Tja


Politisch bleibt es spannend. Nur eins ist sicher: es wird Winter. Noch sehe ich vor meinem Fenster ein grünes Blattgehänge … mit nur vereinzelt braunen Flecken und Rändern. Nach dem ersten Frost wird es schnell gehen. Ich öffne den Kleiderschrank und überschaue meine Pullover. Ich sollte nicht so viel zur Altkleidersammlung geben. Der Tag begann düster. Nun zeigt sich doch die Sonne, blinzelt zu mir ins Zimmer. Ich blinzele zurück. Im TV Politik. Natürlich könnte ich umschalten. Wie viel man doch reden kann, ohne wirklich etwas zu sagen. Das ist ganz hohe Schule. Ein Klo, das sich selbst bekackt. Und dann die Rückblenden auf vergangene Tage. Seit dem Fernsehen hat man einen klareren Blick auf die Geschichte. Man sieht sie alle wieder: Brand, Schmidt, Genscher, Kohl … Hach, lebte ich damals schon? Kaum zu glauben. Wie oft wurde seit damals Herbst und Winter? Wie viele unnütze Worte wurden seitdem verloren? Nicht nur im Bundestag. Wir Menschen reden uns in die Zukunft hinein. Weiter und weiter – ein einziger großer Laber-Strom, dem ich lausche, ohne etwas verstehen zu müssen. Ich höre einfach zu, wie das Leben dahinplätschert - wie Wasser, wie ein Bach, wie viele Bäche … wie tausend Mann, die nebeneinander pinkeln.
Nein, ich schalte nicht um. „Noch habe ich das Recht, hier zu reden!“ skandiert Helmut Schmidt vorm Bundestag. Damals verpasste ich diese Sternstunde. Politik war für mich ein Unwort. Politik war eine Sache von alten Männern, und ich war jung und knackig und verliebt. Oder ich hatte Liebeskummer. Eins von Beiden. So war das also damals, als ich mir an der Theke des Billard-Cafés die Rübe weg soff. Mein Gott, wie schlank Helmut Kohl da noch war! Aber auch schlank mochte ich ihn nicht. Und der Strauß lebte noch! Den konnte man richtig gut hassen.
Plötzlich ist wieder 2013. Die Bundeskanzlerin heißt Angela Merkel. Die Bundestagswahlen liegen hinter uns. Und mit der neuen Regierungsbildung will es nicht richtig klappen. Ich lausche den Worten, wie sie dahinplätschern. Dann drehe ich am Zeitrad, so dass alles ungeheuer schnell vorwärts fließt. Bis die Worte zu einem hellen nicht identifizierbaren Rauschen werden. Die Jahreszeiten fliegen in ihren Farben an mir vorbei. Jahr um Jahr. 2040 halte ich an. Ich lebe noch. Das ist zumindest nicht unrealistisch, dass ich 2040 noch lebe. Aber ich bin jetzt ein alter Knacker. Möglicherweise sitze ich in einem Altenheim und drückte gerade den Schwesternruf. Aber es kommt niemand. Jedenfalls dauert es sehr lange, bis jemand kommt. Ich stelle mir vor, dass dann keine Schwester sondern ein Pflegeroboter in mein Zimmer tritt, beziehungsweise fährt. Natürlich bin ich keineswegs überrascht, denn ich habe es schon damals kommen sehen. Wann war das? Es regierte diese furchtbare Frau, die man weder hassen noch lieben konnte … Der Pflegeroboter fragt mich, was ich wünsche. Ich sage, dass ich eigentlich gar nichts will, nur etwas Gesellschaft, aber eine lebendige! Fuck! Der Roboter spricht beruhigend und monoton auf mich ein. Er wird niemals böse. Er ist niemals genervt. Ich bedanke mich und schicke ihn aus dem Zimmer. Kaum ist er draußen, drücke ich wieder den Schwesternruf. Vielleicht wird er irgendwann den Geist aufgeben, denke ich. Der größte Idiot aus Fleisch und Blut wäre mir lieber als diese Maschine. Ich schließe die Augen – und als ich sie wieder öffne, bin ich zurück in der Gegenwart: Anfang Oktober 2013. Der Fernseher läuft und zeigt Rückblenden aus der Politik der letzten Jahrzehnte. „Noch habe ich das Recht, hier zu reden!“ skandiert Helmut Schmidt. Ich sitze in meinem Zimmer am Computer. Schreibe wirres Zeug auf. Die Sonne weiß nicht recht, was sie will. Mal ist sie weg, dann wieder da. Ich drehe meinen Kopf zum Fenster und halte inne.

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