. Es sind da nur noch Gefühle, auf die sich eine Phantasiewelt aufbaut.

Er ist schon weit außerhalb der Stadt und sitzt im Schatten eines knorrigen, sterbenden Baumes. Am Horizont jenseits der Wiesen und Felder ist Beton.
„Komm zurück in die Kälte und Angst. Komm, ich führe dich. Folge meinem Geruch, meinen grauen Schwaden ...“
Der Ruf bleibt ungehört.

Er sitzt unter dem knorrigen, sterbenden Baum. Seine offenen Augen glänzen in die Ferne, verhöhnen die künstliche Süße. Es ist nur noch Traum.

Er ist tot, denn er hat sich den Magen verdorben.


(1980)



Ganz schön viel Pathos, gel? Aber wenigstens nicht künstlich.
Ich lebte trotz verdorbenem Magen weiter. Die Empfindungen gegenüber der Welt, die mich umgibt, blieben weitgehend dieselben. Ich wurde nur etwas reifer mit den Jahren und bin heute geübter im geistigen Spagat, um die Widersprüche und die Ungerechtigkeiten besser auszuhalten. Außerdem bekam ich ein dickeres Fell. Man stellt sich auf einen solch chronischen Katarrh der Seele irgendwie ein. Man hat seine Mittelchen.
Prost!

32 Jahre später verschlafe ich den Rücktritt des Bundespräsidenten. Es ist ein hässlicher Wintertag. Nass und kalt. Die Autos brausen munter das Tal hoch und hinab. Der König ist tot, es lebe der König! Das Karussell dreht sich weiter. Wenn ich nur all diesen Scheiß verschlafen könnte. Auf der anderen Seite würde ich auch die Glücksmomente verschlafen und die Orte, wo es schön ist.
Ich entschied mich für das Leben. Die Flucht endet hier.

Montag, 6. Februar 2012

Schon damals irgendwie bonanzamargot




bin ich das?

Mittwoch, 1. Februar 2012

Büroschlaf





Tusche, 100 x 100, 1983 ... (leicht nachbehandelt)



Heute fielen mir die kleinen Bildchen wieder in die Hände, die ich in meiner Lehrzeit nebenbei auf Notizzettel kritzelte. Ich machte meine Lehre zum Techn. Zeichner in einem kleinen Ingenieurbüro für Haustechnik. Die beiden Chefs waren Arschlöcher … total von sich eingenommen. Als Stift war ich für sie der Depp vom Dienst – nach dem Motto: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Gut, dass ich Gesellschaft hatte: Zwei junge Frauen, die auch noch lernten. Ich schaute oft zu ihnen rüber, wenn sie konzentriert an ihren Zeichenbrettern standen. Mit den meisten Ausgelernten und Technikern hatte ich ein kumpelhaftes Verhältnis. Waren die Chefs den halben oder ganzen Tag auf Baubesprechungen, atmeten alle auf. Ich musste mich dann nicht so angestrengt hinter meinem Zeichenbrett verstecken ..., (denn) ich kam nicht selten verkatert zur Arbeit. Außerdem fand ich die meisten Tätigkeiten ziemlich langweilig. Stundenlang kratzte ich irgendwelche Leitungen nach den Vorgaben der Chefs aus den Plänen, pauste die Pläne oder musste stapelweise Leistungsverzeichnisse kopieren. Zwei Jahre hielt ich den Scheiß durch. Normalerweise dauert so eine Ausbildung dreieinhalb Jahre. Gott sei Dank konnte ich sie durch Abi und Notendurchschnitt um einiges verkürzen.

Längst hakte ich meine Zeit als Techn. Zeichner ab. Sie existiert nur noch in den Annalen meiner Erinnerung … und auf diesen kleinen Bildchen, die gar nichts besonderes sind, - nur ein Stück Vergangenheit, das überdauerte.

