Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache
Es gibt Tage, an denen ich mich einfach nur alt fühle. Mein Kopf kommt mir vor wie ein Dachstuhl mit einem Haufen verstaubten unnützen Krempel drin. Ich reiße ein Fenster auf und blinzele müde in den Tag. Das Licht tut weh. Ich weiß, was ich brauche: eine Dusche, einen Kaffee, einen Drink … Aber ich kann mich noch nicht für die Reihenfolge entscheiden. Die Unlust in mir fühlt sich an wie ein LKW, der auf meiner Brust parkt. Irgendein Arsch hat ihn dort heute Nacht geparkt. Was nix neues ist. Eigentlich kenne ich diesen Zustand gut. So gut wie meine alten Unterhosen. Oder wie alte miefende Geschirrhandtücher. Oder wie meine Zehennägel, die ich schon wieder schneiden müsste. Oder wie meine Nasenhaare … Oder wie die Arbeit im Altenheim, meine Kollegen, meine Chefin. Oder wie eine Tiefkühlpizza. Oder wie das Geschirr vom Vortag. Oder wie die Bedienung im Kaffeehaus, die immer „Gerne“ sagt, wenn ich mein Bier bestelle. „Am Arsch lecken“, denke ich. „Gerne“, sagt sie. Nein, ich tue ihr Unrecht. Sie kann nichts für meine Laune. Ich bedanke mich immer freundlich, selbst wenn ich eine gefühlte Ewigkeit auf mein Bier warten muss. Wenn man wüsste, was sich so hinter mancher Stirn abspielt. Leute, die mich etwas kennen, sehen mir an, wie es mir geht. Das ist mir unangenehm. Aber mein Gesicht scheint so was wie ein offenes Buch zu sein. Eine Poker-Karriere wäre damit nicht drin. Ich lächele viel. Für gewöhnlich. Schaue ich dann mal ernst oder nachdenklich, fragen die Leute gleich nach: „Was ist denn mit Ihnen los?“ Woraufhin ich wieder lächele – etwas gequält – und sage: „Nichts, alles okay, bin nur müde.“ Und damit habe ich nicht mal gelogen. Obwohl, ich glaube, mein Lächeln nahm in den letzten Jahren permanent ab - ist aber bestimmt für Deutsche noch überdurchschnittlich häufig ...
Also, was nun? Erst Kaffee, dann Drink und zuletzt Dusche? Diese Reihenfolge erscheint mir am besten. Die Sonne bricht durch. Vielleicht wird der Tag noch was – trotz Nachtwache am Abend, trotz dem LKW auf meiner Brust. Trotz dem verstaubten Krempel im Dachstübchen.
Der Wasserkocher ist angestellt. Instantkaffee. Ich mag ihn höllisch heiß. Schwarz, mit einer Süßstofftablette.
Es ist mal wieder vollbracht. Gedachter Indianertanz um ein Feuer, in dem die Nachtdienste brennen. Mein Gott, war ich gestern Nacht müde! Seit ich alleine Nachtdienst mache, weiß ich, wieso Schlafentzug eine Folter ist. Ich gerate in eine Art Halbwelt und sehe mich selbst von Bewohnerzimmer zu Bewohnerzimmer hasten. Es ist eine Form bewussten Schlafwandelns. Jede Treppenstufe tut weh. Und wenn ich für ein paar Minuten zur Ruhe komme, werden die Augendeckel tonnenschwer. Ich gleite ab in die Traumwelt, aus der mich aber der Brummer meines Diensttelefons wieder herausreißt – die nächste Klingel … wieder hoch und abbiegen in den Stationsflur …
Unwirklich sind die Nächte, unwirklich sind die Alten in ihren Betten, unwirklich ist meine Arbeit von Windelwechseln und Bettschüsseln leeren …, unwirklich ist manchmal schon die Anfahrt mit dem Bus ...
