Die Arschwischmaschine hat frei

Samstag, 14. Dezember 2013

Statement aus der Waschküche


Die Schwerkraft und ihre Schwester Schwermut halten mich fest. Das Adergeflecht der kahlen Äste zeichnet sich auf dem matt leuchtenden Grau des Himmels ab. Kleine Tropfen glänzen an den Zweigenden wie Perlen. Es regnet seit Stunden. Das Rauschen der Autoreifen auf dem nassen Asphalt jagt mich. Die Straße zerschneidet mein Herz. Mir ist zum Schreien! Der Mensch steigt in ein Auto und verliert sein Menschsein …
Ich lenke mich ab, indem ich einer Dokumentation über das New Yorker Künstlerviertel Bushwick lausche. Ich liebe kreative Menschen und die Atmosphäre, die sie schaffen. Aber ich hasse Vernissagen. Kunst und Künstlichkeit passen in meinen Augen nicht zusammen. Kreativität und Authentizität verlieren an Boden, wenn sie zu arrangiert und aufpoliert daherkommen. Auf einer Vernissage wäre mir genauso zum Kotzen wie auf einer Betriebs- oder Familienfeier. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Ich habe ein verdammt feines Gespür dafür, wenn etwas aufgesetzt daherkommt - und reagiere im Allgemeinen darauf allergisch, indem ich Worte auskotze, nicht immer schöne Worte.
Früher oder später dreht sich alles nur noch ums Geld, und das Geld und die Menschen hinter dem Geld kaufen sich die Künstler und Kreativen. Auch in Bushwick.
Der Geist der Kunst ist mir heilig. Er bedeutet Freiheit und nicht Leistungsdruck. Er unterscheidet nicht zwischen guter und schlechter Kunst. Er gibt den Menschen eine Plattform, um sich auszudrücken, auszutoben – wonach ihnen auch immer der Sinn steht. Der Geist der Kunst atmet Anarchie aus. Er liebt die Freiheit des Wortes. Er macht die Menschen im besten Sinne menschlich.
Er ist wie die Liebe.

Die Welt ist eine Waschküche, hier und heute besonders. Ein Tag ist wie eine Rutschbahn, auf der man langsam hinunterrutscht. Abends fallen wir ins Bett, und in der Nacht klettern wir die Leiter wieder hoch. Ich fühle die Nässe, obwohl ich im Trockenen sitze. Ebenso fühle ich Wut bei manchen Nachrichten, obwohl es weit weg passiert. Ein Diktator, ein Hanswurst, im fernen Nordkorea lässt nach Gutdünken politische Gegner eliminieren. Ein anderer mächtiger Hanswurst in Russland erklärt in seinem Land Homosexuelle quasi für vogelfrei. Und das Beste: die Bevölkerung macht den Scheiß mit. Jedenfalls ein beachtlicher Teil der Bevölkerung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht wütend werde über das, was sich auf der Welt abspielt. Manches geschieht direkt vor meinen Augen. Dann ist mein Hosenboden, auf dem ich den Tag hinunterrutsche, echt nass (oder gar aufgerissen).
Unablässig tönt das Rauschen des Autoverkehrs zu mir hoch in mein Zimmer. Ich zünde drei Kerzen an, als könnte ich damit einen guten Geist beschwören - etwas Hilfe gegen die Dunkelheit auf der Welt herbeirufen.
Die Schwerkraft und ihre Schwester Schwermut geben niemals auf. Wenn sie mich eines Tages loslassen, fliege ich zu den Sternen, weit weg von Menschen und Straßen, weit weg von Geld, Macht und Willkür, weit weg von Tag und Nacht ...

