Seit nahezu einem halben Jahrhundert wandle ich über die Erde und forsche nach dem Sinn hinter dem Ganzen. Es fängt schon mit der Schwerkraft an, die einen auf einer Kugel mit 6.370 Kilometer Radius fest hält. Wenn man hochspringt, fällt man automatisch wieder herunter. Das ist doch komisch, oder? Wir kleben auf dieser riesigen Murmel und definieren ein Oben und Unten, was es universal eigentlich gar nicht gibt. Ich schaue gern nach oben in den Sternenhimmel. Nie werde ich die Nacht in den Calanques bei Cassis vergessen. Wir lagen in einer Felsnische außerhalb der Stadt, schauten auf das Meer und über uns dieser furiose Sternenhimmel, die Milchstraße! Wow! Die Neuronen meines Hirns fanden ihre Entsprechung. Es war der Wahnsinn ...
Ich war Anfang Zwanzig und interessierte mich weniger für meine berufliche Zukunft als vielmehr für das Leben und Sterben, das Geheimnis des Daseins. Und für Frauen. Am Strand von Cassis lernte ich zwei junge Schweizerinnen kennen. Die sagten - ich höre es, als wäre es gestern gewesen - in lustigem Schwizerdütsch: "Wir sind viel zu jung, als dass wir über den Tod nachdenken wollen." Und sie lachten. Süße Girls. Knackig. Beinahe wie Zwillinge, wie sie da braungebrannt und oben ohne auf den heißen Steinen lagen.
Die Liebe ist auch so ein Geheimnis. Und ich sage es gleich: ich stieg noch nicht dahinter. Eine Art Anziehungskraft, die einem das Gefühl gibt, ein Herz zu haben. Sowieso regt sich etwas eine Ecke tiefer. Sogar heute noch. Aber damals ... Am Strand lag ich meist bäuchlings.
Dann stellte ich mir Fragen wie: Nimmt die Schwerkraft zum Mittelpunkt der Erde hin ab? Und wenn, in welchem Maß? Oder: Mit wieviel Schwung muß man etwas in ein Loch durch die Erde schmeißen, damit es auf der genau gegenüberliegenden Erdseite wieder rauskommt? Nach solchen Überlegungen konnte ich mich auf den Rücken drehen.
Damals war ich verrückt nach Sonne und kam immer braungebrannt aus dem Urlaub zurück.
Wenn ich zurück zuhause war und wieder im Zeichenbüro saß, wurde mir die Tragik des Daseins oft schmerzlich bewußt. Es gab kaum Menschen, die meine Interessen teilten. Trost fand ich bei meiner Freundin. Die konnte ich vollphilosophieren. Ganze vier Jahre lang. Ich war so voller Gedanken. Warum erschienen mir die meisten meiner Mitmenschen derart oberflächlich?
Man denkt in diesem Alter noch, man wäre der Mittelpunkt der Welt.
Diese Egozentrik weicht mit den Jahren auf. Außer man ist eine unverbesserliche Dumpfbacke. Kratz.
Da ich ein Mann der Tat bin, machte ich Nägel mit Köpfen ... und gründete keine Familie. Versteht ihr das? Nein? Muß man auch nicht verstehen. Ich hatte einfach keine Lust auf das, was alle so selbstverständlich machen. Wenn ich schon nicht die Schwerkraft beeinflussen kann, dachte ich, dann doch wenigstens solche Konventionen - zumindest was mich angeht. Ich mußte mich dazu nicht besonders anstrengen. Lieber trank ich in der Kneipe mein Bier und spielte Billard.
Ich war für meine Freundinnen sozusagen die Vorhut: nach mir heirateten sie, kriegten Kinder etc.
Inzwischen bin ich allerdings zu alt für die Vorhut. Inzwischen bin ich die Nachhut.
That`s Life. Und für heute reicht`s.
Wenn eine Frau sagt "wir müssen reden" - kann Mann schon mal den Kopf einziehen. Hat dann sein letztes Stündlein geschlagen? Bedeutet es den Anfang vom Ende der Beziehung? Oder will sie vielleicht nur wissen, was er zum Essen will?
