Hörnchen und zurück


O anstrengender Müßiggang! Wenn es ein Müßiggänger-Gen gibt, dann muss ich es besitzen. Allerdings nicht von meinen Eltern. Ordentlicher und fleißiger als sie kann man sich Deutsche aus der Mittleschicht kaum vorstellen. Hinzu kommen als Tugenden Sparsamkeit und Alkoholenthaltsamkeit. Nichts von alledem habe ich. Sicher sind sie froh, dass ihr Sohn wenigstens einen festen Arbeitsplatz hat. Nach ihren Vorstellungen kann ich nicht geraten sein. Ich bereitete ihnen zwischendurch allerhand Sorgen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie mir mehr als meinem Bruder vertrauen, der ein viel sittsameres Leben führt. Er ist Familienvater und verdient recht gut. Eltern tun sich schwer damit zuzugeben, dass sie ein Lieblingskind haben. Ich tat jedenfalls nichts dazu, um ihre besondere Zuneigung zu rechtfertigen. Wenn da nicht dieses Zauberwort "Liebe" wäre. Davon habe ich viel zu geben, wenn ich gut drauf bin. Mein Bruder wirkte in dieser Beziehung schon immer etwas stumpfer und unbeholfener. Noch heute kann ich mit meiner von Natur gegebenen Ausstrahlung punkten - z.B. bei den alten Damen im Altenheim. Ich glaube, ich wecke bei einigen mütterliche Gefühle.

O anstrengender Müßiggang! Gestern war wohl einer der letzten Sommertage. Ich drehte mit dem Fahrrad eine Runde über Heidelberg. Die Septembersonne packte alles aus, was sie noch zu bieten hat. Das Thermometer kletterte auf nahezu 30° Celsius.
Alle paar Kilometer lud ein Biergarten oder eine Kneipe mit Außenbestuhlung zum Klöhnen ein. Ich machte nichts anderes, als mein Bier zu trinken, ein paar Seiten in einem Buch zu lesen, den Gesprächen von den Nachbartischen zu lauschen, in die Sonne zu blinzeln und die Menschen, jung und alt, in ihrer Verschiedenartigkeit zu betrachten.
Die Innenstadt von Heidelberg brauste vom Verkehr. Ich zog mich zu einer Rast in die Altstadt zurück. Ecke Untere Straße - Hauptstraße. Das kleine Café heißt "Hörnchen". Vorallem Studenten und einige (eher intellektuelle) Ur-Heidelberger verkehren dort. Ich habe keinen Kontakt zu der Stammkundschaft, aber ich genieße dort gern mal mein Bier. Mit den Jahren machten einige alte Heidelberger Kneipen dicht. Dafür eröffneten Café- und Restaurantketten ihre Geschäfte.
Die Ur-Einwohner sind immer froh, wenn die Touristenströme im Spätjahr abebben. Dabei verdienen Gastronomie und Handel freilich kräftig an ihnen.
Wenn ich alleine durch Heidelberg tigere, halte ich es selten länger als zwei-drei Stunden aus. Mir sind Verkehr und Menschen einfach zu viel. Da fühle ich mich schnell noch alleiner. Was anderes ist es, wenn ich in Begleitung bin. Dann wirkt die Betriebsamkeit außenherum nicht so erdrückend.

Am Nachmittag zogen Wolken auf, und es wurde zunehmend schwüler. Der Topf hatte sich aufgeheizt. Man spürte förmlich die Elektrizität in der Luft. Oder war`s vom Bier, dass sich mein Blick eintrübte? Ich bekam Kopfweh und trat den Rückweg an. Unterwegs ein Stop an einer Apotheke und Aspirin gekauft ...

