boMAs Gedichte und Texte

Sonntag, 8. Januar 2017

Lost


Inzwischen kann er nur noch über die Bewegung seiner Augen kommunizieren. Der Sprachcomputer generiert zwei bis drei Wörter pro Minute. Eine mühsame Angelegenheit und nichts für ungeduldige Gesprächspartner. "Manchmal bin ich sehr einsam, weil die Leute Angst haben, mit mir zu sprechen, oder nicht abwarten können, bis ich eine Antwort geschrieben habe", sagte er 2015 in einem BBC-Interview. Unwillkürlich denke ich dabei an das beeindruckende Buch „Schmetterling und Taucherglocke“, das von dem nach einem Schlaganfall am Locked-In-Syndrom leidenden Jean-Dominique Bauby nur durch Augenzwinkern diktiert wurde…
Unser Geburtstagskind wird heute 75 und schrieb eine Menge Bücher. Er gilt als der größte Astrophysiker unserer Zeit. Ich zolle ihm meine Hochachtung. Alles Gute, Stephen Hawking!

In Berlin fällt der erste Schnee des Winters und generiert eine ungewöhnliche Stille. Hinzu gesellt sich die Sonntagsruhe. Feine Flocken wirbeln durch die Luft und bedecken die parkenden Autos mit Schneehauben. Ich versinke in dem selten weißen Anstrich des Tages, im Kopf ein einziges Kuddelmuddel. Wie bekommen manche Menschen da nur Ordnung rein? frage ich mich.

Die Praktikumsleiterin meinte „Du denkst zu kompliziert“, worauf ich erwiderte „Das war schon immer so – ich wundere mich, wie ich überhaupt so weit kommen konnte…“ und verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Ich quälte mich wieder einmal durch die Mahnliste der Tumordokumentation und brachte offenbar die einfachsten Dinge nicht auf die Reihe. Sie muss mich für einen kompletten Idioten halten, dachte ich bei mir. Wieso tue ich mir das an?

Ich bin fasziniert von Menschen wie Stephen Hawking, die allein durch ihre Vorstellungskraft und Intelligenz neue Erkenntnisse zum Universum entwerfen und sich in dem komplexen Allerlei von Mikro- und Makrokosmos zurechtfinden. Meine Stärke liegt eher auf der abstrakten Ebene. Von der schieren Menge der unterschiedlichen Elementarteilchen fühle ich mich erschlagen – ähnlich ergeht es mir momentan mit der Tumordokumentation: ich scheitere an der Vielfalt der mir unbekannten medizinischen Vokabeln und dem richtigen Herauslesen.
Ich frage mich: Befinden wir uns mit dieser fachlichen „Zerstückelung der Welt“ auf dem richtigen Dampfer? Wer soll da eigentlich noch durchblicken? Ich jedenfalls fühle mich sehr oft überfordert. Ich bin schon froh, wenn ich die richtige Himmelsrichtung finde und rechts und links unterscheiden kann. Kompliziertere Sachverhalte bereiten mir schnell Kopfschmerzen.
Ich würde mich als 1. begriffsstutzig und 2. ungeduldig charakterisieren – keine guten Vorrausetzungen für das Erlernen eines neuen und umfangreichen Fachgebietes. Zudem bin ich ein Sensibelchen, was den Lehrer und seine Art und Weise angeht. Der Lehrer hat sehr viel Einfluss auf meine Motivation. Es muss passen…

Denke ich wirklich zu kompliziert? Nein. Ich sehe überhaupt kein Denken, nur eine diffuse Stille, abertausende Puzzleteile. Worte verbergen sich im geistigen Schneegestöber, ich jage Bedeutungen wie Schmetterlingen hinterher. Das Gesicht der Praktikumsleiterin verzerrt sich zur Horrorfratze. Erstaunen und Entsetzen tanzen mit mir Ringelreih. Die Uhr über der Bürotür zeigt an: Noch eine Stunde. Was ist eine Stunde? „Du bist hier, um zu fragen“, sagt die Praktikumsleiterin. Ich nicke stumm. In mir werden ganze Heerschlachten ausgeführt. Alle kämpfen gegen alle.
Nun gut, dann also zum nächsten Fall auf der Mahnliste: ein Hirntumor…

Wie verloren ist die Menschheit im Universum? Und wie verloren ist ein Mensch in der Welt?
Wie verloren kann ich in mir selbst sein?

