Samstag, 13. Juli 2019

Eine Woche rund ums Handy/Smartphone


Wie kann man so schusselig sein? Nach Feierabend wollte ich das Ding endlich klarmachen. Ich kaufte mir also einen geeigneten Versandkarton, faltete den zuhause zusammen, klebte die Paketmarke drauf, dachte daran, aus dem Smartphone die SIM-Karte zu nehmen, schaltete das Smartphone aus, steckte es zur Sicherheit in einen gepolsterten Umschlag, – diesen dann in den Karton, legte Reparaturschein und Kaufvertrag dazu… Fertig! Ich schwang mich auf mein Bike und radelte zum nahen DHL Shop, einer der unzähligen Kioske, die nebenbei noch Paketdienste anbieten. Danach gleich wieder zurück zur Wohnung – Uff! dachte ich, das wäre erledigt – nun nur noch mein altes Handy mit der SIM-Karte flott machen. Aber Pustekuchen! Ich alter Schussel hatte nur die Speicherkarte entfernt! In der Eile entnahm ich nur die Karte, die obenauf lag. Sollte ich nochmal zurückradeln? Ich stellte mir vor, wie ich dem Türken mein Missgeschick erklärte – nein, darauf hatte ich keinen Bock. Ich war müde. Ich wollte endlich vorm TV chillen und mir dabei etwas zwischen die Kiemen schieben.

Am nächsten Tag fuhr ich zum Telekomshop in den Potsdamer Platz Arkaden. Ein schöner kleiner Fahrradausflug nach Feierabend. Prima! Ich wollte wissen, ob ich vielleicht besser die Karte sperren lassen sollte. Auf jeden Fall musste ich wieder telefonieren können. Der Telekom-Mittarbeiter riet mir von einer Sperrung ab. Das Smartphone wäre schließlich nicht gestohlen, außerdem würde es mich 30 Euro kosten. Gut, er hatte mich so gut wie überzeugt – also kaufte ich mir für 15 Euro eine Prepaid-Karte und machte mein altes Handy damit flott. Für die Zeit der Reparatur bin ich nun freilich nicht auf meiner eigentlichen Rufnummer zu erreichen. Dazu muss ich erklären, dass ich zwar einen Festnetzanschluss habe, an welchem aber kein Telefon hängt. Überall gab ich meine Mobilnummer an. Hoffentlich dauert die Reparaturgeschichte nicht zu lange. Aber mich ruft sowieso kein Schwein an – meine privaten Kontakte tendieren gegen Null. Außer meinem Arbeitgeber (den Bürohühnern) und ein paar Bloggern würde niemand merken, wenn ich nicht mehr da wäre.

So weit so gut. Das alte Handy tuts auch. Allerdings fehlt es ihm an Speicherplatz. Im Biergarten höre ich ab und zu gern über Ohrstöpsel Musik. Also nach Feierabend erneut einen kleinen Ausflug gemacht, dieses Mal zur Mall of Berlin am Leipziger Platz. Dort gibt es einen Saturn-Markt. Schön. Ich hasse Einkaufscenter, insbesondere die, die wie Irrgärten angelegt sind. Und dann diese vielen Menschen, dieser überbordende Konsum – mir wird schlecht, wenn ich nur dran denke. Also ging ich stracks zum Saturn, besorgte mir die Speicherkarte und verließ diesen Ort kapitalistischer Verkommenheit schnell wieder.

Wider Erwarten riss gestern zum Feierabend ins Wochenende der Himmel auf. Ich saß im Biergarten und genoss über Ohrstöpsel meine Musik. Was für eine beknackte Welt, dachte ich immer wieder, gar nicht speziell auf meine Woche gemünzt, sondern ganz allgemein.

Sonntag, 7. Juli 2019

Aufgefangen


Eine Invasion von Schmetterlingen hier… dazu brütende Hitze… Nein, kein Delirium wie damals, als ich morgens in einem Zimmer voller Schmetterlinge aufwachte… Aber kurz vor einem Hitzschlag dürfte ich sein.