Ich zucke bei diesen Worten jedesmal innerlich zusammen und kriege einen Kloß im Hals. "Jetzt kommt`s", denke ich für mich, "jetzt kommt das Ultimatum ..."
Frau liest Mann die Leviten. Mann senkt schuldbewußt den Blick. Oder er flieht.
"Du rennst immer weg, wenn ich über uns reden will", sagt sie vorwurfsvoll.
Er quält sich sichtlich und presst hervor: "Ich bin halt ich."
"So kann`s nicht weitergehen."
"Vielleicht ...", stottert er und spürt die Pistole auf der Brust.
Dass Frauen immer alles planen müssen: das Essen, die Beziehung, ihre Zukunft ...
Liegt das in den weiblichen Genen begründet? Er will nur seine Freiheit, aber er will sie auch nicht verlieren. Wahrscheinlich kommt es der Quadratur des Kreises gleich, Frauen und Freiheit unter einen Hut zu bringen.
"Also - denke mal drüber nach", sagt sie schließlich einlenkend und milde. Er atmet auf und nimmt sie in den Arm. Sie küssen sich.
"Und was willst du jetzt essen?"
"Hm", er überlegt, "Spaghetti, die gehen schnell."
Mit einer Pulle Bier setzt er sich auf die Terrasse. Die Sonne bescheint sein Antlitz, und der Gerstensaft ergießt sich kühl und wohltuend in seine Kehle. Das ist Freiheit!
Bis sie das nächste Mal an ihn herantritt und seinen inneren Frieden stört.
"Wir müssen reden."
...
Ich glaube, dass man Traurigkeit nicht endlos addieren kann. Ebenso wie Schwere. Ich stelle mir vor, dass das absolut Schwere irgendwann wie fragiles Glas in sich zusammenbricht. Das Undurchscheinbare löst sich mit einem Krachen auf.
Ein Mann auf einer Insel gräbt ein Loch, um zu fliehen. Er hat die verrückte Idee, dies sei die einzig wirkliche Möglichkeit, von der Insel zu entkommen. "Aber wo willst du denn hin?" fragt sie ihn. "Ich weiß nicht", sagt er und gräbt an seinem Loch, das aber irgendwann gar nicht mehr tiefer zu werden scheint - vielleicht unmerklich. Er weiß es nicht. Er schüttelt den Kopf. Er kann ihr nicht sagen, was er fühlt. Er trinkt. Ja, er trinkt - wegen der Tränen, die er nicht weint. "Aber das ist doch gar nicht wahr", sagt er zu sich, "ich kann weinen." Er lächelt sie an und küsst sie. Die Traurigkeit flattert um ihre Köpfe wie Rabenvögel. Das ist die Freiheit. Die Freiheit ist endlos traurig. Man muß graben. Es kann keinen anderen Weg geben. "Quatsch, das ist nicht die Freiheit!", sie rüttelt an ihm. Er ist ganz steif in sich, aufgefüllt mit Schwere - von der Erde aus seinem Loch.
Das Dasein ist verrückt. Der Mann verschwindet in seinem Loch. Manchmal sieht man ihn winken. Wem winkt er eigentlich?
Das Wochenende umklammert mich wie ein Ringer. Ich drehe mich auf den Bauch und versuche den Bodenkampf zu überstehen. Schließlich machte ich vor gut dreißig Jahren mal Judo bis zum blauen Gürtel. Und Karate bis zum braunen. Ich stieg damals aus, weil ich nicht kämpfen wollte. Ich habe nicht das Bedürfnis, einen Fremden auf die Matte zu legen oder mit einem Tritt in den Solar Plexus zu punkten. Das Training war aber schon gut für mein Selbstbewußtsein. Sowieso für meine Fitness.
Ich erinnere mich noch gerne an manche Trainingsstunden. Unter den Schülern waren auch die mit einer großen Klappe, die dann bald als Türsteher von Discos auf Macho machten. Doch auf der Matte waren wir alle gleich. Die meisten Großmäuler brachten es nicht mal bis zum gelben Gürtel.
Ich trainierte mit einem Türken. Bestimmt schaffte er noch den schwarzen. Er war ein toller Kamerad! (So lange her ...)