Samstag, 31. Dezember 2016

Auf ein Neues


Silvester, wieder was mit fortlaufenden Zahlen. Kaum habe ich mich an eine Ziffernfolge gewöhnt, muss ich umdenken. Vor kurzem hatte ich erst die Sache mit dem Lebensalter. Warum feiert man Silvester eigentlich am 31. Dezember? Die Winter- oder Sommersonnenwende fände ich sinniger, um den Wechsel ins nächste Jahr zu begehen. Jedenfalls hat die Erde wieder eine Runde geschafft. Sie flitzt mit gut 100.000 Stundenkilometern um die Sonne, und wir merken es kaum bis gar nicht. Mal ausrechnen, wie viele Kilometer ich in meinem Leben schon um die Sonne zurücklegte… Nein, mache ich jetzt nicht. Mir ist schwindelig genug von den ganzen Zahlen im Leben. Ich fände es gut, wenn wir an Silvester mehr an die Erde dächten und weniger an uns. Statt Abermillionen Euro in den Nachthimmel zu verfeuern, könnte man mal alle Lichter ausschalten und den Sternenhimmel bestaunen – geht natürlich nur, wenn`s nicht bedeckt ist. Also, ich fände das sinniger… Wir schmoren so sehr im eigenen Saft, dass wir gar nicht mitkriegen, wie rätselhaft und unglaublich wunderbar das Weltgefüge ist, dessen Teil wir sind. Wir Menschen hätten die Intelligenz und Einsichtsfähigkeit, aber unsere Ignoranz ist einfach riesen-riesengroß. (Wahrscheinlich werden Intelligenz und Einsichtsfähigkeit des Menschen auch überschätzt.) Aber wurscht. Es ist, wie`s ist. Wir sind Sternenkinder, wir sind unsere eigenen Außerirdischen… Lasst uns zur Abwechslung mal nicht auf uns anstoßen, sondern auf die fantastische Erde! Und wenn wir schon mal dabei sind, auch gleich auf den Mond und die Sonne! Und auf alle unsere Nachbarplaneten! Also, wenn die nicht wären…!
Begrüßen wir die nächste astronomische Umkreisung der Sonne – jeder neue Tag ist ein Geschenk, dem wir nicht gerecht werden.

Sonntag, 25. Dezember 2016

Nabelschau an Weihnachten


Gut, dass ich mich dieses Jahr nicht sonderlich bemüßigt fühle, meinen Anti-Weihnachtsgefühlen Ausdruck zu verleihen. Das sollte ein Zeichen dafür sein, dass sich die Weihnachtsbelästigungen meine Person betreffend in Grenzen hielten. Vielleicht kommt langsam aber sicher die Weisheit des Alters hinzu - oder nennen wir es besser Gleichgültigkeit.
Ich verbringe die Tage in absoluter Ruhe und zumeist in der Abgeschiedenheit der eigenen vier Wände. Ein Blick aus dem Fenster sagt mir: Muss nicht sein: kühles, regnerisches Dezemberwetter, weder Sekt noch Selters, der deutsche Winter, der sich schmutzig wie die Straße zeigt: Grau in Grau.
Ich fließe in die Stunden, in den Tag. Gedanken sammeln sich und fallen wieder auseinander. Ich reflektiere meine Situation, mein Leben zum zigsten Mal und bleibe dabei stecken wie in einem Sumpf. Die Arme hängen schwer an mir herab. Die Augen versinken im Kopf. Zwei Tage unrasiert…
Nein, ich lasse mich nicht hängen. Ich erlebte diesen Zustand schon oft, total konzentriert in der Unkonzentriertheit. Die Realität wird zum Traumzustand. Ich weiß nicht, was ich sehe oder fühle. Wo kommen die Worte noch her?
Ich bin mir alles und nichts, meine eigene Laborratte. Das ICH zieht sich zurück und überlässt die Regie einem anderen. Ich brauche mich gar nicht. Ich stehe neben mir und löse mich auf. Wer ist das, der diese Zeilen schreibt? Wer läuft durch die Stadt und warum? Der andere geht diese Wege – und ich ziehe mich zurück wie ein stiller Begleiter. Ich sitze in der Schulter oder im Bauch oder in den Beinen. Ich lasse mich tragen und schlage vor Langeweile Purzelbäume, wenn der andere als Tumordokumentar arbeitet. Er quält sich durch die Stunden, und ich frage mich, warum er das macht. Wissen all die anderen „anderen“, wieso sie gerade dies oder das tun? Sind wir nur Puppen, die ans Steuer gesetzt wurden, um den Schein (eines Selbst) zu wahren?

