Das Wiederbeleben von Menschen und Ehrlichkeit

30x Druckmassage, 4-5cm eindrücken, danach 3x beatmen. Wir erhielten eine Auffrischung und übten an einem Torso. Der Kursleiter war sympathisch - er erklärte uns locker und heiter die Sachverhalte. Letzlich kamen wir auf ethische Probleme zu sprechen, wann denn Menschen noch wiederzubeleben seien, vorallem bei uns im Altenheim. Er meinte, dass wir juristisch immer auf der sicheren Seite seien, wenn wir alles nach bestem Vermögen versuchten. Aber natürlich wären wir in der Situation allein, vorallem als Nachtwache, wo wir nicht mal einen Kollegen/eine Kollegin an unserer Seite haben. Wir sind die ersten vor Ort, die den Tod feststellen - allerdings darf dies faktisch nur ein Arzt, und so bleibt es allein unserer Erfahrung und Einschätzung überlassen, welche Maßnahmen wir einleiten. Im Allgemeinen ist es ja so, dass ich einen Menschen, den ich bereits ohne erkennbare Vitalzeichen vorfinde, nicht mehr auf Teufel komm raus wiederbelebe. Genauso wenig wiederbelebe ich einen alten Menschen im Sterbebett. Juristischen Rückhalt haben wir Pflegekräfte allerdings keinen in solchen Situationen, und meist gibt es auch keine hausinternen Regelungen und Standards, die einem in solch schwierigen Fällen Rückendeckung gäben. Man muss wahrscheinlich schon froh sein, wenn ein Arbeitgeber solche Fortbildungen anbietet.
Ich wünschte mir noch viel mehr Diskussion um dieses heikle und schwierige Thema, damit wir in der Praxis uns nicht durch Vertuschungen und Lügen auf die sichere Seite schummeln müssen. Denn so läuft es mehr oder weniger im Pflegealltag, dass aus der Unsicherheit heraus die Tatsachen geschönt oder gar verdreht werden.
Man muß da schon verflixt aufpassen, wem man die Wahrheit sagt.

Ich weiß, dass es keine Patentlösungen zur Entscheidungshilfe geben wird. Aber ich erhoffe mir insgesamt mehr moralische Unterstützung durch den Arbeitgeber und die Gesellschaft. Es ist für mich als Altenpfleger nicht leicht, mit der Last und der Ungewissheit zu leben, ob ich richtig handelte, wenn es um Leben und Tod geht.
Und leider sind Fehler auch nie auszuschließen ..., - ich lege darum jedem Heimträger in seinen Einrichtungen das Angebot der Supervision nahe. Keine Ausbildung der Welt kann einem die Selbstsicherheit verleihen, damit man stets adäquat und ohne Selbstzweifel in Notfallsituationen agiert. Auch die Sterbebegleitung kommt im Pflegealltag noch viel zu kurz. Fortbildungen und personelle Unterstützung wären unbedingt angebracht. Wie soll ich z.B., wenn ich alleine im Nachtdienst bin, noch eine Sterbebegleitung leisten oder mich um Angehörige angemessen kümmern, die zugegen sind?

Ist es immer eine Geldfrage, wie gesagt wird? Oder ist es nicht auch eine Frage der Einstellung zu diesen Themen, die immer noch gesellschaftlich eher ein Tabu sind?
Lange-Weile - 23. Jan. 10, 17:08

unvermeidlich

Hallo Bo.,

ein schwieriges Thema und ich möchte mit dir nicht tauschen. Ich weiß nicht, ob eine Patientenverfügung da einen Sinn macht, wenn die Angehörigen auf die Schnelle nicht erreichbar sind.

Ich erinnere mich an einige Sterbefälle aus dem Bekanntenkreis, die nach dem Versterben ihrer Angehörigen erst mal die Klinik verklagten. Auch als mein Großvater plötzlich verstarb, hatte die Familie nach eine Weile gegrollt. Hätte der Arzt dies oder dies gemacht, ja..dann wäre er nicht gestorben. Es dauert eben, bevor man den Tod eines Angehörigen akzeptiert.

