Von Kalenderblatt zu Kalenderblatt
Platt nach der zweiten Nacht. Es wird immer mehr Arbeit. Ich eile von Bewohner(in) zu Bewohner(in). Bis Mitternacht habe ich kaum eine Verschnaufpause. Alle liegen dann endlich im Bett. Aber schon melden sich die nächsten, die auf die Toilette müssen, - natürlich immer, wenn ich mich gerade hinsetzte und die Beine ausstreckte und vielleicht eine Kleinigkeit essen will.
Ich bete jede Nacht, dass keiner der Bewohner stürzt. Das Risiko besteht vor allem bei den Demenzkranken, die nachts aufstehen und über die Station wandern, z.B. auf den Urinpfützen ausrutschen, die sie hinterlassen. Nun, ich kann nicht überall sein.
In der Regel muss ich wenigstens 2-3 Betten beziehen, weil Bewohner(innen) ihre Windeln aufrissen oder auszogen. Dann soll ich natürlich auch Nachts, gerade wenn es sommerlich heiß ist, Trinken reichen. Ich muss manche mehrmals in der Nacht lagern und ihre Windeln wechseln. Ich muss für Zwischenmahlzeiten bei den Diabetikern sorgen. Ich verteile die Nachtmedikamente. Ich richte die Medikamente für den Tagdienst samt Tropfen für den Morgen. Ich drucke die aktuellen Durchführungspläne aus. Insgesamt sitze ich bestimmt eine Stunde am Computer mit Dokumentationseintragungen. Am frühen Morgen muss ich nochmals alle Zimmer kontrollieren, bei den Bewohnern, die enteral ernährt werden, die erste Nahrung an die Pumpe hängen, die Brötchen für die Bewohner im Konvektomat backen, die Kalenderblätter abreisen (darauf legt die Chefin großen Wert!), die große Spülmaschine einschalten, den Bewohner- und den Personalkaffee kochen, die Außentüren wieder öffnen …
Klar, es ist meine Arbeit. Welche Arbeit ist schon ein Zuckerschlecken? Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: ich bin platt nach zwei Nächten, und ich habe noch zwei Nächte vor mir. Wenigstens ist Wochenende, so dass die Chefs nicht noch mit ihren Reden die Luft verpesten.
Ich kann sagen, dass ich zur Zeit nach einem Block von vier Nachtdiensten glatt zwei Tage durchpennen könnte. Über meinen psychischen Zustand will ich hier gar nicht reden ..., - aber ich tue es ja die ganze Zeit. Ich funktioniere wie ein Automat, der kein Automat ist, der Mensch sein soll gegenüber den Bewohnern, der ein offenes Ohr für ihre Sorgen haben soll, der ihnen in der Not helfen soll, der Mitgefühl entwickeln soll …
Es gibt eine Menge „Solls“, die ich leisten müsste, aber ich gebe offen zu, dass das ein oder andere „Soll“ die ein oder andere Nacht auf der Strecke bleibt. Trotzdem glaube ich (noch), dass ich meine Arbeit gut mache. Ich weiß nicht. Es kommen von der Chefin kaum Rückmeldungen – sie sagt meist nur, was ich machen „soll“. Und die Kollegen haben mit sich zu tun – sie sind ebenso in ihren Diensten eingespannt. Ein paar Bewohner zollen einem ab und zu Respekt und geben einem Zuspruch. Sie sehen, was los ist. Ich will gar kein Mitleid. Es ist, wie`s ist. Bis der Buckel krumm ist, und man selbst Pflege braucht.
Zwei Nächte noch. Die werden wie immer auch rumgehen.
bonanzaMARGOT
- 03. Aug. 12, 17:04
- Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache
Rückzug
da frag ich mich, wie das noch werden soll, wenn die Prognose stimmt. Die Demenz soll in den nächsten Jahren zunehmen. Damit wird die Gesellschaft so, wie es heut gemacht wird, nicht fertig. Irgendwann wird etwas passieren, Wellen schlagen und sich wieder nichts ändern.
Da kann nur Vorsorge helfen. Vorsorge im Sinne von körperlich und geistig fit bleiben, auch im Alter.
So wie man wegen der AIDS Gefahr Kampanien auf das Poblem aufmerksam macht, sollte man auf diese Weise auch die "Alten" appelieren, sich vor dem Verfall mit entsprechenden Programmen im Sport oder Schach spielen sich so lange wie möglich das Leben für sich auch im hohen Lebensalter lebenswert zu machen.
Ich glaube, die Einsamkeit macht die "Alten" dieser Gesellschaft zu schaffen. Ihre Familien leben weit weg und als Ersatz für ihr leer gewordenes Lebens stehen die zahlreichen Serien im TV. TV saugt das Gehirn aus, wenn zu viel davon konsumiert wird. Da wid der Mensch kirre im Kopf.
Und wenn man bedenkt, dass sie zahlreichen Privatsender - die werden ja immer noch am meisten gesehen - ihren Dasein nur erhalten können, wenn man sich die ganzen Produktwebungen auch reinzieht. Noch eins aufs Gehirn, dass sich nur durch Rückzug schützen kann.
Und das ist nur eine Seite des Lebens der Alten in unserer Gesellschaft. Die Wirstchaft wirft sie ja schon ab 50 ab wie alte verrostetet Eisen.
Ich will nicht wissen, wieviel Alte in ihrem Wohnungen so vor sich hin dämmern, bis das Gehirn platt ist.
LG LaWe
der demenz kann man nur sehr bedingt vorbeugen. natürlich beugt eine gesunde lebensführung alterserkrankungen allgemein vor.
die demenz schuldet ihre häufigkeit, dass wir menschen immer älter werden. umso älter du wirst, desto höher ist die wahrscheinlichkeit, dass du an der alzheimer demenz erkrankst. und die alzheimer demenz macht nunmal die häufigste form der demenzen im alter aus.
das problem ist, dass an demenz erkrankte menschen viel soziale, psychische und pflegerische betreuung brauchen. mit dem zur zeit in den gewöhnlichen altenheimen bestehenden personal ist eine solche betreuung nur mangelhaft-ungenügend zu leisten. alle menschen, die mit dieser materie befasst sind und nicht alle lampen im oberstübchen ausschalten, wissen das.
aber wo das fehlende personal herzaubern? und wer bezahlt den höheren personalaufwand in der zukunft, wenn wir dem pflegenotstand realistisch und menschlich adäquat begegnen wollen? dies ist die gesellschaftspolitische fragestellung.
es wird keine "gute" pflege geben, die sich finanziell selbst trägt.
unsere gesamte gesellschaft ist irgendwie krank, lawe.
gelder fließen in dinge, die kein mensch braucht, und dort wo die kacke am dampfen ist, werden menschen verschlissen und ihrem schicksal überlassen.