Berlin

Freitag, 25. September 2015

Wochenende!


Der Lehrer für Dokumentation (der mich stark an den Moderatoren Ralph Morgenstern erinnert) sagte: „Sie sind ja ein lustiger Haufen!“ In der Tat, das sind wir! Die Hühner sind nicht zu zähmen. Und da der Unterrichtsstoff bisher leicht und zügig abgehandelt werden konnte, lassen die Dozenten uns gewähren, wenn wir vom Thema abweichen, - mischen sogar selbst mit. Fast jeden Tag kommen wir auf die Flüchtlingsproblematik zu sprechen. Meine Klassenkameradinnen finden durchweg, dass viel zu viele Flüchtlinge ins Land kommen. Ich halte mich bei solchen Themen raus. Was soll ich dazu sagen? Bin ich vielleicht Politiker? Meine Meinung ist uninteressant und beruht auf viel zu wenigen Fakten. Eigentlich meine ich, dass die Flüchtlinge und Migranten eine Chance für unsere Gesellschaft bedeuten – auch wenn wir sie vorerst als Belastung wahrnehmen. In manchen Bezirken Berlins fühlt man sich als Deutscher tatsächlich als Ausländer im eigenen Land. Neukölln, wo sich die Schule befindet, ist solch ein Ort. Bei diesem Schmelztiegel der Kulturen, der Halbwelt und Armut, wundere ich mich eigentlich, dass nicht mehr passiert an Auseinandersetzungen oder Straftaten.
Hastig eilte ich heute nach dem Unterricht zur U-Bahn. Wochenende! Die vierte Woche Schule geschafft. Fünf Tage die Woche von morgens bis in den Nachmittag mit denselben Menschen die Schulbank drücken. Wir sind inzwischen gut vertraut miteinander. Ich kenne alle Krankengeschichten (und mehr) der Hühner. Dass ich sozusagen der Hahn im Korb bin, macht mir nichts aus. Sagen wir mal so: Wenn sie sich über die Männerwelt lustig machen, lache ich mit. „Er denkt sich seinen Teil“, sagen sie dann, und ich schmunzele. Ich bin eben ein Menschenfreund – ganz allgemein. Solange man mich nicht mit böser Absicht beleidigt oder verletzt, ist alles gut.

Müde bin ich von der Woche. Im Kopf dröhnt das Gegacker der Hühner nach. Nun heißt es ausspannen. O. und ich gönnen uns einen Wochenendausflug nach Stettin. In zwei Stunden geht der Zug.

Donnerstag, 17. September 2015

Britzer Garten













"Dahlien-Feuer"