Wir trafen uns auch privat, joggten durch den Wald und übten die Schlag- und Tritttechniken für die nächste Gürtelprüfung. Ich glaube, wir waren gar nicht mal schlecht. Sonntags ging es zum freien Training ins Dojo. Es sind schöne Erinnerungen.
Ich begann damals das Trinken mit Berliner Weisse. Hin und wieder ein Moninger. Und ich hatte meine erste Freundin, meine ersten sexuellen Erfahrungen.
Wow!
Ehrlich. Wobei mich dummerweise die Schule immer weniger interessierte, obwohl ich noch ein Jahr zum Abi hatte.
Ich zehrte lange von dem erlangten Selbstbewußtsein, welches ich durch das Judo- und Karatetraining erlangt hatte. Ich brauchte es auch, denn nach dem Abi ging ich in einem miefigen Ingenieurbüro in die Lehre mit einem Arschloch als Chef. Danach arbeitete ich als Leiharbeiter. Und schließlich kamen 20 Monate Zivildienst ... Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, dass ich verweigerte. Ich wollte (auch) nicht als Soldat kämpfen müssen - bloß weil von einer höheren Instanz ein Gegner/Feind festgelegt wird.
Trotzdem muss man im Leben das Kämpfen lernen. Es geht dabei nicht um das Besiegen eines anderen. Aber es geht darum, sich sein Selbstvertrauen zu bewahren. Ganz egal, ob die Eltern, die Chefs ... oder die gesamte Welt anderer Meinung ist.
Mein Weg lief alles andere als gerade. Es gab irgendwann keine Vorbilder mehr. Jedenfalls nicht in meiner Umgebung. Ich wußte immer, wie ich nicht werden wollte ..., hatte aber keinen Plan für meine Zukunft. Den habe ich bis heute nicht.
...
Die Sonne ruft. Ohne Handy. Durchs Fenster. Ich lächele ihr zu. Sie ist keine schlechte Gesprächspartnerin. Also, es wird Zeit, dass ich auf der Matte abklopfe und aufstehe - für diesen Tag!
Ich drehte das Katastrophenszenario ab und höre die CD „Ein Maulwurf im Karton“.
Gerd Wameling spricht darauf einige Gedichte von Bukowski, musikalisch poppig-jazzig untermalt. Schön, denke ich, einfach schön. Bukowski war vor dreißig Jahren meine Lieblingslektüre. Ich begann mit den Short-Stories, und dann kam ich auf seine Gedichte.
Sie sind noch da. Ich meine, ihr Geist ist noch da. Jedenfalls in mir - das spüre ich beim Hören der CD. Nun ist er schon einige Jahre tot. Trotzdem. Er spricht, wenn man ihn sprechen läßt - wie viele gute Autoren ... zeitlos zu uns.
Der "Ausschnitt", den ich bei Youtube fand, ist nicht repräsentativ für die CD. Die Band spielt da einen Song mit einem Bukowski Text ohne Gerd Wameling. Auf der CD klingt es besser.
... nach längerer Zeit wieder am Hören von The Who - „Quadrophenia“. Ich strapaziere die Zimmerlautstärke und hoffe, dass die Vermieterfamilie, die unter mir wohnt, dadurch nicht belästigt wird. Mein Gott, die Platte kam 1973 raus! Ende der Siebziger sah ich den Film „Quadrophenia“ im Kino und war begeistert - auch jetzt, mehr als drei Jahrzehnte später, habe ich noch dieses Gänsehaut-Gefühl. Meiner Meinung nach ist solche Musik einfach zeitlos!
Jedenfalls passt die Rockmusik von The Who wunderbar in einen Sonnntag des deutschen Spießerwunderlands. Es wäre sonst fast Friedhofsstille hier im Haus. Was sagte damals in der Eichbaumstube ein älterer behäbiger Barkeeper desöfteren: „Und kitzelt mich niemand, kitzele ich mich selbst.“ Ist auch schon ein gutes Weilchen her, und normalerweise kann ich mir Sprüche nicht merken - aber dieser prägte sich mir ein. Jetzt darf ich nur nicht losheulen bei dieser Musik und all den Erinnerungen ...
