Donnerstag, 17. Oktober 2013

Herbstgedanken


… die Wirklichkeit ist wie Schnee, der fällt und am nächsten Tag wieder taut …
Noch schneit es nicht. Der Winter ist noch nicht Wirklichkeit. Aber er kommt im Sauseschritt. Ich rieche ihn durch meine schnupfen-verstopfte Nase hindurch. Die Bäume hängen noch voller Laub. Mitte Oktober. Die Tage schon deutlich kürzer. Die Sommerzeit endet in zehn Tagen. Wozu eigentlich diese Hin- und Herstellerei?
Was werden die Wintermonate bringen? Alles nimmt seinen Lauf. In der großen und in der kleinen Welt. Die Machenschaften eines Bischofs in Limburg stinken zum Himmel. Eine Beleidigung für den Limburger Käse. Die politischen Parteien beenden ihre Sondierungsgespräche. Ich schätze, es wird auf eine Große Koalition hinauslaufen. Gestern versäumte ich einen Betriebsarzttermin. Mir war nicht danach. Die nächste Woche hat auch einen Mittwoch. Ich mag die Herbstsonne, wie sie durch die Blätter fällt. Sie wirkt gütig. Zehn Nachtwachen innerhalb von vierzehn Tagen stehen vor der Tür. Im Dunkeln gehe ich zur Arbeit, und im Dunkeln kehre ich morgens zurück. Demnächst muss ich meine Pflanzen aus dem unbeheizten Vorraum in die Wohnung stellen. Die Minuten verstreichen eine nach der anderen. Ihnen ist alles egal. Auch ich übe mich in Gleichmut. Ich muss meine Kräfte einteilen.
Das Leben nimmt einen einfach mit – wie ein Bus durch die Zeit. Nicht immer bequem. Es gibt scharfe Kurven und Schlaglöcher auf der Strecke. Festhalten ist in jedem Falle sinnvoll.
Ich schnäuze mich und pfeife mir einen Hub Schnupfen-Spray in jedes Nasenloch. High wird man nicht davon. Das wäre doch was. „Ein „Schnupfen-Glück, bitte“, und der Apotheker reicht mir völlig legal die ultimative Droge*, um die kalten und düsteren Wintermonate zu überstehen. Warum soll man sich die Wirklichkeit immer in seiner vollen Härte und Erbarmungslosigkeit reinziehen? Dieses ganze Elend in der großen und kleinen Welt … all die Wiederholungen der Soap-Folgen, das Sterben im Altenheim, das Sterben außerhalb des Altenheims, die ganzen jämmerlichen Affektiertheiten von Bischöfen, Politikern und allen anderen Wichtigtuern, der nie abreißende Autoverkehr, Menschen, die sich wie Geier auf Sonderangebote stürzen, Menschen, die vor der Küste des reichen Europas verrecken - es ist leichter, ihre Leichen aus dem Meer zu bergen, als sie bei uns durchzufüttern …
Ach ja, ich wollte mich in Gleichmut üben. Oberflächlich durch die Minuten plätschern. Mich tragen lassen, gedankenlos, in jahrelang eingeübten Mechanismen, automatisch, zombie-like. Nichts leichter als das. Niemand erwartet von mir, dass ich an der Welt verzweifle. Mit dem ewigen Gezetere gehe ich meinen Mitmenschen nur auf den Wecker. Und ich verpasse mein eigenes Leben …
Leben?


* apropos Droge: in den USA ist inzwischen in vielen Bundesstaaten der Verkauf von Cannabis als Heilmittel über die Apotheken erlaubt.

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