Freitag, 6. Dezember 2013

Wille und Rolf


Viel Xaver kam hier im Südwesten nicht an. Ein strenges Lüftchen weht, das ich gestern auf der abschüssigen Straße ins Tal zu spüren bekam. Dafür ließ sich der Heimweg mit dem Wind im Rücken leichter meistern. Ich war seit längerem wiedermal mit dem Fahrrad unterwegs. Es war an der Zeit. Ich musste endlich die Flaschen zum Flaschencontainer schaffen. Danach einkaufen. In die zwei Satteltaschen passt eine ganze Menge.
Im Kaffeehaus wärmte ich mich auf. Ein älteres Ehepaar saß neben mir an der Bar. Mitte Sechzig schätze ich sie. Sie kommen immer Donnerstags am frühen Abend. Ich finde sie goldig. Ihre Augen funkeln so schön. Vor allem die der Frau. Wille und Rolf. Gestern stellten wir uns einander mit Namen vor. Ich liebe Unterhaltungen mit netten, weltoffenen Menschen. Rolf ist etwas knorrig und will immer das letzte Wort haben, aber seine Frau Wille kann gut damit umgehen. Wir beobachteten eine Geburtstagsgesellschaft und rätselten über das Alter des Jubilars sowie über die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Gratulanten. Ziemlich schnell hatten wir raus, wer Schwiegersohn, wer Tochter, und wer die Geschwister waren. Bestimmt wurde ein runder Geburtstag gefeiert. Der Sechzigste, schätzten wir. Alles war sehr feierlich arrangiert. Sie hatten sogar einen Teil der Bar reserviert, um die eintreffenden Gäste mit Sekt zu empfangen. Der Barkeeper sagte, dass später Gans aufgetischt würde.
Nachdem Wille, Rolf und ich uns gegenseitig vorgestellt hatten, wollten wir auch den Namen des Barkeepers wissen und erfuhren, dass er Kei heißt und einen japanischen Vater hat. Kei stellte uns Erdnüsse auf die Theke. Es war ein fröhliches und unterhaltsames Zusammensitzen. Wille trank Strawberry Margarita aus frischen Erdbeeren und Rolf Pils. Wenn es nichts mehr zu sagen gab, las ich in Miguel Unamunos Essays. Rolf wurde neugierig auf meine Lektüre. Ich umriss kurz den Inhalt und verlor ein paar Worte über Unamuno, - was mir bei ihm gefällt. Ich glaube, sie waren beeindruckt. Hätte ich dagegen Bukowski dabei gehabt, hätten sie sicher gegrinst. Nächsten Donnerstag werde ich etwas von Bukowski mitnehmen, um ihre Reaktion zu testen.
Ich erfuhr, dass Wille und Rolf seit 548 Monaten zusammen sind. Sie konnten es so genau sagen, weil sie jeden Monat ihr Zusammensein feierten. Sie hatten sich in ihrer Studentenzeit kennengelernt.
„Ihr feiert bald Goldene Hochzeit“, sagte ich.
„Nein, wir sind seit 548 Monaten zusammen“, berichtigte mich Rolf.
„Ach so. Dann feiert ihr Goldenes Zusammensein.“
„Goldenes Zusammmensein gefällt mir“, lachte Wille.
Und Rolf meinte: „Bis dahin geht noch etwas Zeit hin.“
Ich rechnete schnell im Kopf: „Keine Fünf Jahre mehr.“
„Ob wir das noch erleben?“ fragte Wille.
„Sicher werden wir es erleben!“ antwortete Rolf beinahe vorwurfsvoll, als wäre es ein Unding, daran zu zweifeln.
Ich beglückwünschte die Beiden zu ihrer langjährigen Partnerschaft.
„Es ist einfach so gekommen“, sagte Wille.
Wir kamen überein, dass sich die Länge einer Liebesbeziehung nicht planen lässt. Gern hätte ich mit Wille und Rolf weiter geplaudert, aber Rolf schaute auf die Uhr und blies zum Rückzug. Wille wäre wahrscheinlich noch geblieben. Sie hatte mehr noch als ihr Mann Geschmack an unserer Konversation gefunden.
Nachdem sie gegangen waren, bestellte ich bei Kei noch ein Bier. „Nette Leute“, sagte er. „Ja“, stimmte ich zu, „trifft man nicht so oft.“ Ich redete mit Kei noch ein Weilchen darüber, an was man nette und aufgeschlossene Menschen erkennt. Er meinte, dass er sich auch schon getäuscht hätte. Nicht wenige behandelten ihn von oben herab. Anscheinend sind Rolf und Wille eher eine Ausnahmeerscheinung. Ich trank mein Bier und beobachtete die Gäste. Es kam eine Gruppe Männer an die Bar, die mich von meinem Platz verdrängten. Aber ich war nicht sauer. Ich hatte an diesem Abend zu viel Gutes erlebt.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Four Roses Gun Shot


