Die Arschwischmaschine hat frei

Montag, 6. Juli 2009

Woher kommt die Milch?



Aus dem Automaten, Kind!

Dienstag, 21. April 2009

Wie man auf der Talstrasse zum Sozialisten wird

Wenn ich die dicken Autos sehe, die mich überholen, derweil ich mit dem Fahrrad die Talstraße hoch nach Hause fahre, werde ich automatisch zum Sozialisten. Ich komme mir vor wie der letzte Arsch, wenn ich höre, wie sie hinter mir anbrummen; und ich fahre schon ganz am Rand der abgelederten Talstrasse, aber die Idioten schaffen es nicht, mich mit ihren dicken Karren zu überholen. Mit dem Fahrrad holpere ich durch die Schlaglöcher am Straßenrand, ansonsten wäre ich auf der Straßenmitte tatsächlich eine Verkehrsbehinderung. Ich fluche auf die Wichser, wenn sie an mir vorbeibrausen, während ich mich den Berg hoch "abjanke".
Ich janke mir also einen ab auf meinem Fahrrad, während die dicken Karren an mir vorbeirauschen und mir von oben entgegenkommen. Ich frage mich, wo die arbeiten, dass sie sich diese PS-Monster leisten können. Wahrscheinlich nicht im Altenheim. Wie gesagt, wenn ich so auf den Straßen Deutschlands unterwegs bin, werde ich automatisch zum Sozialisten. Ich verstehe nicht, wie man für diese kapitalistische Perversion blind sein kann - aber na gut, wahrscheinlich bin ich nicht ganz normal.
Ebenso denke ich, wenn ich im Supermarkt, am Besten Freitags oder Samstags einkaufen gehe und in der langen Schlange vor der Kasse warte, und in die Einkaufswägen der anderen Einkäufer gucke - ehrlich, da könnte mir kotzübel werden! Ich sehe Einkaufswägen au masse angehäuft mit Scheißdreck.
Meine Liebe zu meinen Mitmenschen nähert sich dem unteren Schwellenwert, wo die Liebe schon mal leicht in Abneigung umschlagen kann. Aber ich komme nicht drum rum, denn auch ich brauche mein Bier, Nudeln und etwas Käse. Ich stehe also im Supermarkt an einem Wochenende (womöglich noch am Osterwochenende) in der Schlange vor der Kasse und werde automatisch zum Sozialisten - angesichts des Holocausts an Gehirnmasse , welchen ich beim Einkaufen beobachte (auch ich bleibe da nicht verschont).
Auf dem Parkplatz sehe ich dann, wie sie das ganze Zeug in ihre dicken Karren einladen. Da werde ich nochmals zum Sozialisten - echomäßig. Ich packe meinen Gram auch weg - in die Gepäcktasche meines Fahrrads. Irgendwie wieder mal der falsche Film, denke ich: Da wirst du wegen der kapitalistischen Konsumscheiße zum Alki, kommst davon nicht mehr weg; und du musst dir den Horror ewig angucken, musst dir den Schmerz geben!

Die Talstrasse liegt noch vor mir ...

Samstag, 18. April 2009

Dieser Tag ist Crank 2

Dieser Tag kommt daher wie eine dunkle, feuchte Arschritze. Ich wasche meine Wäsche und trinke die erste Flasche Bier. Draußen wie drinnen Waschküchenstimmung. Die Natur kotzt grün. Fositzien blühen knalle gelb. Es regnet permanent. Gestern schon, da ging ich ins Kino, in Crank 2. Der Film ist eine Actionorgie, wie ich sie selten sah. Ich amüsierte mich köstlich. Crank 2 ist total abgefahren, schräg, krank - fiesester, bester Pulp - natürlich nichts für zarte Gemüter.
Das Kino war so gut wie leer, und der Film hatte das richtige Tempo für geile Sexspielchen mit einer Partnerin. Ist schon wieder ein paar Jahre her, dass ich Sex im Kino hatte. Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Mir fällt der Name des Films grad nicht ein ... Er handelte von einem Pferderennen durch die Sahara. Meine damalige Freundin hatte ein Faible für Wüsten.
Crank 2 ist ein Film, den man getrost (wie die Pornos im Sexkino) als Endlosvorstellung laufen lassen könnte. Also vielleicht gehe ich noch mal rein, und dann mit Partnerin. Am besten fand ich die Szene, wo es Statham (der Hauptdarsteller) mit seiner Filmpartnerin mitten auf der Pferderennbahn wunderbar animalisch treibt, und die Pferde kommen angetrabt, und das Publikum grölt ... und dann die Einstellung, als die Pferde das Liebespaar überrennen: die Frau, die unter Statham liegt, reißt die Augen auf, als der riesige Pferdekörper über sie hechtet - man sieht nicht oft einen Pferdeschwanz aus dieser Position.