Ein polnischer Wurzelzwerg, auch auf Fahrradreise, perfekt ausgerüstet und durchtrainiert erscheint plötzlich neben mir und spricht mich an… Ich gehöre nicht zu seiner Rasse.

18 Uhr, und es ist immer noch so heiß, dass es mir das Gehirn wegknallt… Am Horizont Kumuluswolken.

Ich erinnere mich an meine ersten Reiseabenteuer, als ich im jugendlichen Alter von 19 alleine per Interrail in Sizilien war… furchtbar unbeholfen, einsam – total auf mich zurückgeworfen… tapfer…

Ich weiß, dass ich sowas, wie den Everest ersteigen, nie hinkriegen würde (und auch gar nicht will) …, aber ich hatte eine Menge Abenteuer in meiner Dimension, auf die ich stolz sein kann… Prost!

Ich radle durch Pfützen, so groß wie Badewannen.

Leben zu spüren – direkt mit allen Konsequenzen, alleine im Dialog mit sich selbst… und an seine Grenzen kommend; am Morgen nicht zu wissen, wo man am Abend landet…

Ich kann den Alkohol nicht verdammen. Er war gerechter als die meisten Menschen zu mir.

In Polen ist der Geldbeutel immer dick, ohne dass wirklich was drin ist.

Wäre ich in dem Hexenwald umgefallen und bewusstlos liegengeblieben, in Kürze hätten mich die Viecher bis auf die Knochen aufgefressen.

Die Weinflasche liegt neben der Urinflasche im Zelt… Brüder im Geiste.

Vieles, was ich erlebte, war so eindrücklich – und doch bleiben nach Jahren davon nur Schatten.

Was mich auf meinen Reisen in andere Länder immer wieder verwundert: Kaum befindet man sich hinter der Landesgrenze, reden alle plötzlich chinesisch… Wie können Sprachen benachbarter Länder so gravierend unterschiedlich sein?

Was ist der scheiß Willen wert, wenn man nicht zwischendurch an seine Grenzen geht?

Samstag, 6. Juli 2019

Schrei(b)en


Das Schreiben hilft mir bei der Selbstreflexion. Ich durchdenke mich selbst und die Dinge, die mir widerfahren, bewusster, wenn ich sie aufschreibe. Ebenso bedeutet mir das Schreiben als Mittel des kreativen Ausdrucks sehr viel, – Fantasien und Träume festzuhalten, an ihnen zu basteln. Jahrelang schrieb ich voller Eifer Prosagedichte und Lyrik. Niemals ist, was ich schreibe, von meiner Person losgelöst, sondern stets eine Aufarbeitung meines Denkens und meiner Lebenssituation. Ich mag die „Echtheit“, – die Authentizität bei Menschen wie bei Sachen. Also z.B. Handarbeit lieber als maschinell Gefertigtes. Und bei Menschen mag ich vor allem die offenen und ehrlichen Wesen, und nicht die Opportunisten, Populisten/Demagogen und Karrieristen. Ich habe ein gutes Gespür dafür, die ehrlichen Wesen von den verlogenen zu trennen (außer ich bin verliebt). Schon als Kind mied ich das Umfeld der Großmäuler.
Wer nicht mit den Wölfen heult, läuft freilich Gefahr, alleine zu bleiben. Darum hat das Schreiben auf den Blogs für mich eine besondere Wichtigkeit. Hier kann ich, obwohl alleine, meine Erfahrungen mit anderen Menschen teilen. Ich fühle mich weniger isoliert. Auch als Einzelgänger brauche ich ein soziales Feedback, sonst verkümmern meine geistigen und emotionalen Kräfte – jedenfalls langfristig.
Ich will darum allen danken, die auf meinen Blogs lesen und kommentieren. Sie glauben vielleicht nicht, was mir diese Resonanz bedeutet.



