Vorherbstliche Narretei


Langsam nimmt der Herbst Anlauf. Es wird etwas ungewohnt für mich sein, wieder in die langen Bluejeans zu schlüpfen und Strümpfe anzuziehen.
Die Jahre reihen sich wie Perlen auf einer Schnur aneinander. Ich blicke auf nahezu 51 zurück. 51 mal durchlief ich die vier Jahreszeiten, freute mich auf Frühling und Sommer und freute mich auf den ersten Schnee. Nun wird bald der Herbst die Landschaft mit seinen Rot-, Gelb- und Brauntönen in ein bezauberndes, buntes Bild verwandeln. Wind und Feuchtigkeit wird die Tage bestimmen, - die Luft nach Erde riechen. Wenn ich zum Nachtdienst fahre, wird der Abend dämmern, und morgens werde ich im Dunkeln nach Hause kommen ...
Schwer ist mir ums Herz. Es liegen aufwühlende Monate hinter mir. Der Kreislauf des Lebens schlug gewaltig zu. Wir selbst haben unsere Jahreszeiten. Es wird der Tag kommen, an dem wir loslassen müssen und wie ein Blatt von einem Ast hinunter auf die Erde torkeln, um dort zu verrotten.
Langsam nimmt der Herbst Anlauf – auch für mein Leben. Nun, ich will diese Analogie nicht überanstrengen. Man kann froh sein, wenn man halbwegs gesund in das fortgeschrittene Alter kommt. Die Früchte des Lebens schmecken dann süßer, aber man selbst gewinnt an Herbe – im Aussehen und in der Stimme. Vielleicht wird man auch knorriger im Wesen und ächzt verstärkt unter den Lasten ...
Gestern Abend überlegte ich mir, ob das Leben nicht ein großes Rätsel ist. Erst im Tod offenbart sich die Lösung. Das Bewusstsein, wie wir es in unserem Alltag erfahren, versperrt uns die Sicht hinter die Dinge, hinter die Bühne des Daseins. Wir erleben nur den winzig kleinen Ausschnitt unserer Bedürfnisse und Nöte, unseres Glücks und unserer Niederlagen. Jeder geht seinen Weg anders, jeder sieht die Welt unterschiedlich. Trotzdem kommen wir aus einer Quelle. Tief in uns gleichen wir uns mehr, als uns lieb ist. Die Liebe ist eine von zwei Kräften, welche alle Grenzen überwindet. Die andere Kraft ist unser Verstand. Und beide Kräfte können versagen.
Müssen wir bis zum Tod auf das Licht für unsere Seelen warten? Als Künstler bin ich ungeduldig. Ich werfe dem Leben mein Herz zu Füßen. Ich streite mit der Oberflächlichkeit. Ich hadere mit der gesamten Existenz. Töricht wie Der Ritter von der traurigen Gestalt jage ich einem Gespenst hinterher – das bin ich selbst!
Es gibt viele Momente, wo ich innehalte und mich frage: „Bin ich das?“ Oder: „Wer ist das?“
Und weitergesponnen: „Wer sitzt in meinem Kopf und gibt vor, ich zu sein? Wie viel ist mein Bewusstsein eigentlich wert?“
Sind das allzu morbide Gedanken? Verliere ich mich, wenn ich mir solche Fragen beharrlich stelle? Und wer sollte mir die Fragen beantworten, wenn das Ich nur eine Farce ist – eine Irreführung? Wer bin ich noch ohne diesen Popanz? Worin steckt des Rätsels Lösung?

Ob das meine einzigen Probleme sind, die ich habe? Dann müsste es mir doch gut gehen. Ihr habt recht. Ich vergesse oft, warum ich hier bin. Unter der Oberfläche gibt es nichts mehr. Es gibt kein „Hinter der Bühne“. Die Kunst ist nur Mache für elitäre Gefühle, - und das Philosophieren eine Sache der Narren.

