Mittwoch, 26. November 2014

Mittwochs-Weisheit

"Man tötet einen Menschen, und man ist ein Mörder. Man tötet Millionen, und man ist ein Eroberer. Man töte sie alle, und man ist ein Gott."
- Jean Rostand, Pensées d'un biologiste

Sonntag, 23. November 2014

Können Mörder lieben?


Seit meiner Kindheit tauchen willkürlich Fragen vor meinem geistigen Auge auf. Ich weiß oft nicht, warum sie mir in den Sinn kommen. Plötzlich sind sie da wie eine Katze, die von außen durchs Fenster hinein stiert. Die Katze springt nach kurzem wieder davon, aber die Frage kriege ich so schnell nicht mehr los. Manche Fragen kommen mir vor wie Wasserleichen, die lange auf dem Grund liegen und eines Tages vor mir wie Schreckgespenster auftauchen. Die Fragen haben dicke, bleiche Gesichter. Ich trage sie mit mir Tag und Nacht herum. Willkürlich blitzen sie auf – wenn ich z.B. auf dem Klo sitze und sie gar nicht erwarte. Man kennt ähnliches mit den Melodien, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Eine Frage hält sich seit Jahren sehr hartnäckig. „Glaubst du an Gott?“ Natürlich glaube ich nicht an Gott, und trotzdem hockt diese Frage in meinem Kopf wie ein Geschwür, das ab und zu juckt. Ich habe mich an sie bereits gewöhnt. Vor Kurzem klopfte eine neue Frage, eine noch nie dagewesene, an die Tür meines Oberstübchens. Ziemlich unverschämt zu nachtschlafender Zeit. Ich hatte mir die DVD "Mann beißt Hund" angeschaut, den DVD Player ausgeschaltet, und kringelte mich zum Schlafen in meinem Bett.
„Können Mörder lieben?“ fragte eine Stimme, die ich als meine innere Stimme identifizierte, immer drängender, so dass ich nicht umhin kam, mir einige Gedanken dazu zu machen. Es entsponn sich ein innerer Dialog:

- Aber selbstverständlich können Mörder lieben – was fragst du so blöde? Überall auf der Welt leben Mörder, die lieben, die Familie haben.
- Das ist wahr. Und ich finde es seltsam.
- Wieso?
- Weil es mir nicht in den Kopf will, wie ein Mensch, der seine Frau, seine Kinder, seine Eltern liebt, morden kann.
- Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun? Menschen töten - wie Raubtiere - und gründen Familien. Jeder ist sich selbst am nächsten. So wurde es von der Natur eingerichtet. Lebewesen sollen sich fortpflanzen. Der Mensch kann keine moralische Extrawurst spielen. Er ist nichts als ein besonders intelligentes Raubtier. Was heißt überhaupt „Morden“?
- Töten aus niedrigen Beweggründen, würde ich sagen. Sind wir nicht auch soziale, mitfühlende Wesen? Wie können wir einerseits morden und andererseits lieben? Das geht einfach nicht in meine Birne. Schau dir die Berichterstattung über die Kriege in der Welt an!
- Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit stellte dem Menschen schon immer ein Bein. Der Mensch will krampfhaft besser sein, als er es ist.
- Also, man kann an Gott glauben, man kann lieben … und trotzdem ein Mörder sein?
- Absolut. Der Mensch ist ein Schizo. Sein Denkapparat fickt ihn ins Knie. Moral ist was für Weicheier und Heuchler. Aus dieser Zwickmühle gibt es kein Entkommen. Es wird immer die Albert Schweizers sowie die Hitlers geben.
- Kann sein. Ich mag aber mehr Albert Schweizers als Hitlers. Kannst du dir vorstellen, dass Hitler liebte?
- Seine Mutter bestimmt.

„Können Mörder lieben?“

Langsam verklang die Frage wie ein Echo in meinem Kopf, während mich der Schlaf abholte und mit absurden Traumbildern zudeckte.
...

Könnte ich morden?