Oberflächlich erscheinen mir meine Worte nach wiederholtem Lesen. Wo hört die Oberflächlichkeit auf? Jedes Eindringen in die Tiefe bringt nur neue Oberflächen hervor.
Ich höre alten Blues Rock - „Cream" - Live in der Royal Albert Hall (May 2005). Ich entschied, dass ich heute nicht mehr aus dem Haus gehe. Im Kühlschrank stehen zwei Bier und eine Flasche Ramazzotti – allerdings dreiviertel leer. Dann steht da noch seit einigen Monaten einsam und verlassen ein Four Roses Bourbon im Regal. Aus dem Nachlass meiner Eltern. Er war im Keller neben anderen Spirituosen, die meine Eltern geschenkt bekamen, gelagert. Sie tranken nur wenig Alkohol. Leider verhalf ihnen diese Tugend nicht zu einem längeren Leben. Aber sie lebten wenigstens gesünder.
Ich rief also das Altenheim an. (Ich erkläre hier nicht die Einzelheiten.) Ich hatte eine Kollegin am Apparat, die mir nur sagte, was ihr aufgetragen wurde. Es lief auf eine Erpressung hinaus …
Die Kollegin brachte es nicht übers Herz, mir die Hintergründe der Erpressung zu verschweigen.
„Tja“, sagte ich zu ihr, „dann komme ich doch lieber auf die Betriebsfeier, als eine Nachtwache zu schieben.“
„Tut mir leid“, sagte sie.
„Es braucht dir nicht leid zu tun“, sagte ich.
„Ich gebe also weiter, dass du dich auf die Feier morgen freust.“
„Ja.“
„Okay.“
„Bis morgen.“
„Tschüss!“
Wir redeten etwas mehr drumherum als hier wiedergegeben. Die Details sind uninteressant. Wie meist.

Die größte Angst, die ich habe, ist, dass man mich auf der Feier morgen fotografieren wird.
Vorsorglich werde ich meinen Colt mitnehmen. Obwohl eine Kalaschnikow bei dieser Gelegenheit sicher besser wäre.

