Die Arschwischmaschine hat frei
Wenn das Telefon klingelt, zucke ich zusammen. Wer hat nur diesen Teufelsapparat erfunden, durch den man von jedermann und überall (durch die Mobilfunkgeräte) zu erreichen ist? Vielleicht ist es auf mein Singleleben zurückzuführen - my home is my castle - dass ich, wenn es unerwartet klingelt, das Telefon oder an der Haustür, mich in meiner Privatsphäre gestört fühle. Es ist in etwa so, als ob jemand an die Klotüre klopft. Wer will etwas von mir, während ich hier Dingen fröne, die gar niemandem etwas angehen? Dabei habe ich eigentlich nichts zu verbergen. Ich bin auch kein Messie. Ja, ich wurde zum Einzelgänger. Außerhalb der Arbeit lebe ich zurückgezogen. Und möchte ich unter Menschen sein, fahre ich in die Stadt. An manchen Tagen bin ich scheu wie ein Reh(bock). Am liebsten ist mir die mittlere Distanz zu Menschen, z.B. in der Kneipe. Man bleibt der, der man ist, und muss niemandem Rede und Antwort stehen, wenn man keine Lust hat. Ich trinke mein Bier, lese Zeitung und fühle mich einfach wohl in der Nähe der anderen, die ich ab und zu neugierig und wohlwollend betrachte.
Ich frage mich, wozu ich einen Festnetzanschluss habe. Eigentlich nur, damit ich meinem Arbeitgeber und auf Ämtern eine Nummer angeben kann. 90% meiner Kommunikation wickele ich über SMS und Mail ab. Mir bleibt für die Antwort Zeit zum Nachdenken, ich fühle mich nicht so unter Druck gesetzt. Wenn ich was hasse, sind es Hektik und Stress. Und wenn plötzlich das Telefon klingelt, ist das nunmal eine Stresssituation, jedenfalls für mich: Huch! Wer könnte das sein?!? Wer will etwas von mir?? Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde spekuliere ich über Wichtigkeit und Anrufer. Zeigt das Display die Nummer nicht an, nehme ich schon gar nicht ab. Das kann dann nur mein Arbeitgeber sein oder Uschi, eine Ex-Freundin aus alten Tagen. Das Altenheim will doch nur, dass ich einspringe; und Uschi würde mich sicher wieder voll labern. Trotzdem bin ich jedes Mal unsicher, wenn ich nicht abnehme. Es könnten nämlich meine Eltern sein, deren Rufnummer auch unterdrückt wird. Vor Jahren machte ich mit ihnen extra ein Klingelzeichen aus. Inzwischen habe ich ein neues Telefon, und sie sprechen mir Nachrichten auf die T-Net Box. Meistens sagen sie, ich solle sie doch mal wieder anrufen.
Es gibt eine Handvoll Menschen, die meine Handynummer haben. Sie melden sich meist nur auf Anfrage. Na ja, sie kennen mich. Wenn tagelang gar keine Mail oder SMS hereinschneit, finde ich das schon etwas bedrückend.
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Es gibt Tage, an denen wünsche ich mir, gar nicht geboren worden zu sein. Meistens sind es die geraden Tage, weil mein Geburtstag auch ein gerader ist. Mein Problem ist, dass ich mir nicht mehr viel zu sagen habe. Ich fühle mich wie ein altes Ehepaar. Kennt Ihr "Die Katze" von George Simenon? Wurde verfilmt 1971 mit Simone Signoret und Jean Gabin - unbedingt sehenswert!
Ich habe keine Katze.