Vier angetrunkene junge Leute saßen zusammen, drei Milchbubis und eine junge Frau. Ich weiß nicht, was sie feierten, jedenfalls lallten sie lautstark herum. Ich nehme an, sie waren Abiturienten, die sich frisch an der Uni eingeschrieben hatten. Irgend so was krakeelten sie zwischen ihrem dummen Suff-Gelaber. Ätzend aber harmlos. Ich blickte in die Gesichter der anderen Fahrgäste. Die schauten fast alle betröpfelt drein. Auch meine Nerven waren strapaziert. Sollte ich den Vieren was vom Leben erzählen? Blödsinn, die würden eh nicht die Spur in diesem Zustand kapieren. Und überhaupt: sollen sie doch ausgelassen und doof sein – der Ernst des Lebens schlägt früh genug zu, oder? Anstatt mich also aufzuregen, betrachtete ich die Milchbubis - das Mädel war inzwischen an einer Haltestelle ausgestiegen. War ich auch mal so? Sie stritten sich um eine Wodkaflasche. Wir begnügten uns damals mit Bier. Ich habe Respekt vor so scharfem Zeug. Das vernebelt dir in Nullkommanichts den Geist bis zur Bewusstlosigkeit. Du hast da gar keine Chance mehr zu reagieren. Bei Bier ist der Übergang in den Rausch viel weicher. Und gerade die Übergänge sind doch beim Alkohol das Schöne. Der eine der Milchbubis war dunkelhäutig und kokettierte mit seiner Abstammung. Er sagte, dass er zuhause ein Kamel hätte … Der ihm gegenüber sitzende war ein richtiges kleines überhebliches Arschloch von der Sorte Arztsohn. Und der dritte, der am Fenster saß, schwieg. Vielleicht hatte er schon genug und befand sich in der introvertierten Phase. Oder er war sowieso ein introvertierter Typ.
Die Busfahrt hoch zum Altenheim dauert kaum zwanzig Minuten. Manchmal kann das sehr lange sein. Am „Schriesheimer Hof“ stiegen die meisten aus. Einem Penner riss der Henkel seiner Plastiktüte, und seine Essenseinkäufe lagen verstreut auf dem Boden. Die Milchbubis lachten. Ich hatte eine Nacht im Altenheim vor mir. Mir war zum Kotzen. Und ich kam nicht raus aus diesem Film.
Platt nach der zweiten Nacht. Es wird immer mehr Arbeit. Ich eile von Bewohner(in) zu Bewohner(in). Bis Mitternacht habe ich kaum eine Verschnaufpause. Alle liegen dann endlich im Bett. Aber schon melden sich die nächsten, die auf die Toilette müssen, - natürlich immer, wenn ich mich gerade hinsetzte und die Beine ausstreckte und vielleicht eine Kleinigkeit essen will.
Ich bete jede Nacht, dass keiner der Bewohner stürzt. Das Risiko besteht vor allem bei den Demenzkranken, die nachts aufstehen und über die Station wandern, z.B. auf den Urinpfützen ausrutschen, die sie hinterlassen. Nun, ich kann nicht überall sein.
In der Regel muss ich wenigstens 2-3 Betten beziehen, weil Bewohner(innen) ihre Windeln aufrissen oder auszogen. Dann soll ich natürlich auch Nachts, gerade wenn es sommerlich heiß ist, Trinken reichen. Ich muss manche mehrmals in der Nacht lagern und ihre Windeln wechseln. Ich muss für Zwischenmahlzeiten bei den Diabetikern sorgen. Ich verteile die Nachtmedikamente. Ich richte die Medikamente für den Tagdienst samt Tropfen für den Morgen. Ich drucke die aktuellen Durchführungspläne aus. Insgesamt sitze ich bestimmt eine Stunde am Computer mit Dokumentationseintragungen. Am frühen Morgen muss ich nochmals alle Zimmer kontrollieren, bei den Bewohnern, die enteral ernährt werden, die erste Nahrung an die Pumpe hängen, die Brötchen für die Bewohner im Konvektomat backen, die Kalenderblätter abreisen (darauf legt die Chefin großen Wert!), die große Spülmaschine einschalten, den Bewohner- und den Personalkaffee kochen, die Außentüren wieder öffnen …
Klar, es ist meine Arbeit. Welche Arbeit ist schon ein Zuckerschlecken? Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: ich bin platt nach zwei Nächten, und ich habe noch zwei Nächte vor mir. Wenigstens ist Wochenende, so dass die Chefs nicht noch mit ihren Reden die Luft verpesten.