Freitag, 29. November 2013

Glühwein mit Schuss




Karussell fahre ich schon lange nicht mehr, aber man kann ja zuschauen - schlürf

Samstag, 23. November 2013

Amok ist mein zweiter Vorname


In der Altstadt kaufte ich mir coole Winterstiefel (die ich gleich an den Füßen behielt) und ging ins Coyoté ein Bier trinken. Es regnete. Es regnete schon den ganzen Tag. Man kann im Coyoté auch günstig essen – American Fastfood. Aber ich aß dort noch nie. Ich mag die gemütliche Atmosphäre, die Bedienungen, und dass fast immer ein Platz an der Bar frei ist. Ich saß etwas verloren herum und schaute durch das Fenster auf die Hauptstrasse und die Fußgänger. Es dämmerte bereits.
Kurzentschlossen nahm ich den Bus zum Hauptbahnhof. Ich wollte mir beim Ausfüllen des Fahrgastrechte-Formulars helfen lassen. Als die Bahnbedienstete mir vorrechnete, dass ich keinen Rückerstattungsanspruch hätte, weil 25% vom halben Fahrpreis meiner Hin- und Rückfahrt nach Frankfurt (das ist der Wert, den man bei Verspätungen ab 60 Minuten geltend machen kann) unter fünf Euro lägen, aber dummerweise nur Beträge ab fünf Euro ausbezahlt werden, rastete ich aus. Zudem bezichtigte sie mich auch noch falscher Angaben. Ich griff in meine Umhängetasche, holte den Colt hervor und drückte einmal gezielt ab – zwischen ihre Augen. Es war ziemlich unspektakulär. Sie blieb einfach mit aufgerissenen Augen und offenem Mund sitzen. Die anderen Schalterbeamten sahen nur kurz zu uns herüber. Allem Anschein nach war man solche Ausfälle gewohnt. Im Weggehen sagte ich: „Viel Spaß noch in Ihrem Beruf, Lady!“ Kein Mensch hielt mich auf.
Ich steuerte auf direktem Wege das Bahnhofsrestaurant Zapato an. Mein Stammplatz an der Bar war von zwei jungen Geschäftsleuten belegt. Ich überlegte, ob ich die auch umnieten sollte, weil - mir war gerade danach. Aber ich wollte lieber in Ruhe mein Bier trinken und setzte mich auf einen Hocker an einem Stehtisch. Der Kellner grinste mich derart oberschwul an, dass ich beinahe das Bier ins Glas zurück gekotzt hätte. Nein, ich habe nichts gegen Schwule. Nicht direkt. Auch nichts gegen die Bediensteten im Reisezentrum – die machen nur ihren Job. Aber ich bin auch nur ein Mensch mit Nerven. Also griff ich erneut nach dem Colt in meiner Umhängetasche (nachdem ich bezahlt hatte) und schoss dem oberschwulen Kellner in den Arsch. Ich glaube, er grinste daraufhin noch breiter, doch das sah ich nicht. Ich eilte durch die Bahnhofshalle, schielte nach links zum Reisezentrum, wo die Lady immer noch mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen hinter Schalter 2 saß. Beim Chinesen besorgte ich mir China Nudeln mit Gemüse zum Mitnehmen. Eigentlich war es noch zu früh für die Heimfahrt. In Bahnhofsnähe befindet sich eine Café-Bar. Ich ergatterte einen Platz an der Bar. Die Bedienung, die ganz alleine die Suffköppe versorgte, erinnerte mich an Liz Taylor, als sie noch bessere Tage hatte. Der Chef, ein fetter Pakistani mit Schnäuzer, stand wichtigtuerisch an der Bar herum. Liz Taylor kam indes kaum der Arbeit hinterher. Die Gaststube war verqualmt. Es saßen fast nur Kretins herum, die noch nie Gehirnzellen zum versaufen hatten. Ich beeilte mich mit dem Trinken und gab Liz Taylor ein ordentliches Trinkgeld. Im Rausgehen jagte ich dem widerlichen, pakistanischen Chef eine Kugel in seinen fetten Wamst.
Die Nacht blendete mich. Mit den neuen coolen Stiefeln an den Füßen flitzte ich hinüber zum Taxistand. Es regnete immer noch, und ich wollte nicht nass werden.

