Wir sind depressiv
In der aktuellen Ausgabe der Illustrierten "Stern" outen sich prominente und nicht prominente Menschen als depressiv - bzw. dass sie depressiv waren. Der Titel heißt: "Ich war depressiv". Anlass ist der Todestag von Torwart Robert Enke. Eine Welle des Mitleids und des Hinterfragens von Depression schwappte vor einem Jahr durch die Medien. Jeder A-, B- und XYZ- Prominente fühlte sich bemüßigt, zum Thema seinen Senf abzugeben.
Und nun die Neuauflage. Der "Stern" konfrontiert eine depressive Gesellschaft wiederholt mit dem Tabu-Thema Depression und Suizid. Ich fühle mich auch schon viel besser, wenn ich weiß, wer schon alles mit Selbstmordgedanken spielte. Offensichtlich eine Volkskrankheit ... Immerhin bringen sich durchschnittlich rund zehntausend Menschen pro Jahr in Deutschland um. Im Straßenverkehr stirbt nur knapp die Hälfte. Wahrscheinlich werde ich depressiv sterben, denke ich, ohne mich vorher umgebracht zu haben.
Oder ich komme unter die Räder.
Wie kann man eigentlich angesichts des immer näher rückenden eigenen Ablebens sowie der ganzen Quälerei durch Existenz, Beruf, Liebe nicht depressiv werden? Ich kann noch so viel saufen - die schwermütigen Gedanken bleiben.
Gegen Gehirnwäschen von Religion und Ideologie war ich (leider) schon immer immun. Und den Materialismus finde ich nur kurzweilig aufbauend. Wirklich glücklich können eigentlich nur Menschen sein, die ihr Glück, für welches sie sich entschieden, nicht hinterfragen - entweder aus Weisheit oder Naivität. Oder aus Angst.
Ich glaube, ich bin weder weise noch naiv. Angst habe ich allerdings schon. (Ich bin depressiv.)
Ich versuche mich durch das Leben zu wurschteln - wie es kommt. Es gibt kein Entrinnen. Drum spare ich mir den Weg zum Therapeuten oder Psychiater. Das einzige, was mir hilft, sind stoisches Ertragen und weitgehende Selbstbestimmung. Ja, und das Schreiben darüber: Das Veräußern meiner Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen. Die Liebe, wenn sie glüht ... und wärmt.
Das Leben bedeutet für jeden Menschen Kampf und Risiko. Ganz unterschiedlich gehen wir es an. Dabei sind wir tief in uns kaum auseinander. Spürbar z.B. in der Bewältigung gemeinsamer Not.
Dummerweise verlieren sich solch empathische Erlebnisse wieder im grauen, von Egoismen bestimmten Alltag.
...
Kürzlich sendete mir eine alte Freundin (Uschi) ein Karte. Darauf der Sinnspruch:
Für den wahren Lebenskünstler ist die schönste Zeit immer diejenige, die er gerade verbringt.
(Orson Welles)
bonanzaMARGOT
- 05. Nov. 10, 15:59
- Sonstiges zur Diskussion
Bei mir ist es nicht unbedingt stoisches Ertragen, sondern eine Art "dynamisches Anpassen"... :-)
Hätte noch viel dazu zu erzählen, kann es aber im Moment nicht so recht in Worte fassen... Vielleicht später mehr.
also, ich bin nicht prinzipiell gegen therapeuten und psychologen. es gibt seelische notlagen, die man mit freunden oder in der familie nicht einfach besprechen kann.
nehmen wir z.b. die suchtproblematik ..., oder sexuellen mißbrauch, oder gewalt in der ehe/beziehung/familie ...
auch bei depressionen kommt`s drauf an, wie sehr man dadurch im alltag, im beruf und in seiner beziehungsfähigkeit behindert ist. es ist nicht viel anders als bei körperlichen krankheiten: man muss nicht bei jedem zipperlein gleich zum arzt rennen; nur wenn wir bereits auf den gleisen liegen, ist`s zu spät.
eine unsicherheit bleibt immer - wogegen nur ein gesundes selbstbewußtsein hilft. bei mir funktioniert es am besten, wenn ich mit mir und meinem leben einverstanden bin. selbst wenn es nicht gerade toll aussieht. selbst wenn ich allein bin. selbst wenn ich mir oft selbst im wege stehe und auf der stelle trete.
(es gibt sowieso kein entrinnen.)
das leben ist so schnell rum - da erübrigt sich ein selbstmord. gevatter tod kommt früh genug. nur geduld ...
aufgrund dieser dynamik wurde der mensch auf der erde (wenigstens kurzfristig) zum erfolgsmodell. ich bin mir jedoch nicht sicher, ob ich diesen charakterzug in jedem fall gutheißen soll.