Donnerstag, 5. September 2013

TV-Tipp:

"Der Biber", 23 Uhr 15, ZDF

Jean Valjean - der Prototyp eines Heiligen


Jean Valjean auf dem Sterbebett: „Sterben bedeutet nichts. Es ist schrecklich, nicht zu leben.“


Nun habe ich den Wälzer „Les Misérables“ endlich zu Ende gelesen. Ein Schnell- und Vielleser bin ich nicht gerade. Gestern las ich die letzten fünfzig Seiten vor einem Café in der Nachmittagssonne. Ich bekam feuchte Augen vor Rührung und Ergriffenheit, was die Sonnenbrille gut verbarg. Es wäre mir peinlich gewesen in der Öffentlichkeit.
Ein Vierteljahr begleitete mich Victor Hugos Roman auf meinen Wegen. Zuhause lese ich selten. Da sitze ich vorm Computer oder schaue fern. Es kann sein, dass ich eine Woche überhaupt nicht lese. Trotzdem schleppe ich das Buch immer mit mir herum – ich könnte schließlich einen Anfall von plötzlicher Leselust bekommen.
Bei „Les Misérables“ gefielen mir am Besten die ersten zwei- dreihundert Seiten und das Ende. In der Mitte schleppte sich die Lektüre etwas dahin (was aber auch an mir als Leser liegen kann). Neben der Freude an Victor Hugos Erzählkunst bescherte mir das Buch einige sehr gute Charakterstudien und ... Geschichtsunterricht. Nun glaube ich die Jahrzehnte nach der Französischen Revolution besser zu verstehen. Hugo schildert eingehend die unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und Kräfte sowie die Stimmung in Frankreich, vor allem in Paris.
Die moralischen Fragen, die aufgeworfen werden, gelten ebenso heute. Sie werden wohl jede Generation bis ans Ende aller Zeiten bewegen. Es geht um Gewissensentscheidungen, um Gut und Böse, um die persönliche Verantwortung und um das Schicksalhafte im Leben eines Menschen, welches ihn prägt und auf Abwege bringen kann. Jean Valjean ist das Beispiel eines Menschen, der sich trotz ungünstigen Schicksals aufrappelt, seinem Gewissen folgt und schließlich eine Aufgabe findet, die ihn am Leben erhält. Das Ganze wird von Hugo mit einigem Pathos inszeniert. Aber so schrieb man wohl damals. Der Roman wird darum nicht schwülstig, weil er genug psychologischen Tiefgang besitzt.
Vor vielen Jahren wurde „Les Misérables“ im Radio (in vielen Folgen) von dem hervorragenden (leider verstorbenen) Gert Westphal vorgelesen. Seitdem wollte ich das Buch. Und nun las ich es! Es ist schon merkwürdig, wie manches lange im Hintergrund schlummert, um dann eines Tages doch Gestalt zu bekommen. Bei Hesses „Steppenwolf“ ging es mir ähnlich. Es brauchte über zehn Jahre, bis ich mich endlich an die Lektüre machte, - was ich nicht bereute! Es ist fast so, als ob das Leben den richtigen Moment für uns abpasst.
Zufall? Ich weiß nicht.
Eine gute Lektüre ist wie ein Schatz, der die menschliche Seele bereichert. Sie ist weit mehr als Unterhaltung und Zeitvertreib. Sie beschäftigt die Gedanken und kann sogar wichtige Impulse für das eigene Leben setzen. „Les Misérables“ von Victor Hugo kann ich nur empfehlen.
Jean Valjean ist der Prototyp eines Heiligen, der kein Heiliger sein will. Das Schicksal hilft ihm, weil er leidensfähig ist, weil er nie aufgibt und schließlich nur Gutes im Sinn hat. Was für ihn völlig logisch bzw. folgerichtig erscheint, verwundert seine Umwelt. Seine Mitmenschen können nicht verstehen, dass ein Mensch, zudem ein als Galeerensträfling Geächteter, derart selbstlos und geradlinig hehre Ziele verfolgt. Selbst der Polizist Javert, der ihn über Jahre verfolgt, und für den diese Verfolgung zur persönlichen Angelegenheit wird, kapituliert am Ende an Jean Valjeans Güte und Weisheit. Der Polizist springt in die Seine, weil er an dem sich ergebenden inneren Widerspruch verzweifelt. Die Engstirnigkeit seines Gendarmen-Hirns konnte nicht zulassen, dass sich Gut und Böse in der Gestalt Jean Valjeans umkehren. Die Vorverurteilung, erzeugt durch gesellschaftliche Werte und Konventionen, hat ihm ein Bein gestellt.
Hier entlarvt sich die bürgerliche Spießigkeit und Heuchelei selbst.
(Das gefällt mir natürlich.)

Okay, „Les Misérables“ ist zu Ende gelesen. Es folgt das nächste Buch, auf das ich bereits sehr gespannt bin: „Ich – Arturo Bandini“ von John Fante. Wenn es hält, was ich erwarte, stehen mir einige schöne Lesestunden bevor.

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