KarenS - 10. Sep. 13, 17:10

Warum sollten es morbide Gedanken sein? Denkt nicht jeder Mensch ab und zu etwas „verquert“? Und vielleicht ist es tatsächlich so, dass erst im…bzw. nach dem Tod... alles „klar“ wird. Wer weiß das schon?

bonanzaMARGOT - 10. Sep. 13, 20:00

morbide deswegen, weil aus meiner beobachtung solcherlei gedanken mein leben mehr bestimmen als das leben anderer menschen. natürlich weiß ich nicht, was sie neben ikea und mc donalds noch so denken - verkürzt gesagt - ; aber ich hege seit langem den beschissenen verdacht, dass viele meiner mitmenschen gedanken, wie ich sie in meinem beitrag äußere, für morbide oder unnütz halten.
dummerweise bin ich als mensch geboren, der ohne seine mitmenschen nicht existieren kann. schon sehr früh wollte ich darum ihre ambitionen hinterfragen, die ich nicht wirklich verstehe - jedenfalls nicht in dieser ausartung ...
ich fühle mich darum innerlich zerrissen.
bonanzaMARGOT - 10. Sep. 13, 20:07

man könnte auch sagen, ich fühle mich abnormal, weil es nur wenige menschen gibt, die überhaupt etwas mit meinem gedankentum anfangen können.
was ich also mache, ist eine gratwanderung, wenn ich den kontakt zu meiner umwelt (hinsichtlich der gesellschaft der menschen) nicht ganz aufgeben will.
KarenS - 10. Sep. 13, 20:12

Na und? Was ist schon dabei wenn andere Menschen deine Gedanken für unnütz halten? Tät mich nicht jucken. Ich bin keine Psychologin, die wahrscheinlich in der Lage wäre, deine Gedanken zu deuten...obwohl, ich habe zu Psychologen (fast) Null Vertrauen. Sie können ebenfalls nur mit "ihren Augen sehen“...sind also auch nur subjektiv.

bonanzaMARGOT - 10. Sep. 13, 20:16

ich deutete es zwischendurch an: ich will nicht (total) einsam sein.
steppenhund - 10. Sep. 13, 21:28

Die Gedanken kommen mir nicht morbid vor. Um es mit Schopenhauer zu sagen: der Mensch hat ein metaphysisches Bedürfnis.
Der einzige Grund, warum ich hier nicht mehr kommentiere, ist deine Ablehnung des "Elitären". Wenn ich dir schreiben würde, welche Menschen ganz ähnliche Gedanken vor dir hatten, tätest Du mit einem "Ich bin nicht so elitär, ich mache meine eigenen Erfahrungen." ab. Dies bleibt dir unbenommen. Aber es ist eine Tatsache, dass ich in vielen Äußerungen von dir Wiederholungen entdecke, die Du aber wie es mir scheint mit dem Argument ablehnst, "dass Du über deine eigenen Gedanken schreibst." Es ist durchaus ehrenhaft, sich vernünftige Gedanken zu machen oder metaphysische Fragen zu stellen, wenn man sich dabei bewusst ist, dass man sich in einer Gruppe von Menschen befindet, die immer schon mit den gleichen Fragen haderten.

Deswegen werfe ich z.B. keine Bücher weg. Irgendwann habe ich wieder Lust, Seneca zu lesen und mich daran zu erfreuen, was er vor 2000 Jahren gesagt oder geschrieben hat.

Manchmal kommen mir deine Schreiben hier wie Hilferufe vor, die in dem Moment, in denen sie beantwortet werden, zurückgenommen werden.

Also zusammenfassend: dumm sind deine Gedanken sicher nicht - und auch nicht morbid. Sie scheinen nur in deinen Äußerungen eine Botschaft kodiert zu haben: In Wirklichkeit lege ich keinen Wert, wie ihr darüber denkt.

Geschrieben im Zug, mit 220km/h reisend. Es sind also sehr schnelle Gedanken von mir:)

bonanzaMARGOT - 11. Sep. 13, 10:04

danke für deine antwort, steppenhund.
selbstverständlich entdecke ich in der literatur dann und wann meine gedanken wieder. aber im privaten umfeld ist "philosophieren" eher eine seltenheit - oder aber die leute prahlen mit ihren philosophischen kenntnissen, selbst erdachtes kommt dagegen wenig.
gegen prahlhänse habe ich nunmal etwas. schon immer.
ebenso habe ich etwas gegen eine eliten-bildung. das elitäre würdigt viele menschen zu unrecht herab.
es ist ganz normal, dass menschen unterschiedlich begabt sind. wenn man von der natur und den genen auf eine weise besonders bedacht wurde, kann man dankbar sein - sollte sich aber nicht zur elite erklären. unser sozialgefüge lebt von der gleichwertigkeit des menschseins unabhängig von den begabungen, fähigkeiten und der intelligenz seiner mitglieder. leider haben diesen grundsatz nicht alle menschen verinnerlicht. die leistungsgesellschaft ist das falsche modell, um einen dauerhaften sozialen frieden zu gewähren.