Das Bier ist leer. John Lee Hooker singt den Blues, und Bukowski grinst vom Bücherregal. Entschuldigt mich also kurz, bis ich mit einem neuen, kalten Bier zurück bin.

Dieser Tag ist Crank, ist Crank 2. Dieser Tag ist wie Bierflasche leer. Dieser Tag ist wie eine feuchte Muschi hinter einem Keuschheitsgürtel. Nichtsdestotrotz muss ich raus, bevor die Läden zumachen. Ich werde mich wohl oder übel vollpissen lassen,,,

(Da fällt mir doch noch der Name des Wüstenepos ein: "Hidalgo", hieß der Film damals. Die "Rahmenhandlung" - puuuuh! - werde ich nie vergessen.)




Donnerstag, 16. April 2009

Arztbesuch

Manche Tage fühle ich mich wie ein abgestandenes Bier. Oder wie eine holzige Kohlrabi. Ich komme nicht recht hoch. Der Himmel ist ein Spucknapf, und ich brüte auf dem Scheißhaus des Lebens vor mich hin. Findet Ihr das lustig? Ich komme mir vor wie in einem leeren Wartezimmer und frage mich, warum ich warten muss. Die Zeitschriften nehme ich kurz in die Hand und lege sie gleich wieder zurück. Ich bin total lustlos. Die immer wieder aufbereiteten Themen öden mich an. Ich atme und warte. Es ist vollkommen irre, dass ich hier bin. Ich bin nicht krank. Außer - das Leben ist eine Krankheit. Was meint Ihr? Ist das Leben eine Krankheit? Ich vergaß zu sagen, dass ich einen Arzttermin habe. Es muss ein Arzttermin sein. Jedenfalls sieht es hier nicht aus wie auf dem Finanzamt.
Natürlich ist das alles fiktiv wie die holzige Kohlrabi. In Wirklichkeit ist es völlig egal, wo ich gerade bin. Ich fühle mich nur so, als wäre ich bei einem Arzt wegen einer Hauterkrankung, und er erzählt mir vom Sezessionskrieg und zeigt mir ein Prospekt mit alten Repetiergewehren. "Das ist für unartige Patienten und Türken", sagt er, "raten Sie mal, was ich für diese Sitzung mit Ihnen bekomme?" Ich zucke mit den Achseln. Der Arzt zeigt mir auf dem Computerbildschirm eine Leistungsliste. "Nichts!" sagt er mit sarkastischem Unterton. Er scrollt hoch zu meinem letzten Termin - "Für den auch nichts! Ich bekomme 13 Euro 82 für Ihren ersten Besuch, egal wie oft ich Sie behandle."
"Dann komme ich doch noch ein paar Mal", sage ich süffisant lächelnd.
Mein Arzt zieht unter dem Schreibtisch eine Art Dolch hervor. "Doppelklinge, die eine Seite wie eine Säge geriffelt", sagt er, "ein echtes Notfallmesser. Es gibt nichts besseres." Ich bewundere das scharfe Messer und nicke. Er legt das Messer zurück.
"Und Sie meinen, der Hautausschlag wird nicht wieder aufblühen?" frage ich abschließend.
Er beschwichtigt: "Es kann noch ein paar Wochen dauern, bis er endgültig abgeheilt ist. Sie brauchen Geduld."

Manche Tage denke ich, dass die ganze Welt die Krätze hat, aber nur mich juckt es.