Samstag, 22. November 2014

TV-Tipp:

"Das Schwein von Gaza", 23 Uhr, BR

Baustellen


Der neue Vermieter schleicht ums Haus, beäugt und bewundert, was er schon alles schaffte.
Das Haus ist seit ein paar Wochen Baustelle, und ich bin der einzige Bewohner. Heute morgen sagte er mir, wie es weiter geht. Nächste Woche soll die Terrasse gefliest werden und die Fensterbretter kommen. Solange werde ich noch Dreck in der Wohnung haben. Ich putze nur das Gröbste. Es macht nicht viel Sinn. Fast jeden Tag hatte ich die Handwerker in der Wohnung. Gestern montierten sie die Rollläden. Jetzt am Wochenende habe ich endlich etwas Ruhe. Die letzten Tage flüchtete ich regelmäßig am frühen Vormittag und kehrte erst gegen Abend zurück.
Ich sitze am Computer. Die Sonne bemühte sich über den Bergkamm und schickt mir ihre Strahlen durch die neuen Fenster. Ich höre Baggerlärm … Sie rissen die Straße gerade unterhalb des Hauses auf, keine 20 Meter entfernt. Ich befinde mich inmitten von Baustellen. Ich selbst bin zur Zeit eine, bzw. ich fühle mich wie eine, spätestens seitdem ich Anfang der Woche beim Arzt war. Ich benötige Atteste für die Agentur für Arbeit. Am Ende wird sich herausstellen, dass ich tatsächlich ein Wrack bin. Es sieht ganz danach aus, als wäre auch ich sanierungsbedürftig ...





Dienstag, 18. November 2014

Unvergessen


Alles trieft vor Feuchtigkeit. Der Tag ist eine Waschküche. Die Sonne quält sich zu ein paar Strahlen durch die Wolken und Dunstschwaden. Das Haus umkleidet ein Gerüst. Meine Fenstersimse sind unverputzt. Neue Fenster wurden eingesetzt. Mein neuer Vermieter macht Butter bei die Fische. Er kaufte das alte Haus, um sich daran abzuarbeiten. Ein junger Mann. Eine sympathische Erscheinung mit angenehmer, intelligenter Stimme. Ich mag ihn. Er ist kein Schwätzer wie der alte Vermieter. Sein Tatendrang ist deutlich sichtbar. Er hat sich mit der „Bruchbude“ einiges vorgenommen.
Noch wohne ich hier. Natürlich hätte ich mir bei meiner Rückkehr angenehmere Wohnbedingungen gewünscht.
Der zweite Tag zuhause. Im Kopfe bin ich bei meiner Liebe und unserer gemeinsamen Zeit. Unsere Zukunft ist auf dem Weg. Wir schmiedeten Pläne. Sie konnte in Berlin erste berufliche Vorbereitungen treffen. Es schält sich immer klarer heraus, wohin die Reise geht.

Ich mag Menschen, die etwas riskieren und die Zukunft tatkräftig angehen. Ich selbst gehöre eher zu denen, die ihr Leben verträumen. Von Zeit zu Zeit muss auch ich den Arsch hoch kriegen. Es sieht ganz danach aus, dass es wieder so weit ist.
Ich bin (fast) 52 und liebe eine 17 Jahre jüngere Frau. Sie fordert mich. Manchmal bin ich überfordert. Das Wichtigste - sie liebt mich auch. Sie sieht in mir keinen in die Jahre gekommenen Mann. So genau weiß ich nicht, was sie in mir sieht.

Früher Nachmittag. Ich sitze am Computer und höre Musik. Die Stunden des Tages liegen leer vor mir. Meine Wohnung riecht nach Mörtel und Dichtungsmasse. Draußen tropft die Natur vor sich hin. Ein altes Lied von Pink Floyd läuft. „Shine On Your Crazy Diamond“. Manche Musik begleitet einen über Jahrzehnte …
Ich bin es. Ich bin es auch noch morgen und übermorgen. Ich bleibe bis zum Tod ICH. Ich hoffe nur, dass meine Erinnerungen nicht sterben werden. Wer bin ich ohne meine Erinnerungen?
Im Altenheim sah ich viele Menschen sterben. Einige vegetierten Monate, sogar jahrelang dement dahin. Ich erlebte, wie sie Wand an Wand dahinsiechten. Ich mache mir keine Illusionen mehr über das Leben und den Tod. Alles ist grausame Realität – nicht mehr und nicht weniger.