Genug Nabelschau für heute. Weiter komme ich im Moment nicht. All diese Gedanken spielen gar keine Rolle in dem Universum um mich herum… Ist der Kühlschrank voll? Was gibt`s zu essen? Ist genug Geld auf dem Bankkonto? Wohin im nächsten Urlaub?... Alles schwimmt an der Oberfläche des riesigen Mahlstroms Leben, immer schön im Kreis herum durch die Monate, Jahre, Jahrzehnte, bis wir relativ unspektakulär verschluckt werden. Vielleicht hängen so viele Menschen an Festen wie Weihnachten, gerade weil sie immer dasselbe sind, weil sie seit Jahrhunderten Bestand haben, weil sie für ein paar Tage Ruhe und Frieden vorgaukeln. Ich weiß nicht. Ich habe den Sinn dafür nie gehabt.

Sonntag, 11. Dezember 2016

An der Pforte


„Drei Türen, von denen du eine auswählen kannst“, sagte er und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Dabei waren wir uns fremd. Ich zuckte zusammen, weil ich für sowas mehr Vertrautheit mit einer Person voraussetze. Aber er hatte mich an der Angel. Schließlich war ich zu ihm gekommen. Manche Ärzte gehen ähnlich vor, wenn sie den Patienten unangenehme Wahrheiten mitteilen müssen. Wahrscheinlich eine Mitleidsgeste. Auch Gefangene in der Todeszelle behandelt man derart. Jedenfalls stelle ich`s mir so vor. Na ja, der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Schließlich weiß ich aus Erfahrung, dass wir mit Kranken und Sterbenden nicht immer pfleglich umgehen…
„Drei Türen“, wiederholte er und blickte mich nun eindringlich und ernst an, „aber bevor ich das weitere Prozedere erkläre, sage mir bitte, wie du zu mir fandst.“
„Ganz einfach. Übers Telefonbuch.“
„Was? Da stehe ich drin? Unglaublich!“
„Genaugenommen war das Telefonbuch in meinem Traum.“
„Soso. Du bist wohl ein Klarträumer? Ja, die Träume sind ein Weg. Sie waren schon immer ein Weg…“, er stutzte, als wolle er noch was Erhellendes sagen, aber stattdessen klopfte er mir nur nochmals auf die Schulter.
„Gut-gut, dann komme ich zum Punkt - da du schon mal hier bist. Des Menschen Wille ist bekanntlich sein Himmelreich.“
„Klar.“
„Du weißt, dass ich hier nur der Pförtner bin? Ich habe lediglich die Aufgabe, dich aufzuklären und dir den Schlüssel für die Tür zu geben, die du aussuchst.“
„Ich denke, ich weiß Bescheid.“
„Quark, nichts weißt du! Und ich weiß ebenso wenig. Du bist hier, weil du…“
„Das ist verdammt meine Sache, warum ich hier bin!“
Obwohl dieser Pförtner, wie er sich nannte, an exponierter Stelle für meinen weiteren Weg zuständig war, hatte er sich nicht in meine Belange einzumischen! Von Professionalität zeugte seine letzte Äußerung jedenfalls nicht.
„Na gut“, sagte der Pförtner, „du weißt sicher auch, dass jetzt noch eine Chance zur Umkehr besteht, doch sobald ich die drei Schlüssel auf den Tisch lege und dir deine Optionen erläutere, ist es zu spät.“
Ich schwankte. War ich wirklich soweit? Ich war nie eine Spielernatur. Ich begab mich nicht gern ins Ungewisse. Trotzdem stand ich in diesem Moment hier, und es würde um alles oder nichts gehen. Die Hälfte meines Lebens vergeudete ich mit Grübeleien darüber. Den Rest wollte ich mir gern ersparen. Ich war mir selbst überdrüssig. Mit meinen miesepetrigen Gedanken hatte ich die Umwelt lange genug verpestet. Vielleicht ergab sich hier die Möglichkeit eines Neuanfangs…
Diesmal klopfte ich dem Pförtner auf die Schulter und sagte, er solle fortfahren – verdammt noch mal! Ich lachte verkrampft.