Samstag, 22. August 2015

Schlachtensee und zurück


Am zweiten Tag als Strohwitwer wagte ich einen Fahrradausflug zum Schlachtensee. Ich hatte wirklich etwas Bammel. Die Stadt erscheint in der Vorstellung wie ein riesiger Irrgarten mit tausend Tücken und Gefahrenstellen. Als Fußgänger kann man es gemächlich angehen lassen, aber als Radfahrer wird man vom Strom des Verkehrs mitgezogen und muss jede Sekunde höllisch aufpassen – auf die Autos, Busse, anderen Radfahrer, die Fußgänger, Baustellen, parkenden Autos, den Bordstein… Verkehrshindernisse jeglicher Art. Man ist ständig im Stress.
Die ersten Kilometer fuhr ich frei Schnauze - ich wusste schließlich die Richtung: bei der Urania links halten, vorbei an kleinen Plätzen und durch kleine Sträßchen bis ich früher oder später wieder an eine der Hauptverkehrsadern stieß, die eine weitere Orientierung zuließen. Ich querte die Lietzenburger Straße, korrigierte meine Richtung, kam auf den Kurfürstendamm – hinein in den brüllenden Verkehrsfluss – und bog in die ruhigere Paulsborner Strasse ab. Von da an ließ es sich ganz manierlich fahren, weil es einen Fahrradweg auf dem Bürgersteig gab. Ruck zuck war ich in Grunewald, kam auf den Hohenzollerndamm, der in die Clayallee mündete. Nun immer der Nase lang nach Zehlendorf, rechts in die Argentinische Allee abbiegen – und ich war schon fast da. Am Mexikoplatz genehmigte ich mir unter „Fossilien“ ein Pils. O. und ich nennen alte Menschen Fossilien, weil sie bereits etwas versteinert aussehen bzw. wirken. (Das ist freilich nicht abwertend gemeint!) Dieses Café am Mexikoplatz scheint jedenfalls ein Fossilien-Treffpunkt zu sein, wo man ganz gemütlich draußen sitzen kann. Ich schaute auf die Uhr und stellte erstaunt fest, dass ich bereits 90 Minuten unterwegs war. Auf der Karte sieht es viel näher aus, und bestimmt gibt es einen kürzeren Weg als den, den ich wählte. Unweit vom Mexikoplatz ist die U-Bahnstation Krumme Lanke, von wo die U3 zum Nollendorfplatz fährt. O. und ich nahmen bei unseren Ausflügen zum Schlachtensee oft diese Fahrmöglichkeit. Ich radelte allerdings nach den Wegweisern (es gibt sie, wenn auch selten) direkt zum Schlachtensee, das heißt, ich kam am S-Bahnhof Schlachtensee an. Den trennt nur eine Straße vom Ufer. Das Ziel war erreicht, und ich musste überlegen, wie ich den weiteren Nachmittag verbringen wollte. Man sitzt dort auf der Terrasse eines türkischen Imbisses auch nicht schlecht; - beim Bier betrachtete ich die vielen Badegäste, die von der S-Bahn zum See hinab strömten, und in mir reifte der Entschluss, mich nicht unter sie zu mischen... Das Bad im Schlachtensee fiel somit ins Wasser. Egal, ich war mit O. schon oft genug im See Baden. Menschenansammlungen schrecken mich einfach ab – vor allem wenn ich allein bin.
Wie also weiter? Ich schwang mich wieder auf meinen Bock, fuhr die Straße am See entlang und bog am Ende in die Spanische Allee ein. Nach der Spinnerbrücke über die AVUS liegt links ein Biker-Treff, wo O. und ich nach dem Bad im Wannseebad abschließend gern ein Bier tranken. Die S-Bahnstation Nikolassee ist gleich gegenüber. Was soll ich sagen: auch dort kann man schön im Freien sitzen, Motorräder und Leute betrachten… Der Gerstensaft ist ziemlich günstig: ein (gezapftes) Hefeweizen kostet gerade mal 3 Euro und ein Halber Pils 2 Euro 70! Ich setzte mich in die Sonne und betrachtete mir die Fossilien dort. Unglaublich, wie viele im Alter noch aufs Motorrad kommen. Man kann dazu einige Überlegungen anstellen, doch diese würden, befürchte ich, den Beitrag sprengen.
Das Schöne oder das Dumme an der Zeit, je nach Betrachtungsweise, ist, dass sie für sich ganz ohne Anstrengung vergeht, und man selbst mit ihr älter wird, ganz egal, was man macht oder tut. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir an, dass ich mich langsam auf den Rückweg machen sollte. Ich wollte einen anderen als den Hinweg wählen und konnte schlecht abschätzen, wie lange ich unterwegs sein würde. Am naheliegendsten erschien es mir, rechts in den Kronprinzessinnenweg abzubiegen. Weiter ging es auf der Havel Chaussee, wo ich dann doch noch einen schönen kleinen Strand entdeckte. Ich kühlte mich ab und genoss den Blick zum Wannsee, über den sich langsam die Sonne senkte.





Die Zeit saß mir im Nacken (und außerdem gab es da kein Bier), also radelte ich nach einer kurzen, sinnlichen Verweildauer an diesem wunderbaren Fleck weiter. Es ist eine schöne Strecke durch den Wald, die Havel links liegend, allerdings leicht hügelig, so dass ich zeitweise stramm in die Pedalen treten musste. Als ich die Heerstraße erreichte, öffnete sich vor mir der Schlund der Stadt. Die letzten Kilometer verliefen schnurstracks Richtung Mitte. Es war ein Gefühl, als befände ich mich auf einer langen, langen Zielgerade.
Trotz der Hektik und dem Verkehrschaos in der Potsdamerstraße genoss ich die Vertrautheit und die Nähe meines Zuhauses; - Ironie am Ende meiner Tour: Nachdem ich den Gefahren des Straßenverkehrs entkam und für mein Empfinden alles wunderbar meisterte, hätte mich fast ein halbwüchsiger Fahrradrowdy auf dem Gehsteig vorm Supermarkt über den Haufen gefahren...

