Freitag, 27. April 2012

TV-Tipp:

"Ich habe keine Angst", 20 Uhr 15, Einsfestival

Erste Schritte


Ab München kamen eine Menge Reisende und das Kopfweh. Augsburg, Ulm, Stuttgart, - der Zug füllte sich zusehends. Ein Mädchen, nein, eine junge Frau, deren Bein geschient war, setzte sich mir gegenüber. Sie streckte ihr malades Bein irgendwie zwischen meine und die Füße meines Sitznachbarn. Nettes Mädel. Unmöglich jung und schön und sommersprossig. Alle Plätze waren besetzt. Ich versuchte in der dicken Luft des Großraumwagens zu dösen. Ab und zu blinzelte ich zu dem Mädel, das eifrig irgendwelche Schulsachen auf ihrem Schoß ausbreitete und seitenweise abschrieb. Ihre rechte Schulter lag frei, und man sah den schwarzen Träger ihres Büstenhalters. Ich zählte ihre Leberflecken. Ich schloss meine Augen wieder. Das Kopfweh wurde nicht besser. In meinem Gepäck eine angebrochene Flasche Rotwein aber keine Aspirin.
Enge stresst mich. Ich saß acht Stunden in dem Zug wie in einer Sardinenbüchse. Als ich in Heidelberg auf den Bahnsteig trat, fühlte ich mich von dieser miefigen, menschlichen Umklammerung befreit. Zumindest ein wenig. Die Wände waren weiter weg gerückt. Im „Zapato“, dem Bahnhofsrestaurant, fiel mir ein, dass ich doch Kopfschmerztabletten in einer Tasche versteckt hatte. Ich nahm ein halbes Dutzend und trank ein großes Pils. Ich wollte noch zum Frisör gegenüber. Ein Gast diskutierte mit dem Barkeeper über Politik. Nein, das soziale Klima war in den letzten Jahren alles andere als besser geworden, oder kam es einem nur so vor?
Ausnahmsweise schnitt mir eine der Friseurinnen die Haare. Die Herren waren nicht da. Sie sagte, dass ich sehr feine Haare habe, die, was sie selten sah, in alle Richtungen wachsen. „Ihr Kopf ist ein Erlebnis“, sagte sie oder so ähnlich. Ich grinste.

Neun Tage reihten sich wie Perlen auf einen Faden. Dort in den Alpen, im Land der Berge und Seen. April: Sonnenschein und Regen. Ich war gekommen, um ein Pflänzchen zu gießen. Die Kinder waren da – diesmal: Annäherungen. Hausaufgaben. Gemeinsam im Einkaufscenter, im Kino. Der Film war zauberhaft: „Ziemlich beste Freunde“.
Sex am Vormittag, wenn die Kinder in der Schule waren. Oder beinahe lautlos in der Nacht. Morgens kam die Tochter zum Kuscheln und legte sich zwischen uns. Ich verschlafen. Ich etwas verlegen. Das Familienleben ist mir fremd. Zeitweise war ich hin- und hergerissen. Ich fühlte mich aufgenommen. Mir wurde Vertrauen geschenkt. Mir wurden Zuneigung und Liebe geschenkt. Und ich fremdelte noch. Manchmal hätte ich mich am liebsten verkrochen – oder wäre ausgebrochen. Dabei ist das Gefängnis mein Kopf. Natürlich ist es eine große Umstellung von einem Junggesellendasein hin zu einer Frau mit zwei Kindern. Ich wünsche es mir als Bereicherung und nicht als Einschränkung. Noch sind es nur Konturen von einem neuen Leben, von einem gemeinsamen Leben. Mit jedem Besuch will ich unser Pflänzchen wässern, will, dass es in mir wächst hin zu einer gemeinsamen Zukunft. Gewohnheiten und Denkschablonen lassen sich nicht einfach umschalten. Aber ich liebe diese Frau. Ich liebe sie. Sie ist fantastisch. Neben mir. Ihr Lachen. Ihre Leidenschaft. Ihre Offenheit. Ihre Zärtlichkeit. Ihr Verstand.
Vielleicht bin ich heuer alt genug, um diesem Geschenk des Lebens gerecht zu werden. Nur nicht aufgeben.
Neun Tage verflogen wie nur was. Ich komme wieder.






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