Wo ist die Wut hin? Ist das schon die Altersweisheit, oder ist es die Abnutzung durch das Leben hin zu einem bequemen Abgestumpftsein? Ich meine mich erinnern zu können, dass ich mich früher viel öfter ereiferte – gegen die Eltern, die Autoritäten, die Gesellschaft, das ganze System. Ganz zu schweigen von den Politikern, die einem ständig ihr Waschmittel als das verkaufen wollen, das weißer wäscht als alle anderen. Und auch über den Arbeitgeber, insbesondere in den Altenheimen, regte ich mich viel mehr auf. Mein Gott, was wir uns damals alles erträumten: Wir wollten unser eigenes kleines Altenheim gründen und natürlich alles besser machen. Ideen genug hatten wir. Leider scheiterte es an der Umsetzung. Es war doch bequemer, den anderen dabei zuzuschauen, und sich weiter Tag für Tag von neuem abzureagieren – endlos wie eine Platte, die hängt. Es ist eben nicht jeder zum Geschäftsmann und Existenzgründer geboren. Warum ist aber auch alles so verflucht kompliziert? Außerdem hapert es ja bereits am Eigenkapital. Wie soll ich armer Altenpfleger genug zusammen sparen? Man will schließlich noch leben. Gerade bei diesem Beruf ist ein privater Ausgleich ungeheuer wichtig. Wir sprachen oft darüber nach dem Dienst bei einem Bier, wie sehr uns die Alten aussaugten, bis unsere Batterien leer waren. Prost! Genau! Und wo tankt man wieder auf? Es versteht eh keiner, der nicht in diesem Beruf arbeitet, oder? Ja, genau, Prost! Und so landete ich wenigstens ab und zu nach derlei Zechgelagen mit einer Arbeitskollegin im Bett. Aus Solidarität. Ja, damals war der Sex ein prima Wutauffänger.
Wo ist sie hin, die Wut? Inzwischen befinde ich mich im fünfzigsten Lebensjahr. Ups - wie kam das eigentlich so schnell!? Bin irgendwie müde geworden. Man wird halt alt. Und ändern kann man doch nichts.
Ich meine das gar nicht sarkastisch. Schaut euch doch mal um. Wer ist eigentlich noch richtig wütend außer den richtig durchgeknallten, also den Extremisten? Gibt es noch Weltverbesserer, die keine Spinner sind? Klar gibt es die bei Greenpeace oder ähnlichen Organisationen. Aber wo? Man redet in diesem Zusammenhang oft vom Tropfen auf den heißen Stein. Ich brauche eine Lupe, um diesen Tropfen zu sehen!
Eine Restwut spüre ich noch in mir. Doch, offen gesagt, bin ich ziemlich platt. Höchste Zeit, dass etwas in meinem Leben passiert. Die Platte ist staubig. Wenn ich mich über nichts mehr aufrege, kann ich mich genauso gut aufhängen. Ich mag nicht im lethargischen Konsum-Sumpf versinken, - in diesen Verblödungssumpf.
Wie geht es euch damit? Seid ihr noch da? Nehmt ihr den Kampf gegen Stumpfsinn und Heuchelei auf?
Wir können ja mal gemeinsam einen trinken gehen. Es muss kein Altenheim sein, was wir gründen wollen. Ein Buchladen wäre auch nicht übel. Oder eine Kneipe – halt was anderes als das, was es schon gibt.