Mittwoch, 4. Januar 2012

Die goldenen Jahre


Lang lang ist`s her, dass ich mittags in die Kneipe ging und erst nach Mitternacht wieder hinaus torkelte. Nein, ich torkelte selten. Nach einigen Jahren ist man relativ gut trainiert. Ich war immer gut bei Sachen, die Ausdauer benötigen. Damals war die Kneipe ein Stück Zuhause für uns. Man traf sich zwanglos, spielte Billard, scherzte, diskutierte, würfelte oder spielte Karten, schäkerte mit den weiblichen Bedienungen, stritt sich, schlichtete den Streit wieder, verliebte sich und entliebte sich. Hach, das waren noch Zeiten! Natürlich verklärt man im Nachhinein einiges. Es gab auch öde Tage. Aber als wir Anfang Zwanzig waren, und uns die Welt offen stand, wir vor Übermut strotzten, da gab`s ein paar Jahre, die ich die goldenen Jahre nennen würde – also, die goldenen Kneipenjahre. In den Achtzigern war das. In der Hauptsache waren es zwei Kneipen, die Wand an Wand lagen: die Bier-Börse (gibt`s heute noch) und das Billard-Café. Wir machten damals Witze darüber, ob wir in 10 Jahren immer noch an der Bar sitzen würden, - und sowieso wollten wir nicht älter als Vierzig werden. Ein solch hohes Alter war für uns unvorstellbar und schien unendlich weit weg. Wir würden ewig jung bleiben … Ein paar Jahre lang hielt sich dieses Gefühl. Man war beim Bund, in der Ausbildung oder studierte. Die meisten von uns wohnten noch zuhause bei den Eltern.
Die Kneipe wurde zu unserem Wohnzimmer, wo wir unseren Testosteron-Überschuss auslebten. Im Großen und Ganzen ging es dabei friedlich zu. Wir reagierten uns beim Spiel und mit großen Sprüchen ab. Na ja, und der Alkohol …, der floss reichlich. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, sehe ich sie alle wieder: die Freunde und Saufkumpane, die Bedienungen und Kneipenwirte. Damals ging in den Kneipen die Post ab! Es passte einfach alles: unsere Jugend, die Kneipenkultur und das Lebensgefühl. Die Welt war ein einziger Abenteuerspielplatz. Viele Geschichten ließen sich davon erzählen.
10 Jahre später hatten sich die Reihen deutlich gelichtet. Dann schloss das Billard-Café. Ich wohnte inzwischen in einem Nachbarort, hatte meinen Lappen verloren. Immer seltener traf man die alte Garde. Der Ernst des Lebens hatte zugeschlagen: Einigen gingen bereits die Haare aus, andere heirateten oder waren weggezogen, und ich machte im Westerwald eine Alkoholtherapie.
Das war das Ende ... der goldenen Kneipenjahre.
Ich fand seitdem keine Stammkneipe mehr. Entweder behagt mir das Publikum nicht, oder es ist schlicht nichts los. Ich überlegte auch schon, ob`s an mir liegt. Aber das würde ich nicht mal sagen. Es sind einfach andere Zeiten.

Die Sonne scheint zu mir ins Zimmer und holt mich zurück in die Gegenwart. Ich habe heute Heidelberg auf dem Programm. Dort sind einige Kneipen meine Anlaufpunkte. Die Bedienungen kennen mich schon. Ich komme selten aber regelmäßig, trinke an der Bar meine zwei, drei Bier je nach Durst und Laune und zische wieder ab … zur nächsten Station. So lassen sich auch ein paar Stunden verbringen. Damit ich mich nicht langweile, nehme ich eine Lektüre mit. Gern würde ich mal wieder richtig in netter Gesellschaft einen drauf machen – mit Open End sozusagen. Tja. Realistisch gesehen bin ich inzwischen ein alter Sack, so alt, wie ich`s mir früher nicht habe vorstellen können. Wahnsinn, oder?