Mittwoch, 20. November 2013

Rödelheim ist ein Ortsteil von Frankfurt


Rödelheim ist ein Ortsteil von Frankfurt. Gestern war ein grauer Tag, durch und durch. Ein Riese wäre von den Waden aufwärts im Dunst verschwunden. Also, ein richtiger Riese. Die Hinfahrt klappte problemlos. In Frankfurt nahm ich ein Taxi. Der Taxifahrer trug einen Turban, sprach aber gut deutsch.
Die Fabrik sah nicht wirklich aus wie eine. Ein paar Mitarbeiter standen rauchend vorm Eingang. Es hätte z.B. ein Schulgebäude sein können. Der Werkverkauf war im 1. Stock. Kaum zehn Minuten später stand ich schon wieder auf der Straße, in meiner Umhängetasche eine schwarze Box.
Zurück zum Hauptbahnhof wollte ich die S-Bahn nehmen, also lief ich in das Zentrum von Rödelheim. Ich kam an einem Park vorbei und an einigen Kiosken, Spielhallen und Änderungsschneidereien. Mir wurde sehr schnell klar, dass ich nicht gerade durch eine Reiche-Leute-Gegend lief. Ich musste pinkeln und ging auf ein Bier in eine Kneipe. Die Bedienung fragte, ob ich ein kleines oder ein großes wolle. „Ein großes“, antwortete ich. Als sie dann das Bier vor mich stellte, meinte sie, weil sie wohl meinen Blick auffing: „Groß ist es nicht gerade.“ „Ja“, grinste ich, „ein kleines großes.“ In Gedanken überlegte ich, ob ich nicht besser ein großes kleines hätte sagen sollen. Aber ich war zu müde für philosophische Gedankengänge und suchte die Toilette.
Die S-Bahn brauchte nur eine Viertelstunde bis zum Frankfurter Hauptbahnhof. Weil ich noch massig Zeit hatte, begab ich mich ins O`reilly`s, das schräg gegenüber des Bahnhofportals liegt. Das Pub war noch relativ leer. Die Bedienung stellte ungefragt ein Bier vor mich auf den Tisch, worauf ich ihr bedeutete, dass ich noch gar nichts bestellte. Da sie kein Deutsch verstand, wiederholte ich es auf Englisch. Sie war verwirrt. Schließlich nahm ich das Bier, da der Gast, für den es war, sich allem Anschein nach in Luft aufgelöst hatte. Ich schaute durch das Fenster auf die Straße und zum Bahnhofsgebäude. Auf einen Stadtbummel hatte ich bei dem mistigen, kalten Wetter keine Lust. Der Abend dämmerte schon, und es hatte angefangen zu regnen.
Pünktlich stand ich auf dem Bahnsteig, von dem mein Zug abfahren sollte. Doch er kam nicht. Als mir langsam klar wurde, dass er auch nicht kommen würde, wenn ich weiter auf dem Bahnsteig wartete, wandt ich mich an einen Infostand der Deutschen Bahn. Die junge Bedienstete schrieb mir Uhrzeit und Gleis einer späteren Reiseverbindung auf einen Fresszettel und drückte mir ein Fahrgastrechte-Formular in die Hand. Am Reiseservice-Center hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet. Es war pures Glück, dass ich diesen etwas abseits stehenden Info-Stand entdeckte. Ein paar Minuten später bildete sich auch dort eine Schlange von Reisenden. Es herrschte ein ziemliches Tohuwabohu auf dem Bahnhof. Ich schlappte zu einer Bar und trank noch ein Bier. Der Wirt sagte mir, dass es an der Tagesordnung wäre, dass Züge einfach ausfielen.
Eine gute Stunde später saß ich endlich in einem ICE, der in meine Richtung fuhr. Ich setzte mich ins Zugrestaurant. Die Schaffnerin kam zur Fahrkartenkontrolle. Da der reguläre Zug, für den ich die Rückfahrt gebucht hatte, ausfiel, saß ich in ihren Augen natürlich im falschen Zug. Ihre Frage, warum ich denn meinen Zug nicht nehmen konnte, fasste ich als Vorwurf auf und schilderte demgemäß gereizt und laut, was mir gerade im Frankfurter Hauptbahnhof widerfahren war. Die Schaffnerin trollte sich beleidigt. „Fragen Sie doch in Frankfurt nach, was da los ist!“ rief ich ihr hinterher. Kurz wurde ich zum hässlichen Fahrgast und überlegte, ob ich darum ein schlechtes Gewissen haben müsste.

Das Fahrgastrechte-Formular liegt inzwischen auf meinem Schreibtisch. Ich füllte es noch nicht aus. Auch heute ist es grau, durch und durch. Die schwarze Box steht im Regal auf einer Dose mit Kurzwaren. Ich schaue auf die Uhr an meinem Handgelenk und sehe, wie die Zeit langsam in Sekunden, Minuten und Stunden dahinschmilzt. Ich bin müde. Immer noch müde. Am Abend erwartet mich ein Nachtdienst im Altenheim. Der Wind der Zeit ist kalt und gnadenlos.