1980, im zarten Alter von Sechzehn, verfasste ich folgenden Text:

Ich will schreiben – ein Pinselstrich – noch habe ich keine Vorstellung. Ich lasse mich treiben von meinem Charakter, meinen Eigenarten, schreibe Worte nur so, die nichts sagen, gar nichts – nur so – eine Komposition, ein Gemälde gekleidet in Phrasen meines Intellekts, meiner Gedankengänge…
Was davon ist echt? Wie viel davon von mir, ganz von mir und nicht von den anderen?
Ich lernte sprechen und schreiben, ich schreibe Phrasen, die bestehen aus ihren Worten; aus ihren Strichen, aus ihren Farben zeichne ich ab, was sie mir vorgeben, und ich zeige ihnen eine neue Konstellation, eine andere Einstellung zum Leben – mische neue Farben, zeichne neue Formen, bereichere diese Welt – ein endloses Puzzle. Ich, ein neues Teil, werde eingefügt in eine Lücke. Wer setzt es zusammen?


Tja


Anscheinend wurde ich bei meiner Fahrt durch Polen derart durchgeschüttelt, dass nun eine Taste meines Outdoor-Smartphones (von mir unbemerkt) abfiel. Ärgerlich, da ich das Teil erst vor einem Jahr kaufte. Ich werde es wohl einschicken – schließlich habe ich Garantie drauf.
Nachher bei der Morgentoilette werde ich mich mal etwas sorgfältiger im Spiegel betrachten. Kann ja sein, dass an mir auch etwas abfiel. Ein Ohr zum Beispiel, oder so ein anderes Kleinteil…
Nein, ganz im Ernst: Oft bemerkt man kleine Veränderungen erst nach Tagen oder Wochen. Dazu zwei Beispiele: Erst einige Monate nach dem Einbruch (November 2015) fiel mir in einem hellsichtigen Moment auf, dass der Einbrecher auch das Sparschwein mit dem Kupfergeld mitgehen ließ. Eigentlich war es vom Bett aus gesehen gut sichtbar auf dem Kleiderschrank gestanden.
Und aktuell, als ich wie jeden Werktag in der Kupferkanne meine Mittagspause machte, beim Bier verträumt auf die Steinmetzstraße schaute, wurde mir plötzlich gewahr, dass die eigentlich unübersehbare Litfaßsäule verschwunden war. Ich sprach Gabi, die Bedienung, darauf an, und sie sagte, dass die schon einige Tage weg sei. Auch sie hatte es nicht gleich registriert.
Typisch Wahrnehmungspsychologie – wir kriegen weniger mit, als wir denken, und unseren Erinnerungen dürfen wir sowieso nicht vertrauen. Vieles ist vom Gehirn getürkt.

Samstag, 29. Juni 2019

Letzter Urlaubstag


Der Urlaub war derart intensiv, dass ich nur wenig ans Büro und die Hühner dachte. Ich finde es irreal, dass ich morgen wieder an meinem Schreibtisch sitzen werde, mir aus dem Panzerschrank einen neuen Stapel Tumorfälle greife… Wenigstens eine kurze Woche für mich. Hoffentlich hat sich meine Kollegin wieder gefangen und ist aus dem Krankenstand zurück, so dass ich nicht alleine im Zimmer hocke. Ich spürte, dass sie irgendwas ausbrütete. Mehr psychisch. Sie ist keine einfache Person… Die angesagte Hitze wird uns ganz schön zu schaffen machen. Ich sollte mich morgens sputen, damit ich möglichst früh auf Arbeit bin. Bis in den späten Nachmittag am Schreibtisch zu schwitzen, ist kein Vergnügen – das habe ich noch gut vom letzten Sommer in Erinnerung.
Also wieder ran an den Speck, d.h. Krebs!
Mir bleibt, am letzten Urlaubstag zu relaxen und früh ins Bett zu gehen. Zum Frisör wollte ich noch, die restlichen Zloty zurückwechseln, umgerechnet 10 Euro. Mein Bedarf an Polenreisen ist für dieses Jahr gedeckt.