Wir leben nun schon 46 Jahre zusammen, und ich kann euch sagen: Die ersten Jahre waren die schönsten. Wir waren zwar dumm, aber auch wahnsinnig verliebt! Was wir uns damals alles für uns erträumten. Aber wie das so ist: Kein Glück dauert ewig. Die erste Krise nannten wir Pubertät. Wir sollten uns daraus nie ganz erholen. Heute sitzen wir uns meist nur noch schweigsam gegenüber. Wir kennen uns inzwischen so gut, dass wir uns das Reden sparen können. Wir kommunizieren mittels Zeichen. Ich muss mir nur ins Gesicht sehen, und weiß, wie der Tag laufen wird. Ich will`s gar nicht wissen, darum vermeide ich Spiegel - so kann ich wenigstens in der Illusion leben, dass es nicht ganz so schlimm ist. Ich wurde mit den Jahren zum Verdrängungsweltmeister. Manchmal tröste ich mich auch damit, dass ich keine Pickel mehr habe. Wir verständigen uns also mit Zeichen. Jeder redet mit sich, aber so, dass es der andere hört. Das sind diese selbstironischen Spielchen, die wir uns noch gönnen. Oder wir schreiben uns Zettel. Überall liegen diese Zettel - wir nennen sie Gedichte, Prosagedichte - ziemlich nichtssagend. Ich weiß schon gar nicht mehr, wann es mit der Zettelschreiberei anfing. Ich glaube, es war schon in der Pubertät. Inzwischen hinterlassen wir uns auch Nachrichten auf dem Computer. Die letzte von mir hieß: "Es ist Herbst / Ich weiß nicht, wer ich bin / Meine Blätter sind grau / Sie fallen niemals / Du bist das Schicksal / Dass ich mir einrede". Mal sehen, ob ich was drauf schreibe.
Gestern sagte mir jemand: "Es geht immer weiter". Dragoslav Stepanovic meinte auch: "Lebbe geht weiter". Wie wahr. Morgen ist ein gerader Tag. Es ist sicher kein Zufall, dass dann meine Nachtdienste wieder beginnen.
In mich versunken sitze ich an einem der Stehtische an der Wand und blicke förmlich herab auf die Reihe der Gäste gegenüber. Der Gastraum streckt sich gleich einem kurzen Schlauch, woher die kleinbasler Schänke ihren Namen hat - "Alte Schluuch". Die meisten Damen und Herren haben die Mitte des Lebens überschritten und sind, grob gesagt, dem Trinkermilieu zuzurechnen - ein illustrer Haufen. Die Wirtin, eine dunkle Schönheit, ich nehme an Tunesierin, setzt sich gern zu den Gästen, um mit ihnen zu schäkern und zu plaudern. Auch an meinem "Hochsitz" streift sie vorbei und lächelt mir charmant zu. Die Stimmung ist ausgelassen, heiter; ab und zu werden Zoten über die Tische geschrieen, Anzüglichkeiten der angetrunkenen, älteren Herrschaften den wenigen Damen gegenüber, die ihrerseits schlagfertig kontern. Ich verstehe nur Fetzen des Schwizzerdütsch aus diesem Worttumult. Meine Augen beobachten Mimik und Erscheinung der Anwesenden. Es gibt einige Skurrilitäten zu sehen, und aus den verlebten Gesichtern könnte ich Romane lesen. Die Details verlieren sich schnell wieder im Potpourri der Eindrücke. Dann starre ich gedankenverloren über mein Bierglas hinweg.
Obwohl ich mich mitten in der kleinen Kneipengesellschaft befinde, der "Schluuch" dürfte nicht viel mehr als 30qm haben, fühle ich mich dem Geschehen seltsam entrückt, fühle ich mich fremd und doch menschlich vertraut. Ab und zu spüre ich Blicke auf mir. Ich bin allzu gern in der Rolle des stillen, biertrinkenden Fremdlings. Diese Rolle spiele ich nicht allein. Wir gehören zur Staffage in jeder Kneipe: An der Theke, in einer Ecke, alleine am Tisch, schauen wir Löcher in die Luft oder lesen Zeitung.
Der "Schluuch" ist einer von mehreren Zwischenstopps in Basel, wenn ich für ein paar Stunden am Nachmittag der häuslichen Enge entfliehe. Ich genieße die Anonymität im städtischen, bunten Treiben, den leisen Anflug von Verlorenheit und das über-das-Bierglas-hinweg-träumen. Die Zeit scheint für Momente stillzustehen, und ich versinke in allerlei Tagträumereien. Aber die Realität lässt sich nicht lange abschütteln, sie lauert mich beinahe wegelagerisch auf, mahnt mich zur Pflicht, oder stellt mir ein Ultimatum. Ich schätze, es geht vielen von uns ähnlich - ständig auf der Flucht vor der räuberischen und erpresserischen Realität - ein paar von uns finden sich im "Schluuch".

Willy Brandt sagte nach dem Fall der Mauer den denkwürdigen Satz: "Es wächst zusammen, was zusammen gehört. Gilt auch die Umkehrung: "Es kommt nicht zusammen, was nicht zusammen passt"?