Samstag, 14. März 2009

Wie eine Schnecke ohne Haus

Nein, ich bin nicht der Typ Schnecke mit Haus. Ich schleppe so wenig wie möglich mit mir rum. Den Hausrat kann man regelmäßig ausmisten, die Kleider zur Altkleidersammlung geben, das Geschriebene redigieren - gut die Hälfte kann ich getrost wegfeuern; man kann regelmäßig zum Friseur gehen, die Zehennägel schneiden und Staub putzen, damit man in seinen vier Wänden nicht erstickt. Und ganz wichtig: Regelmäßig den Abfall rausbringen und den Elektroschrott nicht horten!
Mist, ich habe schon wieder zu viele Kaffeetassen. Die geklauten mag ich besonders gern. An ihnen hängen Erinnerungen. Die letzte nahm ich aus dem Krankenhaus mit, wo ich eine Woche mit einer Epiditymitis lag und um meine Eier bangte. Aber alles ging Gott sei Dank gut. Nein, ich sammele nicht gern. Irgendeine Kaffeetasse wird heute dran glauben müssen. Die Krankenhaustasse? Oder das Paar von der Ex? Ich mache mir die Entscheidung nicht leicht. Dann ist da noch die mit der Werbeaufschrift www.uromed.de - Katheterismuszubehör ...; außerdem habe ich noch zwei Glühweintassen ...

Okay, ich kam ganz weg von dem, was ich sagen wollte. Ich werfe gern Ballast ab. Das Leben macht einen mit der Zeit immer schwerer. Vorallem wenn man auf der Stelle sitzt/tritt. Deswegen fahre ich gern los, mit dem Fahrrad oder mit dem Zug. Wenn ich unterwegs bin, fallen viele Sachen an mir ab wie eine Kruste, die mich total überzieht, wenn ich zuhause bin. Kind und Kegel würden mich umbringen. Ich genieße mein Nacktschnecken-Dasein, auch wenn es Stunden des Sehnens nach sozialer Wärme und Geborgenheit gibt. Die Beziehung zu einer Frau kann ich mir dauerhaft nur sehr freizügig vorstellen.
So sehr wollte ich dann auch nicht Einsiedler sein, dass ich ganz ohne die Lust und die Wärme eines anderen, geliebten Menschen auskommen wollte. Auch liebe ich anregende Unterhaltungen und gemeinsame Unternehmungen. Was ich aber nicht mag, ist, dass man aufeinander hockt wie paarende Kröten. Dann kommt zu bald der Mief des gemeinsamen Alltags auf, und die Partnerin verwandelt sich nach und nach in ein Paar alte Socken oder in eine Kaffeetasse, aus der man, wenn man ehrlich ist, gar nicht mehr gern seinen Kaffee trinkt.

Manchmal stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn ich von heute auf morgen eine Amnesie bekäme.
Ich wache auf und kann mich an mein vorheriges Leben nicht mehr erinnern: Nicht an meine Eltern, nicht an meinen Bruder und meine Kindheit, nicht an die Schulzeit, an die alten Kumpels, die alten Lieben, die versoffenen Tage, die nicht fertig gebrachten Studiengänge, meine Jahre als Altenpfleger ...; alles wäre wie weg. Ich wache auf, erkenne mich zwar, aber außer mir selbst ist mir nichts mehr vertraut. Ich wundere mich über die Bücher im Regal und kann mich nicht entsinnen, sie gelesen zu haben; ich stöbere in meinen Aufzeichnungen und Gedichten und schüttele den Kopf - das soll ich geschrieben haben? Dann die Bilder: meine Bilder und die Photos aus der Vergangenheit - ich würde nichts mehr aus meinem früheren Leben erkennen. Wie frei würde ich mich mit einer solchen Totalamnesie fühlen? Könnte ich wieder von Null mit meinem (Erwachsenen-)Leben beginnen? Wäre ich noch ich?
Man muss es mit dem Ausmisten ja nicht gleich übertreiben. Meine Vergangenheit gehört zu mir. Gerade die Wunden und Dummheiten brachten mich zu dem Bewusstsein, das ich heute habe. Der Wunsch nach einem neuen Leben ist, glaube ich, ganz normal. Er ist wie der Wunsch nach Jugend, nach Unverbrauchtheit.

Fazit: Man kann sich von Vielem trennen, aber nicht von sich selbst, auch wenn man danach das Bedürfnis hat - wenigstens an Tagen, wo einem die eigene Identität wie eine lästige Kralle im Nacken sitzt und einen nieder drückt. Ich belasse es bei befristeten Ausbruchsversuchen, um meinen Träumen Nahrung zu geben. Es sind Träume vom Fliegen und von der Liebe. Es sind Träume aus Büchern und Filmen. Ich will nicht immer aus der selben Kaffeetasse trinken. Ich bin auf der Suche.
Der Roman des Lebens ist in Episoden geschrieben. Die Kunst besteht wahrscheinlich darin, dass man den Mut zum Abschluss und die Geduld für einen neuen Anfang aufbringt.