Samstag, 26. November 2011

Von der Schimäre des Erwachsen-Seins


In einem Abendtalk sagt eine junge Frau: „Ich fühle mich nicht so erwachsen, wie die anderen aussehen ...“ Die Runde lacht. Ich schaltete mittendrin ein. Interessante Gäste, u.a. Hannelore Hoger und Reinhold Messmer. Sie sagen der jungen Frau, dass es nicht nur ihr so gehe – man fühle sich wohl allgemein jünger, als man ist … Ich versinke über dieses Thema in Gedanken, während die Talkgäste über dies und das weiter plaudern.
Wie erwachsen bin ich? Ich hatte, seit ich denken kann, eine sehr kritische Wahrnehmung des Erwachsen-Seins. Als Kind und Jugendlicher kam es mir so vor, als ob man einfach durch das Alter zum Erwachsenen gekürt werde. Da war z.B. die 18-Jahre Schwelle, die es einem erlaubte, sich nicht nur gedanklich sondern auch real von den autoritären Eltern abzunabeln. Leider war das gar nicht so einfach, wie man es sich (damals) naiverweise ausdachte. Die Eltern nannten das „den Ernst des Lebens“. Damit war gemeint, dass sich nun die Freiheit der sorglosen Kindheit langsam dem Ende zuneige. (Die Kindheit war für mich alles andere als sorglos.) Dabei fieberten wir als Jugendliche unserem 18. Geburtstag geradezu entgegen, weil wir genau das Gegenteil für uns erhofften: nämlich endlich frei vom autoritären Duktus der Eltern und der Lehrer selbst nach Lust und Laune entscheiden zu dürfen ...
Eine Weile ging das auch gut. Ich meine damit die Kneipen- und Saufzeit. Wir ließen damals die Kuh fliegen, fuhren heimlich mit den Autos unserer Eltern durch die Gegend und plünderten deren Weinkeller. Die einen waren beim Bund, die anderen studierten bereits, und ich machte eine Lehre.
Es war mir wichtig, so schnell wie möglich wenigstens finanziell halbwegs unabhängig von meinen Eltern zu werden. Leider versoff ich alles.
Ich kürze diesen biografischen Teil besser ab, denn all zu viel ist mir davon sowieso nicht in Erinnerung. Es ist auch schon über 20 Jahre her. Darum geht`s mir gar nicht. Doch schon. Ich meinte dieses hehre Wort „Erwachsen“. Ich weiß ehrlich gesagt heute mit knapp Fünfzig noch nicht, was es bedeutet. Irgendwie wird immer nur die Welt um mich herum erwachsen, pflichtbewusst, verantwortungsvoll etc., während ich … während ich gar nicht weiß, wo ich stehe. Es ist mitunter lustig, dass mich jüngere Arbeitskollegen ehrfürchtig betrachten. Nun, ich bin schließlich im Alter ihrer Eltern.
Und ich erwische mich dann bei Gedanken wie: War ich auch mal so naiv?
Ich blättere in meinen alten Texten und Gedichten. Mit 16 fing ich mit dem Schreiben an. Und bei der Lektüre der alten Sachen ist es ein schönes Gefühl, mich darin noch entdecken zu können.
Wenn mich heute jemand fragte, ob ich erwachsen sei, würde ich antworten: „Ja, freilich, mindestens so wie alle erwachsenen Leute.“ Aber wenn ich gefragt würde, ob ich mich erwachsen fühle, würde ich sagen: „Schwachsinn, wie kann man sich erwachsen fühlen??“

Es gibt eine Menge Menschen, die dummerweise das Festhalten an Konventionen, Opportunismus und Heuchelei als die Tugenden des Erwachsen-Seins ansehen.
Ich kann mich in der Hauptsache an zwei Sorten Lehrer erinnern: Die einen strahlten aufgrund ihrer Persönlichkeit Autorität aus, und die anderen versuchten mittels Notenbuch und Mobbing ihre Autorität herzustellen. Logisch, welche Lehrer wir am liebsten hatten, und bei denen wir am meisten lernten. Ach ja, und es gab noch eine dritte Sorte – nämlich die, die relativ farblos dazwischen lagen. Aber an die erinnere ich mich kaum noch.