Manchmal trägt uns die Hoffnung einen Menschen oder eine Idee zu, woran wir festhalten wollen, obwohl viele Anzeichen dafür sprechen, die Sache wieder zu verwerfen. Doch halten wir nicht selten fest, wie wir unsere Träume nicht verlieren wollen, wie wir insgeheim zu gern an das märchenhafte Glück und die Liebe glauben.
Morgen ist gestern, und heute ist morgen. Ich sitze an einem Fluss und schaue hinüber aufs andere Ufer.
Der Mensch baut Brücken. Tiere suchen sich eine Furt. Silbrig blenden mich die Fluten; der Fluss gehört dem Meer, wie auch ich einem Ozean gehöre - solange kämpfe ich mich durch das Leben und stemme meine Ellenbogen gegen die Ufer.
Eine Taube spaziert über den Kai, gleichzeitig verdunkelt eine schwere, dunkle Wolke den Tag. Sanft schlägt das Wasser gegen Boote und Kaimauer. Mehrstöckige Häuser stehen stramm Spalier hinter der Uferpromenade. Ich nehme einen Schluck aus der Rotweinpulle - samtig, lieblich und schwer zugleich wie die Szenerie. Der Wind bläst braune, welke Blätter über den Beton. Sie schleifen raschelnd an mir vorüber, halten kurz wie zur Begrüßung inne, bis das nächste Lüftchen sie packt und wieder ein paar Meter vor sich her stößt. Einige segeln in den Fluss. Der Herbst hat sein Gedicht begonnen. Ich mag seine brüchige, raue Stimme, obwohl sie mich erschüttert und verunsichert - es ist ein Requiem auf das Leben, die Existenz im Allgemeinen; wie ein ausblühender Gedanke, der kraftvoll seine Arme gen Himmel streckte ...; es ist die Welle, die langsam ausläuft, und die Welle, die ans Ufer klatscht; es ist die Stimme des Abschieds, aber nicht des hoffnungslosen Abschieds. Heute ist morgen.
Ein Hund bellt in der Ferne. Die Geräusche der Stadt schallen hinüber an meinen Platz und erinnern mich daran, dass ich mich bald aus der Kontemplation erheben muss, zurückzukehren in den wirklichsten aller Träume, in mein Leben.
Wie kann es sein, dass es immer mehr Wissen gibt, wenn doch die Welt nicht wirklich zunimmt?
Wie bei der Energie handelt es sich doch lediglich um Umwandlungsprozesse. Bewegung wird zu Wärme, Wärme zu Strom, Strom wieder zu Bewegung, grob gesagt. Das Erscheinungsbild ändert sich, aber das Ganze bleibt das Ganze. Es kommt nichts dazu, und nichts geht verloren. Selbst was in Schwarzen Löchern verschwindet, ist nicht wirklich weg. Wo auch immer es ist, es ist.
Das Anwachsen des Wissens auf der Welt stelle ich mir also nicht wirklich als ein Anwachsen vor - vorausgesetzt, dass das Wissen ein geschlossenes System darstellt - es dünnt sich in Wirklichkeit aus, wenn es in unseren Augen wächst. Genau, in unseren Augen ... denn unser Kopf ist der Ort, der Wissen aufnimmt und reflektiert, der Wissen erst zu Wissen macht. Und was sage ich? Unser Kopf ist ein geschlossenes System. Oder doch ein offenes? Zumindest unterliegt er der Entropie und Konfusion. Man kann gar nichts so schnell ordnen, wie es wieder auseinander fällt. Dass alte Menschen immer verwirrter werden, ist somit zwingend - ein Naturgesetz.
Wissen, das sich ausdünnt, ist wie Magermilch. Man kann davon mehr trinken, ohne zuzunehmen.
Die Magermilch ist wie ausgedünntes Wissen in unserer Welt auf dem Vormarsch, ungeheuer auf dem Vormarsch. Inzwischen ist die Magermilch so dünn, dass man sie getrost "Weißes Wasser" nennen könnte. Und das Wissen ist so dünn, dass es sich nur in seltenen Fällen lohnt, etwas zu wissen; womit das nächste Problem angezeigt wird: Wie unterscheide ich Wissenswertes von Unwissenswertem?
Immer vorausgesetzt Welt, Wissen, Ich, Du befinden sich in einem geschlossenen System.