Drei goldene Schlüssel lagen plötzlich vor mir, und ich bemerkte, dass die Türen langsam näher rückten - wie die Wände in einer von Edgar Allen Poes alptraumhaften Storys.
„Deine Zeit ist gekommen“, sagte der Pförtner, der sich allerdings in Luft aufgelöst hatte. Ich hörte nur noch seine Stimme.
„Wenn du die Tür zu deiner Linken wählst, kannst du dein Leben ganz von vorne beginnen. Du wirst als derselbe Mensch mit denselben Eltern in dieselbe Zeit geboren.
Überlege gut, ob du diese Tür wählst. Hast du eine Frage dazu?“
„Ich wäre also ich selbst, könnte aber alles anders machen?“
„Ja.“
„Hm.“
„Wenn du die Tür zu deiner Rechten wählst“, fuhr die Stimme fort, „dann wirst du als ein anderer Mensch neu geboren.
Überlege gut, ob du diese Tür wählst. Hast du eine Frage dazu?“
„Ich kann nicht beeinflussen, wo, in welcher Zeit und als welche Person, arm oder reich etc., ich auf die Welt komme?“
„So ist es.“
„Hm.“
„Und nun zur mittleren Tür direkt vor dir. Wenn du durch diese Tür schreitest, wird es sein, als gäbe es dich nicht, weder als die Person, die du bist noch als eine andere, für alle Zeiten.
Überlege gut, ob du diese Tür wählst. Hast du eine Frage dazu?“
„Und was ist dann, wenn es mich quasi gar nicht mehr gibt – ich meine, irgendwas muss doch sein?“
„Niemand hat darauf eine Antwort.“
„Nicht mal Gott?“
Die Stimme schwieg. Die Türen waren nur noch eine gute Armeslänge von mir entfernt. Ich blickte auf die drei goldenen Schlüssel vor mir.
„Und wenn ich keine der Türen wähle?“ rief ich verzweifelt in den Weltenraum hinaus.
...

Freitag, 18. November 2016

Eine Gedankenanregung

"Ich kämpfe nicht für das, was ich liebe."

Mittwoch, 9. November 2016

Von der Seele schreiben

...
Ich kann mir ein Leben ohne schriftliche Zeugnisse meines Selbst nicht (mehr) vorstellen. Ich fand mit dem Schreiben neben der Bildenden Kunst die Methode des kreativen Ausdrucks. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich`s sein“, wie es der olle Goethe in einem seiner Gedichte niederschrieb. Das Schreiben wurde für mich zu einer geistigen Heimat, wo ich mein Innen spiegele, wo ich flüstere, schreie, lache und fluche. Ich diktiere mir mein Leben mit meinen Stärken und Schwächen, den Erfolgen und Niederlagen. Ich schreibe mir das Unglück von der Seele, und blase Seifenblasen in die Luft, wenn ich glücklich bin. Ich klammere mich an verzweifelten Tagen an die Worte, sie geben mir Halt, wenn die Tiefe lockt. Neben den Menschen, die ich liebe, die mich lieben, geben mir vor allem die Worte den Raum für Hoffnung, für Identifikation und… Erlösung.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Störenfried