Noch heute meine ich: Die meisten, die ihr Erwachsen-Sein, ihre Manieren und ihr Verantwortungsgefühl besonders gegenüber ihren Mitmenschen hervorheben, - das sind meist die größten Arschlöcher!
Hoffentlich fühlt sich da jetzt niemand angesprochen.

Dienstag, 8. November 2011

Arrogant oder nicht arrogant - das ist hier die Frage


Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit dem Vorwurf der Arroganz konfrontiert werde. In der Grundschule nannten mich die Mitschüler Professor. Nun, das war noch eher wohlwollend gemeint, und ich sah darin auch keine Anmache. Später dann, als ich in den Kneipen saß, wunderte ich mich schon, dass mich Menschen, die mich eigentlich nur an der Theke sitzen sahen, für arrogant hielten. Ich erfuhr es manchmal in späteren Unterhaltungen mit diesen Personen. Oft hatte ich ein Buch dabei und las, während ich mein Bier trank. Ich machte mir keine Gedanken, wie ich dabei aussehe. Aber offensichtlich kam das bei einigen arrogant herüber – sozusagen als intellektuelle Zurückgezogenheit, die Ablehnung signalisierte. Andere deuteten mein Hochdeutsch als Arroganz. Nun, ich kann wirklich nichts dafür, dass ich das hiesige Dialekt nicht übernahm, obwohl ich hier geboren bin und aufwuchs. Aber viele Einheimische reagieren empfindlich und gehen erst mal auf Abstand. Wahrscheinlich denken sie: „Was ist denn das für einer? Der hält sich wohl für was besseres.“
Komischerweise stand dem Eindruck, den ich bei einigen Leuten hinterließ, mein inneres Empfinden diametral gegenüber. Denn eigentlich sehe ich mich als relativ schüchternen und unsicheren Typ im Kontakt mit meinen Mitmenschen. Ich mache mich oft kleiner, als ich bin und will also alles andere als ein Angeber sein. Ich denke, dass die Menschen einfach nur das an ihrem Gegenüber sehen, was sie sehen wollen. Ich erkenne das an mir selbst oft genug, - schieße schon mal schnell aus der Hüfte bei der Beurteilung eines Menschen, den ich erst kurz kenne. Darunter leidet dann die Zielgenauigkeit. Ich treffe entweder zu weit oben oder zu weit unten, oder gar nicht.
Also, es fuchst mich schon irgendwie, wenn man mich für arrogant hält. Ich mag nämlich arrogante Menschen nicht.
Sogar im Internet, wo man mich weder sehen noch hören kann, gibt es User in Foren oder Blogger, die mir Arroganz vorwerfen. Das ist ein starkes Stück! Sagt mal ehrlich: was ist denn an mir arrogant im Vergleich zu Euch? Es täte mich schon interessieren. Dass ich mit meinen Meinungen und Texten oft mal anecke – das allein kann`s nicht sein. Vielleicht bilde ich mir auch alles nur ein. Ich bin halt ziemlich sensibel und denke, dass wenn mich eine Tussie für arrogant hält, mich gleich alle so ansehen. Wäre ich wirklich arrogant, würde ich einfach darüber hinweggehen. Da wäre mir Eure Meinung scheißegal.
Ist schon blöd, was einem so durch den Kopf geht. Man will ja nicht alles sagen. Wen soll das ganze Durcheinander interessieren? Vielleicht bin ich zu offen oder zu ehrlich? Das erinnert mich an Detlev, eine Kneipenbekanntschaft, - wenn der genug intus hatte, schrie er über die Theke: „Ihr kleinen Arschlöcher! Ihr seid alle kleine Arschlöcher!“ Detlef war kein Prolet. Er sah ziemlich gut aus mit seinen Einmeterneunzig, - ein Typ der auf Frauen Eindruck machte. Oberflächlich gesehen arrogant. Aber eigentlich war er wie ein großes Kind. Ich lernte ihn damals etwas besser kennen. Und er konnte saufen. Und nach dem fünften oder sechsten Drink ging es los: „Ihr kleinen Arschlöcher!“ Das war Detlef. Nach einem Striptease auf dem Billardtisch bekam er Hausverbot. Ich verlor ihn aus den Augen. Vor Jahren traf ich ihn dann noch mal kurz: Sie hatten ihm in einer Diskothek die Nase eingeschlagen, diesem Einmeterneunzigkerl, der eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun konnte …