In Berlin sah ich an vielen Ecken große Armut und Armseligkeit. Die Großstadt ist ein Magnet für die Hoffnungslosen und Verrückten. Berlin vielleicht im Besonderen. Ich werde es nie lernen wegzuschauen. Jede arme Kreatur versetzt mir einen Stich ins Herz. Ein Wunder, dass ich es überhaupt so lange im Altenheim aushielt.
Trotzdem liebe ich Städte wie Berlin, weil sich dort an vielen Plätzen das Leben ungeschminkt abspielt. Nichts verabscheue ich mehr als Heuchelei und sogenannte „Leitfäden (z.b. von Altenheimen)“, wie sie u.a. im Foyer meiner letzten Arbeitsstätte aushängen. Da kriegt man als feinfühliger Mensch schon vom Lesen einen Burnout.

Ich schaue nicht gern in den Spiegel. Ich sehe zu viel, was mir nicht gefällt. Vielleicht hat die Welt nur eine Seele und wir sind nichts anderes als winzige, infinitesimal kleine und willkürliche Mosaike. Sowieso nur eine begrenzte Zeit lang. Nichts hat einzeln eine Bedeutung – nur das Gesamte.
Was wir uns einbilden als Menschen, ist eine andere Sache.

Ich glaube nicht an Gott, weil es nichts zu glauben gibt.

Schön, dass du mich liebst!

Donnerstag, 13. November 2014

TV-Tipp:

"12 Uhr mittags", 23 Uhr 35, MDR

Abschied von Berlin


Ein kühler, düsterer Novembertag, Nieselregen. Gestern Abend noch auf dem Fernsehturm gewesen - Panoramablick auf die Metropole bei Nacht. In den fünf Wochen ungeheuer viele Eindrücke – raumsprengend, und in der Summe ermüdend. Wunderschöne Erlebnisse und Stunden genossen – zu Zweit. Auch gegrübelt und gehadert – wie geht es weiter?
Nicht immer schien die Sonne. Aber insgesamt gesehen lief alles wie vorgesehen. Der Herbst schenkte uns herrlich bunte und milde Tage.
Nun zählen wir bald die Stunden bis zum Abschied. Ein wichtiger Abschnitt dieses Jahres wechselt ins Reich der Erinnerungen. Schwer ist mir ums Herz.
Zuhause warten eine neue Außentür und neue Fenster auf mich. Die neuen Vermieter begannen mit der Außensanierung während meiner Abwesenheit. Es warten Termine bei der Agentur für Arbeit und Arztbesuche. Der Winter mit einsamen, eisigen Tagen liegt vor mir.

Das Glück zu tragen, braucht Kraft und Geduld. Nicht immer hatte ich die im Leben und ließ das Schöne und Wertvolle verkümmern.
Die eigentliche Reise begann erst … Der Abschied von Berlin ist nur die erste Station.




"ICH KOMME WIEDER!"

Dienstag, 11. November 2014

4 Minuten


Ich falle durch die Tage wie durch Räume. Die Zukunft besitzt eine ungeheure Schwerkraft. Türen schließen sich zu Vergangenem, Türe öffnen sich zu Neuem … Ich gehe in Labyrinthen, die Erinnerung in meinen Eingeweiden. Alles muss verdaut werden. Wie viel Platz ist in einer Seele?
Räume durchdringen sich, umfassen sich, stapeln sich … Mein Herz schlägt im Takt einer unbekannten Macht.
Gestern, als ich das Haus verließ, auf die Straße trat, dachte ich unwillkürlich, dass das gesamte Leben, alles, was uns tagtäglich umtreibt, pervers ist. Wir leben auf unseren psychischen Ruinen. Wir bauen kleine Burgen, die wir mit abstrusen Vorstellungen ausfüllen – völlig aus der Luft gegriffen. Wir wissen es nicht besser. Wie viel Egozentrik hält die Welt aus?
Ich erreichte die U-Bahnstation „Rosenthaler Platz“ und schaute automatisch zur Anzeigetafel - „Noch vier Minuten“ stand dort. Dumpf hörte ich das Grollen der Untergrundbahnen. Es klang nach einer Kegelbahn ... oder wie das dumpfe, entfernte Donnern von Kriegsgeschützen.

Die Überlebenden halten sich an den Händen, atmen die Minuten, die ihnen noch bleiben.