Dienstag, 12. November 2013

And so on


Tagelang war es regnerisch und trübe. Ich fühlte mich wohl in meiner Bude. Heute dagegen sehe ich all die Staubflusen im Sonnenlicht. Ich schlief bis in den späten Vormittag. Die Augen sind verquollen, die Nasenschleimhaut angeschwollen. Kurz: ich fühle mich zum Kotzen. Kaum bin ich aufgestanden, schmerzt die rechte Hüfte. In der Küche stehen noch das Geschirr und die Essensreste vom Vorabend – überall Krümel. Ich mache mich an die Arbeit: Geschirr einweichen, Abfall raus bringen, Bett machen, Waschmaschine anstellen, den augenscheinlichsten Staubflusen wegwischen, Fenster öffnen, Nägel schneiden, Computer anstellen, Kaffee kochen … ; nicht genau in dieser Reihenfolge. Ich brauche nicht lange. Solche alltäglichen Arbeiten unterliegen einem Automatismus. Deswegen finde ich sie aber nicht weniger ätzend. Jeden verfluchten Tag dasselbe. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik schlägt zu. Und Sisyphus muss es richten. Die Sonne lacht durchs offene Fenster. Grimmig schaue ich sie aus meinen noch kleinen Meerschweinchen-Äuglein an. „Für deine miese Laune kann ich nichts“, ruft sie mir zu, „oder dass du schlecht geschlafen hast.“ Eigentlich waren die Träume nicht übel – turbulent zwar aber teilweise ziemlich heiß. „ … und kurz vorm Höhepunkt wache ich auf, weil du mich an der Nase kitzelst!“ Natürlich kann die Sonne nichts dazu, dass ich mich total grässlich fühle. Für den Staub und Dreck in meiner Bude kann sie auch nichts. Warum ist das Leben so verdammt mühevoll? Selbst um halbwegs ein Wohlfühl-Level zu erreichen, muss ich jeden Tag Putzen, Waschen, Duschen, Einkaufen, Essen machen, zur Toilette gehen, Schlafen, Pinkeln, Schlafen, Pinkeln … „Nicht deine Schuld!“ rufe ich aus dem Fenster, „aber heute hättest du dich ruhig verstecken können. Stattdessen führst du mir den ganzen Schmodder in meiner Wohnung vor Augen. In deinem Licht sehen die Wände scheckig aus, und im Spiegel erscheint meine Haut fahl, mein Gesicht müde und hässlich.“ „C`est la vie“, antwortet die Sonne und scheint munter weiter auf einem überirdisch blauen Himmel. „Du wirst auch mal alt ...“, sage ich hustend. Mache ich also das Beste draus. Es ist bereits Mittag. Ich habe frei! Genau einen Tag. Diesen Tag. Heute. Fuck!
Die Waschmaschine wird noch eine gute Stunde laufen. Die Ordnung ist grob wiederhergestellt. Der Kaffee getrunken. Ich schreibe bereits mehr oder weniger munter am Computer. Die Glotze läuft. Der Verkehrslärm schallt durchs offene Fenster. Ich kratze mir den letzten Rest Schlaf aus den Augenwinkeln. (Wenn ich irgendwann aus diesem Albtraum aufwachen sollte, bin ich wahrscheinlich tot.)

Donnerstag, 7. November 2013

Wortspritzer


„Kein Problem“, sagte der Betriebsarzt. Ich wollte mir die letzte von drei Hepatitis-Impfungen geben lassen. Ich hatte sie total verschwitzt, weil der Termin ein halbes Jahr nach dem zweiten lag. Ehrlich gesagt, hatte ich schon dran gedacht. Aber ich schob den Termin Woche für Woche vor mir her. Ich log also: „Da war doch was, dachte ich letzte Woche.“ Und der Betriebsarzt wiederholte freundlich: „Kein Problem.“
Ist das also auch erledigt. Obwohl – nicht ganz – in vier bis sechs Wochen muss ich zur Nachkontrolle noch mal hin dackeln. Dann ist bereits Mitte Dezember. Schon wieder bald Geburtstag. Alles geht immer weiter. Kaum ausgesprochen, ist man dort. Die Kalenderblätter segeln einem wie das Herbstlaub entgegen. Eigentlich ist immer Herbst, wenn man sich das Leben als einen großen Zeitbaum vorstellt.
Der Regen fiel fein wie Staub vom Himmel. Wegen einer Baustelle wurden die Straßenbahnen umgeleitet, und ich lief in die Innenstadt. Ich musste den Nachmittag totschlagen. So einfach war das gar nicht. Es gab nur etwa ein halbes Dutzend Kneipen und Cafés, die ich bevorzugt ansteuerte.
So schnell die Zeit rückblickend zu vergehen scheint, so zäh und langsam schleichen die Minuten und Stunden in der Gegenwart dahin. Zumindest wenn man lustlos und alleine unterwegs ist.
Ich betrachtete die Menschen, die Einkäufer, die Studenten und Studentinnen, die Bauarbeiter an den Baustellen, die Bedienungen in den Cafés, die Verkäuferinnen, die Kassiererinnen …; und zwischendurch machte ich mir Notizen, die ich „Wortspritzer“ nannte.