Auf der anderen Seite denke ich, wenn ein Mensch gehen will, dann tritt ein plötzliches Ereignis ein und er geht - vorausgesetzt der Mensch greift in den Prozeß nicht ein. Doch ist alles eine Gradwanderung und niemanden, der unmitelbar in der Nähe des Sterbenden ist, kann man dafür verantwortlich machen.

Ich erinnere mich, dass ein Arzt im Notfall alles falsch machte und so konnte der herannahende Tod nicht aufgehalten werden. Im Rückblick hat es den Anschein, dass der Sterbende dafür sorgte, dass ihm nicht geholfen wird - er wollte gehen und auf jeden Fall diese Welt verlassen.

Das alles sind aber nur spirituelle Betrachtungen und sie könnten im Notfall mir helfen, eine kritische Situation objektiv zu betrachten und ohne Verklagen der Klinik, des Arztes oder des Pflegers das Unvermeidliche hin zu nehmen.

Juristisch gesehen sieht die Welt wesentlich abstrakter aus und ich würde auch als Angehöriger den Mediziner rufen, selbst, wenn ich wüßte, dass der Tod sich nicht mehr zurück halten läßt.

Da fällt mir ein, dass wir als Familien darüber beraten sollten, ob wir unserer Mutter noch einmal an den Tropf mit "Supra" (so was wie Adrinalin?) legen lassen. Die Ärtze konnten uns damals nicht sagen, wie lange sie auf diese Weise noch am Leben gehalten werden konnte. Dass sie je wieder zu Bewußtsein kam, war ausgeschlossen. Da..saßen wir nun als Angehörige - Kinder und Ehemann - und wußten nicht, was wir tun sollten. Sollte sie weiter am Tropf hängen um auf diese Weise das Sterben zu verlängern oder sollten wir anweisen, dass sie den letzten Tropf auslaufen lassen und dem Leben sein Ende setzten? Schwere Entscheidung und wir schwankten hin und her mit dem Gefühlen. Was tun wir unserer Mutter und uns an, wenn wir sie noch mal an den Tropf hängen lassen ? Und was tun wir ihr und uns an, wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen? Während der Familienrat tagte, verstarb meine Mutter und wir waren trotz unserer Trauer und Bestürzung erleichtert, dass sie uns diese schwere Entscheidung abgenommen hatte.

Sterbebegleitung - auch ein heißes Thema und eine Erfahrung die ich dazu machte. Und wieder meine Mutter als Beispiel. / Jahre vor ihrem Tad war sie in einer lebensbedrohlichen Situation. Zu meinem Erstaunen war sie nicht aufgeregt, sondern wie immer und sogar locker und entspannt. Über ihre Krankheit sprach sie nicht. Als sie aus der Krise raus war, konnte sie sich nicht mehr daran erinnern. Auch nicht, dass die Familie immer wieder am Krankenbett stand und sie sich mit uns unterhalten hatte. Es war so, als hätte sie ein Schutzschild bekommen, das ihr die Krise, in der sie sich befand, aus dem Bewußtsein ausblendete. Das ist heut für mich noch ein Rätsel.

Ich denke, wenn du allein im Nachdienst bist, kannst du keine Sterbegleitung leisten, denn wenn sie gemacht wird, verlangt sie nach 100 % Präsenz. Aber kann man in solch einem Fall keinen Pastor oder so rufen, der den Sterbenden begleitet? Ein Pflegeheim könnte doch einen Pfarrer für solche Ereignisse gewinnen und er brächte wieder alles ins Lot, was sonst offen bleibt.

Mach mal einen "Verbesserungsvorschlag" in deinem Pflegeheim - vielleicht greift man die Idee auf.

