Arbeitslos

Sonntag, 5. Juni 2016

Audit-Vorbereitungen


Die Kollegin meiner Praktikumsleiterin führ für eine Woche nach Prag. Zwischenzeitlich ballten sich Gewitterwolken über ihrem Arbeitsplatz zusammen. „Wie kann man zwei Wochen vor dem Audit in Urlaub fahren“, kotzte sich meine PL in der Zigarettenpause bei mir aus, „letztes Jahr machte sie es genauso.“ Die Tabellen, die sie ihr hinterließ waren fehlerhaft. Mit einem Statistikprogramm sollen Schätzungen der Überlebensraten nach Kaplan-Meier erstellt werden. „Sie sagte, dass sie mit dem SPSS (Statistikprogramm) arbeiten kann, aber in Wirklichkeit hat sie keine Ahnung!“ „Und nun hast du alles an der Backe.“ „Genau!“ Meine PL drehte am Rad, sie war stinksauer. Ich blickte anteilsvoll drein und wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Beiden schienen in meinen Augen ein gutes Team zu sein, zumindest was die Zigarettenpausen anging. Sie arbeiteten immerhin schon vier Jahre zusammen.
Am Donnerstagvormittag kam ein pensionierter Statistiker und machte für uns eine kurze Einführung ins Statistikprogramm. Für meine PL ist Statistik Neuland. „Ich muss nicht alles verstehen, aber ich will wissen, wie ich diese Kaplan-Meier Auswertung hinkriege“, sagte sie, denn die werden fürs Audit verlangt. Die Statistiker der Klinik wurden wegrationalisiert. Nun diskutiert man eifrig über Fortbildungen. Überall dasselbe Spiel: Personal wird an allen Ecken und Enden eingespart. „Der Klinikchef ist BWLer“, erklärte mir meine PL. Die hektischen Audit-Vorbereitungen erinnerten mich an die Flickschusterei, wie sie auch im Pflegeheim betrieben wurde. Die Klinikstrukturen sind nur noch viel komplizierter.
Am Freitag erstellten wir die erste Kaplan-Meier Auswertung mit Diagrammen zur Sterblichkeit bei Magenkarzinom. Meine PL freute sich wie ein Schneekönig und bauchpinselte mich in ihrer Euphorie: „Ohne dich hätte ich das nicht hingekriegt, und überhaupt muss ich deine Arbeit loben…“ Mir war es peinlich, denn ich hatte nicht das Gefühl, viel geleistet zu haben. Dass ein Vorgesetzter meine Arbeit lobte, ist verdammt lange her. In meiner Zeit als Nachtwache bezog ich die Anerkennung für meine Leistung hauptsächlich von den Altenheimbewohnern. Also war ich auch angenehm berührt, als meine PL kurz vor Feierabend ihre Lobesrede hielt.
Morgen ist die Kollegin vom Urlaub zurück. Ich hoffe, dass ich nicht Zeuge eines Bürogemetzels werde, - dass ich in ihren Zwist nicht hineingezogen werde. „Sie ist eben nur einfache Mitarbeiterin“, sagte meine PL in der Zigarettenpause, in die ich sie loyaler Weise (als Nichtraucher) begleitete, „wenn du weißt, wie ich das meine. Und ich gehöre quasi schon zur Führungsebene…“

Mittwoch, 1. Juni 2016

Allet is jut


Ich streiche mir mit der Hand über den frisch frisierten Kopf. Ich liebe das Gefühl, meine weichen Haare zu spüren. Noch sind sie vorhanden. Heute, im Laufe des Vormittages, dachte ich, dass die Seele den Körper umfasst. Und wenn man den Faden weiterspinnt, umfasst die Seele die gesamte Umgebung, nicht nur einen selbst. Da sitze ich in einer Kneipe, trinke Bier und schaue hinaus in den Regen, schaue auf die Fußgänger, auf die Kulisse… Selbst der Autoverkehr, den ich hasse, gehört zu meiner Seele.
Ich lächele unwillkürlich, und ab und zu lächeln fremde Menschen mit, in der U-Bahn oder sonst wo.
Ich spüre, dass alles zusammengehört. Der ganze Scheißdreck, sozusagen.
Die Friseurin war nett. Ich genoss es, von ihr den Kopf gewaschen zu kriegen…

