Das Unwetter auf Hel


Die Halbinsel Hel hängt 34 Kilometer wie ein fransiger Strich bei Wladyslawowo in die Danziger Bucht. Ich hatte einen ziemlich harten Tagesritt hinter mir und suchte dort lediglich einen Übernachtungsplatz. Der nächste Campingplatz auf meiner Tour lag erst bei Sopot, und bis dahin war es mir zu weit. Die letzten Tage verliefen wettermäßig im Wechsel regnerisch und heiß. Ich musste mein Zelt am Morgen oft nass einpacken, weil es in der Nacht Gewitter gab. Die Tage begannen dann düster, mit Regenschauern durchsetzt. Aber nachmittags setzte sich irgendwann die Sonne durch, und es wurde heiß auf der Strecke. Scheiße heiß – wenn man auf dem Bock über Stock und Stein, bergauf-bergab durch Pommernland radelte. Ich kam nicht selten an meine Grenzen. Nicht unbedingt körperlich, aber moralisch.
Ich war halbwegs zufrieden mit meiner Tagesleistung, als ich beim zweiten Campingplatz auf Hel das Zelt aufbauen durfte. Ich wurde auf meiner Reise ein paarmal abgewiesen. Viele Campingplätze nehmen gar keine Zelte an – nur noch Wohnwägen und Campingbusse, oder sie spezialisierten sich auf Wohncontainer. Das mit dem Zelten scheint immer mehr aus der Mode zu kommen. Die Menschen stehen nicht mehr auf solch Hardcore-Camping. Sie verweichlichen immer mehr. Warum soll man gerade im Urlaub auf Bequemlichkeiten verzichten? Nun ja, ich bin auch eine bequeme Sau… Aber genau deswegen gebe ich mir solche Fahrrad-Reisen, um nicht noch mehr abzustumpfen. Der westliche Konsumsumpf macht dich doch irgendwann blöde, so dass du nicht mehr weißt, ob du noch lebst oder schon total zum Zombie wurdest.
Der Tag endete heiß auf Hel, aber dass es auch in dieser Nacht gewittern würde, zeichnete sich am Horizont bereits ab. Wenigstens schlief ich in einem trockenen Zelt ein, auch wenn ich es am Morgen für die Reise wieder nass einpacken müsste. Gegen Mitternacht begann das Inferno. Ich kann mich nicht entsinnen, ein solches Agglomerat an Unwettern jemals so direkt erlebt zu haben. Wie versteinert lag ich in meinem Schlafsack. Unmöglich diese Dichte an Blitz und Donner zu schildern. Dazu die Wasserfluten, die in Kürze vom Himmel herabgingen, auf mein Zelt eintrommelten, – der Wind, der in Böen an diesem fragilen Gebilde, in dem ich armes Würstchen meine Schlafruhe suchte, zerrte. An Schlafen war unmöglich zu denken. Das Wasser unterspülte das Zelt. Mit einem Rest Humor, dachte ich: Aha, so fühlt sich also ein Wasserbett an. Gut, dass der Zeltboden dichthielt. Zwischendurch hörte ich von draußen diffus Stimmen von Mitcampern. Neben mir zeltete eine Gruppe junger Leute, die offenbar einiges zu tun hatten. Der Lichtkegel einer Taschenlampe streifte meine Zeltwand, und der Schatten meines draußen ausharrenden Fahrrads zeichnete sich darauf ab. Indessen ließ das Unwetter kaum nach. Ich lag auf meinem neuen Wasserbett und hoffte-betete, dass es da draußen bald ruhiger würde.
Am Morgen war der Spuk vorbei – als hätte ich nur einen wüsten Traum gehabt. Einen äußerst wüsten Traum mit Todesängsten. Von meinen Nachbarn nichts mehr zu hören. Sie schliefen nach der nächtlichen Aufregung sicher erstmal aus. Eines ihrer Zelte hatten sie auf eine erhabenere Stelle umgesetzt. Das Wasser unter meinem Zelt war inzwischen abgeflossen. Die Helligkeit des Tages holte mich zurück in die Wirklichkeit. Wie schön, dem Vogelgezwitscher zu lauschen…
Ich schlappte durch die Nässe zu den Sanitäranlagen mich waschen, vorbei an den Wohnwägen, Wohnmobilen und dicken SUVs. Der Campingplatz lag wie ausgestorben da. Wir waren alle davongekommen. Manche besser, andere schlechter.

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