Donnerstag, 20. August 2015

Allein in Berlin


Wir Menschen sind schon seltsame Tiere: Es kommt vor, dass man einander überdrüssig wird, oder dass man einander auf den Wecker geht, aber ist man dann voneinander getrennt, wächst bereits nach kurzer Zeit eine große Sehnsucht nach dem anderen, dem Partner, der Partnerin, dem Freund.
Die Wohnung ist seit gestern Abend ohne Seele – so erscheint es mir. O.s Lebendigkeit fehlt. Ich vermisse ihr Lachen, ihre Umtriebigkeit, ihre strahlenden Augen, einfach ihren Anblick. Ich vermisse, dass sie mich anspricht, ihre Zärtlichkeiten, dass sie sich vorm Spiegel zurechtmacht, bevor wir aus dem Haus gehen…
Was mache ich ohne sie? Der Sommer dreht nach einer kurzen Pause wieder auf. Nicht nur die Wohnung wirkt ohne O. leer – dem gesamten Tag mit den Unternehmungen, die ich machen könnte, fehlt der Sinn. Ich sitze am Schreibtisch und grübele, wie ich den Tag verbringen soll: Natürlich will ich raus in die Sonne, Fahrradfahren irgendwohin… Mit O. war es immer mehr als ein Zeit totschlagen. Plötzlich fühle ich mich sehr allein in Berlin.
Am Montag unternahmen wir eine Schifffahrt auf Spree und Landwehrkanal. Nochmals erlebte ich eine andere Sicht auf Berlin. So viele Viertel, Plätze, Straßen, Parks und Seen entdeckten wir in den letzten Monaten zusammen. Die Stadt erscheint wie ein Riesengemälde, welches aus schier unzähligen Perspektiven zu betrachten ist. Die dreieinhalb Stunden auf dem Ausflugsdampfer vergingen wie im Fluge.
Gestern flog O. zurück in ihre Heimat, um ihre Kinder wiederzusehen. Ich werde eine lange Woche ohne O. in Berlin ausharren müssen. Solange das Wetter gut ist, will ich viel mit dem Rad fahren. Bestimmt entdecke ich dabei wieder neue Plätze und Ecken - und hoffentlich ein paar gute Radwege.





die Mauer

Dienstag, 18. August 2015

Auf dem Strohballenfest


Berlin ist ein riesiger Zirkus mit den absonderlichsten Erscheinungen. Täglich sehe ich Superlativen der unterschiedlichsten Prädikate. Am Sonntag auf dem Buckower Strohballenfest war es zwischenzeitlich ein regelrechter Augenschmaus - Karikaturen, wie sie keinem Zeichner besser (und vor allem originaler) aus der Feder fließen können, - wir stupsten uns immer wieder an und sagten: „Schau mal dort! Siehst du den oder die? Das ist dein Traummann! Das ist deine Traumfrau!“
Die Sonne drehte in den Mittagsstunden ganz schön auf und erzeugte über dem großen Acker des Bauern Mette eine Gluthitze. Die Menschen verliefen sich auf dem Terrain. Mir war das sehr lieb. Alles blieb überschaubar.
Ja, ich weiß, man sollte nicht über seine Mitmenschen lästern, aber man kann es sich in Berlin wirklich schwer verkneifen – zu groß ist die Schwemme der unterschiedlichsten Typen. Die einen wirken skurril bis komisch, andere einfach abstoßend bis widerwärtig - unglaublich, wie viele fette und schlecht angezogene Menschen es gibt! Relativierend meine ich zu O. : „Ist halt Geschmackssache.“ Oder: „Ich bin auch nicht gerade der Schönste.“ O. ist da ehrlicher im Ausdrücken ihrer Einschätzung, was schon mal zu peinlichen Situationen führen kann. Ich denke dann, dass die anderen vielleicht bemerken, wie missbilligend O. sie betrachtet. Natürlich leugnet sie die „Wertung“ in ihren Äußerungen, wenn wir über das Thema diskutieren. Mehr als das Äußere sollten eigentlich innere Werte zählen. Das ist doch ganz klar! Nach vielen Jahren Altenpflege weiß ich, wie wir Menschen durch Krankheit und Alter degenerieren können. Vieles ist abstoßend, manches auch komisch. Ich schaue meist darüber hinweg, aber manchmal erwische ich mich dabei, wie ich doch hinstarre; und wenn O. und ich in der Stadt unterwegs sind, können wir gar nicht anders, als uns über diverse Gestalten zu mokieren. Wir sind sicher nicht die einzigen, die sich auf diese Art und Weise unterhalten (lassen) – und ich überlege mir, was wir wohl für ein Bild als Pärchen nach Außen hin abgeben. Solange es nicht wirklich bösartig und menschenverachtend gemeint ist, darf man sich schon mal über seine Mitmenschen lustig machen. Allerdings hat alles Grenzen - ich habe nicht immer ein gutes Gefühl dabei. Das versuchte ich auch O. zu erklären…
Wir hatten also einigen Spaß auf dem Strohballenfest. Die Sonne und das Bier taten ihr Übriges. Auf einer kleinen Bühne wurde erst mongolische Folklore und später am Nachmittag Rock gespielt. Die Schwüle wuchs, und erste Gewitterwolken zeigten sich bedrohlich am Himmel, als wir uns sattgesehen und -gehört auf den Heimweg machten.











