Nach der Nachtwache ist vor der Nachtwache

Montag, 1. Oktober 2012

Horror-Müdigkeit


Die Müdigkeit kam über mich wie ein kalter Nebel. Sie umschlich erst nur meine Füße und Beine und kroch dann hoch zum Kopf. Ich verlor das Zeitgefühl. Die Augen schmerzten. Zwischendurch schreckte mich der Schwesternruf aus wirren Träumen im Halbschlaf hoch. Wie in Trance wandelte ich durch die Stationsflure. Automatisch verrichtete ich meine Arbeit: legte Urinflaschen an, schob Steckbecken unter Gesäße und wechselte Windeln. Ich konnte mir dabei zuschauen. Jedes sich über ein Bett beugen wurde zur Qual. Am Liebsten hätte ich lauthals losgeschrien, um das Gespenst der Müdigkeit zu vertreiben. Immer wieder benetzte ich mein Gesicht mit kaltem Wasser oder ging hinaus auf die Terrasse in die Nacht und sog die kalte frische Luft ein, lauschte dem Atmen der Schlafenden in ihren Zimmern. Im TV lief nur Schrott, und wenn ich mich länger in den Sessel setzte, hätte mich Freddy Krüger gleich gehabt … (Ein guter Horrorfilm hält mich noch am Besten wach.)
Die Müdigkeit frisst an einem wie ein Rudel Hyänen, welches man immer wieder abwehren muss. Dabei schmerzen die Glieder und man hat das Gefühl, man träge eine Zentnerlast mit sich herum.
Gestern Nacht war es mal wieder brutal. (...) Und plötzlich war es Morgen. Die Kollegen und Kolleginnen liefen langsam ein. Ich schaute auf die Uhr: keine Stunde mehr, und ich würde an der Bushaltestelle stehen. Es war noch dunkel draußen. Nach der Übergabe, die Gott sei Dank kurz ausfiel, gingen die Kollegen und Kolleginnen auf die Terrasse eine rauchen. Ich machte mich eiligst vom Acker. „Geschafft“, dachte ich nur. Der Mond hing wie eine riesige gelbe Orange im Westen.

Donnerstag, 20. September 2012

Raus aus dem Schneckenhaus




Warten auf den Bus



Morgen komme ich Gott sei Dank wieder für ein paar Tage raus aus dem Altenheimmief, aus meinem Schneckenhaus ...

Allen Blog-Besuchern ein schönes Wochenende!

Mittwoch, 19. September 2012

Schneckenhaus


Heute stehe ich auf dem Schlauch. Eine Art Trance-Zustand. Bäh! Das ist ein Gefühl wie an einer Bushaltestelle bei strömendem Regen, und der kack Bus kommt und kommt nicht. Die Zeit bleibt stehen, und die Autos fahren an einem vorbei … Man fragt sich: Was mache ich eigentlich hier?

Donnerstag, 6. September 2012

Mehr geht nicht


Heute bin ich so müde, dass ich Löcher in die Luft gucke, beziehungsweise die Löcher schauen mich an.

Freitag, 31. August 2012

Verpennt


Die vier Nächte stecken mir in den Gliedern. Ich wache auf, und der Tag ist gelaufen. Dabei wollte ich auf die Bank und Einkaufen und … Nicht nur, dass mir alle Glieder weh tun, ich träumte total kaputtes Zeug. Irgendwas räumte ich aus meinem Mund, - es nahm kein Ende. Und die Frau aus Zimmer xxx, die schon seit Jahren im letzten Stadium der Demenz dahinvegetiert, pflegte ich bei mir; plötzlich konnte sie wieder aufstehen, wankte durch die Gegend, konnte sogar wieder reden, also es war mehr ein Stammeln.
Zwei Tage bleiben mir zum Ausruhen – dann folgt die nächste Nachtwachenwalze.
Und bald kommt wieder die Zeit, dass ich im Dunkeln ins Altenheim gehe und morgens im Dunkeln zurückkehre. Scheiße.
Ob ich heute noch in die Pötte komme?

