Mittwoch, 23. Oktober 2013

Wie ich zu einem Wintermantel kam


Gestern blitzte der Sommer noch mal kurz auf. Ich machte mich auf den Weg in die Stadt. Eigentlich wollte ich zum Friseur. Leider schloss mein Lieblingshaarschneider im Hauptbahnhof sein Geschäft. Er wechselte in eine Filiale derselben Kette im Zentrum. Ich fragte bei den Mädchen, die dort arbeiteten, wegen eines Haarschnitts nach, und wurde vertröstet – ich solle in einer halben Stunde wiederkommen. In der Zwischenzeit saß ich in einem Biergarten in der Sonne beim Weizenbier. Am Tisch neben mir saßen junge Baritone, redeten über ihre Arbeit und machten Stimmübungen. Von der Straße tönte von einer Baustelle Baggerlärm herüber – es ist ein schönes Plätzchen dort, aber den städtischen Lärm empfand ich als nervtötend. Auch die seltsamen Geräusche vom Nebentisch. Das Thermometer kletterte in der Sonne auf weit über 20°Celsius. Ein Wahnsinnsstag, was das Wetter anging! Als ich den Friseurladen zum zweiten Mal betrat, wurde ich erneut abgewiesen: „Versuchen Sie es in einer halben Stunde wieder.“ Diesmal hatte ich die Nase voll. In einem Second Hand Laden kaufte ich mir einen Wintermantel. Etwas weit geschnitten, aber die Ladenbesitzerin hatte nur den einen. Derselbe fiel mir schon vor einem Jahr auf. Damals konnte ich mich nicht entscheiden. Ich hatte noch meinen alten in petto, den ich aber inzwischen in der Altkleidersammlung entsorgte. Wir unterhielten uns über das Wetter, während sie den Mantel in einer Tüte verstaute. Ich meinte, dass der Winter sicher schnell Einzug halten würde.
Vor einem Café standen ein paar Stühle, und ich ließ mich noch mal nieder. Es war erst früher Nachmittag. Ich blinzelte in die Sonne und trank Wodka Lemon. Das Weizenbier war mir nicht bekommen. Beinahe hätte ich mich übergeben müssen. Um mich herum das pralle Leben der Innenstadt. Die Menschen strömten an mir vorbei, viele in sommerlichen Kleidern. Auch ich hatte längst die Jacke ausgezogen und die Ärmel hochgekrempelt. Meine innere Uhr stand bereits auf Herbst, und ich spürte eine seltsame Dissonanz, obwohl ich mich natürlich wie alle über diesen wunderbaren Tag freute.
Den Mantel gab ich auf dem Nachhauseweg in einer Änderungsschneiderei ab, um die Knöpfe versetzen zu lassen.
Nach einem Einkauf im Supermarkt landete ich zu einem letzten Drink vorm Kaffeehaus. Es wurde langsam dunkel. Ich beobachtete den Tanz der Blätter, die zuhauf durch die Luft segelten, und las in „Das weingetränkte Notizbuch“.

Das Leben finden und bis zum Tod dranbleiben
das ist das Problem
in unserer feigen, brutalen Pappnasengesellschaft
sagte die Katze
und sprang rückwärts über ihren
Arsch.

(Bukowski)

Kaum war ich zuhause, hörte ich meinen Vermieter meinen Namen rufen. Ob ich kurz Zeit hätte. Er wolle einen Feuermelder bei mir anbringen – neue Bestimmungen, blablabla. „Na gut“, sagte ich, „dann haben wir es hinter uns.“ „Es geht auch ganz schnell“, sagte er. Während er das Ding an die Decke schraubte, packte ich meinen Einkauf aus. Nach fünf Minuten war mein Vermieter damit fertig, und ich machte mich daran, die gekaufte Gulaschsuppe mit den Nudeln vom Vortag zu verrühren ...
Da wird ja wohl keine Wanze drin versteckt sein, überlegte ich, - denn ich komme mir ziemlich subversiv vor.

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