Montag, 24. Juni 2019

Nix verstan


Was einem nicht alles durch den Kopf geht auf so einer Fahrt. Man quasselt sich selbst zu. Ein Problem mit dem Alleinsein sollte man nicht haben. Dazu gehört auch die Toleranz zum eigenen Scheiße- oder Unsinn denken. Meine einzigen menschlichen Kontakte hatte ich, wenn ich am Nachmittag einen Zeltplatz klar machen musste. Da kam es dann sogar mal zu einem Gespräch mit einem anderen menschlichen Wesen. Die Kommunikation in Polen lief fast ausschließlich über Zeichensprache und ein paar Brocken Englisch. Man fühlt sich automatisch fremd und ausgeschlossen, wenn man so gar kein Wort von dem versteht, was die Leute um einen herum reden. Diese Sprachbarriere empfinde ich im Ausland immer als das größte Manko. Aber naja, was sollen die Polen, die neben mir sitzen, schon quatschen, sicher dasselbe profane Zeug wie die Menschen im eigenen Lande auch. Trotzdem hört sich eine fremde Sprache in meinen Ohren immer erstmal so an, als würde gerade über total großartige Sachen palavert – und es entsteht ein Minderwertigkeitsgefühl, jedenfalls bei mir.
Nun zurück in Berlin befinde ich mich wieder in meiner Sprachsphäre (Sarkasmus ist erlaubt) – wie angenehm!
Ich war also in den letzten Wochen weitgehend mit mir und meinen Gedanken alleine. Ein paar Punkte notierte ich mir. Darunter folgender: Ist es nicht verrückt, dass wir Menschen uns vor der Natur und gleichzeitig die Natur vor uns schützen müssen. Solche Sätze fielen mir eine Menge ein, während ich auf meinem Fahrrad durch die Landschaft holperte. Zum Weiterdenken kam ich nicht, weil ich mich zu sehr auf den Weg konzentrieren musste…

Da war ich


Ich war an meinem erklärten Reiseziel verflucht dicht dran, also musste ich den letzten Schritt auch noch tun, zumindest um ein paar Postkarten zu kaufen und Fotos zu schießen. Von Sopot, wo ich zuletzt für drei Nächte mein Zelt aufschlug, waren es etwa 15 Kilometer bis in die Danziger Innenstadt. Zuerst einmal wollte ich am Bahnhof mein Rückreiseticket kaufen. Danach schmiss ich mich ins touristische Gewimmel. Grausig…, fast wie in Heidelberg (meine alte Heimat) nur zwei Dimensionen größer und noch voller – ich wollte nach Danzig, und jetzt war ich in Danzig. Okay, es gibt dort wirklich viel Sehenswertes zu knipsen, und in den Seitensträßchen fand ich einige Plätze mit Liebreiz – mehr nach meinem Geschmack. Ich unternahm also an beiden Tagen meines Aufenthalts je einen Ausflug in die Stadt. So war ich wenigstens beschäftigt. Ein Problem am Ende einer solchen Radreise ist eine gewisse Starre, in die du verfällst. Plötzlich gibt es kein Ziel mehr – da ist kein Weg mehr, den du bewältigen musst. Du schlappst in der Fremde umher, und die Einsamkeit setzt sich wie ein fetter Sumoringer auf deinen Brustkorb.
Nach einer Stunde in einer Schlange am Ticketschalter des Bahnhofs machte ich mich auf die Suche nach dem eigentlichen Zentrum. Ich war noch nicht besonders weit, als vor mir eine Rockerkneipe auftauchte. Ich konnte nicht umhin, mich erstmal auf die Terrasse zu setzen und ein paar Zywiec zu süffeln, die dort favorisierte Biermarke, ansonsten auch Tyskie. Aus einem Außenlautsprecher tönte ZZ Top. Ich hatte Zeit.