ab und zu empfinde ich meine metaphysischen gedankengänge als morbide, weil sie nicht nur glücksgefühle hervorrufen sondern mich auch an den rande der verzweiflung bringen können; oder ich versinke in grüblerischer schwermut und einsamkeit.
die fragen, die daraus hervor gehen, können wie hilferufe klingen - hilferufe in einer hauptsächlich materialistisch ausgerichteten welt, in der ich mich nicht wirklich zuhause fühle.
bonanzaMARGOT - 11. Sep. 13, 10:09

220 sachen! wow! das ist ja annähernd lichtgeschwindigkeit.
wenn du aussteigst, bin ich evtl. schon tot.
steppenhund - 11. Sep. 13, 11:17

noch nicht tot

Du hast aber den Kommentar geschrieben, nachdem ich bereits aus dem Zug ausgestiegen bin:)
bonanzaMARGOT - 11. Sep. 13, 11:19

ja. offensichtlich. 220 km/h sind wohl doch nicht annähernd lichtgeschwindigkeit.
du hast trotzdem sehr geringfügig etwas lebenszeit gegenüber mir gewonnen. aber das gleiche ich bei meiner nächsten zugreise aus.
steppenhund - 11. Sep. 13, 11:28

Das mit der Ablehnung der Elite kann ich nicht nachvollziehen, weil das Wort für mich nicht so besetzt ist, wie für dich.
(Dass das Wort elitär oft falsch gebraucht wird, ist ein anderes Kapitel.)
Aber ich habe z.B. auch etwas gegen Gleichheitsverfechtung. Einerseits sollten alle Menschen gleiche Chancen haben. Diese Chancengleichheit wird allerdings bereits ab der Geburt (selbst in gleichen sozialen Schichten) vernichtet. Der erste Einfluss, den in der Regel die Eltern haben, bestimmt schon sehr viel, was an Chancen für das Kind offen stehen. Im Gegensatz zu einigen politischen Vertretern ist diese Abhängigkeit nicht vom wirtschaftlichen Niveau der Famile abhängig. Sie korreliert vielleicht, vielleicht sogar aussagekräftig - doch wie erklärt man dann die Erfolgstypen, die aus ärmsten Verhältnissen aufsteigen, entweder wirtschaftlich oder intellektuell?
Ich persönlich habe eine einfache Klasseneinteilung getroffen, die in vier Quadranten unterscheidet. In der einen Achse unterscheide ich [hat Herz, hat kein Herz], in der anderen Achse unterscheide ich [will dazulernen, will nichts mehr lernen].
Danach richtet sich meine persönliche Meinung über einen Menschen. [Kein Herz, will nicht dazulernen] sind Typen, die für mich uninteressant sind. Alle anderen sind dann bei mir schon "elitärer". Die wirkliche Elite sind die mit Herz und der lebenslangen Beschäftigung mit ihrer eigenen Weiterbildung. (Selbstverständlich zähle ich mich da auch dazu:))))) )
Elitär, als Bewertungswort gebraucht, wird von mir nie als absolute Bezeichnung akzeptiert, sondern es hängt davon ab, wer das Wort gebraucht. Menschen, die ich als elitär bezeichnen würde, verwenden nach meiner Erfahrung dieses Wort gar nicht.
Und selbstverständlich würde ich dieses Wort nie in Verbindung mit materiellen Gegebenheiten verwenden.
bonanzaMARGOT - 11. Sep. 13, 11:54