Freitag, 23. September 2011

Wozu leben?


Meine Eltern zeugten mich, als sie es nicht besser wußten. Wer mal am Leben ist, der hängt in diesem Spinnennetz fest. Er ist regelrecht verwachsen mit ihm. Und er wartet darauf, dass ihn eines Tages die schwarze Spinne Tod holt. Derweil träumen wir vor uns hin und warten. Der eine tätiger, der andere untätiger. Im Ergebnis spielt das überhaupt keine Rolle. Es ist einfach eine Frage der Lust - wie beim Sex. Wir machen es zwar alle ähnlich, aber jeder hat seine Vorlieben.
Die schwarze Spinne sitzt in Lauerstellung. Sie hat die Ruhe weg.
Ich frage mich: Wenn also alles zum Leben gehört, dann wohl auch der Tod? Ich machte mir sehr früh Gedanken über ihn. Warum, weiß ich selbst nicht. Ich wollte doch auch einfach so drauf los leben wie alle anderen. Oder sagen wir: die meisten. Doch bereits während meiner Schulzeit wuchs meine Skepsis, ob denn alles wirklich so war, wie man es uns vormachte und lehrte. Ich sah einfach zu viele Widersprüche. Und ich ließ mich nicht hinbiegen. Heute noch nicht. Ich mag diese Zombie-Parallelgesellschaft nicht. Ich mag nicht ihren doppelten Boden. Muß man studieren, um etwas wichtiges sagen zu dürfen? Muß man Karriere machen, um einen gesellschaftlichen Status zu erlangen? Wozu das Ganze? fragte ich mich. Immer und immer wieder.
Warum soll ich zu etwas Ja sagen, was ich nicht einsehe? Mein Vater hatte eine plausible Antwort parat: "Weil es alle so machen, mein Junge." Diese Antwort fand ich erdrückend - und enttäuschend. Sie sagte nichts anderes als: Passe dich an, sonst wird aus dir nichts, und du wirst in deinem Leben mehr Schwierigkeiten haben, als dir lieb ist. Oder: Es ist viel gescheiter, mit dem Strom zu schwimmen ... Oder: Früher oder später wirst du es auch noch kapieren.
Offensichtlich ist bei mir Hopfen und Malz verloren. Bald habe ich selbst ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel, und ich kann mich immer noch nicht anpassen. Klar. In gewissen Lebensbereichen komme ich nicht drum rum. Aber meine Gedanken konnte mir noch niemand in Richtung Konformität verbiegen. Ich bin immer noch der kleine fragende Junge, der sich verwundert die Erwachsenenwelt anschaut ..., beinahe verängstigt. Was ist das für eine Welt? Spinne ich?
Das erste Karussell, in das ich einstieg, stand auf dem Jahrmarkt. Ich saß im Feuerwehrauto und drehte mich munter im Kreis, lachte mein Kinderlachen. Die Eltern winkten mir vom Rande zu, und ich wollte gar nicht mehr aussteigen.
Das ist vorbei. Vorbei.
Vorbei. Die Zombiewelt startete ihre Angriffe auf mich: Schule, Kirche, Beruf, Politik, Geld, Status ...
Das Karussell hat keine Feuerwehrautos mehr. Da sind Panzer, Kampfflugzeuge, Streitwagen ... das reinste Horrorkarussell. Niemand winkt mehr. Sie sitzen alle wie Zombies in ihren Kabinen und stieren vor sich hin. (Übertreibe ich? Ich will nicht übertreiben.)
Das Leben ist kurz. Ihr wißt es auch. Und ich verüble niemandem, dass er mit den Wölfen heult, weil die Schutz und eine Lösung versprechen. Es gibt nichts schlimmeres als die Angst davor, dass einem der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Und ähnliches. Darum ja der ganze Popanz mit den Religionen etc.
Aber liebe Leute, ich bitte inständig jeden, der noch Herr seiner Gedanken ist, nicht auf solche Schimären herein zu fallen!
Die Spinne sitzt in Lauerstellung. Heute holt sie dich und morgen mich. Das ist unabänderlich. Schreit wenigstens in der Zwischenzeit eure eigene Meinung heraus! Gefangen zu sein bedeutet nicht, all seine Freiheit aufzugeben!
Wozu sonst leben?