Sonntag, 9. August 2015

Too much


Ich glaube, die Liebe ist ein Muskel. Es gibt Tage, an denen ich „liebesmüde“ bin. Vielleicht ist dieser spezielle Muskel bei mir unterentwickelt. Wie ein Mensch nervlich belastbarer ist als der andere, können Menschen auch Liebe nur unterschiedlich stark geben und entgegennehmen.
O. ist den ganzen Tag unterwegs mit einem Bekannten, einem alten Freund ihrer Eltern, und ich bedaure es nicht.
Das Sommerwetter in Berlin hält an. In der letzten Woche waren wir dreimal am Schlachtensee und fuhren Ruderboot, spazierten den Uferweg entlang, schwammen und saßen beim Bier in der Sonne.
O. hat (während der Semester- bzw. Schulferien) keine Seminare und auch keine Sprachkurse – wir verbringen fast die ganze Zeit zusammen…
Oder die Liebe ist eine Art Haut: Sie verträgt nur ein gewisses Maß an Sonne und Wärme. Es zieht mich immer häufiger in den Schatten. Ich finde diesen Rückzug ganz normal, aber O. meint dann, ich würde sie nicht lieben. Vielleicht hat sie recht. Es gibt Tage, an denen ich mir unsicher bin, ob die Liebe wirklich Liebe ist. Ich meine, ganz allgemein.
Gestern waren wir auf dem Berliner Bierfestival, das zwischen dem Strausberger Platz und dem Frankfurter Tor an der Karl-Marx-Allee stattfindet. Auf fast zwei Kilometern reihen sich unzählige Bier- und Fressstände aneinander. Zwischendurch wurde auf kleinen Bühnen Musik und Tanz dargeboten. Etwa in der Mitte der „Biermeile“ setzten wir uns schließlich, tranken tschechisches und böhmisches Bier und schauten der "RiesBand" zu, die Rock und Blues spielte – gar nicht mal übel, wie wir fanden - eine Gruppe aus Den Haag, der Sänger ein Japaner um die Fünfzig mit grauem Wuschelkopf. Irgendwas faszinierte mich an ihm – vielleicht die Art und Weise seines Vortrags, immer einen Halben Bier griffbereit...
O. und ich verloren uns im Getümmel. Mehr und mehr Menschen strömten am Nachmittag herbei; auch die Anzahl derer, die zu tief ins Glas geschaut hatten, wurde immer größer. Idioten werden zu noch größeren Idioten, wenn sie betrunken sind, und Ekelpakete noch ekliger. Ich wollte nur noch raus aus dem Gedränge, dem Staub und der Sonne. Als ich mich nach O. umdrehte, war sie plötzlich verschwunden...