Montag, 9. Februar 2009

Ein echtes Kinoabenteuer - "Der seltsame Fall des Benjamin Button"

Das letzte Stück zum Kinocenter müssen wir zu Fuß zurücklegen, vom Wiesenplatz aus die Zollstraße entlang. Vor uns laufen zwei junge Frauen. Ich höre die eine den Namen Brad Pitt erwähnen und sage zu Meral, dass sie bestimmt auch in den Film gehen. Es ist dunkler Abend, klamme Februarwitterung.
Zwei Tage zuvor gingen wir denselben Weg, um Fleisch einzukaufen, das in Deutschland um mehr als die Hälfte billiger ist. Der Truthahn war lecker ... Die jungen Frauen sind tatsächlich noch vor uns. Wir müssen einfach nur hinter ihnen bleiben, und sie bringen uns direkt zum Kino, vorbei an einer alten, kleinen Kirche samt Pfarrhaus, einem Altenheim und einem Kiosk, der noch hell ist. Auf der Brücke zur Grenze begegnen uns immer noch Einkäufer, taschenbepackt oder mit Ziehwägelchen, auf dem Rückweg von Weil am Rhein.
Das Kino ist ganz oben. Wir kürzen den Weg ab durch das Parkhaus. Zielstrebig steuern wir die Kinokasse an. Es ist die Samstagabendvorstellung und zwei Schlangen Wartender stehen an. "Leider haben wir nur noch auseinander liegende Plätze", sagt der Kassierer. Nach kurzem Bedenken und einem Blick zu Meral nehme ich die Karten trotzdem. "Vielleicht können wir ja mit jemandem tauschen", sage ich. Die Vorstellung hat begonnen, und die letzten Reihen füllen sich. Unsere Hoffnung auf nebeneinander liegende Sitzplätze zerplatzt. Aber ich habe einen Platz ganz außen, und Meral setzt sich auf die Stufen neben mich. Der Film erzählt die seltsame Lebensgeschichte eines Mannes, der als Greis auf die Welt kommt und immer jünger werdend schließlich als dementes Baby in den Armen seiner großen Liebe stirbt. Das Leben ist grotesk. Speziell dieses Leben. Das Leben von Jedermann. Zwischendurch sieht Brad Pitt in dem Film wirklich aus wie Brad Pitt. Meral und ich sind gefangen vom Leinwandgeschehen. Die Geschichte wird in wunderbar poetischen Bildern erzählt, die das Herz anrühren - mal zum Lachen, und mal zum Heulen. Die Figuren erzählen von Hoffnung, Liebe und Einsamkeit; von den Träumen, die man hat, und wie das Schicksal Zeichen setzt; wie man an seinen Träumen vorbei lebt, als wären sie Inseln im Nebel; und dann reißt doch eines Tages der Schleier auf, und alles ist so, als hätte es gar nicht anders sein können. "Brad Pitt ist ein schöner Mann", flüstert Meral. Ich zucke mit den Achseln. Ein paar Minuten lang sieht er in dem Film wirklich nicht übel aus, bevor ein pubertierender Jugendlicher, der innerlich vergreist, und ein "dementes" Baby die Rolle des Benjamin Button übernehmen. Längst haben Meral und ich entschieden, dass der Film ein wahres Leinwandgedicht ist, ein Epos auf das Leben: Wie verrückt und grausam das Leben ist, und dicht daneben heiter, glücklich und voll Anmut - und alles ist geheimnisvoll, ein Mysterium.
Als wir wieder auf der Zollstraße sind, zurück in der Nacht eines Samstags im Februar 2009, verweben sich die Eindrücke wirr ineinander. Mir ist warm, obwohl es inzwischen graupelt. Zum Wiesenplatz, wo die Tram fährt, sind es gut 10 Minuten Fußweg. Die jungen Frauen sind vielleicht auch auf dem Rückweg, oder sie trinken noch eine Cola im Café des Kinocenters; oder sie bestellen etwas schärferes und reden über Brad Pitt. Wie`s aussieht, werde ich nicht jünger, denke ich, - noch pflege ich die Menschen im Altenheim, um dann eines Tages selbst die letzte Tür in meinem Leben aufzumachen. Bis dahin will ich noch vielen Menschen begegnen, die etwas zu sagen haben - wie in diesem Film, und wie Meral, und einige andere, die schon lange in meiner Erinnerung Platz genommen haben.
Wäre die Wirklichkeit nur nicht so verdammt wirklich: Eine verlauste, dicke Alte quält in der leeren Tram ihren Hund, der abwechselnd knurrt und heult ... Mich juckt ein Ausschlag auf dem Handrücken ... Wir treffen am Voltaplatz Merals Sohn, der mit einem Kumpel auf dem Weg zur Disco ist ... Im Milchhüsli bleiben wir bis zur Sperrstunde und rühren im eigenen Leben, - in unserer Liebe herum ... Wie immer trinke ich ein großes Cardinal ... Es könnte alles besser aber auch schlimmer sein.