Ich kann sagen, dass ich zur Zeit nach einem Block von vier Nachtdiensten glatt zwei Tage durchpennen könnte. Über meinen psychischen Zustand will ich hier gar nicht reden ..., - aber ich tue es ja die ganze Zeit. Ich funktioniere wie ein Automat, der kein Automat ist, der Mensch sein soll gegenüber den Bewohnern, der ein offenes Ohr für ihre Sorgen haben soll, der ihnen in der Not helfen soll, der Mitgefühl entwickeln soll …
Es gibt eine Menge „Solls“, die ich leisten müsste, aber ich gebe offen zu, dass das ein oder andere „Soll“ die ein oder andere Nacht auf der Strecke bleibt. Trotzdem glaube ich (noch), dass ich meine Arbeit gut mache. Ich weiß nicht. Es kommen von der Chefin kaum Rückmeldungen – sie sagt meist nur, was ich machen „soll“. Und die Kollegen haben mit sich zu tun – sie sind ebenso in ihren Diensten eingespannt. Ein paar Bewohner zollen einem ab und zu Respekt und geben einem Zuspruch. Sie sehen, was los ist. Ich will gar kein Mitleid. Es ist, wie`s ist. Bis der Buckel krumm ist, und man selbst Pflege braucht.
Zwei Nächte noch. Die werden wie immer auch rumgehen.
Trotz der Ängste, die immer mal wieder hochkommen, trotz der Schwierigkeiten und Mühen, die wohl noch vor mir liegen, privat und auf der Arbeit, habe ich ein gutes Gefühl.
Obwohl die Müdigkeit heute ziemlich an mir nagt - die Alten betätigten fleißig den Schwesternruf in der Nacht - , obwohl ich noch drei arbeitsreiche Nächte vor mir habe, zieht mich dieser Umstand nicht runter.
Es ist einfach ein unheimlich tolles Gefühl, dass es jemanden in meinem Leben gibt, dem ich vertrauen kann, der an mich denkt, und bei dem ich mich mit meinen Nöten und Ängsten fallen lassen kann. Ein schöneres Geschenk gibt es nicht – sozusagen ein Himmelsgeschenk. Ich glaube wirklich, dass unsere Liebe unter einem guten Stern steht.
„Umso älter ich werde, desto seltsamer erscheint mir das Leben“, denke ich auf der morgendlichen Heimfahrt vom Dienst. Der Bus ist leer – die Sommerferien haben begonnen. Vielleicht lebe ich als Nachtgespenst im Altenheim am Leben vorbei. Ich frage mich, was die Menschen nicht alles treiben auf der Welt, was sie so verflucht wichtig nehmen, ihre Sorgen und Bemühungen Tag ein Tag aus, - es kommt mir immer unsinniger vor: Schule, Arbeit, Familie, Politik …, ja, sogar der Sex. „Am Ende werde ich mit den Jahren noch frigide“, ich muss bei dem Gedanken unwillkürlich grinsen, “darüber wäre Olivia sicher nicht erfreut ...“
Wir sind gefangen in dem elenden Kreislauf von Geburt und Tod, - Generation für Generation auf einem kleinen Planeten, der um eine von vielen Milliarden Sonnen im Universum saust, und kein Schwein kann sich darauf einen Reim machen. Die meiste Zeit des Lebens verbringen wir mit Schlaf, Arbeit und irgendwelchen Ablenkungen. Einige Jahre kann das sogar Spaß machen. Für gewöhnlich genieße ich das Leben, das heißt, ich versuche es, eben weil es für mich keinen Sinn ergibt, mich für ein paar Euro Verdienst kaputt zu schuften. „Da hätte ich mir aber besser einen anderen Beruf ausgesucht“, und wieder grinse ich, obwohl das gar nicht recht zum Grinsen ist. Das Altenheim steckt mir in den Knochen. Eine neue Bewohnerin lehnt das Essen ab. Sie machte ein Patiententestament. Sie will sterben. Ich reichte ihr den Getränkebecher aus dem sie mühsam Wasser mit dem Strohhalm schlürfte. Oft frage ich mich, wie es wohl mal mit mir zu Ende gehen wird, ob ich überhaupt so alt werde. Inzwischen bin ich älter, als ich mit Zwanzig werden wollte. Unglaublich. Ich begreife es nicht. Was mache ich eigentlich hier? Was bleibt von meinem Leben übrig? Ich meine, was war das? Oder: Das war`s also.
Der Bus legt sich in die letzte Kurve vor meiner Haltestelle. Mein Bett winkt. Noch ein paar Meter Fußweg. Die Talstraße überqueren. Ein Auto nach dem anderen. Ich finde kaum eine Lücke. Nein, ich bin nicht lebensmüde. Ich sauge die laue Morgenluft in mich ein. Es wird ein heißer Tag. Ich denke an Olivia und ihre Kinder. Sie werden heute wieder zuhause in Kärnten ankommen.
