Ich will hier raus!

An manchen Tagen habe ich das Bedürfnis wegzulaufen. Irgendwohin. Ich surfe über Auswanderungs-Websites, denke an meine Träume, in denen ich nach New York flog, erinnere mich an Francis, eine junge Internetbekanntschaft, die wahrscheinlich noch auf Sansibar weilt. Ausgerechnet lief dann heute Vormittag eine Doku im TV (auf Phoenix) über junge Leute, die ihr soziales Jahr weit weg im Ausland ableisteten: in Afrika und Indien. Ich zolle diesen jungen Menschen großen Respekt für ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen.
Ach, wenn es so leicht wäre, einfach die Zelte abzubrechen, denke ich bei mir. Aber wo will ich eigentlich hin? Und was will ich in der Fremde machen ohne Sprachkenntnisse (außer schulische Grundkenntnisse in Englisch und Französisch, die längst in meinem Gedächtnis verstauben)?
Am Liebsten würde ich einfach durchstarten mit einer Kreditkarte, die mir überall die Türen öffnet …
Ich denke an Krimiklassiker wie “Tod auf dem Nil” und “Mord im Orient Express” von Agatha Christie. Mit einem Lottogewinn wären solche Trips wohl zu machen - es müsste gar keine Luxusreise sein. Der reichen Menschen mit ihrer Arroganz wäre ich sicher schnell überdrüssig. Trotzdem würde ich gern mal hineinschnuppern in die mondäne Welt, z.B. auf einem Kreuzfahrtschiff.
Als junger Erwachsener las ich gern Abenteuergeschichten von Autoren wie Melville, Stevenson und B. Traven und vieles mehr: Hemingway in Afrika, Knut Hamsun in Amerika, Jack London auf Goldsuche in Alaska …, Mark Twains “Abenteuer von Huckleberry Finn und Tom Sawyer”.
Ich träumte mich bei der Lektüre weg vom Alltag in die ferne Welt. Alles schien besser zu sein, als hier in einem goldenen aber von Bürokratie und Spießertum beengten Käfig festzusitzen. Mein Herz streckte sich nach der wahren Romantik des Tramps, nach Unabhängigkeit und Abenteuer. Und es streckt sich noch, mein Herz, obwohl ich längst von der Vernunft des Erwachsenen geläutert mir diese kindlichen Träume abschminkte. Es macht mich zu einem traurigen Clown. Ich trinke Bier und werde sentimental. Ich weiß doch zu gut, dass das Leben überall ein Kampf ist und ich mich glücklich schätzen sollte, im Wohlstand zu leben. Die Romantik des Tramps und des Seemanns ist eine fixe Idee - nicht mehr - eine fixe Idee des pubertären männlichen Geists. Nach solchen Traumreisen und Sehnsüchten ist das Ankommen in der Wirklichkeit brutal.
Das Fernweh, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, glimmen jedoch weiter unter den schweren Holzscheiten des Alltags: der lähmenden Verpflichtungen, Ängste und Ausblicke …
Könnte ich mit den Worten davonfliegen. Könnte ich einfach in Frankfurt den nächsten Flug weit-weit weg nehmen.
Ranunkelchen - 14. Jan. 10, 22:45

du schreibst schön

und ich ahne, wovon du sprichst.
aber sind die erdachten abenteuer unserer kindheit oder jugend nicht auch jetzt jederzeit möglich?
worin besteht überhaupt das abenteuer? in etwas unvorstellbarem?
gibt es nicht auch in deinem jetzt dinge, die dir unvorstellbar erscheinen?
tu sie trotzdem...

bonanzaMARGOT - 15. Jan. 10, 18:03

hallo ranunkelchen, das leben besteht ja immer noch aus einer reihe kleiner abenteuer. das kann z.b. wie heute ein zahnarztbesuch sein.
abenteuer steht für das fremde, das geheimnis, die gefahr, die herausforderung, das einmalige, die entbehrung ...
die großen abenteuer machen sich im normalen leben rar. es kann auch nicht jeder ein abenteurer, entdecker oder gipfelstürmer sein.
mir wird das leben, wie es mich mit tausend kleinigkeiten und verpflichtungen am boden hält, desöfteren zu eng - als ob es mir die luft abdrückt. währenddessen werde ich älter und frage mich, ob ich nicht etwas mehr wagemut bräuchte ...
doch wer will schon gern auf der nase oder in der gosse landen?
creature - 14. Jan. 10, 23:53

hast du diesen film schon gesehen?

bonanzaMARGOT - 15. Jan. 10, 00:21

Nein, aber ich habe das Buch von Krakauer gelesen.
Lange-Weile - 15. Jan. 10, 19:54

Für und Wider

Hallo Bo.,

du hast das Fernweh und am Fernweh gekoppelte Abenteuerlust schon von vielen Seiten durchdacht und beleuchtet und mit viel Tiefgang beschrieben.

