Dienstag, 18. November 2014

Unvergessen


Alles trieft vor Feuchtigkeit. Der Tag ist eine Waschküche. Die Sonne quält sich zu ein paar Strahlen durch die Wolken und Dunstschwaden. Das Haus umkleidet ein Gerüst. Meine Fenstersimse sind unverputzt. Neue Fenster wurden eingesetzt. Mein neuer Vermieter macht Butter bei die Fische. Er kaufte das alte Haus, um sich daran abzuarbeiten. Ein junger Mann. Eine sympathische Erscheinung mit angenehmer, intelligenter Stimme. Ich mag ihn. Er ist kein Schwätzer wie der alte Vermieter. Sein Tatendrang ist deutlich sichtbar. Er hat sich mit der „Bruchbude“ einiges vorgenommen.
Noch wohne ich hier. Natürlich hätte ich mir bei meiner Rückkehr angenehmere Wohnbedingungen gewünscht.
Der zweite Tag zuhause. Im Kopfe bin ich bei meiner Liebe und unserer gemeinsamen Zeit. Unsere Zukunft ist auf dem Weg. Wir schmiedeten Pläne. Sie konnte in Berlin erste berufliche Vorbereitungen treffen. Es schält sich immer klarer heraus, wohin die Reise geht.

Ich mag Menschen, die etwas riskieren und die Zukunft tatkräftig angehen. Ich selbst gehöre eher zu denen, die ihr Leben verträumen. Von Zeit zu Zeit muss auch ich den Arsch hoch kriegen. Es sieht ganz danach aus, dass es wieder so weit ist.
Ich bin (fast) 52 und liebe eine 17 Jahre jüngere Frau. Sie fordert mich. Manchmal bin ich überfordert. Das Wichtigste - sie liebt mich auch. Sie sieht in mir keinen in die Jahre gekommenen Mann. So genau weiß ich nicht, was sie in mir sieht.

Früher Nachmittag. Ich sitze am Computer und höre Musik. Die Stunden des Tages liegen leer vor mir. Meine Wohnung riecht nach Mörtel und Dichtungsmasse. Draußen tropft die Natur vor sich hin. Ein altes Lied von Pink Floyd läuft. „Shine On Your Crazy Diamond“. Manche Musik begleitet einen über Jahrzehnte …
Ich bin es. Ich bin es auch noch morgen und übermorgen. Ich bleibe bis zum Tod ICH. Ich hoffe nur, dass meine Erinnerungen nicht sterben werden. Wer bin ich ohne meine Erinnerungen?
Im Altenheim sah ich viele Menschen sterben. Einige vegetierten Monate, sogar jahrelang dement dahin. Ich erlebte, wie sie Wand an Wand dahinsiechten. Ich mache mir keine Illusionen mehr über das Leben und den Tod. Alles ist grausame Realität – nicht mehr und nicht weniger.

In Berlin sah ich an vielen Ecken große Armut und Armseligkeit. Die Großstadt ist ein Magnet für die Hoffnungslosen und Verrückten. Berlin vielleicht im Besonderen. Ich werde es nie lernen wegzuschauen. Jede arme Kreatur versetzt mir einen Stich ins Herz. Ein Wunder, dass ich es überhaupt so lange im Altenheim aushielt.
Trotzdem liebe ich Städte wie Berlin, weil sich dort an vielen Plätzen das Leben ungeschminkt abspielt. Nichts verabscheue ich mehr als Heuchelei und sogenannte „Leitfäden (z.b. von Altenheimen)“, wie sie u.a. im Foyer meiner letzten Arbeitsstätte aushängen. Da kriegt man als feinfühliger Mensch schon vom Lesen einen Burnout.

Ich schaue nicht gern in den Spiegel. Ich sehe zu viel, was mir nicht gefällt. Vielleicht hat die Welt nur eine Seele und wir sind nichts anderes als winzige, infinitesimal kleine und willkürliche Mosaike. Sowieso nur eine begrenzte Zeit lang. Nichts hat einzeln eine Bedeutung – nur das Gesamte.
Was wir uns einbilden als Menschen, ist eine andere Sache.

Ich glaube nicht an Gott, weil es nichts zu glauben gibt.

Schön, dass du mich liebst!

ein literarisches Tagebuch

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