http://wwws.warnerbros.de/benjaminbutton/

Mittwoch, 21. Januar 2009

Nummer 44

Der Präsident legte den Eid ab. Er war nun der mächtigste Mann der Welt. Mit Gottvertrauen, Intelligenz und Mut wollte er die großen Aufgaben angehen. Es gab viel zu tun. Sein Vorgänger hatte ihm eine abgewirtschaftete Nation hinterlassen und einen Krieg, der nicht zu gewinnen war. Der Präsident spürte, dass die Menschen an ihn glaubten. Die Herzen flogen ihm zu. Die Welt hielt den Atem an, als er die Hand zum Schwur hob. Würde er ein guter Hirte sein?
Er war jung - in meinem Alter. Kaum zu glauben. Ich wischte Popos im Altenheim, und er fuhr in einer gepanzerten Limousine zu den Staatsgeschäften. Im Fernsehen hörte ich seine Antrittsrede. Der Präsident sagte kluge Sachen. Ich bekam feuchte Augen. Millionen jubelten vor den Bildschirmen und auf den Straßen ihrer neuen Ikone zu. Die Erdenbürger hatten seit langem wieder einen Hoffnungsträger. Auch ich war ergriffen von dem Aufbruchsgefühl. Es war beinahe messianisch. Und es menschelte gewaltig. Wie sollte man sich dieser Stimmung entziehen? Selbst das Böse wurde rührselig. Trotzdem blieb ich skeptisch. Im Altenheim hatten wir einen neuen Heimleiter bekommen, der auch gut reden konnte. Leider bewegte sich deswegen nichts zum Besseren. Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein.
Ich wusste, warum ich lieber eine Arschwischmaschine war, und nicht Heimleiter oder gar Präsident. Ich konnte nicht glauben, obwohl ich die wahnsinnige Anziehungskraft spürte. Ich konnte mir einfach nichts einreden.
Ja, ich erinnere mich, dass dieser Präsident damals etwas ganz Besonderes war ... Er war Nummer 44. Der erste Farbige.
Aber die Menschen änderten sich darum nicht.