Rudern auf dem Schlachtensee




Schatten und Sonne







Berliner Bierfestival

Freitag, 17. Juli 2015

Sommerferien


Endlich wechselte ich den durchgerittenen Brooks Sattel mit einem Ersatzsattel. Als ich am Fahrrad herum hantiere, keimt in mir die Sehnsucht nach meinen Fahrradtouren auf. Seit ich in Berlin wohne, bewege ich das Fahrrad meist nur zum Einkaufen, weil Fahrradfahren O.s Sache nicht ist. Schade. Ich will sie nicht zu Fahrradausflügen drängen, - obwohl das Wetter jetzt im Sommer prima dazu wäre. Vielleicht würde es auch nicht gut klappen – ich bin es gewohnt, alleine durch die Gegend zu radeln – man weiß es nicht…, wie gut wir auf solchen Ausflügen harmonieren würden.
Egal. Es war nur das Aufflackern einer Sehnsucht, als ich den alten Sattel ersetzte. Nächste Woche fliegen O. und ich nach Kreta. Eine Woche an der Südküste in Matala, einem kleinen Fischerdorf, das in den Sechzigern die Hippies aus der ganzen Welt anzog. Was ich dazu im Internet las und an Bildern sah, weckt einige Vorfreude; aber sowieso ist alles anders, wenn man an Ort und Stelle ist.
In Berlin breitet sich heute eine große Schwüle über die Betonlandschaft. Sie kriecht in mich hinein und legt sich wie ein schmutziges weißes Tuch über meine Gedanken. Die Konzentration fällt schwer. Ich schwitze nicht. Aber ich fühle mich seltsam gelähmt. Vielleicht fühlen sich die drei Sonnenblumen ähnlich, die in der Vase auf dem Beistelltisch vor sich hin darben, denke ich bei mir. O. hat ein letztes Mal vor den Semesterferien ihr Seminar. Die Studenten erhalten die Scheine. Seit gestern haben die Schüler Ferien. Im Park am Gleisdreieck sitzen sie in Gruppen zusammen, feiern oder machen Sport… Ich komme mir vor wie ein Gespenst mit Körper – der ist unübersehbar - ; ich betrachte mir die Welt, immer und immer wieder, versuche mehr Klarheit zu gewinnen, aber ich pralle mit dem Kopf nur gegen eine Wand weich wie Watte (oder ein Kissen) und versinke in wirren Tagträumen.
Die Uhrzeiger schreiten unerbittlich voran, solange die Uhr aufgezogen ist oder von einer Batterie gespeist wird. Nachher treffe ich O. in Puschels Pub, einer Bierkneipe. Von dort werden wir zu Fuß eine Runde durchs Viertel drehen. Inzwischen kennen wir die Wege und Ecken, die uns gefallen.
Ich stemme mich gegen die innere Lähmung wie gegen eine schwere Schiebetür, bis ein Spalt auf ist, durch den ich mich zwänge und mich auf den Weg mache...