Freitag, 26. August 2011

Schadensbegrenzung


Ich glaube, dass es viel mehr Hobby-Philosophen gibt, als es zugeben wollen. Wobei das Wort "Hobby" eigentlich in diesem Zusammenhang eine Beleidigung ist.
Komisch, da fällt mir ein, wie mich meine Klassenkameraden in der Grundschule, wir waren damals gerade mal acht oder neun Jahre alt, Professor nannten. Süß. Ich empfand es als Ehrung, weiß aber nicht mehr genau warum. Also, warum sie mich Professor nannten. Ich gehörte zwar zu den Besten (damals noch), aber ich war eben, wie ich war. Ich focht Kämpfe mit der Großmäulin der Klasse aus, die sowas wie eine Leitwolffunktion hatte. Ja, auch wir kleinen Knöpfe sortierten uns. Und es wurden regelrechte Kriege geführt. Ich stand auf der Seite der Außenseiter: damals waren das Ausländer, Zigeuner, Asoziale ... Die waren meistens mutiger als der Rest der Klasse aber rettungslos in der Minderzahl. Ich fühlte mich zu ihnen hingezogen. Keine Ahnung. Jedenfalls verstand ich bereits damals nicht, warum Menschen von der Gemeinschaft ausgegrenzt werden. Es dauerte eine Weile, bis der Dreck von Lüge und Heuchelei auch mein Bächlein verschmutzte. Es war noch ein Bächlein. Ich erinnere mich noch gut an meine erste Lüge. Vorher war ich zu naiv zum Lügen. Ich verlor die Kontrolle wie alle anderen. Jedenfalls sehe ich es heute so. Das Leben nahm mich und wusch mir den Kopf. Ich wechselte ins Gymnasium und begann die Schule zu verfluchen. Den Spaß gab es nur noch beim Spiel. Ich war sehr verspielt. Ich verlor langsam den Anschluss ...
Einige Jahre später befand ich mich in der Pubertät, hatte meine erste Erektion, den ersten Orgasmus, die erste Freundin, schrieb meine ersten Gedichte (hatte Pickel). Und ich philosophierte gern. Löcherte jeden mit der Frage: "Wieso?" Ich war der Meinung, dass diese Frage viel zu wenig gestellt wurde. Wieso gab es mich eigentlich? Wieso mußte man in die Schule gehen? Wieso wurden die Kinder von den Erwachsenen nicht ernst genommen? Wieso sollte ich mich konfirmieren lassen?
Wieso?
Die Eltern hatten ihre eigenen Probleme. Die Lehrer hatten ihren Lehrauftrag. Es war eben, wie es ist. Wieso? Dafür gab es die Note 6. Also, wenn man zu viel fragte ...
Ich fragte dann auch nicht mehr. Außer wenn ich betrunken war. Ich fing mit Fünfzehn mit dem Trinken an. Sowieso stellte ich mir selbst die Fragen. Ich schrieb sie auf. Ich kleidete sie in Gedichte. Heute noch zu lesen.
Wieso konnte ich nicht wieder so naiv ehrlich sein wie damals als kleiner Bub?
Für den Rest meines Lebens war ich verdorben. Aber ich versuchte es mit Schadensbegrenzung. Ich nahm mir vor, wieder ehrlicher zu werden. Ehrlich. Nur mit dem Trinken konnte ich nicht aufhören.
So verlief mein Leben ...