Dienstag, 6. Januar 2009

Schnoller

Nun wisst Ihr nicht, was ein "Schnoller" ist. Ich beginne das Neue Jahr mit einem neuen Wort. Vielleicht nenne ich fortan alle verrückten Träume "Schnoller" - Träume, die im Halbschlaf am Strand des Wachwerdens noch ein Weilchen nachwirken: Der Geruch des Schlafes hat sich noch nicht völlig verzogen - mumiengleich liegt man in seinen Gedanken, die Augen bereits geöffnet, in die heraufdämmernde Realität blickend - benutzte eine Traumfigur das Wort "Schnoller"? - in dieser Phase scheint mir noch klar zu sein, was das Wort bedeutet; aber bereits wenige Minuten später hat es sich samt Traum in den dunklen Abgrund des Irrsinns verabschiedet.
Einige Traumszenen aus der Neujahrsnacht will ich aufschreiben, bevor sie ganz im "Schnoller-Orkus" untergehen:
... Die Greisin mit den Streichholzarmen und -beinen wurde immer weniger, löste sich förmlich auf. Bereits wie mumifiziert lag sie im Pflegebett und sagte: "Ich habe noch Luft." Ihre Augen drohten den lebendigen Schimmer zu verlieren; trotzdem traf mich ihr Blick eindringlich, als sie zu mir sprach: "Du brauchst keine Angst haben ..."
Ihre Gestalt löste sich weiter auf, während sie ihre Worte gütig lächelnd wiederholte. Mund und Augen verschwanden zuletzt. Ich beobachtete, wie ihr Astralkörper langsam in die Tiefe des Raums davon schwebte. Neben ihr entdeckte ich zu meinem Erstaunen einen Begleiter, der wohl mit ihr den Weg ins Jenseits antrat.
"Wer ist das?" rief ich ihr hinterher.
"Herr Do..bo..rowski", antwortete sie, indem sie sich kurz zu mir umdrehte. Ich verstand den Namen nur undeutlich; und sie fügte hinzu, als ob sie meine Gedanken erraten hatte:
"Ja, auch aus dem Altenheim."
Mir lief es kalt den Rücken hinunter, bedeutete es doch, dass währenddessen noch ein Bewohner verstorben war - von uns völlig unbemerkt. Möglicherweise haben die Beiden sich verabredet, dachte ich amüsiert. Jedenfalls sollte ich vor dem Auftauchen des Frühdienstes herausfinden, um wen es sich dabei handelte ...
Zusehends entglitt mir der Traum ins echte "Schnoller-Traumversum", so dass sich das folgende Geschehen nicht mehr sinnvoll rekonstruieren lässt. Das Bild der abgemagerten Greisin, die sich vor meinen Augen völlig auflöste, blieb mir jedoch als bemerkenswert im Gedächtnis hängen.
Übrigens lebt die alte Frau noch. Sie sei noch "sehr lebendig" schrieb mir eine Kollegin, die über Silvester Dienst hatte, per SMS. Schön. Das "Schnollerversum" ist unergründlich. Doch manchmal bleiben geheimnisvolle Bilder und Eindrücke.


(04.01.2009)

Dienstag, 30. Dezember 2008

Mit Cardinal ins Neue Jahr

Morgen ist Silvester, und ich fühle mich wie mitten im Jahr - also von wegen Silvesterstimmung. Die letzten Male schob ich über den Jahreswechsel Nachtwache. Es ist eine Weile her, dass ich Silvester feierte, bzw. bewusst miterlebte. Stattdessen wechselte ich Windeln, ging auf die Klingel, während draußen die Böller krachten, und Raketen den Nachthimmel über der Rheinebene erleuchteten. In einer Pause stießen meine Kollegin und ich dann auch mit einem Glas Sekt an. Es ist eine schöne Sache, sich und anderen Menschen, der ganzen Welt alles Gute für das Neue Jahr zu wünschen. Wir kennen die Wünsche, auf die es wirklich ankommt: Gesundheit, Frieden und Sicherheit für die Zukunft. Die Jahre plätschern dahin, die Wünsche bleiben. Die Lotterie des Lebens verteilt ihre Gewinne wie auch die Desaster. Ich versuche mich in Gleichmut zu üben: Wenn es nur nicht viel schlimmer wird, brauche ich es auch nicht unbedingt besser. Ich hege nämlich insgeheim den Verdacht, dass wer dem Glück zu viel abverlangt, im Gegenzuge dem Unglück das Tor öffnet. Mitunter wurmt mich das bescheidene Dahinplätschern des Lebens schon, und ich überlege mir gravierende Veränderungen; doch bleiben meine Vorstellungen auf halber Strecke hängen - spätestens wenn sich die hohe Dame Vernunft zurückmeldet: "Felix, lasse die Flausen, die führen zu nichts als zu Ärger. Dir geht es doch gut. Fordere das Glück nicht heraus ..." Ich lernte mit dem Älterwerden, die Vernunft nicht weg zu schieben, wenn ich mal wieder Blödsinn im Kopf habe. "Na gut, du hast mal wieder recht", sage ich mir, also der Vernunft, "warum in die Ferne schweifen, wenn das Glück ist so nah. Ich müsste mich nur aufraffen, die vielen kleinen Dinge anzugehen, die mir schon lange vorschweben."Genau, Felix, du könntest eine Menge Sinnvolles für dich tun, nicht wahr?"
Morgen ist Silvester. Die Menschen überschütten sich mit guten Wünschen. Ich wünsche ihnen, dass ein paar davon in Erfüllung gehen. Ich fühle mich seltsam heute. Entschuldigt. Silvesterlaune kommt immer noch nicht recht auf. Ich habe eine ganze Woche frei. Wo ist meine Freude? Muss ich mich auf den Kopf stellen, damit sich die verkrampften Eingeweide lösen?

