Vom Irrsinn auf unseren Straßen


Weil ich gestern die guten alten Eltern besuchte, war ich den ganzen Tag mit den Nahverkehrsmitteln unterwegs. Mit 3x Umsteigen dauerte die einfache Fahrt beinahe drei Stunden für eine Wegstrecke von knapp 30 Kilometern. In derselben Zeit fährt der ICE von Mannheim nach Basel den zehnfachen Weg.
Der Rückweg gestaltete sich zudem besonders stressig, weil Straßenbahn und Bus mit Menschen bis zum Erbrechen vollgestopft waren. Ich stand die gesamte Fahrt. Für eine ältere, gebrechliche oder gehbehinderte Person wäre diese Tortur ein Unding gewesen. Als ich endlich an meinem Wohnort ankam, war ich ganz schön geladen! Ich bewundere die Städter, die dieses Gedränge, diesen Lärm und Verkehr täglich ertragen müssen, und dabei nicht aggressiv werden.
Mir fiel auch mal wieder überdeutlich der wahnsinnige Autoverkehr auf, der sich über unsere Straßen schiebt. Ein Auto nach dem anderen, eines dicker und ps-stärker als das andere, dazu noch die Lkws ..., - selbst in den Seitenstraßen: man könnte meinen, dass viele Menschen jeden Meter mit dem Auto zurücklegen. Und das geht den ganzen Tag so! Nur eben ist`s am Nachmittag und frühen Abend überbordend.
Und solange die Nahverkehrnutzung derart anstrengend, langwierig und nervenaufreibend ist, kann man es den Leuten noch nicht mal verübeln, dass sie für alle Besorgungen das eigene Auto benutzen. Da können sie wenigstens unter klimatisierten Bedingungen sitzen - wenn auch im Stau.
Ich kann nicht verstehen, warum man für ein Ballungsgebiet wie den Rhein-Neckar Raum keine intelligentere Verkehrslösung finden kann. Im Prinzip änderte sich an der Gesamtsituation in den letzten Jahrzehnten, soweit ich es überblicken kann, kaum etwas. Im Gegenteil wurden die Straßen immer voller, und der Nahverkehr nicht wirklich attraktiver - nur beständig teurer für die Kunden. Immerhin schloß man die verschiedenen Nahverkehrsbetriebe unter einem Dachverband zusammen, so dass wenigstens die Fahrpreise einheitlich sind. Eine bessere Vernetzung kann ich aber nicht erkennen. Es ist einfach nur chaotisch. Dazu noch die Ausnahmen und Umleitungen durch die vielen Baustellen ...
Als ich am frühen Abend nach Hause kam, war ich mit den Nerven runter. Ich glaube nicht mal, dass ich mit zunehmendem Alter weniger beslastbar wurde. Vielleicht sah ich das Ganze früher noch mehr als Abenteuer an. Doch es stieg mit den Jahren auch kontinuierlich das gesamte Verkehrsaufkommen - was viele Menschen, die sich tagtäglich darin bewegen müssen, wohl gar nicht richtig wahrnehmen. Krank machend ist es aber auf alle Fälle!
Jetzt beginnt schon bald wieder die Vorweihnachtszeit. Da wird`s besonders übel in den Innenstädten. Total irre - von außen betrachtet, aber wir machen weiter munter mit. Haben wir einen masoschistischen Spaß daran?

Falkin - 26. Okt. 11, 10:14

....im Juli war.s. Kurz vor der Hochzeit. Da musste ich zum Kurfürstendamm. Schusselig wie ich bin, lag der Zettel mit der Hausnummer vom Notar natürlich Zuhause. Also war ich gezwungen den ganzen Q-damm abzulatschen. Nach etwas über einer Stunde fand ich mein Ziel. Dazwischen fand ich mich wieder in hektischem, gestressten Geschubbse. Von allen Seiten Menschen, die in Überbeschleunigung eilten.

Ständiges Gedrängel. Dann der Schmutz.... ich hatte vergessen, das Berlin mit einem grauen Schleier überdeckt ist, Gehupe, Autos, Fahrradfahrer. Zwischendrin wurde mir mindestens zweimal ein Sulky-Kinderwagen in die Hacken gerammt. (Verstehe im Übrigen nicht, wie man Kindern diesen Dreck und die Hektik zumuten kann, die zudem mutmaßlich alle vier Sekunden i-eine Einkaufstüte in die Visage gepresst kriegen).

Und dieser widerliche, durchdringende Gestank. Diese Mischung aus Abgasen, Siff, Hundefäkalien, menschlichen Ausdünstungen und noch einmal Abgase. Glücklicherweise wurde ich nach dem Notartermin mit dem Auto abgeholt.

