Donnerstag, 7. Februar 2013

Der Schrei(b)er


Die Strasse glänzt matt-grau. Es regnet.
Der Kinderwagen hat ein Nummernschild und einen Benzinmotor.
Menschliche Formen kriechen den Erboden entlang, nackt, entblößt. Die Strömung reißt sie in den Abgrund.
Hände klammernd am Kanaldeckel. Gefühle werden weggeschwemmt.
Ein Mann geht nach Hause zum Abwaschen. Eine Frau bedient den Preßlufthammer.
Kinder sind Verbrecher.
Das Paradox wird zur Norm.
Ich sehe, was du hörst.
Ich rieche, was du siehst.
Ich fühle dich, du Biest!

Der Schreiber ist verwirrt. Er wird abnorm.
Hat er die Abnormität erst erreicht, kann er sie nicht mehr beschreiben.
Ich möchte nicht schreiben.
Ich möchte schreien!

Die Persönlichkeit verwächst mit dem Geschriebenen. Gedanken fließen auf das Papier und versickern.



(1980)



Vor gut dreißig Jahren schrieb ich diesen Text. In dreißig Jahren werde ich Achtzig sein.







Für wen schreibe ich


Texte stehen schief im Raum. Ihre Wörter verlaufen, werden unscharf und unleserlich. Es ist nicht klar, für wen sie geschrieben sind.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, weil mich der Husten plagte. Der Fernseher lief. Ein Doku-Kanal. (Meistens.) Wie Planeten entstehen. Welche Kräfte wann wie wirken. Solche Berichte ziehen mich magisch an. Ich könnte stundenlang zuhören, auch wenn ich nicht alles verstehe.
Der Hustenanfall ebbte ab, und ich kuschelte mich in meine Kissen und hörte einfach nur der Stimme zu, die von Planeten, Sonnen und Naturkräften sprach. Bis ich wieder einschlief.
Im Traum erschien mir mein achtzigjähriger Vater. Er sagte, wie schnell das Leben doch verginge. Ruckzuck, und man sei Fünfzig. Ja, dachte ich im Schlaf, das stimmt allerdings.

Für wen schreibe ich? Das Internet saugt alles auf. Es ist gleich dem Weltall – monströs und unüberschaubar. Meine Texte hängen darin herum wie Staubklumpen.
Es ist ein seltsamer Gedanke, dass mich meine Texte überleben werden. Jedenfalls besser als ein Grabstein. Außer, ich hätte ihn selbst gemeißelt. Das Schreiben ist mein kleines Vermächtnis. Mein Fußabdruck auf der Welt. Eigentlich nicht mehr als ein: „Hallo, ich war auch mal hier.“

Noch ein paarmal husten, und ich bin Achtzig. Vielleicht werde ich dann ganz erstaunt sagen: „Was, das habe ich geschrieben!?“
((Jedenfalls werde ich keinem Sohn im Traum erscheinen.))
Kann sein, dass es irgendwann nichts mehr zu schreiben gibt. Nicht, weil der Geist tot ist. Sondern weil er endlich ankam.

ein literarisches Tagebuch

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