Den Göttern kommt das große Kotzen


Ein paar Auszüge aus "Den Göttern kommt das große Kotzen". Man könnte Charles Bukowskis Tagebuch auch als eine Art Blog ansehen. Immerhin schrieb der alte Tastenhauer Anfang der Neunziger schon auf dem Computer, während ich noch zehn Jahre brauchte.


(aus 28. August 91)
… All diese Menschen. Was machen sie? Was denken sie? Wir müssen alle mal sterben. Was für ein Zirkus. Das allein müsste schon dafür sorgen, dass wir einander lieben. Tut es aber nicht. Wir werden terrorisiert und geplättet von nebensächlichem Kram; wir werden aufgefressen von nichts und wieder nichts.


(aus 12. September 91)
… Tod ist so wenig ein Grund zu Trauer wie der Umstand, dass Blumen wachsen. Schlimm ist nicht der Tod, sondern das Leben, das bis dahin gelebt wird bzw. nicht gelebt wurde. Menschen, die ihr eigenes Leben nicht würdigen, sondern darauf pissen. Es mit Scheißkram verplempern. Dumme Rammler, voll konzentriert auf Ficken, Kino, Geld, Familie, Ficken. Ein Hirn voll Flusen. Sie schlucken die Vorstellung von Gott und Vaterland ohne einen Gedanken. Bald verlernen sie das Denken ganz und lassen andere für sie denken. Ihre Hirnwindungen sind mit Baumwolle ausgestopft. … Der Tod der meisten Menschen ist nichts als leerer Schein: es ist nichts mehr da, was noch sterben kann.


(aus 13. September 91)
… Im Grunde schreibe ich genau wie vor fünfzig Jahren. Bin vielleicht ein bisschen besser geworden, aber nicht viel. Warum musste ich einundfünfzig werden, ehe ich das Geld für die Miete mit der Schreibmaschine verdienen konnte? Ich meine, wenn ich recht habe und meine Schreibe sich nicht verändert hat, warum diese Durststrecke? Musste ich warten, bis die Welt mit mir Schritt halten kann? Und falls sie es getan hat, wo steh ich jetzt? In den Nesseln, würde ich sagen. Ich hatte Glück, aber ich glaube nicht, dass es mich überheblich gemacht hat. Ist ein eingebildeter Fatzke sich je bewusst, dass er einer ist?


(aus 24. September 91)
… Linda ist ausgegangen. Sie braucht Abwechslung; Leute mit denen sie sich unterhalten kann. Nichts dagegen; nur trinkt sie gerne was, und anschließend muss sie noch nach Hause fahren. Ich leiste ihr keine gute Gesellschaft, und Unterhaltungen sind nicht mein Ding. Ich will keinen Austausch von Ideen und schon gar nicht von Gefühlen. Ich bin ein Steinquader und mir selbst genug; und als solcher will ich meine Ruhe. So ist es von Anfang an gewesen. Ich wehrte mich gegen meine Eltern, dann gegen die Schule, und dann wehrte ich mich dagegen, ein ordentlicher Bürger zu werden. Egal, was ich in mir habe, es war von Anfang an da. Daran sollte niemand drehen. Damals nicht und heute auch nicht.


(aus 26. September 91)
… Manche werden sagen, das ganze Leben sei eine Falle. Man kann auch dem Schreiben in die Falle gehen. Wenn man schreibt, was Lesern schon immer gefallen hat, wird man überflüssig. Bei den meisten reicht die Kreativität nicht lange. Sie hören den Beifall und lassen sich davon benebeln. Ob das Geschriebene etwas wert ist, kann am Ende nur der Autor beurteilen. Wenn er auf Kritiker, Lektoren, Verleger und Leser hört, hat er verspielt. Und wenn er vor lauter Ruhm und Fortüne in Verzückung gerät, kann man ihn gleich im Abwasserkanal entsorgen.


Tja, das ist Buk, wie ich ihn kenne und schon lange nicht mehr las. Kann gar nicht sagen, welches das letzte Buch war, das ich von ihm las. Wahrscheinlich irgendein Gedichtband. Es macht mal wieder Spaß, seinen Gedanken und Stimmungen zu folgen. Und man merkt auch bei diesen Tagebuchaufzeichnungen, dass es ihm Spaß machte, sein Zeug zu schreiben. Es hielt ihn über Wasser in der verrückten Welt und diesem Leben. Er schrieb ungeschminkt darüber, und das mochte ich schon immer besonders an ihm. Ich muss gar nicht mit allem einverstanden sein, was er da von sich gab. Es reichen ein oder zwei Sätze, die er raus haute, und die mich mit- oder umreißen, weil ich denke: Fuck, genau so ist es! Außerdem mag ich seine Selbstironie, seinen Humor und seine Verschrobenheit. Lange Rede, kurzer Sinn: „Den Göttern kommt das große Kotzen“ ist ein Aufheller für meinen Alltag in dieser scheiß Zeit – ich meine damit nicht nur meine persönliche scheiß Zeit sondern überhaupt die scheiß Zeit zwischen Sexismusdebatten und Papstrücktritten. Ja, und dieser Winter ist nicht mein Winter. Sowieso.
Nun, wenn Buk es schaffte, mit Einundfünfzig literarisch den Durchbruch zu schaffen, vielleicht darf ich auch noch hoffen. Jahre, die schlecht anfangen, müssen nicht unbedingt schlecht enden.
Danke Buk!

Skeptiker (Gast) - 12. Feb. 13, 13:16

eine der definitionen von kunst ist die unverwechselbarkeit.
wenn du "wie charles bukowski" schreibst, wirst du kein berühmter künstler werden, weils den bukowski schon gibt. ;-)

bonanzaMARGOT - 12. Feb. 13, 13:26

ich schreibe nicht wie charles bukowski. ich schreibe so, wie mir danach ist. kann sein, dass es ab und zu nach bukowski klingt. dann ist es eben so.

stimmt, kunst sollte authentisch und unverwechselbar sein. aber auch nicht verkrampft auf originalität hinauslaufen.

und soll ich nun eine anonyme skeptiker-meinung ernst nehmen, die weder bukowskis schreibe noch meine richtig kennt?

nö.
Shhhhh - 12. Feb. 13, 15:10

Ich halte es für ein Gerücht, dass Kunst sich über Unverwechselbarkeit definiert. Kunst mag vielleicht originell daherkommen aber ohne Rekurs auf Vorhandenes wäre sie nichts, wir würden sie nicht erkennen, womöglich mit der Realität verwechseln, vielleicht tun wir das die ganze Zeit, was weiß ich.
bonanzaMARGOT - 12. Feb. 13, 16:07

Shhhhh, auch die Realität ergibt sich ständig in Ähnlichkeiten. Es gibt z. B. jede Menge Diktatoren. Unter ihnen gibt es viele Ähnlichkeiten - trotzdem würde ich sagen, dass sie mehr oder weniger alle unverwechselbar sind: Hitler ist Hitler, Napoleon Napoleon und Stalin Stalin - um in etwa in einer Größenkategorie zu bleiben.
Ich halte sogar die Natur für große, unverwechselbare Kunst - nur eben von einem Schöpfer unbekannter Herkunft.
So gesehen bin ich selbst ein Kunstwerk, das Kunst macht. Phantastisch, oder?!
Ich kupfere nix bewusst von anderen ab, aber natürlich übt alles, was ich wahrnehme, negativ oder positiv reflektiere, einen Einfluss auf mich aus.

ein literarisches Tagebuch

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