Ein Tag Schule während des Praktikums. Die Schulleiterin fragte nach unseren ersten Erfahrungen. Nur die Hälfte von uns war anwesend. Ich hätte eine Menge sagen können, aber ich hatte das Gefühl, dass es niemanden wirklich interessierte.
„Handeln wir das zügig ab, dann können Sie sich heute einen Blauen machen“, sagte die Schulleiterin.

Samstag, 28. Mai 2016

Fortbildung

...zur neuen ISO 9001, insbesondere Risikomanagement. Das Chefarztehepaar erscheint im ersten und letzten Drittel, als Brötchen, Kuchen und Kaffee aufgetischt werden. Ich halte mich am Mineralwasser. Einige Ärzte und QMBs sitzen in der Runde. Ich wundere mich, wie viel ich von dem Vortrag verstehe. Das meiste sind Allgemeinplätze. Eine Menge Blablabla. Plan-Do-Check-Act, der PDCA-Zyklus etc.. Alles ist bis ins Kleinste vordefiniert und klingt an sich logisch wie Mathematik. Auf der einen Seite die Sprache des Qualitätsmanagements, und auf der anderen Seite sitzen Menschen… Der Dozent bemüht sich. Er ist Sechsunddreißig und sieht aus wie Mitte Vierzig. Ich schätze, er hat ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Meine Praktikumsanleiterin ist begeistert von ihm. Sie initiierte die eintägige Fortbildung.
„Ich musste den Stoff deutlich herunterbrechen. Für das Thema kann man gut und gern eine Woche verwenden“, sagt der Dozent. Zwischendurch schaut er mich an und grinst. Ich grinse zurück und komme mir blöd vor. Der Nachmittag zieht sich mit Risikomanagement. Man diskutiert über vorstellbare Szenarien. Das Chefarztehepaar ist zurück. Ein Tablett mit Kuchen wird herumgereicht, Kaffeetassen werden nachgefüllt. Der Chefarzt schwäbelt mit sonorer Stimme. Er liegt mehr auf seinem Stuhl, als dass er sitzt. Man reagiert recht unterwürfig, wenn er seinen Senf dazugibt. Er gilt als Koryphäe.
Die letzten Minuten fühlen sich an wie eine verstopfte Sanduhr. Der Dozent geht herum und reicht allen die Hand. „Viel Input, aber interessant und anschaulich“, sage ich ihm.
Auf dem Heimweg atme ich auf, aber der schwüle Tag macht es mir schwer. Er lässt mich nicht los, und ich kann auch nicht loslassen.