Durchgeschüttelt


Ich schaffte es, während meiner Reise (12 Tage) keinen Bissen zu essen, – ernährte mich ausschließlich von Säften, Wodka, Bier und Rotwein. Es fiel mir nicht besonders schwer. Nach wenigen Tagen ist das Hungergefühl weg. Da ich viel schwitzte, musste ich hauptsächlich für sehr viel Flüssigkeit sorgen. Abends war ich so geschlaucht, dass ich mich mit einer Flasche Roten ins Zelt legte und mit meiner Lieblingsmusik in den Ohren dahindämmerte…
Eine sehr gute Anschaffung vor meinem Reiseantritt war der Kauf einer Urinflasche. Die Zeltnächte verliefen dadurch viel entspannter. Denn, was man tagsüber wegsäuft, muss schließlich wieder raus.
Inzwischen wurde ich, was das Essen angeht, rückfällig. Zuhause ist es eben etwas anderes. Eigentlich wollte ich noch die Tage, bis ich wieder arbeiten muss, durchhalten.
Mein Gott, wie schnell die Tage verflogen – wie im Rausch (lach!).
Ich lernte unterwegs alle Arten Kopfsteinpflaster und Panzerplatten kennen. Mein Gehirn wurde durchgeschüttelt wie ein Cocktail im Mix-Becher. Aber es nahm keinen Schaden… Ist halt ein Qualitätshirn. Wie auch meine Ausrüstung, hauptsächlich Fahrrad und Zelt, dank ihrer Qualität durchhielten. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, die Wege. Die Wege waren beschissen in Polen: Kies- und Schotterwege, steinige und sandige Waldwege, Landstraßen mit unzähligen Schlaglöchern… Es schüttelt mich immer noch, wenn ich dran denke. Dann und wann ließen sich die verkehrsreichen Landstraßen nicht vermeiden. Oft waren es endlose Alleen. Wie ein Affe auf dem Schleifstein radelte ich an den (unbefestigten) Straßenrand gepresst, die Sinne hellwach, Kilometer für Kilometer… Wirklich gute Wege, auf denen ich entspannen und die wunderbare Natur um mich herum genießen konnte, gab es wenig. Einer davon führte mich in der Hitze des Nachmittags von Krokowa nach Swarzewo an die Danziger Bucht, wenige Kilometer unterhalb der Halbinsel Hel. Danzig lag in Schlagweite. Ich war so gut wie am Ziel. In die Notiz-App meines Smartphones schrieb ich: „Das Ziel erreicht zu haben, ist irgendwie nichts Besonderes mehr, wenn man dort ist.“

