Der junge Mann


Neben der Bushaltestelle hatte ein junger Mann geparkt. Er kam zum Auto zurück und fummelte noch etwas herum. Ich wartete, die Hände in den Manteltaschen vergraben, auf den Bus, der in Kürze um die Ecke kommen sollte. Es war früher Nachmittag. Ich stellte mir vor, dass der junge Mann mich fragen würde, ob er mich mitnehmen könne – hinunter ins Dorf. Aber ich verdrängte diesen Gedanken gleich wieder, weil es Unsinn war, in ein fremdes Auto zu steigen, wo doch der Bus gleich auftauchen musste; außerdem wollte ich am Bahnhof in die Straßenbahn nach Heidelberg umsteigen, und der junge Mann fuhr bestimmt nicht bis dorthin. Das wäre alles viel zu kompliziert. Es spielte keine Rolle, ob ich nun hier in der Kälte stand und auf den Bus wartete, - oder dann unten am Bahnhof auf die Straßenbahn. Wenn überhaupt, macht das vielleicht ein knappes Grad Celsius aus, was es unten im Tal wärmer ist. Ich überlegte noch diesen ganzen Blödsinn, da fragte mich der junge Mann wirklich, ob er mich mit runter nehmen könne. Ich erklärte ihm, dass der Bus gleich käme, und ich sowieso zum Bahnhof müsse, um in die Straßenbahn umzusteigen ... Da fahre er auch vorbei, sagte er, und ich müsse doch hier nicht in der Kälte auf den Bus warten. „Wo man nie genau weiß, wann der eigentlich kommt“, sagte ich. „Eben“, antwortete er, und ich stieg in sein Auto. Es war ein dunkler Kleinwagen, wie ihn junge Leute fahren. Aber was weiß ich, mit was die jungen Leute heute herumfahren. „Danke“, sagte ich und schnallte mich an. Er lächelte. Ein netter junger Mann, dachte ich leicht erstaunt. Auf der anderen Seite: warum sollte es nicht nette, junge Männer geben? Ich war ja selbst mal ein netter, junger Mann.
Es sind circa zwei Kilometer hinunter ins Tal. Wir redeten über den Winter und über den Tunnel, der gebaut wurde. Er erzählte mir, dass er im Nachbarort wohnt, und dass er zum Döner gehen wolle, er habe noch nichts gegessen heute - sein Magen hinge ihm durch. Der junge Mann war schlank und gutaussehend. „Ich esse immer erst abends“, sagte ich, mehr um etwas zu sagen. Ich fühlte mich wohl in der Gesellschaft des jungen Mannes. Er ließ mich am Bahnhof hinaus, so dass ich es nicht mehr weit bis zur Straßenbahnhaltestelle hatte. „Vielen Dank und noch einen schönen Sonntag!“ verabschiedete ich mich. „Danke, Ihnen auch!“ Er strahlte über das ganze Gesicht.

Ich stand am Gleis und wartete auf die Straßenbahn, die Hände in den Manteltaschen vergraben, noch ganz beeindruckt von dieser Begegnung. Er war glücklicher darüber, mich mitnehmen zu dürfen, als ich über das Mitgenommen-Werden. Jedenfalls hatte es auf mich den Anschein. Hoffentlich nahm er mich nicht mit, weil ich ihm bedürftig oder traurig vorkam. Ich war vielleicht etwas einsam; darum hatte ich mich auch entschieden, das Haus zu verlassen für einen kleinen Ausflug nach Heidelberg. Oder der junge Mann hatte einfach einen guten Tag und wollte seine gute Laune mit mir teilen. Vielleicht fühlte er sich auch etwas einsam. Sonntage sind oft einsame Tage.
Die Straßenbahn brauchte eine Ewigkeit, bis sie einlief. Neben mir stand eine Zwergin, das heißt eine sehr kleine ältere Frau, die ungeduldig nach der Bahn Ausschau hielt und zwischendurch zu mir hoch schaute. Sie lächelte. Ich lächelte zurück. Gut, dass ich aus dem Haus gegangen war.

Freni (Gast) - 30. Jan. 12, 13:29

Die schönsten Geschichten findet man auf der Straße. Danke. Vielen, vielen Dank.

bonanzaMARGOT - 30. Jan. 12, 13:32

Bitte

Das ist wahr - schön und geheimnisvoll.
Freni (Gast) - 30. Jan. 12, 14:22

Obwohl die Geschichte so einfach ist, hast du eine gute Spannung reinbekommen. Das Spektakuläre liegt in der Einfachheit. Hach, bon...du bist richtig richtig gut *knutsch
bonanzaMARGOT - 30. Jan. 12, 16:20

danke für den knutscher. den kann ich gerade gut gebrauchen.
knutsch zurück!
Freni (Gast) - 31. Jan. 12, 06:52

mhmm!
bonanzaMARGOT - 31. Jan. 12, 06:58

mhmm?
mhmmm!

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