O anstrengender Müßiggang! Was soll`s. Ich liebe es. Wenn ich auch oft etwas einsam herumtoure. Schon als Kind machte ich viele Ausflüge allein. Die Horden ziehen mich nicht an. Nein, ein geselliger Mensch war ich nie. Mit den Kumpels oder der Freundin unterwegs zu sein, - okay, aber an größere Menschenaufläufe wie in Discotheken, auf Konzerten und in Großstädten kann ich mich nicht gewöhnen. Ich brauche die intimen Ecken, in die ich mich unbeobachtet zurückziehen kann. Und ich brauche einiges an Alkohol, um eine angeheiterte Gesellschaft zu ertragen. Betriebsfeiern sind mir ein Greuel. Ich hasste ja bereits das Kaffeetrinken mit Tanten und Onkels. Ich mag`s nicht, wenn mir Menschen zu sehr auf die Pelle rücken.
Doch das ist eben nur eine Seite von mir. Was gibt`s heute zu tun?

Nichts als Müßiggang!






das "Hörnchen" - gegenüber der Sitz der Heilsarmee

Lange-Weile - 17. Sep. 11, 14:12

so ist das Leben

Hallo Bo.,

ein schöner Streifzug durch dein Leben. Es ist unschwer zu erkennen, dass deine "einsamen" Streifzüge dir auch Genuss bereiten. Nur so lassen sich die Gedanken- Fäden aufgreifen, den man wie in einem Blindenparkour folgen kann. Jeder Gedankengang taucht aus der der Dunkelheit auf und wird fühlbar, wenn er durch die Finger gleitet.

Ich liebe derartige Streifzüge durch die eigene Gedankenwelt, denn sie beleuchten kurzzeitig Bereiche des Lebens, die man schon längst hinter sich gelassen hat oder im Alltag kaum Beachtung finden - so auch die Beziehung zwischen Eltern und Kinder.

Taj...die Eltern mit ihren Erwartungen an ihre Kinder. Ich denke, die Erwartung haben ihren Ursprung in dem, was man seinen Kindern mit ins Leben geben möchte, eben nur das Beste. Und wenn sie an "das Beste" für ihr denken, dann greifen sie auf den eigenen Erfahrungsschatz zurück. Das Gute wollen sie ihren Kindern mit auf den Weg geben, von dem Bösen möchten sie ihre Kinder fern halten. So ist das Leben, sagten meine Eltern immer, wenn ich nach meinen ersten "Gehversuchen" als Erwachsene enttäuscht von Leben wieder mal bei ihnen aufschlug. ;-).
Auch sie wollten mir vieles ersparen, konnten es aber nicht wirklich. ;-)

Ich wünsche dir noch ein schönes Wochenende

Gruß LaWe


bonanzaMARGOT - 17. Sep. 11, 14:25

so ist das leben. und es bleibt verschleiert. man guckt immer nur durch einen spalt.
aber mit etwas grips und phantasie kann man sich zu dem kleinen ausschnitt, den man erkennt, einiges dazu dichten. man gleicht dies mit den (spalt-)erfahrungen anderer menschen ab und kommt manchmal zu der erkenntnis, dass es viele parallelen und berührungspunkte gibt.

das problem mit den eltern ist, dass sie viele jahre, vielleicht ein leben lang, als unantastbare figuren bestehen bleiben.
es gibt nur einen sehr langsamen prozess der gegenseitigen annäherung. ein leben reicht da manchmal nicht - was natürlich schade ist. und oft werden einfach nur rollen vertauscht, aber man kommt sich nicht wirklich näher.

wir müssen es nehmen, wie es kommt. so ist das leben.
ich war schon immer ein "fragender". ich mache es meiner umgebung nicht leicht. auf der anderen seite kann ich aber auch viel zuwendung zeigen.
wer weiß schon, wo er steht - in dem erkenntnis- und fragendschungel des lebens?
Lange-Weile - 17. Sep. 11, 15:26

Familienordnung

Hallo Bo.,

unbewusst folgte ich vielleicht dem Ordnungssystem von den umstrittenden Familientherapeut Bert Hellinger, der dir sicher auch ein Begriff ist.
Er geht davon aus, das es in der Familie eine Ordnung gibt, das jedes Familienmitglied akzeptieren sollte.

Einmal geht es um die Stellung der Eltern, die in jedem Fall über der Stellung der Kinder im Familienverband gehen. Das hört sich jetzt nach einer Hierarchie an, ist es auch, aber nicht im Sinne einer Firmenhirachie.

