Was gesagt werden muss


Ähnlich hätte ich es auch schreiben können, was Grass in seinem politischen Prosagedicht kritisch zur Haltung des Westens und zur Atommacht Israel sagt.
Israel ist eben nicht immer auf der Seite der Guten, wenn es im Nahen Osten politisch und kriegerisch agiert. Und die Araber sind nicht immer die Bösen. Dieses über Jahrzehnte vor allem im Westen verfestigte Bild ist falsch, - was nicht heißt, dass es umgekehrt ist. Nein. Es ist vielmehr unendlich schwieriger und bedarf einer detaillierten und möglichst objektiven Beobachtung und Reflexion.
Grass sagt in der Tat etwas, was endlich gesagt werden muss.
Ebenso wie der ehemalige amerikanische Präsident Bush während seiner Amtszeit durch sein simples Weltbild und seine kriegerische Aufrechnung mit dem Irak und dem Diktator Saddam Hussein eine Gefahr für den Weltfrieden war, so könnte Israel mit einem Erstschlag gegen den Iran eine Welle von Gewalt und Krieg auslösen, welche weltweit Auswirkungen und Opfer zur Folge hätte.
Natürlich kann man darüber kontroverser Meinung sein, wie man einem Diktator vom Schlage eines Ahmadinedschad (dessen Namen ich mir nie merken werde) zu begegnen ist. Krieg sollte aber, dies sollte uns die Geschichte gelehrt haben, immer die allerletzte Handlungsoption darstellen.
Reicht die Bedrohung, die vom Iran gegenüber Israel und der restlichen Welt ausgeht, bereits aus, um einen Erstschlag zu rechtfertigen? Ich bezweifle das. Aber was weiß ich schon? Was wissen wir über die tatsächliche Situation?
Ich meine, dass der 11. September niemals eine Rechtfertigung sein darf, dass die USA willkürlich Länder überfällt, welchen sie eine Unterstützung der Terrororganisation al Quaida unterstellt. Ebenso wenig darf Israel einen Freischein für kriegerische Aktionen gegenüber seinen Nachbarländern haben. Gerade die zivilisierte westliche Welt sollte von der simplen Unterteilung in Gut und Böse abrücken und näher hinschauen. Bei aller Sympathie und Solidarität für Israel wegen seiner schwierigen (geographischen) Lage und Geschichte, Kritik an der Politik Israels muss möglich sein. Auch von deutscher Seite. So gibt es in Israel eine Menge zionistische Fanatiker, die immer stärkeren Einfluss auf Gesellschaft und Politik nehmen. Aber Israel ist eine Demokratie. Und als Demokratie sollte sich dieses Land beweisen.
Grass in Zukunft die Einreise zu verweigern, ihn zur Persona non grata zu erklären, deutet in meinen Augen nicht auf eine reife demokratische Kultur in Israel hin. Das hat der Literaturnobelpreisträger nicht verdient. Ich halte sein Gedicht keinesfalls für das Zeugnis eines senilen Dichters, der den Realitätssinn verloren habe, wie von einigen gesagt wird, im Gegenteil, Grass beweist mir in diesem Gedicht, dass er sich nicht die Augen zubinden lässt. Er sagt offen seine Meinung über Israel und bricht damit ein lange gepflegtes Tabu in unseren Breiten. Die heftigen Reaktionen zeigen, dass er wohl den Finger auf eine Wunde legte. Er machte etwas, was man nicht offen machen darf. Er sagte etwas, was man in politischen und prominenten Kreisen bestenfalls hinter vorgehaltener Hand sagt. Das gefällt mir! Und sicher ist Grass kein Antisemit. (Und ich auch nicht.)
Vielleicht lese ich nun auch mal seine Bücher.



Links:

http://de.wikipedia.org/wiki/Was_gesagt_werden_muss

zum Gedicht:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809

Mico75 - 10. Apr. 12, 12:59

ein heikles thema. mittlerweile werden bestimmte themen wie "israel" "ausländer" uw, leider von einer political correctness bestimmt, die jede sachliche auseinandersetzung unmöglich macht. grass wurde in diesem zusammenhang sogar seine mitgliedschaft in der SS vorgehalten, was ich mehr als unpassend fand.
grass wird bestimmt gewußt haben, dass er prügel bekommen würde. trotzdem finde ich die reflexartigen anschuldigungen immer wieder erschreckend.

bonanzaMARGOT - 10. Apr. 12, 13:09

das konnte er sich denken. also, wenn er nicht tatsächlich senil ist wie behauptet.
seit jahrzehnten beobachte ich den umgang israels mit den palästinensern und wundere mich, dass dies so von der restlichen zivilisierten welt beinahe kritiklos geduldet wird.
außerdem kann es nicht sein, dass die westliche welt allen anderen ländern verbietet, atomwaffen zu haben, und sich selbst dabei nicht in die karten gucken läßt. dass diese ungleichheit ein gefundenes fressen für die demagogische argumentation von diktatoren und islamistischen aufrührern ist, dürfte klar sein.
auch ich sehe wie grass seit einiger zeit mit sorge auf den staat israel und den gesamten nahen osten.
Shhhhh - 10. Apr. 12, 19:10

Meine volle Zustimmung. Die Reaktionen auf den Ostermärschen und die dortige Haltung Grass gegenüber stellt doch den Beweis an, dass eine Medienlandschaft, wie wir sie präsentiert bekommen, längst nicht mehr Meinung widergibt, sondern vielmehr nur noch Meinung macht - und das anscheinend auch noch am Leser vorbei.

bonanzaMARGOT - 11. Apr. 12, 07:01

ja,

man wird schneller zum antisemiten, als man denkt.
Lange-Weile - 13. Apr. 12, 10:58

Aufschrei

Hallo Bo.,

immer wenn in Deutschland ein sensibles Thema berührt wird, kommt es zu einem nationalen Aufschrei.

Dank deiner Aufklärung sehe ich jetzt schon etwas besser durch, denn mir fehlte für eine persönliche Beurteilung der Lage irgendwie der Überblick.

Herr Reich-Ranicki fand die Worte von Grass eklig, Herr Westerwelle fand sich ebenso schlimm, die Friedensbewegung jedoch applaudierte. Da dachte ich mir, was die Beurteilung vieler Menschen betrifft, findet sich vielleicht mehr Objektivität in der Bewertung als in der Bewertung einer einzelnen Personen.

Jetzt wollen Herr Grass und Regierungsvertreter von Israel sich auf neutralem Boden sprechen und austauschen. Es bleibt abzuwarten, wie Israel weiter mit wahren Worten umgehen wird.

LG LaWe


bonanzaMARGOT - 13. Apr. 12, 13:22

ich finde es immer schlimm, wenn keine unbefangene diskussion möglich ist - aufgrund von ressentiments, vorurteilen, dummen traditionen und festsitzenden moralvorstellungen ...
der aufgeklärte mensch sollte über solchen dingen stehen, zumindest geistig.

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