Es gibt kein "außen Außen" und kein "innen Innen". Anders gesagt, es liegt an unserer Betrachtungsweise, was außen ist und was innen. Was ich z.B. als wissenswert betrachte, kann für dich absoluter Schmonsens sein. Und umgekehrt. Ich schätze, darum verkauft sich Magermilch so gut.
Und darum haben wir das Gefühl, immer weniger wirklich zu wissen, in einer Welt, in der das Wissen rein faktisch jeden Tag immens anwächst. Faktisch bedeutet auch, dass die Menschen, die sich wie Menschen bewegen und wie Menschen aussehen, auf mich oft wie Marionetten oder Zombies wirken.
Faktisch dünnt sich das Menschliche aus. Ein Religionslehrer von mir sagte: "Umso mehr der Mensch weiß, desto mehr weiß er, dass er nichts weiß." Ich weiß nicht, von wem er das zitierte. Es ist gut, oder? Ich finde meine These von dem sich ausdünnenden Wissen bestätigt. Wenn ich einmal weiß, dass ich nichts weiß, dann bin ich wahrhaft weise. Nein, soweit bin ich noch nicht, denn ich weiß noch zu wenig. Oder zu viel? Es liegt im Auge des Betrachters.
Es ist ein Witz, dass in einer Welt zunehmender Verrohung der Sitten und Moral die geleckten Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft diese Werte von jenen einfordern, die am unteren Ende der sozialen Leiter herumkrebsen. Freilich darf man jeden Menschen beim Schlafittchen packen und ihn zu mehr Moral, Demut und sozialen Gewissen mahnen; aber ich empfinde es als höchst unanständig, wenn sich gerade schmerbäuchige Politiker und andere Privilegierte aus dem Fernseher mit moralischem Zeigefinger in die Wohnzimmer derer lehnen, die durch eine jahrzehntelange Rationalisierungspolitik aussortiert und abgedrängt wurden. Es ist geradezu infam, was sich die Menschen aus der gehobenen Gesellschaftsschicht tagtäglich leisten ... und dann noch ihre Weisheiten im TV ablassen.
Ich plädiere nicht für noch mehr Wohlstand in unserer Gesellschaft, sondern für mehr Menschenachtung, die nach meinem Dafürhalten umso mehr abnimmt, desto mehr Reiche, Superreiche und Lackaffen es gibt. Hätten diese Leute ein soziales Gewissen, gäbe es keine Wohnungsnot, denn es gibt mehr als genug Wohnraum.
Hätten diese Leute ein soziales Gewissen, müsste schon lange kein Mensch mehr auf der Erde hungern.
Würden sie doch wenigstens die Klappe halten ... und sich und ihren Reichtum nicht noch rechtfertigen - dabei die Menschen verhöhnen, die sie ausbeuten!!
Für mich ist das harter Tobak. Ich bin Altenpfleger. Ich betreue und pflege die Menschen, die so gut wie keinen Fürsprecher mehr haben und muss mit ansehen, wie sogar diese hilflosen Menschen fürs Geschäft missbraucht werden. Die Heuchelei schlägt mir wie ein schwülwarmer Wind ins Gesicht: "Du kannst dir ja eine andere Arbeit suchen, wenn es dir nicht passt; der alte Mensch steht im Mittelpunkt ...", sagt man mir, ohne mit der Wimper zu zucken; und ich denke: "Klar, der steht im Mittelpunkt eurer wirtschaftlichen Interessen."
Dummerweise gibt es weder genügend Personal noch ausreichend Geld - also drangsaliert man die einfachen Mitarbeiter, legt ihnen Daumenschrauben an, damit sie endlich ihre Arbeit ordentlich verrichten, was im Grunde so viel heißt, dass sie nicht herummotzen und also gefälligst über die Missstände Schweigen bewahren sollen. Pflegeberichte und Pflegeplanungen werden gewissenlos getürkt.
Das Personal wiederum verliert die Motivation und läßt seinen Frust an jenen aus, die es eigentlich (liebevoll) zu betreuen und pflegen hat. Also, ich mach`s kurz: Es ist dann nur eine Frage der Zeit, dass Pflegemissstände aufgedeckt werden - ein Aufstöhnen geht durch die Gesellschaft ... und die sauberen Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft bescheren uns mal wieder einen tollen Diskussionsabend, nach welchem man so klug ist als wie zuvor.
Und so immerfort.
Mit Erschrecken stelle ich fest, dass meine letzte Urlaubswoche beginnt.