„Kein Problem“, sagte der Betriebsarzt ...

Der Alte, der seit Jahren in der Heidelberger Altstadt in die Kneipen kommt, ein paarmal in die Hände klatscht und wieder geht.

„Hiiiilfe, nicht der!“ rief die Bedienung aus, als eine männliche Person das Lokal betrat. Sie versteckte sich hinter der Theke, und ihre Kollegin verleugnete sie.

Ich will mir nicht vorstellen, wie viele verdammte Barkeeper mir schon ins Bier spuckten.

Diese ganzen Bitches in H&M Klamotten. Wenn sie nur so viel Hirn im Kopf hätten wie Arsch in der Hose.


Und so weiter und so fort. Schließlich machte ich noch ein paar notwendige Einkäufe. Ich hatte es geschafft – es war Abend.
Der Taxifahrer und ich schwiegen, bis er einen Hustenanfall hatte und sich dafür entschuldigte. Anschließend erzählte er mir die ganze Story von den Arztbesuchen und Untersuchungen. Ich sagte, dass wir alle irgendwann und an irgendwas sterben müssen. Um so mehr man sich untersuchen lässt, desto mehr werden die Ärzte finden. „Ja, man muss es nehmen, wie es kommt“, meinte er dazu. Ich nickte und dachte an den Augenaufschlag einer Frau, während sie mir den Schwanz lutschte ...

Dienstag, 5. November 2013

Glaubst du an Gott?


„Glaubst du an Gott?“ - diese Frage stelle ich mir immer wieder. An allen möglichen Orten: im Zug, an der Bar, auf dem Klo, vorm PC, im Bett, beim Abwasch … Sie fällt quasi vom Himmel direkt in meinen Kopf. Vollkommen zufällig. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich denke sie einfach nur. Als würde sie auf ewig in einer Art geistiger Plazenta liegen, und ab und zu strampelt sie …, während ich auf dem Klo sitze, und ich wiederhole die Frage einige Male wie ein Mantra.
Man kann ja nicht immer profane Gedanken haben. Ich weiß nicht, was in den Köpfen meiner Mitmenschen vorgeht. So viel anders kann es nicht aussehen, oder? Okay, offensichtlich doch. Wahrscheinlich denken nicht wenige, ich sei plemplem, wenn sie hier lesen. Was für ein Mensch schreibt so etwas, und wer will das lesen, bzw. wen soll das interessieren?
Was treibt uns Menschen um? Sind wir nicht vollkommen durchgeknallt? Sind nur wir irre, oder ist es die ganze Welt – inklusive Gott, falls es ihn geben sollte? Am meisten irritiert mich, dass viele meiner Artgenossen alles für normal halten, wie es ist. Sie lesen auf dem Klo Werbeprospekte oder telefonieren oder … scheißen ganz simpel. Um Gottes Willen, bitte nehmt das nicht persönlich. Irgendwoher muss doch die ganze Scheiße auf der Welt kommen. Wir zogen noch nie Konsequenzen oder Lehren. Stattdessen bilden wir uns ein, wir würden immer klüger. Das Ergebnis ist aber lediglich wachsende Arroganz.
Ich kann nicht an Gott glauben. Aber an gar nichts auch nicht. In der Frage liegt die Antwort. Der Weg ist das Ziel. Ihr kennt das, aber hat es einer von euch kapiert? Dazu schütte ich noch eine Portion „selbst erfüllende Prophezeiung“, einen wild herum springenden Gummiball, eine leere Rolle Klopapier, die Tränensäcke aller Politiker, einen betenden Mönch, ein paar pfeifende Gewehrkugeln vom Kaliber „Stirb endlich, du Arsch!“ …, und angerichtet ist der ganz normale Wahnsinn. Es gibt freilich noch andere Rezepturen. Ich muss nur an meinen Job im Altenheim denken. Die Kirche ist mein Arbeitgeber … (Ihr verratet mich doch nicht!)
Richtig, es geht gar nicht um das Klo. Das ist nur eine Allegorie auf die Menschheit. Viele stellen sich die Frage nach Gott, und sie beantworten sie sich, indem sie das Klopapier vollschreiben. Sie machen daraus ein heiliges Buch – aber mit was wischen sie sich den Arsch ab? Denkt mal darüber nach.
Gott ist nicht da draußen. Wenn überhaupt, dann ist er das, was wir gemeinhin als das „zwischen den Zeilen lesen“ ansehen. Er ist die Leerstelle, der unteilbare Rest, er ist der Fehler im System …
Er ist die Mücke, die mich in den Allerwertesten sticht, während ich schlafe. Er ist der Idiot, der neben mir an der Bar sitzt und blöde vor sich hin grinst. Er ist das Baby, das sich im Kinderwagen über seinen Furz freut. Er ist der Polizist, der meine Personalien überprüft und sich dabei seine Kollegin nackt vorstellt.
„Glaubst du an Gott?“