Gregor Gysi, der inzwischen 64 Lenze zählt, sagte bei
Markus Lanz, warum er schließlich mit Fünfzig erwachsen wurde: weil man dann endgültig nicht mehr die Vorteile der Jugend genießen würde aber auch noch nicht die Gunst des Alters … Zwischen Fünfzig und Sechzig wird es hart, meinte er – oder so ähnlich.
Selbst inzwischen knapp Fünfzig, glaube ich, dass er recht hat. Ich spüre diese
Lebenshärte immer deutlicher. Bevor ich auf das letzte Lebensdrittel zusteuere, muss ich noch einige bittere Pillen schlucken:
- Wie gehe ich mit dem Alter und der Gebrechlichkeit meiner Eltern um? Ich habe Angst vor ihrem Ende. Ich habe Angst vor der Verantwortung.
- Will ich, - oder kann ich wirklich noch bis zur Rente in der Altenpflege arbeiten? Und was kann ich denn sonst arbeiten? Wie lange halte ich die Arbeit im Altenheim durch?
- Was ist mit meiner Gesundheit? Was ist mit dem Trinken? Kann ich immer so weitermachen? Ich fürchte mich vor den Konsequenzen …
- Eine Veränderung steht ins Haus. Ich folge der Liebe nach Kärnten – Risiko und zugleich Chance für eine Art Neuanfang. Mache ich dabei alles richtig? Ist es eine Flucht vor der Verantwortung gegenüber meinen Eltern, die ich eigentlich hier wahrnehmen sollte? Wie egoistisch darf ich sein?
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Anfang 2012 konnte ich mir nicht vorstellen, wie sich mein Leben innerhalb weniger Monate verändern würde – dass ich eine Frau aus Österreich kennen- und lieben lerne, dass wir Pläne für eine gemeinsame Zukunft schmieden. Sie liegt auf meinem Bett und liest, während ich diesen Beitrag schreibe. Es ist Wirklichkeit, kein Traum. Vor dem Bett liegt der Hund ihrer Eltern, den sie mit hat.
Es wurde düster, der Himmel entleert sich. Nix mit Sommerwetter. Heute Abend habe ich Nachtwache. Momentan schreibt mir die Chefin einen Dienstplan wie eine Berg- und Talbahn: zwei Nächte Dienst, zwei Tage frei, drei Nächte Dienst, zwei Tage frei, etc. Mit diesem Hick-Hack soll vermieden werden, dass ich zwischen den Dienstblöcken mehrere Tage frei habe. Denn die Chefs wollen, dass ich auch in meiner Freizeit verfügbar bin, um notfalls einspringen zu können, und nicht in Kärnten bei meiner Freundin sitze.
Wolken und blauer Himmel wechseln sich ab. Ich muss wissen, was ich will. Ich muss wissen, wohin ich will. Ich schicke einen Kuss durch das Zimmer zu meiner Freundin …, die guckt kurz vom Buch hoch und grinst.
Das Leben spielt sich zwischen beschissen gut und beschissen schlecht ab.
Unwetter in der Nacht, unruhig geschlafen, alles mögliche durcheinander geträumt. Es regnet noch immer. Das Grün explodiert ...
In Klagenfurt findet ein
Ironman statt. Olivias kleiner Bruder macht mit. Sie wird ihn mit ihren Kindern an der Strecke begleiten, so weit möglich. Unvorstellbar für mich – solch eine Tortur. Die Athleten sind den ganzen Tag unterwegs: 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und zu guter Letzt ein Marathon. Eine übermenschliche Leistung. Körper und Geist werden an ihre absoluten Grenzen (und vielleicht auch darüber hinaus) gebracht. Natürlich ist das ohne eine lange und intensive Vorbereitung gar nicht machbar. Allein schon der Marathon … Ich kriege beim bloßen Gedanken daran Herzklopfen. Respekt vor dieser Leistung! Hoffentlich kommt der kleine Bruder, ein Zweimeter-Bursche, gesund ins Ziel.