Die Eichbaumstube war in Stadtnähe, eine Flasche Export kostete dort nur ca. die Hälfte von dem, was man in den Cafés im Zentrum bezahlen musste. Ich machte damals die Ausbildung zum Altenpfleger, berufsbegleitend, und vor dem Nachmittagsunterricht ging ich in diese abgerissen wirkende Kneipe, trank ein paar Bierchen und studierte meine Unterlagen - wenn z.B. eine Prüfungsarbeit anstand. Nüchtern ging ich selten in den Unterricht. Mit Mitte Dreißig nochmal die Schulbank zu drücken, war nicht gerade nach meinem Geschmack. Doch war es so gekommen - dies zu erörtern, vielleicht ein andermal.
Die drei Jahre zogen sich ganz schön in die Länge. Richtig motiviert blieb ich nur im ersten Ausbildungsjahr. Irgenwie war ich während meiner gesamten Schulzeit selten länger als ein Jahr durchgehend motiviert. Wenigstens hatte ich als Erwachsener ein ganz anderes Selbstbewusstsein, und war nicht mehr so scheu wie als Kid in Grundschule und Gymnasium. (Das lag nicht nur am Bierkonsum in der Eichbaumstube.) Ab und zu ließ ich es die Lehrkräfte spüren, was mir im Nachhinein schon etwas leid tut. Vieles, was man über die Altenpflege lernt, ist bis heute einfach zu abstrakt und wird dem tatsächlichen Pflegealltag und den Problemen nicht gerecht - eben der uralte Konflikt zwischen Theorie und Praxis.
Trotz meiner kritischen Haltung und meiner Besäufnisse blieb ich lange Zeit der Klassenbeste. Erst im dritten Jahr ließ ich etwas nach, weil ich zunehmend die Schulstunden schwänzte. Einige schmissen die Ausbildung vorzeitig (berufsbegleitend ist nicht gerade Zuckerschlecken), so dass wir gegen Ende nur noch 16 waren, ich als einziger Mann unter einer Schar gackernder Hühner. Lediglich zu einer Frau, die im Unterricht neben mir saß und das ganze ähnlich locker sah, hatte ich ein besonderes Verhältnis. Sie hatte den Charme und die große Klappe dazu, fast alle Lehrer, insbesondere die männlichen (vorallem den Gerontologielehrer) um den Finger zu wickeln. Sie war einfach ungeheuer ungezwungen in ihrem Auftreten und dem Zeigen ihrer fraulichen Reize - die sie hatte ... wow!
Wir hielten Händchen und kokettierten miteinander, während der Gerontologielehrer seine endlosen Tafelanschriebe verfasste. Eigentlich hätten wir früher oder später im Bett landen müssen, aber da funkte mir ein Typ aus der Parallelklasse dazwischen, mit dem sie ständig Dope rauchte und ein Verhältnis einging.
Als 1998 die letzten Prüfungen überstanden waren, nahm ich nicht an der Abschlussfeier teil und sah meine Mitschülerinnen nie wieder. Ähnlich wie nach den Abiturprüfungen fühlte ich mich gar nicht sonderlich besser. Es war etwas rum, was mir sowieso lange keinen Spaß gemacht hatte. Es fiel von mir ab wie ein schon vorher abgestorbenes Körperteil.
Die Eichbaumstube besuchte ich dann auch immer seltener. Neben des Spruchs des beinahe greisen Barkeepers („Und kitzelt mich niemand, kitzele ich mich selbst.“) erinnere ich mich an die „Drei Affen“, die als kleine goldene Figur auf dem Regal gegenüber dem Tresen standen und an die griechische Chefin, die immer hautenge Hosen trug, dazu ein verdammt weites Dekolleté ...
Noch drei Songs von „Quadrophenia“. Ich weiß, dass ich damals im Kino bei den letzten Titeln „The Real Me“ und „I Am The See“ die Tränen nicht zurückhalten konnte.