Das Unwetter auf Hel


Die Halbinsel Hel hängt 34 Kilometer wie ein fransiger Strich bei Wladyslawowo in die Danziger Bucht. Ich hatte einen ziemlich harten Tagesritt hinter mir und suchte dort lediglich einen Übernachtungsplatz. Der nächste Campingplatz auf meiner Tour lag erst bei Sopot, und bis dahin war es mir zu weit. Die letzten Tage verliefen wettermäßig im Wechsel regnerisch und heiß. Ich musste mein Zelt am Morgen oft nass einpacken, weil es in der Nacht Gewitter gab. Die Tage begannen dann düster, mit Regenschauern durchsetzt. Aber nachmittags setzte sich irgendwann die Sonne durch, und es wurde heiß auf der Strecke. Scheiße heiß – wenn man auf dem Bock über Stock und Stein, bergauf-bergab durch Pommernland radelte. Ich kam nicht selten an meine Grenzen. Nicht unbedingt körperlich, aber moralisch.
Ich war halbwegs zufrieden mit meiner Tagesleistung, als ich beim zweiten Campingplatz auf Hel das Zelt aufbauen durfte. Ich wurde auf meiner Reise ein paarmal abgewiesen. Viele Campingplätze nehmen gar keine Zelte an – nur noch Wohnwägen und Campingbusse, oder sie spezialisierten sich auf Wohncontainer. Das mit dem Zelten scheint immer mehr aus der Mode zu kommen. Die Menschen stehen nicht mehr auf solch Hardcore-Camping. Sie verweichlichen immer mehr. Warum soll man gerade im Urlaub auf Bequemlichkeiten verzichten? Nun ja, ich bin auch eine bequeme Sau… Aber genau deswegen gebe ich mir solche Fahrrad-Reisen, um nicht noch mehr abzustumpfen. Der westliche Konsumsumpf macht dich doch irgendwann blöde, so dass du nicht mehr weißt, ob du noch lebst oder schon total zum Zombie wurdest.
Der Tag endete heiß auf Hel, aber dass es auch in dieser Nacht gewittern würde, zeichnete sich am Horizont bereits ab. Wenigstens schlief ich in einem trockenen Zelt ein, auch wenn ich es am Morgen für die Reise wieder nass einpacken müsste. Gegen Mitternacht begann das Inferno. Ich kann mich nicht entsinnen, ein solches Agglomerat an Unwettern jemals so direkt erlebt zu haben. Wie versteinert lag ich in meinem Schlafsack. Unmöglich diese Dichte an Blitz und Donner zu schildern. Dazu die Wasserfluten, die in Kürze vom Himmel herabgingen, auf mein Zelt eintrommelten, – der Wind, der in Böen an diesem fragilen Gebilde, in dem ich armes Würstchen meine Schlafruhe suchte, zerrte. An Schlafen war unmöglich zu denken. Das Wasser unterspülte das Zelt. Mit einem Rest Humor, dachte ich: Aha, so fühlt sich also ein Wasserbett an. Gut, dass der Zeltboden dichthielt. Zwischendurch hörte ich von draußen diffus Stimmen von Mitcampern. Neben mir zeltete eine Gruppe junger Leute, die offenbar einiges zu tun hatten. Der Lichtkegel einer Taschenlampe streifte meine Zeltwand, und der Schatten meines draußen ausharrenden Fahrrads zeichnete sich darauf ab. Indessen ließ das Unwetter kaum nach. Ich lag auf meinem neuen Wasserbett und hoffte-betete, dass es da draußen bald ruhiger würde.
Am Morgen war der Spuk vorbei – als hätte ich nur einen wüsten Traum gehabt. Einen äußerst wüsten Traum mit Todesängsten. Von meinen Nachbarn nichts mehr zu hören. Sie schliefen nach der nächtlichen Aufregung sicher erstmal aus. Eines ihrer Zelte hatten sie auf eine erhabenere Stelle umgesetzt. Das Wasser unter meinem Zelt war inzwischen abgeflossen. Die Helligkeit des Tages holte mich zurück in die Wirklichkeit. Wie schön, dem Vogelgezwitscher zu lauschen…
Ich schlappte durch die Nässe zu den Sanitäranlagen mich waschen, vorbei an den Wohnwägen, Wohnmobilen und dicken SUVs. Der Campingplatz lag wie ausgestorben da. Wir waren alle davongekommen. Manche besser, andere schlechter.

