Es gibt nicht viel zu berichten


Als hätten sie es gewusst, dass ich zur Zeit nicht mit dem größten Elan in den Nachtdienst gehe, zeigten mir die Alten, wo der Hammer hängt: Sie spielten Englisch Klavier mit dem Schwesternruf, außerdem hatte eine Frau die Fallsucht; - und ich was so unendlich müde! Ich schleppte mich durch die Flure und schaute in die Gesichter der Alten – die guckten, als könnten sie kein Wässerchen trüben. „Eigentlich kann ich gleich mein Bett neben dem Ihren aufstellen“, sagte ich zu einem Bewohner, der ständig klingelte, um nach der Uhrzeit zu fragen. Normalerweise verbeiße ich mir solche Kommentare und schlucke meinen Ärger hinunter. Nun, er ist extrem schwerhörig und hörte sowieso nicht, was ich sagte.
Gestern Nacht war ich mit den Nerven zeitweise ganz schön unten. Ich genoss jede Minute, in der ich die Beine hochlegen und mich vor der Glotze ablenken konnte. Ich kam mir vor wie in einem Albtraum, in dem ich sisyphus-mäßig von Zimmer zu Zimmer hetze und mit meiner Arbeit nicht vom Fleck komme. Ich erinnerte mich daran, dass bisher jede Nacht vorbei ging. Und ich riss mich zusammen. Der Rücken schmerzte mir inzwischen. Offensichtlich hatte ich mich mit der Bewohnerin verhoben, die ich aus der großen Urinlache wieder in die Höhe wuchtete. Dabei war ich froh, dass sie sich nicht ernsthaft bei ihren Stürzen verletzte. Im Fernsehen lief inzwischen – es war gegen halb Vier – ein Horrorfilm auf RTL II. Darin ging es um Voodoo-Zauberei. Ich überlegte mir, ob ich vielleicht mit einem Fluch belegt bin, aber ich verwarf den Gedanken schnell wieder, weil ich viel zu rational denke, jedenfalls im Normalfall. Wer sollte mir so`ne Kacke wie solche Nachtdienste an den Hals wünschen? Nein, ich war schon selbst dafür verantwortlich. Es ist wahrscheinlich mein Karma. Schließlich zwingt mich doch niemand zu dieser Arbeit, oder?
Wie auch immer. Es wurde Morgen. Die Arbeitskollegen kamen. Ich hatte ihnen einen frischen Kaffee aufgebrüht. Mit krummen Buckel saß ich vor dem Computer und machte meine Übergabe.
„Es gibt nicht viel zu berichten“, begann ich ...



("Englisch Klavier spielen" nannten wir als Kinder das Klingeln an fremden Haustüren)

lost.in.thought - 29. Aug. 12, 19:04

ich wünsche Dir für heute und für all die restlichen Nächte in diesem Altenheim Ruhe, Kraft und gute Gedanken...

bonanzaMARGOT - 30. Aug. 12, 07:05

danke

deine wünsche halfen. heute nacht waren die alten ruhiger und die arbeit insgesamt entspannter.
Lange-Weile - 30. Aug. 12, 00:08

Harter Schnitt

Hallo Bo.,

nach den schönen Urlaubtagen mit leibevoller Begleitung ist die Nachtschicht mit all seinen Vorkommnissen ein harter Schnittt. Man stelle ich vor..du kommst aus einem Ruheraum und einen Pressluftschuppen. Da donnern alle Geräusche auf einen ein und verschmelzen zu einem hallenden Donnerschlag.

Es dauert sicher wieder ein paar Tage, bis sich die Emotionen wieder klimatsieren und sich auch an den grauen Alltag gewöhnen.

Trotzdem ermöglicht dir dieser Job einen gewissen Freiraum, was die Freuzeit betrifft.
Ich hatte bisher nur Job von Montag früh bis Freitag Abend - an längere Reisen über das WE war da nicht zu denken...wollte ich Monatgs nicht abgefischt auf Arbeit erscheinen..

LG LaWe


bonanzaMARGOT - 30. Aug. 12, 07:03

hallo lawe

es wäre zu schön, um wahr zu sein, ohne arbeit im altenheim.
sicher ist es positiv, dass ich durch den nachtdienst und die teilzeitbeschäftigung viel freizeit für reisen und private unternehmungen habe.
ich weiß nicht, ob ich wieder eine geregelte fünftagearbeitswoche haben wollte. eher nicht.
der schnitt nach längerer freizeit zurück ins altenheim ist in der tat hart. nicht nur wegen der alten und den pflegerischen verrichtungen sondern wegen dem ganzen pflegebetrieb, dessen strukturen und chefs.
Gioia - 30. Aug. 12, 09:46

Kann mir nicht vorstellen, dass du
deinen Job nicht auch "liebst"...

ich habe nur "Pflicht-Nachtwachen" geschoben,
und kenne sie trotzdem, diese Klingel-Fallsucht-Nächte.

Und weil nachts die "Wahrnehmung" eine ganz andere
ist, jedenfalls für mich, nahm ich auch oft wahr, dass
Bewohner immer dann besonders munter waren, wenn
ich meine Pflichtnächte hatte. So, als wollten sie mich
ärgern...

dem wahr aber nicht so:-)

Wünsche dir weiterhin viel Kraft und Liebe
für deinen sehr anstrengenden "Menschenjob".

bonanzaMARGOT - 30. Aug. 12, 14:46

hallo gioia

danke.

die alten mag ich schon. ohne menschenliebe ist dieser job gar nicht längere zeit durchzuhalten.
es sind die arbeitsbedingungen und der ständige druck, die einen frustrieren und zermürben.

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