eliten bedingen in meiner auffassung selbstverständlich eine wertung. es ist schwer zu leugnen, dass sich viele eliten als etwas besonderes ansehen und sich dementsprechend herablassend verhalten. zu vergleichen wäre dies mit dem adel. man fühlt sich eben doch als etwas besonderes (besseres), umgibt sich gern mit seinesgleichen, auch wenn man sich in understatement übt.
ich mag menschen allgemein nicht, die sich für was besseres halten. egal ob das aufgrund von ausbildung, wissen, klassenzugehörigkeit, herkunft oder besonderer begabungen gegeben ist.
es ist gut, wenn die menschen ihren ehrgeiz, ihr wissen und ihre fähigkeiten in die gesellschaft einbringen. und es liegt in der natur der sache, dass manche menschen mehr für die allgemeinheit leisten können als andere. man sollte niemals menschen aufgrund ihrer geringeren intelligenz oder leistungsfähigkeit, welche viele gründe haben kann, herabwürdigen. chancengleichheit bedeutet, dass jeder nach seinen möglichkeiten gefördert werden sollte, und dass er sich auch als einfacher arbeiter als vollwertiges mitglied der gesellschaft fühlen kann, dass er nicht mit mindestlöhnen abgespeist wird ...
in dieser beziehung denke ich sozialistisch.
es geht mir dabei nicht um eine völlige gleichheit in der entlohnung von arbeit, aber doch um eine annäherung und um die vermeidung von demütigenden beschäftigungsverhältnissen, die an sklavenarbeit erinnern. es darf nicht sein, dass sich ein gros der menschen von den gesellschaftlichen "eliten" in wirtschaft, industrie und politik ausbeuten lässt.

ich unterteile die menschen nicht so oberflächlich wie du, steppenhund. ich will etwas genauer hinschauen. wenn wir auch die gescheiterten und kranken menschen wie vollwertige mitglieder der gesellschaft wahrnehmen und behandeln, ist schon viel getan. sie werden es uns danken.
wenn wir allerdings menschen pauschal vorverurteilen (z.b. als faulenzer und sozialschmarotzer) können wir nicht erwarten, dass diese sich noch in irgendeiner weise anstrengen. dann bekommen wir sowas wie eine selbsterfüllende prophezeiung. wenn eine mutter ihrem kind ständig sagt, dass es nichts taugt, wird unter umständen genau das eintreffen.
freilich gibt es ausnahmen: es gibt menschen, die sich trotz aller widrigen umstände durchs leben kämpfen. aber die kann man nicht als maßstab für alle ansetzen.
steppenhund - 11. Sep. 13, 13:35

Na ja, dann sind ja weitere Kommentare überflüssig, wenn Du mein Urteil als oberflächlich bezeichnest.
bonanzaMARGOT - 11. Sep. 13, 14:03

steppenhund

jede kategorisierung von menschen ist oberflächlich.
da mache ich mir selbst auch nichts vor, wenn ich menschen manchmal in gruppen oder schubladen unterteile.
diese vereinfachungen sind manchmal notwendig, um sich verständlich zu machen. allerdings sollten sie nicht ein weltbild begründen - wie es leider oft der fall ist. ich nenne bewusst keine beispiele.

oberflächlichkeit war in diesem kontext nicht negativ gemeint.
KarenS - 10. Sep. 13, 22:21

"man könnte auch sagen, ich fühle mich abnormal, weil es nur wenige menschen gibt, die überhaupt etwas mit meinem gedankentum anfangen können"...

ich lese daraus auch eine gewisse koketterie. mit aller macht "anders" sein zu wollen. jeder mensch ist "anders" und somit einzigartig. gute nacht.

bonanzaMARGOT - 11. Sep. 13, 09:37

mit aller macht anders sein zu wollen? nein, das kann ich von mir nicht sagen. im gegenteil will ich in der öffentlichkeit nicht besonders auffallen. ich stelle mich nicht gern vor menschen. (dieses gefühl habe ich mehr oder weniger von kindheit an.)
es geht um einige innere haltungen, die ich, glaube ich, anders als die meisten meiner mitmenschen einnehme. dabei behaupte ich nicht, dass meine einstellungen die besseren seien.
für das alltägliche miteinander reicht es, wenn man die gemeinsamkeiten in den vordergrund stellt.
dann gibt es allerdings stunden und tage, an denen ich mich unter den menschen bzw. auf der welt wie ein fremder fühle.

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