Donnerstag, 9. Juli 2015

Nach der Hitze


Der Foto-Fix Automat am Nollendorfplatz verriet mir die bittere Wahrheit. Schon immer hasste ich Fotos von mir, auch wenn mir meine Partnerin immer wieder beteuert, dass sie mich „hirschig“ findet. Eine Mutter mit drei Töchtern war vor mir dran. Ich brauchte die Fotos für den neuen Ausweis und Reisepass. Die Mädchen stellten die Mutter und mich als Wartenden vor eine harte Geduldsprobe. Es war heiß, sehr heiß. Endlich räumten sie das Feld, und ich begab mich in die enge Foto-Kabine und zog den Vorhang zu. Die Prozedur dauerte viel zu lange. Nach ein paar Anläufen – noch dämlicher als sowieso drein zu blicken – gab ich es schließlich auf und ließ die Bilder ausdrucken. Eilig steckte ich sie weg. Die Kinder standen mit ihrer Mutter noch vorm Automaten und diskutierten heftig. Offensichtlich waren sie ganz und gar nicht mit ihren Bildern zufrieden und wollten noch mal ran.
Gestern Morgen war ich beim Bürgeramt Heiligensee, wo ich auch schon meinen Berliner Wohnsitz angemeldet hatte. Die große Hitze war inzwischen verflogen. In der Nacht weckte mich Gewitterdonner. Ich brauchte eine Stunde mit U- und S-Bahn bis zum Bürgeramt am Rande von Berlin. Sechs Wochen musste ich auf den Termin warten.
Meine Nummer erschien auf dem Display im Warteraum, und ich eilte zu Platz Eins. Die Frau vom Amt verlangte meinen alten Personalausweis und zwei Passbilder. Wegen unserer baldigen Urlaubsreise musste ich einen Express-Pass beantragen. Der war freilich teurer. Insgesamt löhnte ich runde 120 Euro für Ausweis und Pass. „Darf ich Dir noch einen Express-Pass dazu geben?“ fragte die Frau vom Amt ihre Kollegin am Nebentisch, die aufstöhnte: „Wenn`s sein muss.“ Ich lächelte bedauernd. „Ab Montag können sie ihren Pass abholen“, sagte die Frau vom Amt freundlich an mich gewandt.
(Ich schrieb zum Thema Ausweis ein Gedicht.)
Es war erst kurz nach Neun, als ich zurück zur S-Bahnstation ging. Der Wind frischte auf. Ich trug kurze Hosen und ein Kurzarmhemd. Von einem Tag auf den anderen fielen die Temperaturen drastisch. Nicht, dass ich fror – die Lufttemperatur lag noch bei angenehmen 20 Grad Celsius.
Am Wochenende schwitzte man sich noch die Seele aus dem Leib. Samstag unternahmen wir mit dem IC einen Tagesausflug zum Ostseebad Binz. Gut drei Stunden Fahrzeit für eine Strecke. Und Sonntag waren wir auf dem Kladower Hafenfest. In der Sonne hielt man es kaum aus. Wieder staunte ich über O.s Durchhaltevermögen (nicht nur was das Bier angeht) – sie verweilte in der Sonne, während ich immer öfter den Schatten aufsuchte. Jedenfalls war ich nach dem heißen und anstrengenden Wochenende ganz schön groggy.
Herrlich der Tag an der Ostsee! Wir fanden bequem Platz am Strand und gingen im Meer Baden. Zwischendurch schlenderten wir über die Strandpromenade und in den Ort.
Das Kladower Hafenfest am Wannsee umschreibe ich am Besten mit den Worten „klein aber fein“. Vielleicht war es aufgrund der Wahnsinns-Hitze nur mäßig besucht. Auf einer Bühne wurde Jazzmusik gespielt – nichts besonderes aber auch nicht schlecht. O. ließ es sich nicht nehmen, ein erfrischendes Bad im Wannsee zu nehmen.
Verträumt saß ich auf der Rückfahrt vom Bürgeramt in der S-Bahn und schaute gedankenverloren auf die vorbeihuschenden Häuserlandschaften Berlins - von Haltestelle zu Haltestelle. Alles wirkte bereits einigermaßen vertraut. Friedrichstraße stieg ich aus - was machen mit dem angebrochenen Tag?








Binz










Kladower Hafenfest

Freitag, 3. Juli 2015

Bergmannstraßenfest




...buntes Durcheinander

Donnerstag, 2. Juli 2015

Sommer-Blues


Beim Bergmannstraßenfest am Wochenende kündigte sich das Sommerhoch „Yasmine“ bereits an.Wir schoben uns durch das Gedränge von Bühne zu Bühne. Nach einer Darbietung der Blues-Legende „Guitar Crusher“ machten wir uns am frühen Abend auf den Nachhauseweg.
Ich war müde vom Bier, der Sonne und dem ganzen Trubel. O. ist härter im Nehmen, obwohl sie, wenn ich sie frage, was ich für sie zu Trinken bestellen soll, fast immer sagt: „Dasselbe – natürlich.“ O. ist von zierlicher Statur, und ich machte mir Anfangs Sorgen wegen des Alkohols, ob sie so viel verträgt.
Wir kamen an einem Eiscafé vorbei, vor dem sich auf dem Gehsteig eine Schlange gebildet hatte. „Ein Kult-Eiscafé“, witzelte ich trocken. Ich kann über solche Phänomene immer wieder staunen. Mir müsste man Geld bezahlen, damit ich mich in eine solche Schlange stelle.