Freitag, 21. Juni 2019

Karl-Heinz


Endlich fertig ausgepackt. Die Waschmaschine läuft mit der Schmutzwäsche…
Der Ritt durch Pommern war eine echte Ochsentour. Schön, dass ich noch ein paar Tage zum Relaxen habe, bevor ich zur geliebten Büroarbeit zurückkehren muss. Die geschundenen Glieder schmerzen. Sonnenverbrannt glotze ich in den Tag. In Berlin ist die Luft zum Schneiden. Ich schwitze vom Nichtstun.
Meine Ankunft im Pub begossen. Dabei an der Bar so viel gequatscht wie selten. Kaum über meine Reise, sondern über Liebe, Sex, Musik, Kultur… das Leben überhaupt. Ich lernte Karl-Heinz kennen, einen Rentner, der, wie er sagte, alles hinter sich ließ und sich im Norden Schwedens niederließ. Nun war er mal wieder zu Besuch. Er reist viel herum. Wie kamen wir überhaupt ins Gespräch? Ach ja, er stand plötzlich an der Bar neben mir und meinte zum Wirt, dass die Nutten in Berlin keinen Stil mehr hätten. Alles nur noch Ramsch. Die besten Zeiten Berlins müssen die Zwanziger gewesen sein. Ich stimmte ihm zu. In meinem Bücherregal stehen einige Romane, deren Protagonisten im Berlin dieser Jahre liebten, feierten und litten. Viele meiner Lieblingsdichter und Maler lebten damals – was für ein prickelndes Milieu an kreativen Freigeistern und lasziver Halbwelt!
Wir quatschten munter drauflos. Nach einer Reise des Schweigens hatte ich offenbar Redebedarf. Mir gefiel Karl-Heinz` Offenheit. Er war auf kauzige Art lustig. Vom Thema Sex kamen wir zur Liebe und wieder zurück zum Sex. Er erzählte mir von seiner Neigung zu SM und seinen Erfahrungen. Mit jedem Bier gab er mehr intime Details preis. Bei dem Thema kann ich nicht mitreden, also versuchte ich das Gespräch immer wieder zurück auf Liebe und Beziehungen zu lenken. So ging das hin und her. Er meinte, Frauen würden anders lieben als Männer, mehr in Hinsicht auf ihre Eigeninteressen, möglicherweise sei das in ihre Natur eingewebt/eingewoben*. Obwohl es z.B. zwischen den Ost- und Südeuropäerinnen schon Unterschiede gäbe. Z.B. wären Spanierinnen in Sachen Liebe treuer und duldsamer. In Hinblick auf meine Ex konnte ich Karl-Heinz darin nicht ganz widersprechen. Ansonsten bin ich gegen solche Pauschalisierungen. „Ich bin einfach zu gutmütig“, wiederholte er mehrmals und schilderte einige Fälle, wo er von Frauen reingelegt wurde. Ich merkte, dass diese Sachen ziemlich an ihm nagten. Also bohrte ich nicht weiter nach und ließ ihn wieder von seinem Lieblingsthema SM quatschen…
Später gesellte sich noch ein waschechtes Berliner Mädel zu uns, auch schon in den Jahren, eine der Stammkundinnen. Genau nach Karl-Heinz` Geschmack. Er versuchte sie anzumachen, aber sie war zu abgebrüht. Wir redeten und redeten und redeten… nun mehr über Musik – Musik von früher im Vergleich zu jetzt. Wir wetteiferten mit Interpreten, die uns gerade in den Sinn kamen, bis wir fast alle nennenswerten aus den Sechzigern und Siebzigern zusammenhatten…
Karl-Heinz verabschiedete sich zuerst. Seine Visitenkarte steckt an meiner Pin-Wand. „Vielleicht besuchst du mich mal in Schweden“, sagte er.



*sucht`s Euch aus

Samstag, 8. Juni 2019

Urlaub im Irgendwo


Gehe einmal im Jahr an einen Ort, an dem du noch niemals warst.
(Tenzin Gyatso, Dalai Lama)



