Gedankenzersetzung


Manchmal bin ich zu müde, um mein inneres Tourette zu bändigen. Dann denke ich öfters „Fuck!“ „Leck mich!“ und ähnlich ordinäres Zeug. Immer wieder auch „Baby Blue“. Keine Ahnung, wann ich anfing, „Baby Blue“ zu denken. Auf meinen einsamen Fahrradreisen fiel es mir auf. Besonders während großer Anstrengungen oder in misslichen Situationen. Da fühlte ich mich von „Baby Blue“ getröstet. Irgendetwas schwingt in mir im Gleichklang mit diesen Worten. Und ich finde es besser, als „Leck mich“. Die ordinären Ausrufe sind deswegen nicht ganz aus meinem Kopf verbannt – was ich auch gar nicht anstrebe. Ich erlaube meinen Gedanken ziemlich viel. Nur bei der Auswahl, welche von ihnen dann aufs Papier fließen, lasse ich mir nicht gern reinreden. Und in Gesprächen vertone ich nur die angemessenen Gedanken. Wobei mir bewusst ist, dass ich es nicht immer in der Gewalt habe. Wie oft rutscht mir eine Bemerkung raus, die unpassend oder sogar verletzend für mein Gegenüber ist. Es ist nicht leicht, es dann wieder gerade zu biegen. Von wegen Missverständnis oder so. Also entschuldige ich mich. Mehr kann ich nicht tun. „Verflucht und zugenäht!“ denke ich dann. Oder: „Idiot!“ Vielleicht lasse ich meinen Gedanken zu viel Freiheit. Ich meine, es ist doch klar, dass die auch mal raus wollen. Und sie wollen dabei eben nicht in schlechte oder gute bzw. in passende oder unpassende Gedanken getrennt werden. Ich verstehe das Bedürfnis meiner Gedanken, nach draußen zu drängen. Ich verstehe es wirklich, aber ich darf es unter keinen Umständen zulassen. Meine Gedanken würden mich ruinieren. Und das sehr schnell. Meinen Arbeitsplatz könnte ich gleich an den Nagel hängen. Und Freunde hätte ich auch bald keine mehr. Hoppla, wie viele Freunde habe ich eigentlich noch? Ich war, glaube ich, schon immer zu ehrlich. Ja, und wenn ich ein paar Bier intus habe, ist sowieso alles zu spät.
Die Harmonie im Kopf herzustellen ist eine verfluchte Gratwanderung. Ich kann mich nicht um alles kümmern. Also gebe ich manche Kompetenzen an Dingsbumse meines Unterbewusstseins ab. Sonst müsste ich ja bei jedem Wort, das ich sage oder aufschreibe, stundenlang hin und her überlegen. Mir wird offenbar, wie wenig Macht ich eigentlich über mich selbst habe. Alles hängt von dem Vertrauen an die Dingsbumse und der Harmonie ab. Bin ich nicht ein einsamer Gedankenkönig?
Ich bin eine Pappfigur. Oder? „Fuck!“ Sie brauchen mich wie der Vatikan den Papst. Ich bin ein Fels aus Pappe. Ich bin das Arschloch der Nation. Schreibe ich das? Revolutionen gehen normalerweise vom Volk aus und nicht vom König. Ich sollte mal wieder auf den Tisch klopfen, damit klar ist, wer hier der Herr im Hause ist! „Leck mich!“
Okay. Alles nur ein Missverständnis. Wir brauchen uns. „Baby Blue“. Ich bin ein Idiot. Dabei will ich doch gar nichts besonderes. Ich will nur ich sein.

Lange-Weile - 19. Feb. 13, 13:31

wie Hund und Katze

Hallo Bo.,

ich denke, es würde auf der Welt ein heilloses Durcheinander geben, wenn jeder sagen würde, was er über ihn denkt. Mord und Totschlag wäre die Folge, weil sich meine Wahrheit von deiner Wahrheit total unterscheiden kann. Jeder hat seinen individuellen Tellerrand, über den er maximal ein wenig mehr sehen kann, als nur auf seinen eigenen Horizont, denn nur den kann das Gehirn reflektieren.

Wollen wir mehr sehen, müssten dem Menschen Flügel wachsen und er muss sich der Vogelperspektive bedienen, um den gesamten Eindruck zu reflektieren. Das Gehirn verhält sich wie ein Vogel, die menschliche Pespektive ist eine andere. Es ist anders einen Rasen aus der Sicht einen Vogels zu sehem als aus der Sicht eines Käfers. Während für den Käfer der Gralshalm ein Dimension eines Baumstammes haben kann, ist diese für den Vogel nicht mehr, als für den Menschen ein Haar.

Damit sich die unterschiedlichen Wahrnehmungen kompensiert werden könne, erfand der Mensch die Diplomatie, denn nur sie kann entscheiden, was gesagt werden kann und muss und wie es gesagt werden muss, damit es nicht zu Missverständnissen führt.

