Freitag, 3. August 2012

Von Kalenderblatt zu Kalenderblatt


Platt nach der zweiten Nacht. Es wird immer mehr Arbeit. Ich eile von Bewohner(in) zu Bewohner(in). Bis Mitternacht habe ich kaum eine Verschnaufpause. Alle liegen dann endlich im Bett. Aber schon melden sich die nächsten, die auf die Toilette müssen, - natürlich immer, wenn ich mich gerade hinsetzte und die Beine ausstreckte und vielleicht eine Kleinigkeit essen will.
Ich bete jede Nacht, dass keiner der Bewohner stürzt. Das Risiko besteht vor allem bei den Demenzkranken, die nachts aufstehen und über die Station wandern, z.B. auf den Urinpfützen ausrutschen, die sie hinterlassen. Nun, ich kann nicht überall sein.
In der Regel muss ich wenigstens 2-3 Betten beziehen, weil Bewohner(innen) ihre Windeln aufrissen oder auszogen. Dann soll ich natürlich auch Nachts, gerade wenn es sommerlich heiß ist, Trinken reichen. Ich muss manche mehrmals in der Nacht lagern und ihre Windeln wechseln. Ich muss für Zwischenmahlzeiten bei den Diabetikern sorgen. Ich verteile die Nachtmedikamente. Ich richte die Medikamente für den Tagdienst samt Tropfen für den Morgen. Ich drucke die aktuellen Durchführungspläne aus. Insgesamt sitze ich bestimmt eine Stunde am Computer mit Dokumentationseintragungen. Am frühen Morgen muss ich nochmals alle Zimmer kontrollieren, bei den Bewohnern, die enteral ernährt werden, die erste Nahrung an die Pumpe hängen, die Brötchen für die Bewohner im Konvektomat backen, die Kalenderblätter abreisen (darauf legt die Chefin großen Wert!), die große Spülmaschine einschalten, den Bewohner- und den Personalkaffee kochen, die Außentüren wieder öffnen …
Klar, es ist meine Arbeit. Welche Arbeit ist schon ein Zuckerschlecken? Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: ich bin platt nach zwei Nächten, und ich habe noch zwei Nächte vor mir. Wenigstens ist Wochenende, so dass die Chefs nicht noch mit ihren Reden die Luft verpesten.
Ich kann sagen, dass ich zur Zeit nach einem Block von vier Nachtdiensten glatt zwei Tage durchpennen könnte. Über meinen psychischen Zustand will ich hier gar nicht reden ..., - aber ich tue es ja die ganze Zeit. Ich funktioniere wie ein Automat, der kein Automat ist, der Mensch sein soll gegenüber den Bewohnern, der ein offenes Ohr für ihre Sorgen haben soll, der ihnen in der Not helfen soll, der Mitgefühl entwickeln soll …
Es gibt eine Menge „Solls“, die ich leisten müsste, aber ich gebe offen zu, dass das ein oder andere „Soll“ die ein oder andere Nacht auf der Strecke bleibt. Trotzdem glaube ich (noch), dass ich meine Arbeit gut mache. Ich weiß nicht. Es kommen von der Chefin kaum Rückmeldungen – sie sagt meist nur, was ich machen „soll“. Und die Kollegen haben mit sich zu tun – sie sind ebenso in ihren Diensten eingespannt. Ein paar Bewohner zollen einem ab und zu Respekt und geben einem Zuspruch. Sie sehen, was los ist. Ich will gar kein Mitleid. Es ist, wie`s ist. Bis der Buckel krumm ist, und man selbst Pflege braucht.
Zwei Nächte noch. Die werden wie immer auch rumgehen.

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