Alles in allem verlebte ich kurzweilige Tage. Nicht alles war Gold, aber einiges wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Manches erscheint mir bereits weit weg, so dass ich mich frage, ob ich es wirklich erlebte oder nur träumte. Vieles auf meiner Fahrradreise passierte wie im Tagtraum. Ich fuhr wie durch einen Tunnel, um mich herum ein riesiges 3D-Kino. Ich schummelte mich über die Wege und Straßen, als gäbe es mich nicht. Das dachte ich wirklich zwischendurch, wenn ich alleine Kilometer um Kilometer in die Pedalen trat. Das Universum existierte lediglich in meinem Kopf. Ich hatte beinahe autistische Anwandlungen. Es war derart intensiv, dass sich mein Geist vielleicht auf diese Weise schützte.
Warum verrinnt die Zeit nur so schnell? Nichts kann man festhalten. Immer der Blick nach Vorne.
Am schlimmsten waren die trüben Tage. Wenn ich dann noch die Orientierung verlor, wurde die Welt zu einem riesengroßen Irrgarten, in dem ich alleine und von Gott verlassen herumirrte. Da wurden ein paar Sonnenstrahlen zum schönsten Trost. Schließlich fand ich auch den Weg immer.
Und manche Tage waren unbeschreiblich schön. Mir fehlen die Worte, darüber zu erzählen. Alles war in wunderbares Licht getaucht und verwandelte sich vor meinen Augen gleichsam zu Gold. Ich war vor Glück ganz aufgeregt - jetzt nur nicht auf eine Straße und sich die Stimmung vom Auto- und Lastverkehr vermiesen lassen!
Wieder entdeckte ich viele schöne Orte und Landschaften Deutschlands. Die hässlichen Seiten einer überindustrialisierten Gesellschaft zeigten sich natürlich auch viel zu oft. Wir leben in einer Autowelt. Straßen durchschneiden brutal die Landschaften, und ich hatte stundenlang das Verkehrsgebrumme in den Ohren. Auf stark befahrenen Straßen fühlte ich mich ohnmächtig, förmlich erdrückt von der Blechlawine, die an mir vorbeirauschte. Es war teilweise sehr beängstigend. Haben wir uns an das alles bereits zu sehr gewöhnt?
Die Anspannung löste sich auf den Radwanderwegen, die ich immer wieder suchte.
Ich lächele für mich in Gedanken an meine Reise. Es war schön ... und ich blieb heil.
Ein freundlicher Montagmorgen läutet meine letzte Urlaubswoche ein. Bevor ich anfange darüber Trübsal zu blasen, schwinge ich mich lieber auf mein Bike und drehe eine Runde. Arrivederci, Freunde!
Das Halbfinale schaute ich auf einem Campingplatz am Bodensee zwischen Friedrichshafen und Lindau, d.h., es nannte sich Freizeitpark und war gleich mal 3 Euro teurer als normal. An der Rezeption standen drei Typen, die wie Wachleute aussahen - fehlte nur noch der Schlagstock am Gürtel - jedenfalls gaben sie sich derart. Das Bier musste ich mir vorher im Supermarkt des drei Kilometer entfernten Dorfes kaufen. War ja kein Problem an sich. Ich bin flexibel. Vom Zeltplatz zu den Waschräumen waren es gut 200 Meter Weges - was auch kein Problem war - 1. habe ich eine trainierte Blase, 2. war ich mit dem Fahrrad unterwegs. Außerdem pinkele ich nachts dann einfach auf den Boden, geschützt vom Zelt. Also alles kein Problem. Am Supermarkt des Freizeitparks, der aber leider geschlossen war, hatten sie einen großen Fernseher installiert. Dort saßen wir, es werden mit der Zeit doch um die zweihundert Menschen gewesen sein, und gafften auf den "kleinen" Bildschirm. Solidarisch rutschten wir zusammen. Einige brachten eigene Stühle mit, fast alle hatten ihre "Grundverpflegung" mitgebracht.
Neben mir saß eine Österreicherin, um die Fünfzig, schätze ich; sie zog mich wegen meines Getränkereservoirs auf. Dabei war das nur ein Sixpack. Da ich bereits eine dreiviertel Stunde vor Spielbeginn Platz genommen hatte, war es bereits zur Halbzeit ausgetrunken. Ich gab mir echt Mühe, langsam zu trinken. Umso erstaunter darauf die Österreicherin, als ich einen Liter Rotwein hervorzauberte. Ausserdem österreichischer. "Das ist ein guter", meinte sie. Yeah, Gott sei Dank, kam es nicht zur Verlängerung und zum Elfmeterschießen. Ich wäre auf dem Trockenen gesessen.