Bleischwer fällt mein Blick auf den
tropfenden Urwald. Das Fenster ist gekippt, und das Rauschen der befahrenen Straße tönt zu mir ins Zimmer. Die Nässe scheint die Geräuschkulisse zu verstärken. Nebenher läuft der TV: Galileo Galilei, „Big Pictures“ - Skurriles, allerlei besondere Begebenheiten aus aller Welt. Was es nicht alles gibt, denke ich. Gerade wird die Herstellung des
Mückenburgers gezeigt, irgendwo in Afrika. Mit angefeuchteten Töpfen bewaffnet tauchen Kinder und Erwachsene mitten in einen immensen Mückenschwarm und fischen die kleinen Viecher aus der Luft, bis sie klumpenweise in den Töpfen hängen. Dann wird der "Mückenmatsch" zu Burgern geformt und gebraten. Wie sagt man so schön: In der Not frisst der Teufel Fliegen. Jedenfalls sind die
Mückenburger eine sehr eiweißreiche Kost.
Gerade saugte ich ein paar Weberknechte von der Wand ab – dasselbe sollte doch auch mit ihnen zu machen sein … (
Spinnenburger)
Ich verbringe den Tag mit Warten auf den Nachtdienst. Ein paar Sonnenstrahlen würden meinem Gemüt ganz gut tun. Gestern teilte mir meine Mutter am Telefon mit, dass mit ihrem Blut etwas nicht stimmt. Verdacht auf
Blutkrebs. Ich wollte nie daran denken, dass meine Eltern alt und krank werden. Nun sind sie es beide.
Der Wurm ist drin. Verflixt. Oder: Ich glaube, ich steh im Wald …, vielleicht auch mitten in einem Mückenschwarm, und ich erkenne nichts mehr um mich herum. Wie soll es weitergehen? Wo geht die Reise hin? Was kommt auf mich zu? Das darf ich doch fragen, ohne egoistisch zu erscheinen?
Natürlich ist es auch spannend, wenn man durch die Gegend irrt und nicht weiß, wo man raus kommt (z.B. Venedig). Das hat seinen Reiz. Eigentlich warte ich mehr, als dass ich herumirre. Ist das ein großer Unterschied? Was das Leben angeht, kommt jeder ins Ziel, egal ob er sich besonders anstrengt oder nicht. Vielleicht ist deswegen so ein
Ironman nicht das schlechteste, was man für sich machen kann. Um zurückzufinden … , das scheinbar Unmögliche anzupacken und sogar abzuschließen. (Drum ja auch meine Fahrradreisen quer durch Deutschland.)
Olivia steht an der Strecke am Wörthersee und feuert ihren kleinen Bruder an. Ich werde inzwischen mich selbst anfeuern, damit ich einfach durch diesen Sonntag und die nächste Nacht komme.
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh!!!!
So! Musste mal sein. Zu mehr bin ich heute auch nicht in der Lage.
Allen ein schönes Wochenende!
Ich hangele mich von einem Gähnorgasmus zum nächsten. Ich frage mich, woher diese Schwäche und Abgeschlagenheit kommt. Die letzten zwei Nächte verliefen relativ ruhig. Es gab nur die üblichen Arbeiten. Werde ich langsam zu alt für dieses Nachtwachen-Leben? Wahrscheinlich ist man dafür aber nie im richtigen Alter. Kein Arbeitskollege ist zur Zeit scharf auf die Nachtdienste. Sie laugen einen aus. Es ist ein Mischmasch aus körperlicher und psychischer Erschöpfung. Dabei würde ich mich als ziemlich robusten Typen bezeichnen. Aber das ist vielleicht auch nur eine Etikette. Man ist sich selbst das größte Rätsel. Alle Menschen drehen sich im Kreis – wie Derwische. Die Alten reden von Krankheit und Sterben, von der Last am Leben zu sein, von der Bürde des Alters. Ich höre zu und entgegne Plattitüden. Ich sehe sie in ihren Betten liegen, gelähmt, spastisch verkrümmt mit aufgerissenen Augen, irre. Hinter jeder Tür ein anderes Schicksal, eine Horror-Karikatur des Lebens, - menschliche Ruinen, die an dem festhalten, was noch da ist. Alles dreht sich im Kreis – mit der Erde, durch die Tage und Nächte. Ein einsamer Tanz in Raum und Zeit, durch Vergeblichkeit und Hoffnung.
Ich blinzle müde in den Tag, versuche mich zu sammeln. Ich sehe mich selbst hier sitzen vorm Computer ... und im nächsten Moment im Altenheim funktionieren. Ich habe vergessen, warum ich dies alles mache. Ich wundere mich darüber, während ich weitermache. Es gibt kein Entkommen. Nur die Nacht. Sie hat eine tröstende Hand. Die Nacht ohne Schlaf, allein wie ein Astronaut in der Umlaufbahn der Erde. Die Nacht macht mich vergessen, wo ich bin ...