Zuhause. Der Sonnenbrand auf dem Kopf juckt noch leicht. Die Waschmaschine läuft. Ich höre
Black Sabbath. Das Gestrüpp wuchs fast fensterhoch. Der Bundestag debattiert. Die ersten Sonnenstrahlen erreichen mich durch das Dickicht. Auch wenn niemand auf einen wartet, ist das Zuhause ein Zuhause. Ich müsste dringend wieder ausmisten. Ich fühle mich schnell von all den Dingen um mich herum bedrängt. Bevor sie mir die Luft nehmen, müssen sie weg.
Die Zugfahrt war lang ... Aber wenigstens musste ich nicht umsteigen. Ich fühlte mich am Reisetag wie nicht ganz da. Auf dem Weg zum Rostocker Bahnhof kam ich ins Schwitzen. Plötzlich befand ich mich auf Abwegen. Die Menschen wirkten seltsam ablehnend mir gegenüber – was natürlich Einbildung ist. Wahrscheinlich war ich einfach nur erschöpft und müde. Na ja, ich habe Humor und Stehvermögen. So leicht lasse ich mich von widrigen Umständen nicht aus der Fassung bringen. Normalerweise. Jedenfalls kam ich gut mit Fahrrad und Gepäck in den Intercity. Der Fahrrad- und Gepäckwagen befindet sich meist am einen Ende des Zuges und das Bordbistro am anderen, dazwischen ca. ein Dutzend Wagen. Vor Hamburg machte ich mich auf den Weg, weil ich dann einen Sitzgenossen bekommen sollte, der aber nur bis nach Bremen fuhr. Ich mag es einfach nicht, stundenlang neben einer fremden Person zu sitzen, ohne dass man abrücken kann. Das ist mitunter das Ätzende an langen Zugreisen: die Beengtheit, wenn der Zug voll ist.
„Ein helles Hefeweizen, bitte.“
Eine verknöchert wirkende alte Jungfer bediente im Bistro. Eine Sächsin, wie ich ihrem Akzent entnehmen konnte. Es gibt Menschen, die einen immer irgendwie vorwurfsvoll begegnen, egal, was man sagt oder von ihnen will. Vom Rostocker Bahnhof hatte ich noch einen Verzehrgutschein – ich war auf der Toilette gewesen und hatte mit einem Eineurostück gezahlt, worauf der Automat nicht etwa ein Münze zurückgab sondern diese Fünfzigcent-Gutschrift. Im Voraus: ich hatte auf dieser Gutschrift im Briefmarkenformat noch nicht das Kleingedruckte gelesen.
„Kann ich den bei Ihnen einlösen?“ fragte ich die alte Jungfer freundlich, „ich habe den vom Bahnhof.“
„Nein!“ antwortete sie schnippisch, „wo sind wir hier? Im Zug oder im Bahnhof?“
Ich überlegte kurz: „Manchmal kommen Züge und Bahnhöfe zusammen ...“
Die alte Jungfer stöhnte auf, als wolle sie sagen: Was ist denn das für einer? Sie hatte mich gefressen. In unangenehmer Atmosphäre halte ich es nicht lange aus, und sowieso strömten von Haltestation zu Haltestation immer mehr Reisende ins Bordbistro. Ich trank also nur zwei Weizenbier und machte mich auf den Weg zurück zu meinem Sitzplatz. Wir hatten Bremen passiert.
Dummerweise saß auf dem Platz neben mir nun ein anderer Fahrgast, der bis Köln fuhr …
Die Luft im Großraumwagen war dick. Ich döste oder las „Les Misérables“ und verzehrte langsam meinen Reise-Biervorrat. Wir passierten den gesamten Ruhrpott. In Rostock hatte noch die Sonne geschienen, inzwischen war es düster und schwül geworden.
Um es kurz zu machen: ich kam wohlbehalten in Heidelberg an. Mein erster Weg führte mich zum Bahnhofsfriseur. Noch ein Ankommensbier, und ich machte mich mit dem Fahrrad auf die letzten Kilometer.
Wieder hatte ich das Gefühl, dass sich alles gegen mich verschworen hatte, als wünschte mir jemand, dass ich am Ende meiner Reise noch tüchtig auf die Fresse fallen sollte. Tausende Studenten kamen mir auf ihren Fahrrädern entgegen, schnitten mich, fuhren mir beinahe ins Rad. Und mit den Autofahrern war es das selbe. Ich musste auf dem Heimweg höllisch aufpassen. „Mein Gott“, dachte ich, „ich wusste gar nicht, dass in meiner Heimat so viele Idioten unterwegs sind!“ Ehrlich, auf der gesamten Fahrradreise von Görlitz hoch an die Ostsee begegneten mir nicht so viele rücksichtslose Fahrrad- und Autofahrer wie auf diesen letzten fünfzehn Kilometern.
Glücklicherweise ging alles gut. Nach einem Supermarkteinkauf * und einem letzten Halt vorm Kaffeehaus …, landete ich zuhause.
Mit
Lawe hatte ich in Rostock noch über schicksalhafte Fügungen diskutiert. Sie hatte gemeint, dass alles einen Grund hat, während ich von Zufall sprach. Es gab tausend Gefahren, die mir auf dieser Fahrradreise hätten zustoßen können. Vielleicht hatte ich einen Schutzengel. Vielleicht ist meine Zeit einfach noch nicht gekommen. Was weiß ich. Außer einer roten Nase von den letzten Tagen, geschundenen Gliedern sowie ein paar Mückenstichen trug ich keine nennenswerten Blessuren davon.
Inzwischen läuft
Deep Purple. Im Bundestag wird immer noch debattiert. Weiß der Teufel worüber. Die Wäsche ist längst fertig und aufgehängt. Es ist Mittag. Der Tag zeigt sich durchwachsen aber warm. Am Briefkasten war ich noch nicht.
Verdammt, ich bin zuhause.
(* Betr. Supermarkteinkauf: Beim Zahlen fiel mir ein Eincentstück herunter. Die Kassiererin fragte: "Haben Sie zu viel Geld?" Ich stutzte einen Moment, weil ich nicht begriff, was sie meinte. Dann antwortete ich: "Ja, kommt mir auch manchmal so vor.")