Donnerstag, 25. August 2011

That`s it


"Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile", sagte Aristoteles vor langer Zeit. Das glaube ich nicht, denn die Welt würde sonst platzen. Ich postuliere: "Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile - und zwar um einiges weniger." Ebenso ist das Leben nicht die Summe der Tage, die man am Leben ist ... sondern viel viel weniger. Das Leben ist eigentlich nichts. Genau betrachtet. Es ist genau das, was uns bleibt. Und am Ende ist das nichts.

Schwere Gedanken habe ich mal wieder. Ich weiß. Die kommen so über mich.
Vernunft und Lebenserfahrung widersprechen meiner These vehement, - trotzdem halte ich an ihr fest. Das Ganze an sich betrachtet ist nichts. Größen bestehen nur relativ bzw. differenziert. Im Alltag muß es uns nicht jucken. Wir werden geboren. Es folgen Kindergarten, Schule, Ficken, Beruf, Kinder, Scheidung, Alter, Gebrechlichkeit, Abgang, Tod. So in etwa. Je nach Biografie.

That`s it.

Und das addiert sich schneller zusammen, als man denkt. Ich merke es, weil die Freundinnen, die ich kriege, geschieden sind, Kinder haben, Hund und Katz. Nicht weil ich ergraue. Außerdem schaue ich nicht gern in den Spiegel. Die Jugend ist unwiederbringlich vorbei. Die Tage schmelzen dahin. Ein paarmal gehustet, und ein Jahr ist rum. Kaum hat ein neues Lebensjahrzehnt begonnen, steht man bereits wieder an der Schwelle zum nächsten.

Der Aristoteles hat `ne Macke, wenn er meint, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Das Ganze ist ein Scheiß.
Anfänglich dachte ich, dass er recht hat. Weil die Summe etwas neues bedeutet. 1+1=2. Und "2" ist etwas grundlegend neues, somit mehr als die Teile für sich bedeuten. Oder? Nein, ich kapiere es nicht ganz ganz. (Aber fast.)

Frau und Mann bilden ein Paar. Dann ist also das Paar mehr als die Summe seiner Teile (Mann und Frau), weil das Paar etwas völlig neues definiert. Hm. Das ist einleuchtend. Aber trifft es in der Realität zu? Es kommt auf die Sichtweise an. Nicht jede Addition bringt als Ganzes mehr als seine Einzelteile. Nehmen wir nur mal die gesamte Menschheit ... Sie wird wahrscheinlich in ein paar Generationen die Biosphäre der Erde kaputt gemacht haben. Ziemlich bescheuert! Es ist also die Frage, in welchem Zusammenhang wir "mehr" wie definieren. Aristoteles kannte in seiner Zeit vielleicht noch nicht das Prinzip: "Weniger ist mehr."

Ist dieser Tag vorbei, habe ich wieder etwas verloren, obwohl sich ein Tag dazu addierte. Mir ging ein Tag meiner Lebenszeit verloren - unwiederbringlich. Dazu kommt noch die Entropie. Ich zerfalle langsam. Alles zerfällt. Die Ordnung nimmt ab - nur das Leben stemmt sich dickköpfig dagegen. Es ist sowas wie eine Antibewegung zum universellen Zerfall.

That`s it.

Es ist wie Hochspringen und wieder runterfallen. Hochspringen macht Freude. Aber das Runterfallen ist nicht sehr angenehm ...

Euch noch einen guten Tag.

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