Donnerstag, 28. April 2016

Beim Feierabendbier


Wat`n Aprilwetter! Licht und Schatten wechseln in schneller Abfolge. Ich verbringe die Praktikumstage halb besoffen, ausnahmsweise ohne wirklich getrunken zu haben (von der Tagesdosis abgesehen…).
Die erste Woche fast geschafft! Das Klinikgelände liegt am Rande Berlins, – war ganz früher eine Psychiatrie, erzählte meine Praktikumsanleiterin. Sie ist ganz Berliner Schnauze, geradeheraus. Bis jetzt habe ich keine Probleme mit ihr. Sie ballerte mich nicht zu. Gut so, denn die vielen neuen Eindrücke von der riesigen Klinik und ihren Göttern in Weiß alleine reichten aus. Als QMB schleppte sie mich mit zu allen möglichen Abteilungen und Besprechungen. Freilich kapierte ich nicht die Welt - der medizinische Fachjargon und die vielen Abkürzungen... Spannend war es aber allemal, z.B. eine interdisziplinäre Tumorkonferenz besucht zu haben.
Unser Büro liegt in einem großen, alten Backsteinbau, weit abseits vom modernen Hauptgebäude. So kommen wir oft an die frische Luft, denn alle wichtigen Ansprechpartner sitzen im Hauptgebäude. Außer mir und der QMB arbeitet im Büro noch eine MDA für Tumordokumentation. Ich soll meine Praktikumsanleiterin bei ihren QM-Aufgaben unterstützen. Außerdem ist sie noch Studienkoordinatorin, was für mich schon deswegen interessant ist, weil unser Schul-Projekt „Klinische Studien“ zum Thema hatte.
Bisher läuft die Einarbeitung locker. Wir sitzen oft zusammen und plaudern ungezwungen. Die Beiden sind alte Hasen in der Klinik, kennen Hinz und Kunz und können viele Geschichten zum Besten geben. Ab und zu komme ich mir überflüssig vor, wünsche mir (fast) die Schule zurück. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich in der neuen Umgebung, mit der medizinischen Arbeitsmaterie und im Umgang mit den neuen Kolleginnen halbwegs sicher fühle. Der Anfang ist jedenfalls gemacht. Bestimmt hätte ich es mit dem Praktikum schlechter erwischen können.
Die ersten drei Tage hatten wir zusätzlich einen vierbeinigen Mitarbeiter, den Yorkshire Terrier meiner Praktikumsanleiterin, d.h. ihrer pubertierenden Tochter. Ich fühlte mich fast so, als wäre ich bei jemandem zuhause zu Besuch und nicht an einem Arbeitsplatz. Wenigstens zweimal täglich gingen wir mit dem Hund Gassi. Er hatte auf den Wiesen zwischen den alten Backsteingebäuden Auslauf.
Erwähnenswert auch, dass just in unserem Gebäude gerade Dreharbeiten für einen TV-Krimi liefen…

Nun, ich habe gemischte Gefühle zu den ersten Praktikumstagen, recht passend zum Aprilwetter. Dazu einen dicken Kopf. Das Feierabendbier schmeckt besser als nach der Schule. Kann aber auch Einbildung sein.

Donnerstag, 21. April 2016

Das Ende naht


Morgen bekommen wir den EDV-Abschlusstest zurück, und am Montag beginnt das Praktikum. Inzwischen sind die Hühner und ich reichlich schulmüde. Acht Monate Unterricht, täglich vier Doppelstunden, liegen hinter uns. Fast alle hielten durch - eine Schülerin schied wegen Krankheit aus. Den Abschluss der Fortbildung Ende August vor Augen nagt an einem zunehmend die Ungewissheit, ob man für die Zeit danach einen Job ergattert. Einige erhoffen sich eine Übernahme durch den Praktikumsbetrieb. Soweit denke ich noch nicht – erst mal sehen, was im Praktikum auf mich zukommt und wie ich mich in die Materie einarbeiten kann. Gestern telefonierte ich mit der Dame, für die ich tätig sein werde. Sie meinte, ich solle ganz entspannt sein… Das Gespräch mit ihr beruhigte mich etwas. Man ist doch jedes Mal angespannt vor einer neuen Herausforderung. Ich will mir im Praktikum nicht die Zeit um die Ohren schlagen müssen. „Nein“, sagte sie, „da müssen Sie überhaupt keine Sorge haben!“ Schön. Ich bin sehr gespannt darauf, was mich erwartet. Sie erzählte mir von meinem Arbeitsplatz, dass wir eine Kaffeemaschine, eine Mikrowelle und einen Kühlschrank hätten. Das Büro, in dem noch eine Kollegin säße, sei in einem Altbau mit hohen Räumen – sehr ruhig. „… und wir haben noch niemandem den Kopf abgebissen, nur ab und zu in die Waden…, hahaha!“

Die Vormittagssonne grinst hämisch. Mein Schädel brummt nach dem Zahnarzttermin. Ich nahm mir für heute frei. Es läuft sowieso nichts mehr in der Schule. Wozu die Zeit absitzen.
„Der Gedanke fühlt, das Gefühl denkt.“* Kann es überhaupt anders sein?
Man sollte von seinem Zahnarzt Schmerzensgeld verlangen können. Meine Gedanken fühlen sich nicht besonders, und mein Gefühl sagt mir: Schalte den Computer aus und geh raus!