So ist das mit dem Urlaub – plötzlich ist er da. Fast ein bisschen zu schnell. Man müsste wie auf einer warmen Welle hineingleiten können. Den Bürohühnern noch kurz erzählt, wo es hingeht, wann ich wiederkomme, und plötzlich stand ich draußen, in dem Bewusstsein die Arbeit für gut zwei Wochen hinter mich zu lassen. Kein so schlechtes Gefühl, aber irgendwie brutal.
Über Berlin braute sich etwas zusammen. Die Luft war schwül und aufgeladen. Ich konnte nicht weit denken. Erstmal ein Bier trinken gehen. Nein, erst Einkaufen, dann ein Bier trinken gehen. Im Pub saßen nur wenige Hansels. Schön. Ich setzte mich an die Bar und schaute hin zur offenen Eingangsfront. Allerlei menschliche Wesen strömten vorbei, der Verkehr eine einzige zähe Blechwalze im Kreislauf der Stadt. Ich liebe diesen Ausblick. Er hat was Magisches. Ich tauchte mit meinen Sinnen völlig ein in das Wesen der City, ohne mittendrin zu sein. Ich saß in einer Bucht des Friedens und der Gelassenheit, während ein paar Meter entfernt der Wahnsinn seinen unaufhaltsamen Gang nahm. Das kalte Bier war ein Segen.
Nach dem zweiten griff ich mir eine Zeitschrift. Der Himmel öffnete seine Schleusen. Wir warteten darauf. Alles wartete darauf. Berlin im Regen. Endlich. Ich saß im Trockenen und schaute hinaus auf das Naturspektakel…
Etwas bange wird mir, wenn ich an meinen Urlaub denke mit Fahrrad und Zelt. Doch das wichtigste eines solchen Urlaubs ist eben, sich wiedermal hinauszuwagen, weg vom Ort der Gewohnheit und Geborgenheit; und das schönste und intensivste Reisen ist in meinen Augen das Wandern zu Fuß oder mit dem Fahrrad*.

Noch sitze ich im Schutze meiner Wohnung und blinzele in den Tag. Ich träume mich auf die Strecke. Ich träume mich hin zum Horizont. Meine Heimat liegt dort (irgendwo).



*wobei ich das Fahrrad vorziehe

Freitag, 7. Juni 2019

Antimaterie


Wir leben also alle in einer Computersimulation, weil sich Materie- und Antimaterieteilchen nicht gegenseitig auslöschten, was sie aber nach heutigem Stand der Physik hätten tun müssen – damals beim Urknall. Das Universum, wie wir es heute sehen, dürfte es gar nicht geben. Gut. Ich wusste schon immer, dass irgendwas faul an der Sache ist. Aber eine Computersimulation? Nicht, dass ich so ein Leben in der Matrix für unmöglich hielte, aber wer oder was hat sie konstruiert? – und wozu der ganze Scheiß? Gott als Cyber-Freak?

Sonntag. Meine Waschmaschine läuft. Ich stelle mir vor, sie wäre eine Art Miniatur-Teilchenbeschleuniger, komme aber mit dem Gedanken nicht recht weiter… Ich habe ein Fantasieproblem. Vielleicht liegt es an der Hitze. Vielleicht habe ich noch nicht genug Drinks intus. Der Tag liegt vor mir wie ein offenes Scheunentor ohne Ideen. Das Pub öffnet erst 17 Uhr. Der Wirt ist in Urlaub. Bleibt freilich der Biergarten, der aber am Nachmittag brechend voll sein wird. Raus will ich auf alle Fälle. Vielleicht mit ein paar eisgekühlten Getränken in den nahen Park setzen und lesen: „Omon hinterm Mond“ von Wiktor Pelewin. Den Autoren kann ich nur empfehlen – sehr gut, wenn man ein Fantasieproblem hat.
Nur nicht zu früh starten, sonst kacke ich ab – wie gestern. Ich unterschätzte das Gemenge von Hitze, Sonne und Alkohol. Als ich am späten Nachmittag im Pub ankam, strich ich bereits nach einem Bier wieder die Segel. Normalerweise verlasse ich den Laden nicht unter drei. Es war mir fast peinlich – schließlich hat man seine Trinkerehre.

Wie aus dem Nichts kommt mir die Idee für einen Cocktail, den ich „Antimaterie“ nenne und im Schleudergang meiner Waschmaschine mixe. Geil.
Allen einen schönen Sonntag!

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