Was weiß ich schon? Warum klebt alles so sehr am Wissen? Ich möchte mich einfach ausruhen und nichts wissen. Die Welt erscheint mir voller Prahlhanse. Alle plappern wild drauf los in der Fortbildung Leben. Automatisch rutscht man da rein.
So richtig habe ich nicht kapiert, worum es eigentlich dabei geht. Meist sitze ich nur mit gerunzelter Stirn da. „Was ist mit dem Existentialismus?“ werfe ich schüchtern ein. Ich weiß selbst nicht warum, denn vom Existentialismus habe ich keine Ahnung. Die Mitschüler strafen mich sofort mit bösen Blicken, und der Dozent sagt kurzangebunden: „Zu dem kommen wir noch.“
Ich schaue aus dem Fenster auf die Welt, wie sie sich ständig weiterdreht. Ich schaue auf meine Arme und Hände, wie sie vor mir liegen und mir gehorchen. Worum geht es hier? frage ich mich immer und immer wieder.
Ich bewundere manche meiner Mitschüler und -Schülerinnen, wie sie mit Eifer bei der Sache sind - eine Sache, die ich kaum im Ansatz kapiere. Immerhin halte ich durch und bin nicht mal der Schlechteste. Irgendwann kriegt man ja raus, was die hören wollen. (Und dabei immer nett lächeln.)
Warum lassen sie mich nicht einfach in Ruhe? Ich weiß, das können sie nicht. Ich sitze mit auf dem Karussell – und dafür muss ich zahlen. Ich hadere mit mir selbst: Vielleicht stimmt etwas nicht mit mir… Nein. Unmöglich. Ich will nicht zum Zombie werden, und doch gehöre ich de facto zu ihnen, wahrscheinlich kaum von den anderen Zombies zu unterscheiden. „Und das nennen Sie Futter?“ rufe ich plötzlich aus. Wieder dreht man sich nach mir um und starrt mich verständnislos an. Jemand kichert blöde. Der Dozent scharrt mit seinem Pferdefuß und ignoriert meinen Einwurf geflissentlich.
In der Pause folge ich meinen Mitschülern nach draußen. Die meisten rauchen. Ich will mich nicht ganz absondern, und so höre ich ihrem dummen Geplapper zu und heuchele Interesse.
„Was meintest du vorhin?“ fragt mich eine Mitschülerin.
„Ach, das war nichts, nur ein Ausspruch aus einem Columbo-Film.“
„Und was hat er zu bedeuten?“
„Weiß auch nicht mehr. Ist Teil eines Witzes, aber in meinem Kopf hat sich der Satz verselbstständigt.“
„Wolltest du dich wichtigmachen?“
„Quark, nur eine affektive Äußerung. Kam mir dummerweise über die Lippen.“
„Ach so.“
„Ja, tut mir leid, ich wollte den Unterricht nicht stören.“

Inzwischen befinde ich mich (schon) im letzten Drittel der Fortbildung Leben. Aus dem Abschluss wird immer noch ein Geheimnis gemacht. „Dran bleiben“ ist das Motto, das von der Schulleiterin ausgegeben wird. Sie ist mir gar nicht unsympathisch. Etwas hektisch. Sicher hat sie viel um die Ohren. Den Rest ziehe ich auch noch durch, mache ich mir selbst Mut. Habe ich überhaupt eine Alternative?
...