(*Miguel de Unamuno)

Donnerstag, 17. März 2016

Projektwoche


Die Hühner fetzen sich. Tränen fließen. Ich als ausgleichender Part muss mir gut überlegen, was ich sage, damit ich mich nicht in die Nesseln setze. Wir sind die drei übriggebliebenen. Die anderen in der Klasse hatten sich für die Projektarbeit bereits im Vorfeld zu Gruppen zusammengefunden. Ehrlich gesagt stellte ich mir nicht vor, dass es derart schwierig werden würde. Ich bin der pragmatische Typ nach dem Motto: verteilen wir die Aufgaben, treffen uns ein paar Mal, um uns abzustimmen, und üben schließlich die Präsentation ein – fertig! Aber da machte ich die Rechnung offenbar ohne den Wirt. Von vorneherein gab es Abstimmungs- und Kommunikationsprobleme zwischen den Hühnern, jede Kritik wurde gleich persönlich genommen. Das schönste Zicken-Gezänke war die Folge. Die Arbeit blieb liegen, es wurde endlos über Kleinigkeiten debattiert, bis es schließlich fast zum Zerwürfnis kam. Das ganze zum Amüsement der anderen Hühner, die uns beobachteten.
Außerdem hatten wir uns ein nicht ganz einfaches Thema (klinische Studien) ausgesucht, in dem man sich wunderbar verzetteln kann. Ein äußerst trockener Stoff…

Die Sonne scheint, ein vorfrühlingshafter Tag. Mir ist ganz und gar nicht nach Projektarbeit, dabei ist noch einiges fertigzustellen. Und sowieso ist mir nicht nach den Hühnern und ihren Streitigkeiten.
Das Leben ist hart (das Leben ist kein Ponyhof): Zudem hatte ich am Morgen einen unangenehmen Zahnarzttermin und bin seit gestern (mal wieder) Strohwitwer.
Am liebsten würde ich mich einfach in die Sonne setzen und die Seele baumeln lassen.

Freitag, 5. Februar 2016

Aktiv


Ein Tag zum Durchatmen, je nachdem wie man es sieht. Der Taktstock der Zeit plärrt unaufhörlich wie die U-Bahn auf der Hochtrasse – alle paar Minuten. Ich denke an Vater und Mutter, die beide Anfang Februar Geburtstag haben. Vor mir ist die weiße Zimmerwand. Bluesmusik unterschiedlicher Interpreten tönt aus den Lautsprechern. Die meisten tot oder nahe dran. Ich höre ihr Echo in der Zeit. Irgendwo sind sie alle… zusammen mit meinen Eltern. Das Leben pulsiert indes weiter und spuckt neue Seelen aus. Jede Sekunde, Minute. Willkommen auf der Welt! Und nun geht`s zum Beschäftigungsprogramm. Wir machen es alle durch und stecken altersbedingt in verschiedenen Phasen. Gottverdammt, warum liebe ich das Leben nur so?!?
Ich blicke auf Hausfassaden, auf einen grauen Tag, auf vorbeigehende Passanten, auf parkende Autos. Ich suche nach Worten. Ich tanze zur Musik. Ich mixe mir einen Drink. Ich dachte nie, dass ich so weit kommen würde. Ich sitze am Strand des großen Meeres und genieße den Blues.
Wir (Schüler) sollen uns um einen Praktikumsplatz bemühen, sagte die Schulleiterin. Dafür gab sie uns einen Tag frei. Wir sind einfach nur froh, dass wir ein verlängertes Wochenende haben. Um kein allzu schlechtes Gewissen zu haben, schickte ich noch zwei Online-Bewerbungen ab und fragte bei ein paar Krankenhäusern telefonisch nach, ob ein Praktikum möglich wäre. Es wird sich schon etwas ergeben. Bisher ergab sich immer was. Wenn ich nur mal richtigen Ehrgeiz für eine Sache entwickeln könnte… im Hier und Jetzt. Das Beschäftigungsprogramm des Lebens liegt mir nicht. Weiß der Teufel, warum. Am liebsten verbringe ich die Tage mit Nichtstun.
Quatsch! Ich schreibe mich hier um Kopf und Kragen. Natürlich bin ich gerne aktiv. Wenn es nur nicht so mühsam wäre.

