In der „Deponie“ stießen wir auf meinen Abschluss an. O. bestellte sich Eisbein, ich ein schnödes Schnitzel mit Salzkartoffeln. Es genügte unseren Ansprüchen. Außerdem gibt die Gastwirtschaft nicht viel mehr her. Langsam legte sich die Anspannung der letzten Tage.
Die Prüfung bestand aus drei Teilen: einem Multiple Choice Test, der Dokumentation eines Falles im GTDS* und einem mündlichen Teil, wo wir einen Fall vortragen mussten, wie wir ihn dokumentieren würden, abschließend noch einige fachliche Fragen. Insgesamt gut vier Stunden, in denen wir unsere Konzentration hochhalten mussten. Wir dachten alle: Hauptsache vorbei! Es waren anstrengende drei Monate. Für meine Mitschülerinnen bedeutete es: nach einem Achtstundentag die Schule, und zusätzlich kostete es den Samstag als freien Tag. Aber alle hielten fleißig durch. Respekt! Wir sind die ersten in Berlin, die ein solches Zertifikat für die Tumordokumentation erhalten.
Aufgrund des KFRG** und dem Stichtag des 01.07.2016*** sollte der Bedarf an Tumordokumentaren bald noch ansteigen, in den Krankenhäusern sowie in den Registerstellen. Die Schulleiterin wirbt bereits für den nächsten Kurs und drückte uns Flyer zum Auslegen an den Arbeitsplätzen in die Hand.
Nach dem Essen wurde ich schnell müde. Ich hatte kaum geschlafen. In meinem Kopf eine Achterbahn, in der Bruchstücke des Lernstoffs hin und her flitzten. Wenn mich mein Gefühl nicht trügt, habe ich wirklich was gelernt…
* Gießener Tumordokumentationssystem
** Krebsfrüherkennungs- und -registergestz
*** Staatsvertrag über die Errichtung und den Betrieb eines klinischen Krebsregisters zwischen dem Land Berlin und dem Land Brandenburg tritt in Kraft
bonanzaMARGOT
- 10. Feb. 17, 11:09
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Arbeitslos
Ich sehe im Geiste Tom Hanks vor mir, wie er genüsslich in eine Currywurst beißt an einer „Curry 36“ Bude in Kreuzberg. Er hat ein Faible für Berlin und war zur Deutschlandpremiere von „Inferno“ samt Familie hier. Offenbar hat er ausserdem ein Faible für Dan Brown. Ich nicht – auch nicht für Currywurst. Aber ich mochte Tom Hanks als Schauspieler, z.B. in Filmen wie „Philadelphia“ und „Forrest Gump“. Irgendwie hat er `ne sympathische Fresse, - nicht einer von den üblichen Hollywood Schönlingen.
Sicher ist er inzwischen schon wieder über den Atlantik zurückgeflattert…
Wie gern würde ich im Moment auch einfach in einen Flieger steigen mit Reiseziel „Hauptsache Meer und Sonne“. Nur noch diese leidige Prüfung morgen, und danach die Flatter machen!
bonanzaMARGOT
- 08. Feb. 17, 12:44
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Berlin
"Ich mache mir das Vergnügen, mir einen Staat vorzustellen, der es sich leisten kann, zu allen Menschen gerecht zu sein, und der das Individuum achtungsvoll als Nachbarn behandelt; einen Staat, der es nicht für unvereinbar mit seiner Stellung hielte, wenn einige ihm fernblieben, sich nicht mit ihm einliessen und nicht von ihm einbezogen würden, solange sie nur alle nachbarschaftlichen, mitmenschlichen Pflichten erfüllten."
(Henry David Thoreau)
bonanzaMARGOT
- 08. Feb. 17, 10:20
Sieht so aus, als hätte ich den Job. Plan B muss warten.
bonanzaMARGOT
- 07. Feb. 17, 20:41
„O Vater, o Mutter, o Weib, o Bruder, o Freund, ich habe bisher nach dem Schein mit euch gelebt. Von nun an gehöre ich der Wahrheit. Wisset, dass ich hinfort keinem anderen als dem ewigen Gesetz gehorchen werde. Ich will nicht mehr mit euch im Bunde, sondern nur euer Nachbar sein. Ich kann mich nicht mehr nach euren Gewohnheiten richten. Ich muss ich selbst sein. Ich kann mir um euretwillen willen nicht länger Gewalt antun, noch sollt ihr dies um meinetwillen tun. Wenn ihr mich lieben könnt, so wie ich bin, werden wir alle glücklicher sein. Wenn ihr es nicht könnt, will ich trotzdem versuchen, eure Liebe zu verdienen. Ich werde keinen Hehl mehr machen aus dem, was mir gefällt, und was mir nicht gefällt.“
(Ralph Waldo Emerson)
Im nächsten Leben bitte als Schildkröte. Der Tag nimmt mich in seine weichen Kissen, in denen ich vor mich hinträume. Wenn O. morgens zur Uni eilt, erhebe ich mich schwerfällig vom Bett – was eigentlich nur einen Positionswechsel darstellt: ich erweitere meinen Bewegungsradius auf die fünfzig Quadratmeter der Wohnung. Die meiste Zeit verbringe ich allerdings sitzend am Schreibtisch. Links und rechts die Schulordner mit den Unterlagen wie feindliche Heere vor meinen Stadtmauern.