Vorm Einschlafen gewöhnte ich mir an zu lesen - falls O. mich lässt. Sie schenkte mir letzten Herbst „Mister Aufziehvogel“, ein Roman von Haruki Murakami – ein ganz schöner Wälzer, aber die ersten hundert Seiten ließen sich ganz gut an.
Seltsam, wie sich das Klima zwischen zwei Menschen ändern kann, von Tag zu Tag oder gar von einem Moment auf den nächsten. Es ist regelrecht physisch spürbar, wenn Verstimmungen auftreten. Man kann sich freilich auch alles nur einbilden, und der andere reagiert dann überrascht mit den Worten „Was ist denn los?“ (- was natürlich auch eine Mache von ihm sein kann).
Das Hoch „Yasmine“ nahm von Sonntag an kräftig Anlauf. Jeder Wochentag wurde heißer.
Die Hitze drückt auf Kopf und Brust. Ich bin gereizt und sage oft, dass ich meine Ruhe will. Es tut mir jedes Mal leid, wenn ich O. abweise.

Am Montag fiel der Strom in zwei Räumen aus. Ich kontrollierte die Sicherungen, konnte aber nichts entdecken. Schließlich fanden wir heraus, dass beim Aufdrehen des Warmwassers der Strom unerwartet wieder da war. Ich rief die Hausverwaltung an und beschrieb den Sachverhalt.
Der Handwerker, der am Nachmittag vorbeikam, machte große Augen, als ich ihm den Effekt vorführte.
Schließlich musste eine Sicherung ausgetauscht werden. Er radebrechte in Deutsch, ich verstand ihn kaum. Für den Effekt beim Aufdrehen des Warmwassers hatte er keine Erklärung.
Ich holte O. am Abend von der Sprachschule am Gesundbrunnen ab. Sie hat immer eine Menge von den Kursteilnehmern zu berichten. „Du glaubst nicht, wie schlecht manche sind*...“ Während sie erzählt, versuche ich mir die Figuren bildhaft vorzustellen, junge Leute aus Bulgarien, Afghanistan, der Türkei, Polen… jeder mit seiner Geschichte und seinen persönlichen Eigenarten.
Wir gingen essen. O. nahm ein Rinderhüftsteak und ich Kalbsleber.
Danach versackten wir im "Bierbrunnen". Nein, versacken ist zu drastisch ausgedrückt. Es waren einfach ein oder zwei Bier zu viel in der Tagesbilanz. Wir fühlten uns wohl bei dem Barkeeper, einem knuffigen Sechzigjährigen, der sich auf seine alten Tage eine Harley gekauft hatte. Sein Traum wäre, einmal die Route 66 entlang zu touren, sagte er.

Die S-Bahn klaute mir eine meiner Birkenstocksandalen, als ich einsteigen wollte, aber O. mich zurückhielt. Die Türen schlossen sich, als ich meinen Fuß zurückzog, und der Schuh blieb drin. Wütend schüttelte ich auch den anderen vom Fuß und schmiss ihn in einen der Abfallbehälter auf dem Bahnsteig. Der Rückweg vom Gesundbrunnen gestaltete sich etwas umständlich. Da war sie wieder, diese Verstimmung, die wie schlechtes Wetter auftaucht – dabei waren Hüftsteak und Leber gut gewesen, und wir hatten einen schönen Abend. Es ist wie etwas, das in Balance erscheint und durch eine leichte Erschütterung oder Irritation, ins Chaos überwechselt. Plötzlich steht man im Nebel und blickt nicht mehr durch. Die Gespenster der Ungewissheit, der Angst und Lähmung zogen mich in ihren Bann. Warum? Ich wurde in meine Kindheit zurückgeworfen, als ich mich beim Spaziergang mit den Eltern trotzig immer weiter zurückfallen ließ. Die Welt war hässlich und ungerecht! Sah denn niemand, wie sehr ich litt!?!

O. zeigt bewundernswert viel Geduld mit mir. Vielleicht kann nur ich mich auf Dauer ertragen.
Samstag unternehmen wir einen Ausflug nach Binz. Und für Ende Juli buchten wir eine Pauschalreise nach Kreta. Die Aussichten für den Juli sind verdammt gut!
Es ist Mittag - wir hören Internet-Radio, einen Blues-Sender. Die Sonne knallt auf die parkenden Autos und das graue Pflaster. O. sitzt auf der Couch, während ich versuche, ein paar brauchbare Sätze aus mir herauszukitzeln. „Störe ich dich?“ fragt sie. Ich schaue gedankenversunken zu ihr rüber.


(*O. verbesserte mich, die Schlechten seien die Ausnahme.)





"Guitar Crusher" auf dem Bergmannnstraßenfest

ein literarisches Tagebuch

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