Das ist wie das Zusammenspiel von Hund und Katze und kann im Kampf münden. Wenn der Hund mit dem Schwanz wedelt, dann drück er damit Freude aus, wedelt die Katze mit dem schwanz, drückt sie damit höchste Anspannung aus. D.H. das das, was ich sehe, nicht immer das ist, was damit zum Ausdruck bringen wollte. Aber, das was ich zum Ausdruck bringen wollte, von dem anderen ganz anders verstanden wird. Das wieder kann dazu führen, dass ich die Welt niht mehr verstehe oder ich zu dem Schluss kommen kann, die Welt versteht mich nicht..

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 19. Feb. 13, 14:07

das problem mit der ehrlichkeit sehe ich problematischer. logisch ist die diplomatie zur sicherstellung des gesellschaftlichen friedens notwendig. aber wie weit kann man gehen, ohne seinen eigenen inneren frieden zu gefährden, ohne zum heuchler zu werden?
ich werde z.b. niemals weihnachten ehrlich feiern können - nur um meinen mitmenschen zu gefallen. es reicht, dass ich mich berufsbedingt nicht ganz aus solchem mist heraushalten kann.
ebenso will ich auf keiner beerdigung mehr sein. mir reicht meine eigene, an der ich dummerweise teilnehmen muss.
und so gibt es noch eine reihe von dingen, wegen denen ich mich privat ungern verbiegen möchte. früher oder später würde ich dann doch mit der sprache rausrücken. und dann wären meine mitmenschen irritiert. also sage ich besser gleich, was ich zum kotzen finde. "baby blue."
mir ist klar, dass ich so kaum eine partnerin für viel länger als ein augenzwinkern finden werde. dabei gebe ich mir bereits mühe, diplomatisch zu sein. scheiße, oder?!?
ein kompromiss wäre, dass mich meine mitmenschen so akzeptieren, wie ich bin, und nicht erwarten, dass ich diese gesellschaftlichen verblödungssachen etc. mitmache. ich kann im gegenzuge akzeptieren, dass es für sie eben wichtig ist.
aber ich weiß schon: bei aller gegenseitiger toleranz wird sich doch eine front der abneigung aufbauen - da der mensch ein soziales lebewesen ist.
wenn man in eine gruppe integriert werden will, muss man deren regeln und traditionen nicht nur akzeptieren, sondern man muss mitmachen.

ich bin zum außenseiter verdammt. es ist eben nicht einfach für mich, meine einstellung zum leben zu revidieren, oder sie den anderen anzupassen. drum wäre ich z.b. 100%ig auch nie ein nazi geworden. mir fehlt es offenbar an innerer flexibilität.
ich muss mal meine dingsbumse befragen. sie sind letztlich dafür zuständig, warum ich bin, wie ich bin.

im beitrag bohrte ich eine sonde in meinen kopf. es ist gar nicht so einfach, die innere gedankenwelt quasi vor dem hervorsprudeln abzufangen, und zu identifizieren, warum und wieso ... da kommen wir dann hinein in die welt der gefühle. sowas wie flüssige gedanken. wie magma, das den schlot eines vulkanes füllt und sich dann und wann in die umgebung ergießt.
wir sind alle gedankenvulkane. aber unterschiedlichster sorte.
montez - 20. Feb. 13, 09:01

Inneres Tourette, das ist ein guter Name. Ja, das habe ich auch, besonders beim Zugfahren. Erschreckend mitunter. Mir rutscht manchmal was raus, manchmal auch bisschen zuviel. Ich versuche es auch mal mit einem Gegenwort.

Ich denke, es geht auch da um das richtige Maß, man soll nicht alles unterdrücken, aber man muss wegen eigener Geladenheit nicht andere Menschen verletzen.

Interessant ist ja viel mehr die Frage, woher kommt diese Aggressivität? Das hab ich mir dazu zu Herzen genommen. Klappt manchmal. Harmonie im Kopf. Ich übe.

bonanzaMARGOT - 21. Feb. 13, 16:52

montez, was hast du gegen aggressionen?
aggressionen gehören zum leben. sie sind ventile für unsere frustrationen und verwurschtelungen, für unser gefangen sein und unser leid.
mit den aggressionen ist es wie mit den ängsten: nur wer sich ihnen stellt, kann mit ihnen umgehen, so dass sie nicht ausarten.
es ist doch besser z.b. in kleinen schüben, dampf verbal bzw. durch inneres tourette abzulassen, als heftigere ausbrüche zu provozieren.
ein leben ohne aggressionen kann ich mir nicht vorstellen. ich hasse es, wenn sie in wirklich bedrohliche gewalt münden.
harmonie im kopf herstellen - finde ich gut. es sollte vielleicht besser heißen: eine harmonie zwischen kopf und bauch hinkriegen.
wer harmonie will, muss darum streiten. es ist nicht so, dass man sich einfach zum meditieren hinsetzt, und alles ist gut.
wer frieden und gerechtigkeit will, muss kämpfen. ohne aggressionen geht das gar nicht.
montez - 21. Feb. 13, 17:43

Nix. Sag ich doch. Ich hab nix gegen Aggressionen. Das richtige Maß. Ich glaube, ich hab's noch nicht gefunden. Da auch nicht.
bonanzaMARGOT - 21. Feb. 13, 18:18

"Da auch nicht" oder "Du auch nicht".

Ich weiß nicht, ob ich das richtige Maß an "angewandter Aggressivität" habe. Ich weiß nur, dass ich ein eigentlich friedlich gesinnter Mensch bin.

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