Gruß LaWe

testsiegerin - 24. Jan. 10, 22:02

vielleicht gibt es aber auch menschen, die keinen pfaffen am sterbebett haben wollen. die können sich dann überhaupt nicht mehr dagegen wehren.

also... sollte es bei mir mal so weit sein... spielt konstantin wecker und patti smith, aber haltet mir die pfarrer vom leib.
bonanzaMARGOT - 26. Jan. 10, 09:46

hi lawe, ich wundere mich, dass sich die seelsorger (pfarrer) einer gemeinde nicht von selbst zur verfügung stellen (konfessionsübergreifend), in altenpflegeeinrichtung oder bei menschen privat, wenn es denn gewollt ist, sterbebegleitung zu machen.
ich nehme mal an, dass sie überfordert wären ..., habe aber keinen einblick in deren terminpläne und weiß auch nicht, wo sie ihre prioritäten setzen.
mit kritik - verbesserungsvorschläge sind ja unterschwellige kritik an vorherrschenden verhältnissen - sollte ich mich nach einigen "geschichten" in meinem betrieb in zurückhaltung üben. ich weiß nur nicht, ob ich das immer hinkriege. mein arbeitgeber begründet die personalreduzierung mit der wirtschaftlichen seite. dazu kann ich nicht viel sagen - ich muß ihm erstmal glauben, wenn er mir erklärt, dass er sich zwei nachtwachen nicht leisten kann. das ökonomische liegt in seiner kompetenz, die pflege in meiner.

zum patiententestament: es ist glaube ich für die angehörigen und involvierten ärzte schon eine entscheidungshilfe, ob z.b. auf teufel komm raus wiederbelebt und der mensch noch für unbestimmte zeit an lebenserhaltenden maschinen angeschlossen werden soll.
meine mutter verfasste für sich eine solche patientenverfügung, und ich weiß aus mehreren gesprächen mit ihr, dass sie auf keinen fall lebensverlängernde maßnahmen, z.b. nach einem sehr schweren schlaganfall oder einem schweren unfall, der den hirntod zur folge hätte ..., wünscht. wenn ich also von ärzten gefragt würde, würde ich ohne zögern antworten: bitte abschalten!
bonanzaMARGOT - 26. Jan. 10, 12:30

testsiegerin,

nichts gegen konstantin den wecker, aber ausgerechnet am sterbebett ...?

ich weiß nicht, ob ich überhaupt musik hören wollte. und ich weiß auch nicht, ob ich jemanden dabei haben wollte - pfarrer um himmels willen nicht!!
irgendein netter mensch tut`s völlig, der mir die hand hält und am besten die klappe hält. okay, wenn`s ein pfarrer ist, der nicht sagt, dass er ein pfarrer ist ...

hm, und wenn musik: zztop oder mozarts requiem.
testsiegerin - 24. Jan. 10, 19:38

Zahltag ;-)

Ich finde es sowieso unglaublich, dass es in Krankenhäusern und Pflegeheimen keine Supervision gibt.
Ich hab in meiner Arbeit zumindest einmal monatlich Teamsupervision. Berufsanfänger haben in den ersten zwei Jahren Einzelsupervision und ach erfahrene KollegInnen haben die Möglichkeit, in schwierigen Situationen Einzelsupervision in Anspruch zu nehmen. Eine Kollegin macht das fast ständig.
Was mich überrascht: Bei den Teamleiterschulungen, die ich leite, frage ich immer, wer von den neuen tatsächlich Einzelsupervision in Anspruch nimmt. Und siehe da: ganz wenige. Das ist also keine Sache des Geldes, sondern entweder haben die jungen KollegInnen das Gefühl, das geht sich zeitlich nicht mehr aus oder Reflektion ist ihnen nicht mehr wichtig.

