Vielleicht bin ja auch ich nicht normal!
Im ZDF lief vor wenigen Tagen am späteren Abend die Doku 37° "Ich liebe nicht nur einen". Ich hatte Nachtdienst und half den alten Damen, die noch vorm TV verharrten oder lasen, nacheinander ins Bett. Eine von ihnen hatte besagte Doku gesehen, d.h. sie schaltete mittendrin aus. Als ich in ihr Zimmer trat, legte sie sogleich mit hochrotem Kopf los: "Nein, also so was! Das gibt`s doch nicht! Vielleicht bin ja ich nicht ganz normal ...!" "Was ist denn los, Frau T.", fragte ich vorsichtig nach, und sie erzählte mir von der Sendung, dass da über Leute berichtet wurde, die gleichzeitig mehrere Partner(innen) liebten. Und zwischendurch sagte sie immer wieder aufgebracht: "Also, vielleicht bin ja ich nicht ganz normal! Nicht nur zwei ..., bis zu fünf verschiedene! Stellen Sie sich das mal vor!"
"Nein", antwortete ich ehrlich", vorstellen kann ich mir das auch nicht richtig, "mir wären mehrere Frauen viel zu viel Stress."
Frau T. schüttelte den Kopf während sie sich die Zähne putzte: "Vielleicht bin ja ich nicht normal ...!"
"Ne, das würde ich nicht sagen, Frau T.. Sie sind normal! Dass Menschen mehrere Partner(innen) haben, ist die Ausnahme."
"Ich dachte eigentlich, dass ich ziemlich ... ziemlich ... offen bin", Frau T. suchte nach Worten, "aber die Sendung mußte ich jetzt abschalten. Stellen Sie sich vor: nicht nur zwei, sondern bis zu fünf!"
Ich lachte in den Spiegel über dem Waschbecken: "Die Welt ist verrückt. Es gibt nichts, was es nicht gibt."
Wir redeten noch ein Weilchen während der abendlichen Wasch- und Eincremeprozedur über diesen unglaublichen Bericht. Frau T. wurde darüber gar nicht fertig. Als ich sie im Bett hatte, schüttelte sie immer noch den Kopf und sagte: "Vielleicht bin ja ich nicht ganz normal ..."
Tja, was ist normal? Ist Polyamorie normal? Ist Homosexualität normal? Etc. etc.
Die Gesellschaft setzt moralische Grenzen, die sich von Generation zu Generation verschieben können. Ich hoffe stark, dass z.B. Pädophilie niemals gesellschaftlich akzeptiert wird. Aber wenn Erwachsene diese oder jene Liebesform miteinander wählen, mein Gott, was soll ich dagegen haben (?!) - solange sie sich nicht gegenseitig auffressen oder sonstwie schreckliche Sachen machen.
Bei der Polyamorie geht es ja wohl nicht nur um den Sex sondern um wirkliche Liebesbeziehungen zu mehreren Menschen. Umso weniger kann ich es mir in der Praxis vorstellen, - weil: wie ist das zu organisieren, dass keiner zu kurz kommt? Wie kann es sein, dass man in einem solchen Beziehungsgeflecht eifersuchtslos leben kann? Wie kommt man damit im Alltag klar? Ich habe schon Schwierigkeiten, die Beziehung zu einer Person neben der Arbeit und meinen eigenen Interessen zu meistern.
Die betreffende 37° Sendung sah ich noch nicht. (Bei nächster Gelegenheit mal - und ich werde dabei leicht belustigt an die Aufgeregtheit von Frau T. denken.) Aber ich las bereits auf mehren Webseiten über die Polyamoristen. Vielleicht meldet sich einer hier und erläutert aus seiner Sicht, wie er die Mehrliebe sieht.
(Dazu auf diesem Blog reflektiert: Mehrliebe oder: Was ist Polyamorie?)
bonanzaMARGOT
- 05. Aug. 11, 11:30
- Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache
mir wäre es einfach zu anstrengend, darum lass ich es, und nicht aus moralischen gründen.
auch ich hätte keine moralische bedenken, wenn sich zwei oder drei frauen finden ließen, die mit dieser art beziehung klar kämen. irgendwie gestaffelt in fernbeziehungen ... ich würde halt von stadt zu stadt und so von liebe zu liebe durch deutschland reisen (lach!).
allerdings - wie käme ich mit meiner eifersucht klar, wenn die frau, die ich liebe, neben mir andere männer hat??
schlecht wahrscheinlich. somit wäre die eifersucht neben der anstrengung, sich auf mehrere partnerinnen einzustellen, der zweite grund, warum ich mir die mehrliebe in meinem leben schwer vorstellen kann.