Samstag, 8. Oktober 2016

Die Nacht heilt


Heirat, Heimat, Heißa! Ich lag im Bett und fragte mich nach der Etymologie von Heirat. Das Licht war bereits ausgeknipst. Es gibt so viele Wörter, die man alltäglich in den Mund nimmt und so gar nichts von ihnen weiß. Mir wird klar, dass wir alle nur auf einer Oberfläche herumkratzen. Mehr ist für den Alltag auch gar nicht nötig. Unsere Begabungen sind speziell, aber sie heben sich objektiv nicht allzu sehr von denen anderer Lebewesen ab. Das Einbildungsvermögen des Menschen halte ich für außerordentlich. Hinzu kommen Sprache und beschränkt die Fähigkeit logischen Denkens. Der Mensch ist ein wundersames Tier, welches nicht nur der Erde, sondern vor allem sich selbst Probleme macht.
Ich lag im Bett, die Augen geschlossen und dachte so herum, angelte nach Träumen. Hinter dem Vorhang lag die Nacht, ohne Mond und Sterne. Ein dickes Wolkenpaket versperrte die Sicht. Ich musste dazu nicht hinausschauen. Ich forschte im Halbschlaf nach Wörtern mit der Vorsilbe „Hei“.
Heilen, Heide, Haifisch… Ich schmunzelte ins Kopfkissen. Neben mir der Atem meiner Partnerin. Wir leben seit zwei Jahren zusammen. Wahnsinn. In der Dunkelheit schmolz alles zusammen zu Ahnungen und Schatten. Mein bester Rückzugsort bin ich selbst. Ich liebe den Schlaf und die Ruhe. Wahrscheinlich erinnere ich mich dabei an den Zustand vor meiner Geburt in der Placenta meiner Mutter. Wozu aufwachen, wenn man endlos träumen kann?
Die Nacht machte mir nie Angst. Darum hielt ich es auch gut im Nachtdienst aus, selbst als ich schließlich alleine war. Alleine mit fünfzig alten, pflegebedürftigen und dementen Säcken. Tausendmal besser als der Tag mit seinen Idiotien, wenn die Maschinerie der Klotzköpfe die Regie übernimmt.
Seit zwei Jahren schlafe ich wieder nachts und wache am Tage. Ich ticke wieder normal, aber was ist schon normal?

Ich war nicht mehr auf Wörtersuche. Ich war im Niemandsland angekommen. Alle Gesetze nichtig, die von Menschen erhobenen wie die physikalischen. Mein Gehirn kotzte sich unkontrolliert aus. Nein, es war kein Kotzen, eher ein Würgen. Ich schaute mir selbst dabei zu…

Jedes Aufwachen eine langsame Geburt hinein in die Wirklichkeit der Klotzköpfe.
Muss man wissen, wofür das alles gut ist?

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Kurz und bündig


Wie kann man nur so gescheit sein?

Weiß nicht. Vielleicht einfach Eins und Eins zusammenzählen.

Für manche Gehirne sollte man einen Waffenschein fordern.

Denke ich auch.