Als Kind und das auch heut noch. erkenne ich meine Eltern als Wesen an, die "über mir" in der Familienordnung stehen. Daher konnte ich mich auch ohne Schwierigkeiten auch als Erwachsene mich als Kind ihnen unterordnen. Nur so war ich veilleicht in der Lage, ihre Hilfe anzunehmen, wenn ich sie brauchte. Ich erinnere mich an keinem Moment im Leben, in denen ich meine Eltern in Frage stellte, auch wenn sie nicht nach meinen Erwartungen handelten.

In dieser Stellung zu meinen Eltern konnte ich mich jeder Zeit wieder als Kind zu ihnen "flüchten", wenn das Erwachsenen Leben mir mal wieder über den Kopf zusammen geschlagen war. Diese Stellung zu meinen Eltern sicherte mir das Kind-Dasein auch als Erwachsene.

Dies Anerkennung ihrer Eltern - mit ihren Stärken und Schwächen- meiner Kinder ist nicht mehr vorhanden. Sie stellen ihre Eltern - also auch mich - in Frage. Selbst wenn ich meinen Kindern helfen will, ich kann es nicht. Sie stehen in Sinne ihrer Ordnung über mir und ihrem Vater. Der Grund dafür ist, dass ihre Eltern gescheitert sind und das nehmen sie ihnen übel. Ob es je ein Verzeihen geben wird, weiß ich nicht. Auf jeden Fall nehmen sie sich und uns als Eltern, die Möglichkeit, in schwachen Momenten sie als Kind für einen kurzem Moment unter die schützenden Flügel der Eltern zu flüchten.

Leider kann ich das nicht ändern, weil in ihren Köpfen das Defizit zwischen ihre Vorstellung von Eltern und den realen Eltern im Laufe der Jahre sich nicht ausgleichen konnte, trotz meiner Bemühungen.

Die Eltern als unantastbare Figuren sollte diese Ordnung in Sinne von Hellinger nicht verstanden werden, auch wenn er sich auf die Ordnung beruft.Es geht ihm dabei auch um die Akzeptanz, dass sie Eltern hilflose Wesen sein können, die in ihrem handeln nicht unfehlbar sind.

Daraus ergeben sich für den Erwachsenen neue Einsichten, die auch ein Verzeihen möglich machen und auf dieser Basis einen Annäherung möglich macht.

Vielleicht hört sich das für dich alles etwas konstruiert an, aber für mich war es stets eine ganz normale und selbstverständliche Ordnung.

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 17. Sep. 11, 15:46

lawe, ich weiß nicht, ob ich in diesem rahmen von einer ordnung sprechen will - naturgegeben oder gesellschaftlich vorgegeben, bzw. angemahnt.
diesen "hellinger" kenne ich nicht. ich lese sehr selten bücher, die sich mit soziokulturellen bzw. psychologischen zusammenhängen wissenschaftlich befassen. (ich will mir meine eigenen gedanken dazu machen.)
bestimmt gibt es eine komplizierte beziehung zwischen kindern und eltern. aber je nach kulturellem duktus, gestalten sie sich anders. in den letzten 100 jahren ging der gesellschaftliche mensch durch viele wechselbäder kultureller und moralischer identität. wir stecken heute noch mittendrin in diesem umbruch. bald jede generation definiert sich irgendwie anders als die vorherige.
ich gehörte sicher noch zu denen, die eine größere autoritätsehrfurcht hatten - wozu der glaube und der unbedingte respekt den eltern gegenüber gehörte. auch althergebrachte institutionen wie kirche und staat hatten es damals noch leichter. aber dann - die gesellschaft befand sich bereits im umbruch - kam, was kommen musste: die 68er im zuge einer technisch- kulturell progressiven entwicklung, welche einen anarchistischen ansatz zeitigte.
heute schon fast wieder veraltet, weil die menschen, oberflächlich, wie sie meist sind, über alles hinwegstürmen. aus meiner sicht schade, weil ich in der anarchie eine große chance sehe - nicht nur gewalt und willkür.

ich drifte ab. ich kämpfte nicht gegen meine eltern als personen, sondern ich kämpfte gegen das bild, welches ich in mir von ihnen hatte. dieser kampf ist noch nicht abgeschlossen ...

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