auch: Was sind Geranien?

Sonntag, 27. Oktober 2013

Weltmeister again


Sieht so aus, als würde Vettel auch den Großen Preis von Indien gewinnen und seinen vierten Formel 1 Weltmeistertitel sichern. Webber führte und schied wegen defekter Lichtmaschine aus.
Noch fünfzehn Runden.
Ich schaue das Rennen fertig, und gehe danach auf die Piste. Ein Sonntagseinkauf im Hauptbahnhof. Ein paar Bierchen trinken und dumm aus der Wäsche gucken. Mehr liegt nicht an.
Astreines Herbstwetter ist. Schön fies, meine ich damit. In der Nacht ein heftiges Gewitter. Ich schlief unruhig.
Noch zehn Runden.
Ich lasse mich durch den Tag treiben. Wie ein Blatt im Wind. Der arme Marc Webber wird über sein Pech im Rennen interviewt. Es hat wirklich den Anschein, dass es Glückspilze und Pechvögel gibt, nicht nur in der Formel 1. Aber vielleicht gleicht sich alles in der Summe wieder aus. Nach meiner Theorie – deshalb bin ich skeptisch, wenn ich zu viel Glück habe. Lieber schlonze ich so durchs Leben und bin mit dem Glück zufrieden, das ich habe. Es reicht aus. Ausreichend war auch die Note, die ich in der Schule meist hatte.
Noch fünf Runden.
Die Erkältung ist hartnäckig, wenn auch inzwischen am Abklingen. Ich verhielt mich nicht sonderlich vernünftig. So bin ich eben. Schwer zu lieben, sagte M.. Gibt es Menschen, die leicht zu lieben sind? Weiß nicht. Heute komme ich auf keinen grünen Zweig bei diesem Thema.
Die letzte Runde.
Vettels Redbull-Rennwagen im Bild. In den letzten Kurven. Auf den letzten Metern. Einsam an der Spitze. Gleich dürfen sie feiern. Besonders in Heppenheim.
„Er hat`s geschafft!“ meldet der Kommentator.
„Yes, yes!“ schreit Vettel im Cockpit seines Boliden.
Die Zeit flüstert. Ich höre, wie sie vergeht, aber ich verstehe sie nicht. Weltmeister kommen und gehen. Es juckt mich nicht sonderlich. Ich bilde mir wirklich ein, dass die Zeit wie das Flüstern von Millionen Stimmen klingt. Aber man hört es nur, wenn es sonst ganz still ist. Und das ist es nie.

Ich dusche dann mal.

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