Sonntag, 10. Januar 2016

Bewerbung


Ich mag die Lehrerin nicht besonders. Wahrscheinlich ist es ihre Ausstrahlung – genau kann ich gar nicht benennen, was mich an ihr stört. Sie besitzt eine Kreisch-Stimme und wirkt nervös. Da wir uns in Bälde fürs Praktikum bewerben sollen, ist Bewerbungstraining angesagt. Ich bin dankbar für ein paar Tipps und Anregungen diesbezüglich, aber damit ganze vier Unterrichtstage zu verbringen, erscheint mir total übertrieben. Ich sitze stumpfsinnig vorm Computer, während die Hühner in meiner Klasse tratschen, die Lehrerin vorne nacheinander die Lebensläufe in Einzelgesprächen bespricht. Die Schultage ziehen sich wie Kaugummi. Meine Augen brennen vom Kunstlicht, zudem kündigt sich eine Erkältung an.
Mamma Mia, was man alles bei einer Bewerbung beachten muss! Die Lehrerin spricht von den Soft- und Hard Skills, und wo sie hineingehören, von der richtigen Gliederung von Lebenslauf und Anschreiben, was unbedingt angegeben werden muss, was dagegen nicht. So sind die Spielregeln – eine Form des Anbiederns auf dem Arbeitsmarkt. Keine Frage, dass ich sowas zum Kotzen finde.
Ich blicke durch die große Fensterfront des Computerraums auf die Winterlandschaft. Bittere Kälte und der erste Schnee. Anfang Januar. Der Verkehr rollt wie immer durch die Stadt. Qualmende Auspuffrohre und dampfender Atem. Die Passanten eingemummelt in Winterklamotten. Vom Stapfen durch den Schnee habe ich einen leichten Muskelkater. Ich träume mit offenen Augen. Zwischendurch spricht mich eine Mitschülerin an. Man sieht mir an, dass ich mich in einer anderen Welt befinde.
Meinen Lebenslauf habe ich relativ zügig erstellt. Die Lehrerin ist zufrieden damit. „Kurz und knackig“, sagt sie. „Prima“, sage ich. Nun noch die Bewerbungsschreiben… Am meisten Magenschmerzen bereitet mir das Foto. Ich lasse mich sehr ungern ablichten, obwohl ich mich bestimmt nicht verstecken muss. Das aktuellste Foto von mir ist mein Passbild. So viel Brimborium für eine Bewerbung – und wer alles daran verdient. Was man z.B. für Bewerbungsfotos beim Fotografen hinlegen soll. Hinterher interessiert`s niemanden mehr.