Donnerstag, 30. August 2012

Der tote Fuchs


Wo ich aus dem Bus aussteige, muss ich die Straße überqueren. Mitten auf der Fahrbahn lag ein toter Fuchs, im wahrsten Sinne platt gefahren. Seine Eingeweide lagen um ihn herum. Die Straße ist stark befahren. Mir schauderte, als ich das tote, relativ große Tier dort liegen sah – im brausenden Morgenverkehr. Diese Grausamkeit ..., aber gleichzeitig war es ungeheuer unprätentiös, wie die Autos die Straße weiter entlangfuhren, und ich ebenso meinen Weg nach Hause (ich wohne nur ca. 200 Meter von der Bushaltestelle entfernt) fortsetzte. Den Fuchs von der Straße zu kratzen, wäre viel zu gefährlich, da musste die Straßenmeisterei ran. Meine Gedanken auf dem kurzen Fußweg waren wirr und drehten sich um den Tod: Dort lag er auf der Straße. Wie oft dachte ich schon, dass mich mal eines der Autos erwischt, wenn ich morgens, müde von der Nachtwache, diese Straße überquere. Von einem Moment auf den anderen würde alles aus sein, der Film gerissen … Die Welt kümmerte es nicht.

Mittwoch, 29. August 2012

Es gibt nicht viel zu berichten


Als hätten sie es gewusst, dass ich zur Zeit nicht mit dem größten Elan in den Nachtdienst gehe, zeigten mir die Alten, wo der Hammer hängt: Sie spielten Englisch Klavier mit dem Schwesternruf, außerdem hatte eine Frau die Fallsucht; - und ich was so unendlich müde! Ich schleppte mich durch die Flure und schaute in die Gesichter der Alten – die guckten, als könnten sie kein Wässerchen trüben. „Eigentlich kann ich gleich mein Bett neben dem Ihren aufstellen“, sagte ich zu einem Bewohner, der ständig klingelte, um nach der Uhrzeit zu fragen. Normalerweise verbeiße ich mir solche Kommentare und schlucke meinen Ärger hinunter. Nun, er ist extrem schwerhörig und hörte sowieso nicht, was ich sagte.
Gestern Nacht war ich mit den Nerven zeitweise ganz schön unten. Ich genoss jede Minute, in der ich die Beine hochlegen und mich vor der Glotze ablenken konnte. Ich kam mir vor wie in einem Albtraum, in dem ich sisyphus-mäßig von Zimmer zu Zimmer hetze und mit meiner Arbeit nicht vom Fleck komme. Ich erinnerte mich daran, dass bisher jede Nacht vorbei ging. Und ich riss mich zusammen. Der Rücken schmerzte mir inzwischen. Offensichtlich hatte ich mich mit der Bewohnerin verhoben, die ich aus der großen Urinlache wieder in die Höhe wuchtete. Dabei war ich froh, dass sie sich nicht ernsthaft bei ihren Stürzen verletzte. Im Fernsehen lief inzwischen – es war gegen halb Vier – ein Horrorfilm auf RTL II. Darin ging es um Voodoo-Zauberei. Ich überlegte mir, ob ich vielleicht mit einem Fluch belegt bin, aber ich verwarf den Gedanken schnell wieder, weil ich viel zu rational denke, jedenfalls im Normalfall. Wer sollte mir so`ne Kacke wie solche Nachtdienste an den Hals wünschen? Nein, ich war schon selbst dafür verantwortlich. Es ist wahrscheinlich mein Karma. Schließlich zwingt mich doch niemand zu dieser Arbeit, oder?
Wie auch immer. Es wurde Morgen. Die Arbeitskollegen kamen. Ich hatte ihnen einen frischen Kaffee aufgebrüht. Mit krummen Buckel saß ich vor dem Computer und machte meine Übergabe.
„Es gibt nicht viel zu berichten“, begann ich ...



