Die Fremde in Zimmer 103
meine Kollegin sah sie
um 21 Uhr 30 das erste und
letzte Mal
lebend
"sie kommt zum Sterben", sagte man
dann ging es ein paar Tage länger, als ich
erwartet hatte
ihre Fußzehen waren bereits schwarz
und die Sauerstoffbrille riss sie sich vom Kopf
mit einer fahrigen Armbewegung
kraftlos
ihr Blick sagte nur: "Lasst mich ..."
sie hatte große Augen
und schöne, edle Gesichtszüge
fiel mir sogleich auf
sie war sicher eine stolze Frau
zu uns kam sie, ausgezehrt und mit dem Tode
ringend
ihre blutleeren Lippen verschwanden in
der zahnlosen Mundöffnung
ich hielt
zwischendurch
die Hand der Fremden
ich verfolgte ihren letzten Kampf
ein paar Nächte lang
sie war der dritte Todesfall
in einer Reihe
bei allen kam der Tod anders
doch konsequent
der erste starb im Krankenhaus
ich hatte ihn ein paar Tage zuvor eingewiesen
er hatte große Angst
"Lass mich nicht allein ..."
"Ja", ich sprach ihm Mut zu
der zweite
er war so weiß wie das Bettlaken
als ich ihn fand
Erbrochenes lief ihm aus dem Mundwinkel
mein Gott, ich hatte ihn gemocht
der Tod nahm ihn im Vorbeifliegen mit
und vorgestern SIE
die bereits in Agonie auf ihn wartete
ich schloss ihre Augen
nichts wussten wir von ihr
sie lag in Zimmer 103
zum Sterben
der Arzt, der den Tod feststellte
hatte einen Schnupfen
(boMA, 12.03.08)
bonanzaMARGOT
- 12. Mär. 08, 17:18
- boMAs Gedichte und Texte
So nicht (mehr)!
Es gibt Medikamente, die diesen Menschen das Hinübergehen erleichtern könnten. Ich schreibe hier nicht von Tötung auf Verlangen, sondern von ein bisschen letztem(synthetischen) Glück.
Und es sollte in Altenheimen und Krankenhäusern Personal geben, das explizid für Sterbende freigestellt wird, damit es den letzten Weg bis zum ENDE begleiten können.
Pflegeplätze kosten Unsummen - aber wenn es um Sterbende geht, um deren Ängst und Einsamkeit - bleiben sie (meist) allein, nur mit dem Nötigsten versorgt.
Pfui!
Und, ja ich meine außerdem, dass es jedem alten Menschen erlaubt sein sollte, sein Leben mit Hilfe von Medikamenten zu beenden, wenn er findet, dass "seine Zeit gekommen ist", anstatt im Siechtum zu enden.
Punkt!
Wenn mein Kommentar zu drastisch ausgefallen ist, und Deiner Meinung nach unpassend, lösch ihn wieder.
Das ist in Ordnung, boMa,
meint eine alteFrau, die selbst die Lebensmitte längst überschritten hat und sich oft Gedanken über den (eigenen) Tod macht.
Nein
ALTEFRAU
1. sind da die persönlichen Hemmungen aufgrund von Familie, Tradition und Kultur.
2. wird unsere Gesellschaft zunehmend materialistisch.
3. der Kapitalismus.
4. Ängste und Unsicherheiten, die wir aus Urzeiten erbten.
5. der soziale Auseinanderfall von Familie und Gemeinwesen.
6. die ganz individuelle/persönliche Angst vor dem Tod.
7. das Wegbrechen von Zugehörigkeiten in Religion und menschenzugewandtem Idealismus.
Alle diese Punkte sind miteinander vernetzt. Jeder Mensch ist auf die ein oder andere Weise biografisch in seiner Einstellung zum Tod, Sterben und Leiden festgelegt.
Ich glaube, dass es in der Geschichte hinsichtlich dieser ethischen Problematik noch nie eine Antwort gab, die uns im Innern hätte zufrieden stellen können.
Der zivilisierte Mensch, die westliche Kultur besiegte die Barbarei und setzte menschliche Maßstäbe in den Verfassungen der Länder/Staaten fest.
Leider hinkt die Realität weit hinter den verfassungsmäßigen Ansprüchen hinterher. Mal mehr, mal weniger mehr. Jedenfalls gibt es kein Land auf der Erde, das diesen Diskurs zwischen Theorie und Praxis nicht führt. (Außer vielleicht die Barbaren.)
Wenn wir die Menschen in Würde pflegen wollen, sie in Würde sterben lassen wollen, dann müssen wir ehrlich jeden der Punkte, die ich oben anführte, für uns ganz persönlich und gemeinschaftlich abarbeiten.
Dummerweise spüre ich in den meisten Bezirken von Politik , Kultur und Gesellschaft eher Heuchelei und ein von Egoismen genährtes Desinteresse gegenüber diesen "Randthemen" - "Tabuthemen".
Ich bin Altenpfleger in West Germany, 2008, und hier will ich offen über die Zustände schreiben, die in einer übertechnisierten und zivilisierten Gesellschaft nach wie vor passieren, trotz besseren Wissens.
Es ist ähnlich wie mit dem Raubbau an der Umwelt - alle wissen schon lange, dass das Eis, auf welchem wir unseren Wohlstand errichteten, stetig dünner wird. Aber noch können wir weggucken ...
Beinahe 40 Jahre lang frage ich mich, warum der Mensch tötet, warum er das Land, auf dem er lebt, geißelt.
Ich weiß es nicht.
Mittendrin in diesem undurchschaubaren Getriebe verrichte ich meine Arbeit,
lebe ich.