Das erste, was ich heute Morgen sehe, als ich aus dem Fenster schaue, ist ein Mann, der mit dem Kopf im Müllcontainer steckt. Als ich zehn Minuten später aus dem Bad zurückkomme, kramt er immer noch, voll konzentriert. Ich blicke nur flüchtig hin. Er könnte mich sehen, die Müllcontainer stehen im Hof nur wenige Meter vom Küchenfenster. Schon häufiger fragte ich mich, ob ich das auch könnte, im Hausmüll anderer nach irgendwie verwertbaren Sachen wühlen. Wenn einem nicht viel anderes übrigbleibt – wer weiß. Also besser jetzt meinen Kopf in die Unterlagen zur Tumordokumentation stecken. Mache ich aber nicht. Ich nehme mir ein Bier aus dem Kühlschrank, lese die Internetnachrichten und höre Musik von unserem Lieblingsbluessender. Allerlei geht mir durch den Kopf. Unter anderem überlege ich mir, wo ich im Falle meines Todes eigentlich begraben werden will. Nicht, dass es mir furchtbar wichtig wäre. Tot ist tot. Da ist es mir eigentlich wurscht, wo ich liege. Oder?
Jedenfalls besuchte ich noch keinen der vielen Berliner Friedhöfe in den zwei Jahren, seit ich hier lebe. Das liegt auch daran, dass O. solche Orte als Ausflugsziele ablehnt. Allgemein meidet sie das Thema Tod. Sie steckt so voller Leben, dass sie alles, was mit Tod und Vergänglichkeit zu tun hat, weit von sich schiebt. So erklärt sich auch, dass sie immer wieder aufmunternd zu mir sagt: „Du bist doch gar nicht alt!“ Denn ich lasse mich gern gehen und betone dabei mein Alter. Schließlich ist sie um einiges jünger.
Ich googelte also (u.a.) heute Vormittag nach den Berliner Friedhöfen. Nur mal so zur Orientierung.
„Universum könnte laut neuer Studie ein Hologramm sein“ – ich tauche in den Artikel ein. Dass die Wirklichkeit noch ein anderes (grundlegenderes) Gesicht haben muss, ist mir schon lange klar. Auch wenn ich es wissenschaftlich nicht nachvollziehen kann, finde ich die Vorstellung inspirierend. In poetischer Sprache würde ich sagen: Das Nichts schwitzt.
Begreifen lässt es sich nicht einfach, aber wir könnten einen großen Schritt weiterkommen in der Erforschung des Universums und seinen Erscheinungen. Wir Menschen sind selbst eine höchst bemerkenswerte Schöpfung in diesem Panoptikum von Materie und Energie. Wir beugen uns mittels unseres Geistes über den Tellerrand der uns eigentlich angewiesenen Wirklichkeit hinaus. Dies machen wir längst schon spirituell und seit geraumer Zeit auch wissenschaftlich im Versuch, Erklärungsmodelle für das Dasein der Welt zu finden.
Faszinierend an der Hologramm-Theorie erscheint mir als Laien, dass sie nicht immer weitere Dimensionen ersinnt, sondern die von uns wahrgenommene Raumzeit mit ihren dreidimensionalen Konstrukten aus dem Informationsgehalt einer Fläche generiert. Darum die Analogie zu der uns bekannten Hologramme, z.B. auf Scheckkarten. Die wissenschaftliche Denke natürlich ist unendlich komplizierter.
Ich liebe Vereinfachungen und Abstraktionen. Fühle mich sowieso wie ein Krabbeltier in einem verdammten Versuchslabor. Ich flitze durch ein Labyrinth aus Pappwänden und habe die irre Vorstellung, dass hinter diesen Wänden eine ganz andere Welt liegt, die wir nicht sehen dürfen oder sollen. Wahrscheinlich würde der ganze Versuchsaufbau zusammenbrechen, wenn wir ein Loch durch eine der „Wände“ bohrten.