Das waren noch Zeiten: Bonanza lief sonntags im Vorabendprogramm. Wir Kinder fletzten uns mit einer Nascherei auf den beigen Berberteppich und ritten mit den Cartwrights durch die Prärie. Mein Lieblingsheld war Little Jo. Das Happy End war vorprogrammiert - die Welt noch in Ordnung. Jedenfalls in unserer Phantasie. Die Amis landeten auf dem Mond, und Cassius Clay gewann seine Boxkämpfe. Kein Schimmer von Globalisierung, Klimakatastrophe und Amerikakritik. Außer den Beatles, dem Wunsch nach langen Haaren, Hosen mit Schlag und Turnschuhen schwappte von den 68ern nichts in unser Wohnzimmer. Vietnam und Watergate waren weit weg. Unsere Eltern hatten andere Sorgen. Nur als Kennedy ermordet wurde, erlebte ich Betroffenheit. Meine Mutter weinte in der Küche. Es mußte etwas Schlimmes passiert sein. Als ich in die Pubertät kam und in mir langsam ein Geschichtsbewußtsein reifte, tanzte bereits John Travolta in Saturday Night Fever. Der Revoluzzergeist verblasste schon wieder, als in mir die Auflehnung gegen die „heile Welt“, die Eltern, Lehrer und den kapitalistischen Lebensstil keimte. Währenddessen führten die RAF noch einen irren, unrealistischen Kampf. Sie entführten und ermordeten Schleyer. Ich verstand nicht, was sie mit diesen brutalen Aktionen bezweckten. Wahrscheinlich war ich zu sehr von der „Bonanza-Moral“ geprägt. Little Jo hätte niemals solche heimtückischen Anschläge ausgeführt. Er behandelte sogar die Banditen fair - falls sie das Revolverduell überlebten.
Ich war (und bin) eben ein hoffnungsloser Romantiker.
Vierzig Jahre nach Bonanza sehe ich die Welt wesentlich ungeschminkter. Ich mache mir keine Illusionen mehr von einer besseren und gerechteren Welt. Aber träumen tu ich manchmal - wie von der großen Liebe. Ich sehne mich nach einem Happy End. Es gibt viele tapfere Menschen, die gewaltlos aber mit großem menschlichen Einsatz ihren Mann und ihre Frau stehen: gegen Krieg, Folter, Willkür, Vorurteile, Ungerechtigkeit, Ausbeutung ...
Sie lösten Little Jo ab und sind meine realen Helden und Vorbilder. Ihre Geschichten rühren mich. Sie sind „die Oasen in der Wüste“. Die Hoffnung auf das Gute im Menschen darf nicht sterben.
Auch wenn ich selbst niemals ein Held sein werde, so kann ich wenigstens in mir gegen Großmannssucht, Gier, Haß, Sadismus und Vorurteile ankämpfen. Und ich kann davon schreiben.
menschen, viele, einkaufswagen, geld, taschen, lebensmittel
autos, lärm, hast, angst ...
siehst du ihn? ekennst du ihn zwischen ihnen?
seine schritte schleichend, sein körper geschmeidig gleitend
er ist anders, hebt sich von ihnen ab, er ist ein phantom
sie hören ihn nicht atmen
seine schritte schweben
du siehst ihn nicht
er ist tot, nur ein traum, eine fata morgana in der wüste
der hast, eile und angst ...
reklame, sonderangebote, werbetexte
hör auf sie! sie verhexen dich
du wirst zur maschine
„aufgetaute tiefkühlkost zum halben preis“
du selbst bist eingefroren
wenn du auftaust, zergeht dein körper, und du wirst
nur eine knospe in der eiswüste sein
da wo deine wärme niemanden erreicht –
tief vergraben im eis, und doch stehst du über allem
wie der eremit auf einem berg
du wirst zu einem phantom
sie können dich nicht sehen, doch sie spüren deine
anwesenheit
du bist unter ihnen, ein teil des ganzen
denn für die kälte bedarf es der wärme
siehst du dich? deine schritte schwebend, dein körper
geschmeidig gleitend, dein atem nicht hörbar
ja, du erkennst dich, doch schaue um dich
siehst du die anderen? wie sie rennen, unruhig
und hektisch
bemerkst du sie nicht? sie sind durchsichtig und kalt
nein, du empfindest sie nicht mehr, denn du bist
in ihnen, die oase in der wüste
du bist tot
keiner blickt durch – oder: jeder glaubt, er hat den vollen durchblick.