Ich hab jetzt grad das Buch "Mein Sohn hat ein Sexleben und ich lese meiner Mutter Rotkäpppchen vor" gelesen. (Hat mir total gut gefallen). Und ich denk, eine der Schwierigkeiten ist, dass wir das Thema Altsein, Kranksein, Demenz, etc. so weit von uns weg schieben. Uns betrifft das nicht, glauben wir, so lange bis wir merken, dass es uns betrifft. Und selbst dann noch versuchen wir nicht uns in die Lage der Betroffenen zu versetzen, denken wir nicht daran, wie sie sich wohl fühlen, so abhängig, so hilflos, so verwirrt. Wir (also du jetzt nicht, aber die meisten) besuchen sie im Pflegeheim, atmen auf, wenn wir wieder gehen und uns wird nicht bewusst, dass das Leben dort oft ein einziges Warten ist. Aufs Gewaschenwerden, aufs Frühstück, auf die Jause, aufs Mittagessen, auf den Besuch, aufs Abendessen, auf den Tod. Und selbst wenn wir uns damit auseinandersetzen, wissen wir höchstens, was wir selbst fühlen und was wir in der Situation wollen würden, nicht aber, was die Betroffenen fühlen, denken und wünschen.

Auch ich ziehe mich als Sachwalterin immer wieder auf die Rechtslage zurück und schütze mich dadurch vor Fehlentscheidungen, wenn es darum geht, Zustimmungen zu medizinischen Behandlungen zu geben.
Aber auch da passieren oft perverse Situationen. Zuletzt wollten Ärzte einer sehr alten Frau eine künstliche Hüfte einsetzen. Ich hab die Sinnhaftigkeit hinterfragt, weil es doch ein schwerer Eingriff ist, der die Frau sehr belasten würde. Und gefragt, was passieren würde, wenn man nicht operiert. Dann wächst etwas schief zusammen und die Frau könnte nie wieder gehen. Was sie nicht bedacht haben, war die Tatsache, dass die Frau schon seit zwei Jahren nirgends mehr hingeht, sondern nur noch im Bett liegt.

bonanzaMARGOT - 26. Jan. 10, 09:58

supervision

hi testsiegerin, du hast jobmäßig auch sehr viel einblick in diese problematiken rund um die pflege und das sterben von menschen.

was die supervision angeht, höre ich meistens vom arbeitgeber zwei argumente, warum sie nicht stattfindet:

1. es fehlt das geld für einen professionellen supervisor.
2. die meisten mitarbeiter(innen) würden sich gar keine supervision wünschen.

zu 1.: kann ich nicht nachprüfen. zu 2.: tatsächlich haben viele mitarbeiter(innen) vorbehalte gegenüber der supervision oder lehnen sie strikt ab. ich denke, dass dies zum teil daran liegt, dass sie seltsame vorstellungen von einer solchen supervision haben; zum anderen teil liegt es daran, dass viele sich wunderbar in den bestehenden verhältnissen der halben wahrheiten einrichteten. sie sind froh, wenn darin niemand psychologisch herumrührt, bzw. staub aufwirbelt.

ich wäre froh, wenn ich nach problematischen sterbefällen und unfällen, bei psychischen überforderungen z.b. durch personalmangel, bei konflikten mit dem arbeitgeber oder mitarbeitern etc. etc., mit einer unabhängigen person über die vorfälle und meine probleme, gewissenskonflikte etc. reden könnte. leider kam ich noch nie in meiner gut 20 jährigen tätigkeit als altenpfleger in den genuß einer supervision und kann zu dem tatsächlichen prozedere und nutzen für betrieb und mitarbeiter wenig bis nichts sagen.
aber ich befürworte für den pflegeberuf unbedingt die möglichkeit der supervision.
rudolf33a - 29. Jan. 10, 20:54

Danke

.... Danke für deine Aufmerksamkeit und deine Wünsche für mein weiteres Leben...
L.G.Rudolf.

bonanzaMARGOT - 29. Jan. 10, 21:58

Bin zufällig mal wieder bei dir (deinem Blog) vorbei gestolpert.

Der Meinungsaustausch unter den Blogs ist mir wichtig. Und kleine Aufmerksamkeiten sind erfreulich.

Auch dir vielen Dank fürs Vorbeischauen.

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