Freitag, 4. Dezember 2015

Joker-Tag


Ich nahm mir einen „Joker-Tag“, drei haben wir während der Fortbildung. Nach einem Vierteljahr Schule gönne ich mir ein verlängertes Wochenende.
Gestern am frühen Abend waren wir mal wieder bei „Neffes“ in der Potsdamer Straße. Maestro, so nennen wir den Chef, begrüßte uns herzlich. „Lange nicht gesehen.“ Als wir hierherzogen, gingen wir häufig zu „Neffes“. Das Lokal liegt nur wenige Minuten Fußweg von unserer Wohnung, die Atmosphäre gemütlich, die Preise akzeptabel. Maestro bot uns einen Platz in dem Bereich an, den er für seine Stammgäste reserviert hält. Wir rätselten schon oft über seine Herkunft – jedenfalls nicht italienisch, und auch nicht türkisch. (Wurscht.) Wir stimmten darüber ein, dass es eine gute Idee war, ihn mal wieder zu besuchen. Endlich hatte O. ihren Termin beim Bürgeramt gehabt. Ein weiterer Punkt des „Ankommens in Berlin“ war somit abgehakt. Natürlich brauchen wir nicht unbedingt einen Anlass zum Essengehen. Aber O.s Anmeldung und der Umstand, dass ich ausschlafen konnte, ließen unsere Entscheidung noch runder erscheinen. Das Essen (Schweineschnitzel und Kalbfleischspieße) fiel mehr als reichlich aus. Wir schafften nicht alles. (Puh!) Zu guter Letzt einen Caipirinha – ich spürte die Müdigkeit in mir steigen wie einen Wasserspiegel. Kaum zu glauben, wie mich die Schule erschöpft. Halb Sechs Uhr morgens aufstehen, vier Doppelstunden voll mit Dokumentation, Krankenhausverwaltung und Qualitätsmanagement, der Schulweg mit der U-Bahn, das Einkaufen im Supermarkt, das Menschengedränge… Tag für Tag. Obwohl ich es mir (vor allem O. zuliebe) vornehme, länger durchzuhalten, will ich nach dem Abendessen so schnell wie möglich Schlafen gehen. Selten wird es unter der Woche später als 21 Uhr. O. scheint diesbezüglich mehr Energie zu besitzen, aber sie ist auch jünger. Trotzdem sollte sie sich mit ihren Sprachkursen nicht zu viel zumuten, denke ich. Manche Tage ist sie 15 Stunden unterwegs.
Schön, dass ich ein langes Wochenende vor mir habe. Während ich hier am Schreibtisch tippe, läuft Black Sabbath. Ich lasse altbekanntes durch mich strömen. Der Tag in gedämpftem Winterlicht. Ich sitze in ihm wie auf einem weichen Kissen, ohne ganz wach zu werden.

Dienstag, 1. Dezember 2015

Ein totes Pferd kann man nicht reiten


Es reicht für ein oder zwei Flaschen vor der Schule. Die Bedienung hält mir schon das Bier entgegen, wenn ich eintrete. Ich setze mich gern etwas abseits. Ich trinke und schaue raus auf die Sonnenallee. Heute waren etliche abgerissene Figuren in der Kneipe, mit denen ich am besten den direkten Blickkontakt vermeide, weil sie sonst auf mich zu torkeln und mir ein Gespräch aufdrücken wollen. Ich spürte ihre Blicke auf mir. Ein Betrunkener stolperte neben mir und krachte auf den Boden. Die Bedienung forderte ihn auf, nach Hause zu gehen – „Du kriegst nichts mehr.“ Ein alter Säufer grinste mich an: „Das ist der Alkohol.“ Ich nickte stumm und nuckelte an meiner Flasche. Ich genieße das Bier vor der Schule. Ein Stück Freiheit. Was auch immer.

Gut fünf Minuten Fußweg zur Schule. Über den Innenhof, die Treppen hoch in den dritten Stock, nach der Eingangstür der Tresen, auf dem die Anwesenheitslisten der Kurse liegen, in die wir uns eintragen müssen. Der Gutenmorgengruß zur Sekretärin…
Vier Doppelstunden Qualitätsmanagement. Wir waren nur zu fünft in der Klasse. Vier sind krank und zwei steckten im Stau.
Die junge Lehrerin tat sich schwer damit, uns etwas über Qualitätsmanagement zu erzählen. Wir waren im Computerraum, und ich beschäftigte mich nebenbei mit Sudoku und schaute mir im Internet Winterschuhe an.

Eine Klassenkameradin: „Fiel Dir auch auf, dass so viele Penner unterwegs waren? Überall sieht man sie mit den Bierflaschen.“ „Irgendwo müssen sie ja hin“, erwiderte ich.
Monatsanfang. Es gab Geld. Klar, darum waren vorhin so viele in der Kneipe, dachte ich, sie versaufen ihre Stütze.

„Ich sehe schon, ich erreiche Sie heute nicht“, sagte die Lehrerin. Sie ist selbst im Zwiespalt. Sie könne verstehen, warum wir (nach unserer beruflichen Vorgeschichte) dem Qualitätsmanagement abgeneigt gegenüberständen, aber es sei doch trotz allem eine gute Sache…
Dumm nur, dass es diese Kluft zwischen Theorie und Praxis gibt. Ein totes Pferd kann man eben nicht reiten.

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