Morgen ist Silvester. Verdammt noch mal! Ich fahre nach Basel. Mich erwarten eine liebevolle Frau, türkisches Essen und ein mitternächtlicher Spaziergang an den Rhein. Und Cardinal Bier! Das Schweizer Bier ist nicht übel, vor allem das Cardinal. Wenn es nur nicht so teuer wäre. Und dann das Schwizzerdütsch - das verstehe ich nach drei Jahren noch nicht. Jeden Tag wollte ich es nicht hören.
Wenn ich erstmal unterwegs bin, wird sich meine Laune bestimmt bessern. Reisen finde ich immer spannend ...

Also Leute, lange Rede, kurzer Sinn: Alles Gute fürs Neue Jahr! (Und trinkt nicht so viel.)




Samstag, 6. Dezember 2008

Die andere Welt

Ich wollte, mein Kopf wäre ganz frei - um die Dinge um mich herum in einem größeren Zusammenhang zu erkennen, weit ab von meiner kleinen Erfahrungswelt, weit ab von dem menschlichen Bedeutungswirrwarr. Die Dinge würden auf geheimnisvolle Weise vor meinem geistigen Auge ineinander verschmelzen ... Wie soll ich es erklären, wenn ich diese Erfahrung nie wirklich machte, wenn es nur ein vages Gefühl ist wie die Ahnung von einer anderen Welt, die ungeschminkt vor uns liegt aber sich dem angestrengt Hinschauenden auf magische Weise entzieht?
Ich wollte, mein Kopf wäre ganz frei - manchmal, für den Bruchteil einer Sekunde, erwischt es mich, als ob kurz der graue Schleier aufreißt ... ganz kurz; zu kurz, um etwas festzuhalten. Trotzdem bin ich sicher, dass ich für einen Moment in die andere Welt blickte. Sind diese Momente eine Verrücktheit meines Geistes? Ich glaube fest daran, dass es hinter der rational erfahrbaren Welt eine andere, umfassendere Welt gibt. Der Künstler versucht durch Abstraktion ihr habhaft zu werden, der Geistliche durch den Glauben an eine höhere Wesenheit (Gott), der Philosoph sucht nach Weisheit und Wahrheit, und der Wissenschaftler forscht nach den Gestzen, die alles zusammenhalten, die erklären, warum ein Ding so ist, wie wir es sehen, und nicht anders.
Ich wollte mein Kopf wäre ganz frei - um all die verschiedenen Ansätze zusammenzubringen. Stattdessen wirbelt ein Orkan meinen Geist durcheinander, wirft mir die Dinge kreuz und quer um die Ohren, so dass ich vor Verwirrung erstarre. Wie soll man bei dieser Unordnung klar denken können? Was sehe ich da eigentlich? Konfusion und eine Nebelwand, die umso dichter wird, desto mehr ich in sie eindringe.
Vielleicht offenbart sich mir eines Tages die andere Welt - ganz ohne mein Zutun - völlig unerwartet lichtete sich der Schleier, und diesmal bliebe er offen, und ich würde wirklich erkennen.

ein literarisches Tagebuch

Kontakt



User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

deine Gedanken und Geschichten
und nicht ein einziger Kommentar darunter ist schon...
kontor111 - 30. Jan, 10:18
alien-lösung? da ging...
alien-lösung? da ging was an mir vorbei. ist aber eh...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:08
richtig. ich dachte nur,...
richtig. ich dachte nur, dass ich es meinen lesern...
bonanzaMARGOT - 17. Nov, 13:05
Wo ist denn das Problem?...
Wo ist denn das Problem? Durch die „Alien-Lösung” von...
C. Araxe - 7. Nov, 22:06
Wenn du ohnehin eine...
Wenn du ohnehin eine neue Blogheimat gefunden hast...kann...
rosenherz - 2. Nov, 13:51
Liebe Leser(innen)
Dieser Blog ruht fortan. Leider ist die Resonanz hier...
bonanzaMARGOT - 02. Nov. 19, 13:39

Archiv

Juli 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 
 

Neues in boMAs prosaGEDICHTE-Blog

Suche

 

Extras



prosaGEDICHTE (... die Nacht ist gut für die Tinte, der Tag druckt die Seiten ...)

↑ Grab this Headline Animator


Von Nachtwachen und dicken Titten

↑ Grab this Headline Animator



Status

Online seit 6509 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 30. Jan, 10:18