Samstag, 24. September 2016

Die Suche nach dem Reißverschluss


Er fuchtelt mit den Händen in der Luft herum, als würde er nach etwas Unsichtbarem greifen wollen.
Ich schaue ihm eine Weile dabei zu und denke: Wieder so ein Spinner. Dabei wirkt er äußerst konzentriert, als wäre da wirklich noch was anderes und nicht nur Luft.
„Was machst du da?“ frage ich ihn neugierig. Der Spinner sieht eigentlich gar nicht wie ein Spinner aus. Vielleicht ist`s eine besondere Art Tai-Chi.
„Ich suche den Reißverschluss.“
Erst glaube ich, mich verhört zu haben – „Reißverschluss?“
„Ja“, sagt er und greift weiter in die Luft, „er muss hier irgendwo sein.“
Man kann heutzutage eine Menge Menschen bei kuriosen Tätigkeiten in der Öffentlichkeit beobachten: Überall (wirklich überall) wird inzwischen telefoniert, inzwischen freisprechend und in einer Lautstärke, dass alle im Umkreis von fünfzig Metern den Scheiß mitbekommen, sogar auf dem Fahrrad. Dann die Pokémon-Manie: Typen stehen mit ihren Smartphones irgendwo dumm in der Pampa herum, als würden sie mit einer Wünschelrute nach Wasseradern suchen. An den unmöglichsten Plätzen wird meditiert – man macht seine Yoga-Übungen in der Fußgängerzone. Von den echten Spinnern ganz zu schweigen…
Doch womit habe ich es hier zu tun? Vielleicht ein einfallsreicher Pantomime, eine Ein-Mann-Theaterinszenierung? Jedenfalls hat er inzwischen meine Aufmerksamkeit.
„Ich will dich nicht stören… entschuldige. Was für einen Reißverschluss meinst du?“ frage ich nach.
Ich merke an seinem Gesichtsausdruck, dass er lieber ungestört wäre, aber er antwortet mir trotzdem:
„Im Raum befinden sich Reißverschlüsse. Genaugenommen sind es Schlitze, die man aufziehen kann – ähnlich einem Reißverschluss.“
„Und die findet man, indem man…“
„Ja, indem man den Raum abtastet, wie ich es hier mache.“
„Wow!“
Ich schaue seinem skurrilen Raum-Tanz weiter zu und setze noch mal an:
„Und wenn man einen dieser Schlitze gefunden hat? Was dann?“
Er hält kurz inne und schaut mich das erste Mal an. Uff! Was für ein Blick! Ich fühle mich schlagartig durch und durch durchleuchtet.
„Du wirst es sehen. Nur etwas Geduld.“
„Da bin ich gespannt.“
Mein Herz pocht. Ich spüre, dass was Besonderes im Gange ist. Natürlich will ich mir meine Aufgeregtheit nicht anmerken lassen. So einen Quatsch kann niemand glauben!
Gut, dass ich zwei Bier als flüssigen Proviant im Rucksack habe. An denen halte ich mich, während er weiter nach seinem Reißverschluss sucht. Ich schaue mich um. Ein schöner Platz zum Sitzen. Unweit ein Spielplatz, ein paar Büsche, Kastanienbäume und ein Teich. Vormittags sind kaum Leute unterwegs, ein paar Hundeausführer. Ich mag diesen kleinen Park. Er ist eine Großstadtoase und liegt außerdem fast vor meiner Haustür. Ich nuckele an meinem Bier und lasse mich besonnen. Über den Typ mache ich mir nach einer Weile fast keine Gedanken mehr. Ich grinse in mich hinein. Unglaublich, was man in Berlin alles erlebt.
„Hey du!“ höre ich ihn plötzlich rufen. Ich schrecke hoch und blicke um mich. Wo ist der Kerl? Da sehe ich seinen winkenden Arm und seinen Kopf körperlos über dem Boden schweben. Er grinst mich breit an und sagt: „Siehst du. Ich habe ihn gefunden!“ Ich reiße die Augen auf, während er in aller Seelenruhe von der anderen Seite den Reißverschluss zuzieht. „Hey, wo bist du jetzt?“ rufe ich ihm verdattert hinterher. Aber er ist schon weg. Eine Kastanie fällt neben mir auf die Bank und springt glänzend aus der stacheligen Hülle. Es ist Herbst. Ich stecke sie in meine Hosentasche und gehe auf die Wiese, wo der Typ verschwand. Ich imitiere seine Bewegungen. Das ist doch Blödsinn! Bestimmt ein Trick. Wie hat er das nur gemacht? Der Raum hat Reißverschlüsse… verarschen kann ich mich selbst…
Zurück an meinem Platz überlege ich mir, dass ich darüber eine Geschichte schreiben sollte. Doch ich verwerfe die Idee. Zu verrückt das Ganze.

Trotzdem geht mir der Vorfall nicht aus dem Kopf. Wenn ich mich unbeobachtet fühle, ertaste ich den Raum um mich herum nach jenem ominösen Reißverschluss. Es wäre zu fantastisch, wenn ich ihn eines Tages fände. Schließlich habe ich es mit eigenen Augen gesehen!

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