Mittwoch, 8. August 2012

TV-Tipp:

"Million Dollar Baby", 20 Uhr 15, kabel 1

My day


Ich war am Ende. Ich war damals vorm Ende. Ich war am Ende, als ich geboren wurde. Ich öffnete meine Augen und mein Lebensdurst begann. Nach dem Licht. Nach der Brust meiner Mutter, die ich nicht bekam … Nach den Gestalten um mich herum, die mich hoben, ablegten, fallen ließen. Ich hatte noch keine Erinnerung. Oder vielleicht hatte ich sie. Damals als ich geboren war. Meine Haut war wie ein Pfirsich. Meine Augen waren junge Sterne. Wenn ich lachte, lachte ich. Wenn ich weinte, weinte ich. Damals, als Gebüsche noch Gebüsche waren.
Nach und nach fraß ich mich durch das Leben. Ihr wisst schon. Ihr seid auf dem selben Weg. Wir wussten nichts voneinander, und dann kamen Eltern, Familie, Schule, Kultur. Es kamen all die Unterschiede. Ich mag Erdbeermarmelade, und du magst Kirschmarmelade. Und du? Was magst du?
Himbeere?
Die Liebe ist eine unbestimmte Marmelade, die uns von Geburt aus mitgegeben wurde. Sie ist erst süß wie der Teufel. Und danach gärt sie. Alles gärt. Das Leben gärt. Die Marmelade verliert ihre Süße, und du, du kleiner Mensch, musst deinen Geschmack umstellen …
Ich stellte meinen Geschmack um. Ich grinse. Weißt du, wie sehr ich grinse? Ich bin du. Du bist ich. Wir wurden in dieselbe Welt geboren.
„Küss mich, bevor du gehst …
heut nacht“
Ein alter Song von Spliff.
Tränen halten Sonnenstrahlen, und die Sonnenstrahlen halten meine Tränen. Vergangenheit und Zukunft lösen sich auf, sind nichts als Würfelzucker in einem Wasserglas.

(Hey, keine Angst, ich liebe dich!)

Instant


Es gibt Tage, an denen ich mich einfach nur alt fühle. Mein Kopf kommt mir vor wie ein Dachstuhl mit einem Haufen verstaubten unnützen Krempel drin. Ich reiße ein Fenster auf und blinzele müde in den Tag. Das Licht tut weh. Ich weiß, was ich brauche: eine Dusche, einen Kaffee, einen Drink … Aber ich kann mich noch nicht für die Reihenfolge entscheiden. Die Unlust in mir fühlt sich an wie ein LKW, der auf meiner Brust parkt. Irgendein Arsch hat ihn dort heute Nacht geparkt. Was nix neues ist. Eigentlich kenne ich diesen Zustand gut. So gut wie meine alten Unterhosen. Oder wie alte miefende Geschirrhandtücher. Oder wie meine Zehennägel, die ich schon wieder schneiden müsste. Oder wie meine Nasenhaare … Oder wie die Arbeit im Altenheim, meine Kollegen, meine Chefin. Oder wie eine Tiefkühlpizza. Oder wie das Geschirr vom Vortag. Oder wie die Bedienung im Kaffeehaus, die immer „Gerne“ sagt, wenn ich mein Bier bestelle. „Am Arsch lecken“, denke ich. „Gerne“, sagt sie. Nein, ich tue ihr Unrecht. Sie kann nichts für meine Laune. Ich bedanke mich immer freundlich, selbst wenn ich eine gefühlte Ewigkeit auf mein Bier warten muss. Wenn man wüsste, was sich so hinter mancher Stirn abspielt. Leute, die mich etwas kennen, sehen mir an, wie es mir geht. Das ist mir unangenehm. Aber mein Gesicht scheint so was wie ein offenes Buch zu sein. Eine Poker-Karriere wäre damit nicht drin. Ich lächele viel. Für gewöhnlich. Schaue ich dann mal ernst oder nachdenklich, fragen die Leute gleich nach: „Was ist denn mit Ihnen los?“ Woraufhin ich wieder lächele – etwas gequält – und sage: „Nichts, alles okay, bin nur müde.“ Und damit habe ich nicht mal gelogen. Obwohl, ich glaube, mein Lächeln nahm in den letzten Jahren permanent ab - ist aber bestimmt für Deutsche noch überdurchschnittlich häufig ...
Also, was nun? Erst Kaffee, dann Drink und zuletzt Dusche? Diese Reihenfolge erscheint mir am besten. Die Sonne bricht durch. Vielleicht wird der Tag noch was – trotz Nachtwache am Abend, trotz dem LKW auf meiner Brust. Trotz dem verstaubten Krempel im Dachstübchen.
Der Wasserkocher ist angestellt. Instantkaffee. Ich mag ihn höllisch heiß. Schwarz, mit einer Süßstofftablette.

ein literarisches Tagebuch

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