sitzen in anzug und kravatte da. der eine gestikuliert mit dampfender
pfeife: „das geschäft ist geschäft.“ der moderator, der beruhigt und
ordnet. der unternehmer sagt: „das ist alles unsinn ...“ zahlen und
persönliche einwürfe. keiner überzeugt keinen. wer will sich schon
überzeugen lassen? keiner blickt durch. ich auch nicht. die realität
schält sich langsam aus der zeit. wir werden sehen – solange sie
frisch ist.
zwei frauen sind auch mit von der partie. beide haben sie kurze haare.
ein einwurf: „rasenmähermethode.“ das passt. nur die eine hat blonde,
die andere dunkelbraune haare. die mit den blonden haaren hat vier
kinder. wo sind die menschen? eine anke t. spricht: „wenn sie mich
noch mal ..., und was ist mit dem überschuß?“ kürzungen. sie hat blonde,
kurze haare. „die armen werden ärmer“, sagt sie, und der politiker wirft
dazu zahlen in den raum. er ist fett und seit fünfzehn jahren abgeordneter.
„sie sind sehr einseitig“, sagt er zu der blonden, „ihren persönlichen
lebensweg wollte ich mal verfolgen. warum bekommen sie denn sozial-
hilfe?“
wer? was? wo sind arme? arme und beine und reiche und hände, die
arbeiten, furchige, globige hände mit wurstfingern.
zurückgelehnt mit überkreuzten beinen, die arme fuchteln vorne rum.
dann dreht sich der ton dazu. der moderator kratzt sich am kopf und
ordnet. nur der politiker ist fett. warum ist er fett? warum sind die armen
arm? warum sind die beine bein? warum sind die reichen reich?
jetzt kommen wir zum schlußwort:
„ich hoffe, liebe zuschauer, sie haben etwas von der diskussion gehabt.
ich danke ihnen für`s zusehen. es ist fast eins. ich wünsche ihnen eine
gute nacht.“
Du wusstest, dass ich ein emotionales Schwergewicht bin. Gegen Ende unserer Beziehung wolltest du ständig an mir rummachen. Oder an den Computer. Schließlich war ich froh, als du am Computer saßt. Wenn du zu mir kamst, begrüßtest du erst meinen Schwanz. Und nach der Fellatio hast du erwartet, dass ich dich richtig hart durchficke. Dabei sollte ich noch dreckige Sachen sagen, während in meinem Kopf quasi Blutleere herrschte. Anfangs genoss ich diese geilen Ausritte auch, aber mit der Zeit fand ich, dass unsere Beziehung zu sehr aufs Sexuelle fixiert war.
Weißt du noch, wie schüchtern du dich im Bett gabst, als wir uns (vor 1 3/4 Jahren) kennen lernten? Du leitetest gerade die Scheidung von deinem Mann ein. Nach sieben Jahren Ehe, aus der zwei Kinder entstanden. Ihr hattet euch auseinander gelebt, wie du mir erzähltest. Sexuell lief bereits zwei Jahre nichts mehr zwischen euch. Du hattest sicherlich Nachholbedarf. Und peu à peu fandst du wieder Geschmack an der Rammelei. Mehr als das. Umso härter ich dich ran nahm, desto öfter wolltest du.
Zwischen unseren Jobs und deinen Mutterpflichten blieben nicht viele Termine für uns. Nach und nach wurde auch klar, dass wir emotional unterschiedlich gewichtet sind. Du wolltest dich nach deinem jahrelang empfundenen Ehe-Gefängnis endlich ausleben. Dir stand nicht der Sinn nach tief greifenden Gesprächen. Sorgen und Probleme hattest du mit deiner privaten Situation genug. Davon abgesehen bist du einfach materialistischer eingestellt als ich. Da blieb zwischen uns letztendlich nur der Sex. Und Essen gehen - davor oder danach. Genau genommen führten wir, von der ersten Verliebtheit abgesehen, gar keine richtige Beziehung. Es musste also enden - zu unterschiedlich waren unsere Vorstellungen.
Den geilen Sex werde ich vermissen. Mann will ja immer das, was er nicht mehr kriegen kann. Weißt du noch, als wir es im Altenheim trieben, ich dich von hinten in der Stationsküche nahm?
Draußen tobte ein Sommergewitter …