Fremde Länder mit fremden Kulturen zu bereisen und kennen zu lernen, dass ist, so glaub ich, mehr als nur ein Traum. Es ist ein tief liegendes Bedürnis. Wer schon mal auf der Welt ist, möchte sich die große weite Welt auch ansehen. Vielleicht kann man erst danach den Ort, an dem man lebt, seinen Frieden finden.

In einer Elterngruppe von meinem Sohn, als er noch zur Schule ging, glänzte ein Vater zur Elternversammlung immer in Abwesendheit. Er war mit seinem Fahrrad in China unterwegs. Heimlich bewunderte ich seinen Mut und seine Konsequenz, seinem Fernweh nachzugeben.

Er hat´s getan. Er, ein unscheinbarer Mann, einfach und bescheiden. Leider hab ich ihn nie gefragt, wie er seine Reise finanzierte, denn ohne Moos ist auch in China nix los. Vielleicht wäre die Antwort zu ernüchternd ausgefallen :-).

"Wer soll das bezahlen?" wäre die erste und wichtigste Frage, an der ich schon im Ansatz scheitern würde.

Einge schreiben für Zeitschriften Artikel und später Bücher, die sie verkaufen und anschließend ihre Reise damit nachfinanzieren können.
Für Weltenbummler muß es sicher immer Konzepte für die Finanzierung geben und wenn sie bekannt sind, haben sie auch Sponsoren. Aber dann sollten die Reiseziele sicher extrem spektrakulär sein :-)

Gruß LaWe

creature - 15. Jan. 10, 20:34

ich bin in den 70ern mit 500Ats (36€) nach griechenland, hab da einige zeit auf einer halbinsel gelebt, bin dann weiter nach istanbul, hab dort einige zeit das für mich fremde orientalische leben genossen, dann weiter nach anatolien, wollte bis nach indien, hatte aber heimweh bekommen. hitze, durst und so.
von den 500 gab ich 200 wieder meiner mutter zurück, mehr brauchte ich nicht, ich lebte von wasser, wein, brot und melonen sowie der gastfreundschaft der menschen.
ob das heute noch möglich ist bezweifle ich, ich denke nicht!
gefährlich wars nur in griechenland, damals eine militärdiktatur, da wurde ich einmal gefangengenommen und bin nur mit viel glück und überredungskunst freigekommen, mußte aber das land verlassen, gute erinnerungen habe ich an belgrad, damals kommunistisch, ganz liebe mädchen die mich kaum mehr gehen lassen wollten.
bonanzaMARGOT - 16. Jan. 10, 18:45

da kannst du von ein paar schönen erinnerungen, was abenteuerreisen angeht, zehren. (mann, creature, bist du alt!)

ich hatte anfang der achtziger, kurz nach dem abi ein paar ähnliche reiseerlebnisse, z.b. als ich per interrail quer durch europa reiste - bis sizilien. ich schlief auf bahnhöfen, in zügen und an stränden. das leben war relativ kostengünstig. lediglich die spirituosen zehrten (mal wieder) an der reisekasse ...

in diesem jugendlichen alter ist man einfach viel spontaner und unbelasteter. vielleicht auch mutiger - heute würde ich es leichtsinn nennen.
doch ging ja alles gut.
ein kumpel von mir hatte weniger gute erfahrungen auf dem interrailtrip, der wurde in rom mit k.o. tropfen außer gefecht gesetzt und beklaut.
ich traf unterwegs einige jugendliche reisende, die beklaut wurden, vorallem in südfrankreich und italien.

seit einigen jahren fahre ich im urlaub auf dem drahtesel mit zelt quer durch deutschland. immerhin! und manchmal auch recht abenteuerlich ...
leider sind das gerade mal 2-3 wochen.
bonanzaMARGOT - 16. Jan. 10, 19:25

hi lawe, stimmt, eine solche reise sollte schon etwas durchdacht werden, - und dazu gehören leider auch die finanziellen mittel.
fernreisen scheitern bei mir am geldbeutel.
es geht mir nicht um luxusreisen, aber ein flug nach usa, australien etc. (hin und zurück) ist sowieso nicht billig.
wer über finanzielle quellen im überschuß verfügt, hat es in dieser hinsicht sehr viel einfacher.

ich glaube nicht, dass ein jeder mensch dieses fernweh verspürt. es gibt viele zeitgenossen, die selbst in unserer heutigen mobilen (medien)welt nicht auf den geschmack kommen, mal einen ferneren ort als ihr jahr für jahr ausgewähltes urlaubsziel im allgäu anzusteuern. und das ist auch völlig in ordnung. ich denke z.b. an meine eltern.
viele menschen verbringen außerdem ihren urlaub quasi wie zuhause - mit allen annehmlichkeiten und total durchstrukturiert. aber auch das geht in ordnung, wenn es die menschen denn glücklich macht. allerdings hasse ich die entstandenen touristenburgen in den urlaubsländern.

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