("Englisch Klavier spielen" nannten wir als Kinder das Klingeln an fremden Haustüren)

Dienstag, 28. August 2012

Elementar


Nach einer Sonnenwoche mit zwei Tagen am Meer und einem Tag auf der Nockalmstrasse zurück im Nachtdienst mit Urinflaschenanlegen, Windelwechseln und Arschwischerei. Das Leben kann hart sein. Man kommt nie zur Ruhe. Das Dasein hat unendlich viele Facetten – harmlos und zugleich dramatisch, natürlich und manipuliert, Tag und Nacht, offen und verschlossen …
Ein schöner und abwechslungsreicher Sommer neigt sich dem Ende zu: Ich kann gar nicht fassen, was ich alles erlebte und sah. Es ist verrückt. Mir fehlen die Worte. Die Geschichte geht weiter, die Geschichte von Leben und Sterben und Liebe. Ganz non-teleologisch. Mit dem Geist kann ich das Wirrwarr nicht durchdringen. Als ich vorhin aufwachte, lief im TV eine Doku über Qigong. Kung Fu Meister hingen an ihren Penis schwere Gewichte. Einer schaffte über zweihundert Kilo. Faszinierend. Was man nicht alles machen kann. Nein, ich will mich darüber nicht lustig machen. Auch ich denke, dass das Leben unheimliche Kräfte birgt, die man spüren und für sich nutzen kann. Und wenn es nur um die simple Bewältigung des Alltags geht …
Als ich vor wenigen Tagen in dem eisigen Gebirgsbach stand, die gute Luft tief in die Lungen einsog, in die Sonne blinzelte und mich nach den Steinen bückte, sie betrachtete und streichelte, hatte ich das Gefühl, dass mich die Elemente durchdrangen …
Meine Freundin chauffierte die Kinder und mich über die Nockalmstrasse, vorbei am Weg der Elemente, hinauf auf gut zweitausend Meter über dem Meerespiegel, wo nicht mal mehr die Zirben wachsen. Kühe grasten vereinzelt auf den kahlen, moosigen Berghängen – das Zuhause der Murmeltiere (– aber wir kriegten keins zu Gesicht). Am Tag zuvor badeten wir noch in der Adria. Es ist verrückt. Ganz und gar. Die ganze Welt, - wie sie funktioniert, wie alles ineinander greift, Himmel und Erde ...