Als Kleinkind spielte ich gern in der Sandkiste und grub wie wild Tunnel durch die Sandhaufen. Ich fand es spannend, mich ins Ungewisse zu buddeln. Ganze Labyrinthe durchzogen den Sandhaufen…, bis er schließlich so ausgehöhlt war, dass er über meinem Ärmchen zusammenbrach. Mir prägte sich dieses Bild des Tunnels ein, der just in dem Moment einstürzt, wenn man zur anderen Seite durchstößt. Zu kurz, um wirklich zu sehen, was dahintersteht, aber lange genug für einen Schauer der Erkenntnis. Dieses Gefühl lässt mich bis heute nicht los. Eine Mischung aus Faszination und Vergeblichkeit, eine Mischung aus Lust und Schmerz, - aus kurzem Gewinn und absoluter (lustvoller) Verlorenheit…
Ich las diesen Artikel und empfand ähnlich: ein kurzes Aufblitzen der Wahrheit, aber nicht lange genug, um es festzuhalten.
"Daß doch die Menschen immer meinen, eine Tatsache erklärt zu haben, wenn sie nur ein recht fremdartiges Wort dafür gefunden haben."
(Friedrich Glauser)
bonanzaMARGOT
- 01. Feb. 17, 00:02
„Briefzusteller gesucht“. Täglich sehe ich die Zusteller an unserer Wohnung in ihren gelben oder grünen Uniformen vorbeiradeln. Noch wäre ich fit genug für diesen Job. Neugierig googelte ich heute nach diesbezüglichen Jobangeboten. Immerhin verdient man als Briefzusteller bis zu 11 Euro 50 die Stunde. Klar, das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, zumal ich den Job nicht 100% machen wollte. Aber als Zwischenlösung sollte ich diese Option ins Auge fassen. Ob ich nämlich in der Tumordokumentation landen werde, ist nach wie vor ungewiss. Die Anforderungen sind hoch und die Verdienstmöglichkeiten (wie eigentlich überall im Gesundheitssystem) mager. Immer wieder komme ich ins Grübeln: Will ich das überhaupt? Will ich in einem Büro zusammen mit lauter Hühnern (die Dokumentarinnen sind fast alle weiblich) über Krankenakten von Krebspatienten brüten? Fahrradfahren an der frischen Luft erscheint mir dagegen wesentlich gesünder. Umso mehr ich drüber nachdenke, desto reizvoller erscheint mir diese Alternative. Man sollte immer einen Plan B in petto haben.
In zehn Tagen ist Abschlussprüfung. Auch meine Mitschülerinnen atmen auf, wenn es rum ist. Zu viel ist einfach zu viel. Immerhin haben sie schon einen Job – die Fortbildung war als berufsbegleitende Maßnahme für die Dokumentarinnen angedacht. Ich dagegen kam als Neueinsteiger hinzu, der zwar eine Fortbildung zum MDA vorzuweisen hatte doch ohne Berufspraxis. Von der Tumordokumentation wusste ich nur so viel, dass sie notwendig ist und im Zuge des Aufbaus der Klinischen Krebsregister immer mehr an Bedeutung gewinnen sollte. So meine Überlegungen, die mich zu dieser Fortbildung brachten. Die Schulleiterin blies ins selbe Horn – ich fühlte mich in meinem Ansinnen bestätigt. Sie machte mir Mut. Schließlich war noch nicht klar, ob die Rentenversicherung die Kursgebühren tragen würde. Immer wieder wiederholte sie ihr bestes und einziges Argument: Tumordokumentare werden gesucht. Nebenbei ging es ihr natürlich darum, mich als Schüler für den Kurs zu gewinnen. Sie hatte erst vier Teilnehmer(innen).
Heute denke ich: wenn ich gewusst hätte, auf was ich mich da einlasse… Diese ganze fuckin` medizinische tumorspezifische Terminologie gestaltete sich zu einem Horrortrip für mein Hirn.
Aber gut, ich ziehe es durch, zumal die Rentenversicherung nach einigem Hin und Her nun tatsächlich zahlt. Vor ein paar Tagen bekam ich den Anruf von der Hauptgeschäftsstelle. „ ...damit sollte Ihr Widerspruch vom Tisch sein“, sagte die Dame vom Amt säuerlich.
Zehn Tage verbleiben noch zum Büffeln. Ich sollte besser über den Unterlagen sitzen, als jetzt an diesem Beitrag schreiben. Ab und zu schaue ich aus dem Fenster, auf Gehweg und Straße, auf die Hausfassade gegenüber, die Autos und die Menschen. Der Briefzusteller war noch nicht da. Ich warte auf den schriftlichen Bescheid von der Rentenversicherung. Ich warte auf einen Motivationsschub am Wochenanfang.
bonanzaMARGOT
- 30. Jan. 17, 12:38
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Arbeitslos