Bunte Ecken

in Berlin (8)
Streifzug durch den Tierpark














Montag, 10. November 2014

TV-Tipp:

"Breaking The Waves", 20 Uhr 15, ARTE

Freitag, 7. November 2014

Bunte Ecken

in Berlin (7)













Ohne Illusionen


Wenn ich mir vorstelle, welche Krankheiten ich bekommen könnte (Krebs, Schlaganfall, Parkinson, Demenz), gerade in fortschreitendem Alter, könnte ich mir den ganzen Tag vor Angst in die Hose scheißen. Es ist also nicht so schlecht, wenn man als Lebewesen relativ fatalistisch drauf ist: am Besten nicht dran denken – aber auf alles gefasst sein.
Es ist widersinnig, dass wir, wenn wir älter werden, immer stärker am Leben hängen, weil wir bereits so verdammt lange leben. Der Tod rückt faktisch näher, während wir uns seelisch von ihm distanzierten. Das macht es so schwierig, dazu ehrlich Stellung zu beziehen. Viel lieber machen wir uns was vor und wünschen uns so was wie ein ewiges Leben oder ein Leben danach; wir werden anfällig für alle möglichen phantastischen Vorstellungen. Ich versuche es ohne. Weitgehend.
Wenn ich eines Tages abnippel, will ich ohne Illusionen Abschied nehmen.
Was bleibt, ist das Gefühl, dass die Welt und das Dasein sehr mysteriös sind. Nichts genaues weiß man nicht.

Die Zeit verfliegt nur so. Wir Menschen, Lebewesen, Erscheinungen und Dinge sind eingebettet in sie – mehr als das: wir sind unlösbar mit ihr verwoben. Wir sind Zeitwesen. Nichts bleibt, wie es ist. Nichts kommt zurück. Berge werden abgetragen, und Meere verschieben sich, Städte verschwinden und entstehen andernorts neu.
Berlin gedenkt am Wochenende dem Mauerfall vor 25 Jahren. Ein durch die Politik der Großmächte entzweites Volk fand wieder zusammen – durch eine unblutige Revolution der DDR-Bürger. Die Menschen erkämpften sich ihre Freiheit … Nicht alle erhielten die Freiheit, die ihnen vorschwebte, oder die ihnen vorgegaukelt wurde. Für nicht wenige bedeutete der Mauerfall Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg. Die Verlierer wünschten sich schon bald die Mauer zurück. Heute, nach 25 Jahren, ist die friedliche Revolution Geschichte. Man muss die Welt verändern, in der man aktuell lebt. Es macht keinen Sinn, alten Zeiten nachzutrauern. Man darf sich nie zu wohl fühlen und „die da oben“ mal machen lassen. Wir leben im Raubtierkapitalismus. Ausruhen ist nicht. Es werden noch viele Mauern fallen müssen … vor allem in unseren Köpfen.
...
Die S-Bahn befindet sich im Streik. Die Lokführer wollen mehr Geld. Ich kann sie gut verstehen. Wir wollen alle mehr Geld. Das Leben ist teuer und unsere materialistischen Ansprüche sind hoch.
Genaugenommen fiel die Mauer damals, weil die Menschen im Osten den materiellen Verführungen des Kapitalismus erlagen. Sie sahen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Auf der anderen Seite waren der Sozialismus und seine Führungsspitze am Ende.
Gestern Abend unterhielt ich mich mit einigen Ostberlinern in einer Berliner Kneipe, von denen es nicht mehr viele gibt. Sie beklagten die Entwicklung im Kapitalismus, wie ich sie als Wessi kenne, solange ich denken kann. Sie wollten Anteil haben an den schönen Dingen und der Freiheit, aber sie dachten nicht an den Preis – wie es allgemein bei einem Pakt mit dem Teufel der Fall ist. Nur der Tod ist umsonst.

Ein wunderbarer Sonnentag in Berlin - viel zu schön, um über die dunklen Seiten von Mensch und Gesellschaft, über Krankheit und Tod, nachzugrübeln. Noch eine Woche verbringe ich in dieser verrückten Stadt, prall von Leben, prall von Glück aber auch von Verzweiflung, prall von Banalitäten und von Leidenschaft, von Nichtigkeiten und von Kunst … bzw., was man dafür hält.
Wird Zeit, dass ich hinausgehe und etwas Berliner Luft schnuppere.

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