Ich glaube, wir spielten gegen die Türken. Nicht wir - was rede ich - die Deutschen - nicht die Deutschen, was rede ich - die deutsche Nationalmannschaft ... Glücklicherweise gewannen wir (nicht wir - was rede ich - die Deutschen - etc.); glücklicherweise fing es erst nach dem Spiel an zu regnen, denn wir saßen alle im Freien. Nicht vorstellbar, wenn nach dem zwischenzeitlichen Bildausfall noch der absolute Regenausfall hinzugekommen wäre auf diesem Luxus-Campinplatz, in diesem super Freizeitpark mit den freundlichen Wachsoldaten an der Rezeption.
Die "Deutschen" gewannen das Halbfinale, und ich wunderte mich über mich, dass ich mich darüber gar nicht recht freuen konnte - natürlich schrie ich "Ach!" und "Oh!" und "Yuppie!" und "Verdammt!" ... das ganze neben der Österreicherin, der ich für die Unterhaltung während des Spieles ausdrücklich danke. Links von mir saß nämlich ein älterer Alki, bei dem ich immer nachfragen musste, wenn er das Wort an mich richtete, weil ich ihn nicht verstand. Vielleicht war es auch sein Dialekt. Er nuschelte jedenfalls unverständlich, und ich war so verflucht höflich, immer wieder den Kopf in seine Richtung zu drehen, wenn er etwas von sich gab.
Nachdem ich nochmal Pinkeln war, fuhr ich zu meinem Zelt. Brot und Käse warteten auf mich. Ich hätte dieses Halbfinale bald vergessen, würde ich hier nicht davon erzählen.
Es kann eigentlich nur besser werden seit dem Kroatienspiel. Das Spiel gegen Österreich gewann Ballack - und die Österreicher waren mal wieder glücklos. Irgendwie ist Österreich doch sowieso nur ein Wurmfortsatz von Deutschland, oder? Die Schweizer empfinde ich als Nation wesentlich eigenständiger und originärer. Man könnte Österreich vielleicht als den kleinen Bruder Deutschlands ansehen. Österreichische Nationalisten wirken wie trotzige Jungs, die nicht immer die ausrangierten Sachen des großen Bruders anziehen möchten. Oder anders ausgedrückt: Die Österreicher haben sich von ihrem großen Bruder noch lange nicht emanzipiert.
Scheiße, ich wollte kein Österreicher sein - allerdings auch nicht Deutscher. Aber ich bin`s. Darum werde ich heute Abend wieder in der Kneipe sitzen, um wahrscheinlich leidvoll mitzuverfolgen, wie die deutsche Mannschaft gegen Portugal sang- und klanglos untergeht. Beim Kroatienspiel fuhr ich nach der ersten Halbzeit nach Hause.
Es regnete Hunde und Katzen, und ich wurde nass bis auf die Knochen. Ich hoffe beim heutigen Spiel auf ein schnelles, trockenes Tor der Deutschen, und ich werde mir wünschen, dass der türkische Kampfgeist auf sie übergeht. Vielleicht schaffen sie es, ihre Komplexe abzulegen und im Kampf zu überzeugen. Die Deutschen können Fussball spielen, sonst hätten sie bis dato nicht so viele Titel sammeln können. Sie spielen, wie sie spielen - deutsch halt. Und die Portugiesen spielen portugiesisch. Es ist doch auch Quatsch portugiesischen Wein mit deutschem Wein zu vergleichen. Ist es nicht schön über Fussball, Nationalitäten und Wein zu reden, ohne wirklich eine Ahnung von Fussball, Nationalitäten und Wein zu haben? Ist es nicht wunderbar, so ahnungslos wie die meisten Menschen zu sein? Man schwätzt dumm daher, und es macht nichts, denn alle schwätzen irgendwie dumm daher. Wow! Ich bin auf das Spiel heute Abend gespannt und hoffe, dass es nicht regnet. Weder hier noch in Basel. Obwohl: Schuhmacher gewann meist die Regenrennen ...
(Ach übrigens: die Arschwischmaschine hat Urlaub!)