Samstag, 11. August 2012

Die Frau aus Zimmer xxx


Ich denke an die Frau, die seit ca. 15 Jahren künstlich ernährt wird, dauerhaft liegt, durch die Dinge hindurch sieht wie ein Wachkomapatient – nun, sie dürfte etwa auf demselben Level sein. Sie bekam bereits früh die Alzheimerkrankheit, da war sie gerade Fünfzig. Inzwischen ist sie Siebzig und übertraf ihre krankheitsbedingte Lebenserwartung bereits um mehrere Jahre. Ich versuche manchmal, ihren Blick aufzufangen, aber der ist trotz offener Augen nach Innen gerichtet. Die Welt um sie herum kann sie nicht erkennen. Doch sie merkt, wenn etwas mit ihr passiert, und wahrscheinlich spürt sie ebenso die Anwesenheit einer Person an ihrem Bett. Ihre Augen zucken, wenn ich sie anfasse, aber sie beruhigt sich gleich, wenn ich sie streichele, ihre Gesichtszüge entspannen sich. Ab und zu brummt sie wie ein Tier. Und manchmal zuckt ihr ganzer Körper unwillkürlich. Sie ist allem ausgeliefert. Oft verschluckt sie sich am eigenen Schleim und hustet, dass ihr Kopf rot anläuft. Wenn es ganz schlimm ist, müssen wir den Schleim absaugen. Sie könnte ersticken. Vielleicht wird sie daran eines Tages sterben, - wenn sie nicht mehr stark genug ist, das Sekret abzuhusten, ... oder durch eine Lungenentzündung. Allein die künstliche Ernährung erhält sie am Leben. Sie bekam einige Fettpölsterchen. Früher war sie schlank und rank. Ich erinnere mich an Photos von ihr, die an der Wand hingen. Schon lange sehe ich keine persönlichen Dinge mehr in ihrem Zimmer. Die Angehörigen kommen seit vielen Jahren nicht mehr. Auch die alte Schulfreundin, die noch zu Besuch an ihr Bett kam, bleibt inzwischen weg. Vor wenigen Wochen hatte sie Geburtstag, wurde Siebzig. Ein paar Kollegen sangen an ihrem Bett „Happy Birthday“.
Sie kam im selben Jahr ins Altenheim, als ich anfing, 1995. Nun haben wir 2012. Mal sehen, wer von uns beiden früher geht. Sie überlebte bereits eine Menge Mitbewohner. Sicher ist sie ein Sonderfall, weil sie so jung an Alzheimer erkrankte.
Ich lagere sie in den Nächten, sauge sie ab, hänge am Morgen die erste Sondennahrung an. Ich empfinde Mitleid und Zuneigung – aber auch eine schier unerträgliche Traurigkeit. Es ist Routine. Ich kann meine Seele nur einen Spalt öffnen, sonst wird es zu viel.
Die Frage nach dem Sinn ergibt sich. Warum pflegen wir Menschen diese Frau elendiglich langsam zu Tode? Wäre es nicht menschlicher, sie endlich sterben zu lassen, indem man die künstliche Ernährung abstellt, und keine Medikamente mehr gibt? Ich verstehe diese Grausamkeit nicht, die wir von Gesetzes wegen an der Frau vollziehen. Niemals kann ich ganz wegschauen. Niemals werde ich die Widersprüchlichkeit menschlichen Tuns verstehen. Oft entheiligen die Mittel den Zweck. Und wir Menschen schauen einigermaßen ratlos zu, wenn es passiert …, oder wir schauen lieber weg.
Von uns Pflegekräften wird verlangt, dass wir pflegen ... auf Teufel komm raus. Wir sollen an dieser Front zwischen Leben und Tod funktionieren wie Soldaten, pflichtergeben und am Besten, ohne Fragen zu stellen. Mein Arbeitgeber bietet keine Supervision an. Aber er ist fleißig darin, Stellen abzubauen. Von den Mitarbeitern wird hohes Engagement verlangt. Sie sollen sich aufopfern – ist ja schließlich für eine gute Sache! Wir pflegen und betreuen Alte und Kranke. Es ist eine Ehre, an dieser Front kämpfen zu dürfen und sich für eine Gesellschaft der Weggucker aufzuopfern.
Die Frau aus Zimmer xxx hat keine eigene Stimme mehr. Sie ist der Idiotie unserer Welt gnadenlos ausgeliefert.

Donnerstag, 9. August 2012

Meine wiederentdeckte Liebe zu Ravioli in der Dose


Einen (funktionierenden) Dosenöffner und einen Löffel oder eine Gabel, - mehr braucht es nicht dazu. Wenn ich morgens nach dem Nachtdienst heimkomme, habe ich (meistens) Kohldampf. Müde, wie ich bin, muss es schnell gehen. Nach längerer Zeit hatte ich mal wieder eine Dose Ravioli am Wickel. Ganz schlicht mit Tomatensoße, die billigen. Dose auf, Inhalt in eine Schüssel und angerichtet war.
Die Ravioli esse ich auf Zimmertemperatur, da schmecken sie mir besser als warm. War echt lecker, und ich denke, Dosenravioli werden nun öfter auf meinem morgendlichen Speiseplan stehen.
Kurz nach Sieben Uhr in der Früh, auf ARTE lief „The Saint“, eine alte englische Krimiserie mit dem jungen Roger Moore – passte 100%ig dazu. Während Roger Moore die Gangster vertrimmte, verschlang ich die Ravioli in Tomatensoße. Wir waren fast gleichzeitig fertig. Satt und zufrieden ergab ich mich dem Schlaf.

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