München im Regen


Er sah aus, wie ich mir einen Kirchenbeamten vorstelle, und saß mir beim Frühstück gegenüber. Unter dem gepflegten Vollbart noch ein Bübchen-Gesicht. Er war einer jener Typen, die beim Sportunterricht zuletzt in die Mannschaft gewählt -, und bestimmt in der Schulzeit oft von ihren Kumpels gedemütigt wurden. Und jetzt waren jene (unter Umständen) im Altenheim meine Chefs. Jedenfalls hatten sie alles mehr oder weniger gleichmütig hingenommen und waren ihren Weg gegangen. Ich gehörte nicht zu denen, die sie hänselten. Ich stand zwischen ihnen und den Großmäulern. Ich war der typische Versager. Mir waren die einen wie die anderen lieb, wenn sie es zuließen. Meist landete ich unter den Außenseitern. Doch ich gehörte nicht wirklich zu ihnen. Ich gehörte zu niemandem.
Ich trank nur Kaffee. In meinem Magen schwamm der Zander vom Vorabend noch im Biersud. Ich lächelte meinem Gegenüber zu und betrachtete eine dreiviertel Stunde, wie er immer wieder aufstand und sich vom Frühstücksbuffet Nachschub holte. Zwischendurch beschäftigte ich mich mit meinem iPhone und schenkte mir Kaffee nach.
Ich ließ mir extra viel Zeit damit, weil ich einen ganzen Tag in München vor mir hatte.
Es sollte den ganzen Tag regnen. Und zwar nicht von schlechten Eltern. Trotzdem wollte ich unbedingt ein paar Orte abgrasen. Was auch sonst? Den ganzen Tag würde ich es nicht in einer Bierhalle aushalten.
Den Viktualienmarkt hatte ich schnell gefunden. Eine Marktfrau, bei der ich einen Schinken kaufte, bewunderte meine Halbfinger Handschuhe. Die kann man bei diesem Wetter schon ganz gut gebrauchen, meinte ich. Sie nickte und wünschte mir alles Gute. Sie sagte irgendeine bayrisch-christliche Formel. Nett gemeint. Hab sie vergessen. Meine Blase drückte, und ich irrte durch die Nebensträßchen. Ich suchte das Hofbräuhaus, die berühmteste Kneipe der Welt. Der Himmel pisste indes unentwegt auf meinen Schirm. Als ich den Zielort erreichte, entschied ich mich spontan anders. Ich setzte mich ins Augustiner am Platzl gegenüber, weil vorm Hofbräuhaus Schlangen von Touristen standen.
Dort entließ ich den Zander in die Kanalisation. Vor der Tür sang eine Jugendgruppe „Skandal im Sperrbezirk“, den Song der Spider Murphy Gang, den wir damals in den Achtzigern auch oft anstimmten … Der Wirt und die Bedienungen grinsten. Ich kam mir alt und gleichzeitig jung vor.
Nach drei Halben machte ich mich wieder vom Acker. Nun darf ich nichts durcheinander bringen. Es war erst früher Nachmittag, und ich ging Richtung Englischer Garten und Isar, vorbei an den alten Palästen. Die Hüfte hatte komischerweise aufgehört zu schmerzen. Dafür war es nass und kalt. (Ich fühlte mich an Dresden erinnert.)
Jedenfalls drehte ich eine gute Runde. Eine kurze Ewigkeit lang. Es pisste durch den Regenschirm hindurch. München war eine einzige Pfütze. Wohin? Zurück. Am Besten in eine Bierhalle. Ich kam an der Augustiner Bierhalle nicht vorbei und bestellte mir einen Krustenbraten mit Kloß und Krautsalat.
Um es kurz zu machen: Danach ging ich ins Kino, in den Streifen „White House Down“. Gerade passend. Emmerichs Actionstreifen war kurzweilig. Als ich wieder draußen war, begrüßte mich die illuminierte Stadt. Automatisch marschierte ich zum Hauptbahnhof und setzte mich noch an eine Bar. Die Zeit ist nicht einfach totzuschlagen. Ich kam an vielen Bettlern vorbei, die stundenlang zusammengekauert in Passagen auf dem harten, kalten Beton saßen … Wie hielten die das durch? Indessen war ich zu meinem alleinigen Privatvergnügen in München. Weder Bettler noch König. Wo hatte ich mein Herz verloren? Wie viel Widerspruch kann man aushalten? Egal ob in München oder in Kalkutta. Im Hinschauen bereits wieder wegschauen ...

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