...Zuhause bin ich erst einmal unter die Dusche, um die ganze Reizüberflutung aus den Poren zu spülen. Ich denke, es ist beides: auf der einen Seite hat mich das Leben draußen in der Natur empfindsamer gemacht und auf der anderen werden die Großstädter immer neurotischer und gestresster. Eine Kirmes der Abstrusitäten. Ich bereue meine Entscheidung hier auf dem Land zu leben, keine Sekunde.

bonanzaMARGOT - 26. Okt. 11, 10:37

kann ich gut nachvollziehen, falkin. wenn man nicht ständig mittendrin in diesem "rummel" ist, wird man sensibler - auf eine gesunde art sensibler, wie ich finde.
als jugendlicher und junger mann fand ich es noch aufregend, durch großstädte wie heidelberg, mannheim, karlsruhe oder frankfurt zu spazieren. inzwischen steuere ich ziemlich zielgerichtet einen ort an, um etwas einzukaufen, ins kino zu gehen, oder wo mein bierchen zu trinken und flüchte danach regelrecht wieder richtung zuhause.
der gestank, lärm, die hektik würden mich auf dauer krank machen. alles scheint um einen herumzuwirbeln: autos, fahrräder, fußgänger, straßenbahnen ...
toller fortschritt!
tom-ate - 26. Okt. 11, 10:54

Stadt macht krank. Sogar die Wahrscheinlichkeit an Schizophrenie zu erkranken ist in der Stadt signifikant höher als auf dem Land. Ich sag's ja schon lange: Wir bauen uns erst die Umwelt, an der wir dann scheitern.
bonanzaMARGOT - 26. Okt. 11, 10:56

hallo tom-ate

das ist gut gesagt - und ein zeichen für menschliche hybris und irrsinn auf diesem planeten.
Anja-Pia - 26. Okt. 11, 10:38

Nächstes Mal fahrst Du mit dem Rad. ;-)

bonanzaMARGOT - 26. Okt. 11, 10:43

mit dem fahrrad bin ich zwar schneller bei meinen eltern, aber es ist nicht weniger stressig, wenn ich durch die innenstadt komme.
ganz zu schweigen von der talstraße, die letzten ca. 2km bis zu meiner wohnung. die sind nur ätzend, wenn man da mit dem fahrrad den berg hochstrampelt und von den autos zum bordstein abgedrängt wird. nichts für schwache nerven und ziemlich gefährlich.
Lange-Weile - 26. Okt. 11, 11:33

neues Konzept

Hallo Bo.,

wenn ich tagelang abgeschirmt fern vom Verkehrslärm verbringe, überfällt er mich auch gleich mit voller Wucht. Es dauert dann etwas, bis ich ihn wieder ausblenden kann.
Ich denke, dass die jungen Leute im Gegensatz zu uns gar nicht mehr wahrnehmen oder sie haben Stöpseln in den Ohren und klinken sich auf diese Weise aus.

Irgendwann sollten die Städte den Nahverkehr kostenlos anbieten und die Auto´s vor der Stadt lassen, bzw. um die Stadt leiten. Anders wird es sicher nicht gehen. Der Verkehrslärm dringt ja auch in die Häuser, die an der Straße stehen.

Zum Glück ist der Nahverkehr in Rostock gut durchorganisiert, dass die Fahrzeit nicht so lang ist, wie bei dir.

LG LaWe

bonanzaMARGOT - 26. Okt. 11, 14:01

hi lawe, stimmt, mindestens die hälfte aller jungen leute unter dreißig haben stöpsel in den ohren - nicht nur in der stadt. ob das so gut ist, um der reizüberflutung zu entgehen? weiß nicht ...
manche telefonieren noch gleichzeitig. oder lesen - wie sie das schaffen, ist mir ein rätsel! (möglicherweise bereits eine neue sorte mutierter städter.)

den vorschlag der "piratenpartei" in berlin, den öffentlichen nahverkehr fahrscheinlos nutzen zu können, finde ich klasse! das bedeutet mitnichten kostenlos. jeder hätte einen pauschalbetrag jährlich wie eine steuer zu leisten. beim kfz kennen wir das doch auch längst. wobei hartz IV empfänger, (arme) studenten und geringverdiener sowie rentner total befreit sein sollten von dieser art nahverkehrs-abgabe.
da würde man schon mal die ganzen blöden fahrscheinautomaten sparen und auch die kontrollen. und die fahrer der busse und straßenbahnen wären entlastet.
es gibt so viele gute innovative besserungsvorschläge für den nahverkehr - aber wiedermal hapert`s bei der umsetzung!
steppenhund - 26. Okt. 11, 16:44

Ich bin recht dankbar und in gewisser Weise auch konsequent. Da in Wien der öffentliche Verkehr sehr gut ausgebaut ist und ich selbst in der 15 km entfernten Vorstadt noch eine günstige Bus und Schnellbahnanbindung habe, verzichte ich seit vier Jahren auf mein Auto. D.h. ich habe keines mehr. Nach 2 Millionen km halte ich auch den heutigen Straßenverkehr nicht mehr durch. Kein Blinken, erratisches Verhalten der Verkehrsteilnehmer.
Mein Nervenkostüm hat sichtbar aufgerüstet, seit ich nicht mehr fahre.
Aber leider funktioniert das nicht überall so gut.

Übrigens hat meine Frau ihr Auto ebenfalls meiner Tochter geschenkt, so dass wir jetzt ein autoloser Haushalt sind. Was notwendig ist, kann mit dem Taxi gemacht werden. Die Geldeinsparung ist trotzdem enorm.

bonanzaMARGOT - 26. Okt. 11, 16:50

hi steppenhumd - trotz der unannehmlichkeiten mit dem nahverkehr vor ort würde ich mir kein auto mehr zulegen. schon aus geldgründen. dann kommt noch ein gewisser idealismus hinzu: ich finde die verschandelung der natur durch straßen einfach furchtbar! es ließen sich ökologisch bessere lösungen für die mobilität finden, als ständig wirtschaftsbedingt auf den gesellschaftlichen fetisch auto zu setzen!

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