irie_ways - 10. Dez. 07, 21:03

Zum einen muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich kein guter Altenpfleger wäre, denn ich würde auch schnell meine Geduld verlieren, gerade bei Menschen die gewaschen werden müssen oder etwas essen sollen und sich dann dagegen wehren (vorallem, weil man ja auch nicht ewig Zeit hat für eine Person). Auf der anderen Seite würde ich natürlich niemals so einen Job annehmen, weil ich weiß, dass ich dafür nicht gemacht bin. Ich bewundere Menschen wie dich, die diese Fürsorge und Geduld besitzen um solch eine Tätigkeit ausführen.
Irgendetwas muss doch gegen diese Ohnmacht getan werden können? Spontan fällt mir nichts ein, aber sobald diese Realität mal "an die Öffentlichkeit" gerät, müsste sich doch automatisch etwas tun, weil früher oder später jeder Mensch einmal alt und pflegebedürftig wird und sich doch dann selbst sein Grab damit schaufelt, wenn er über das Alles hinwegsieht. So auf die schnelle fällt mir da auch nur ein heimlich gedrehtes "Schockvideo" ein, wo dann eben diese Gewalt mal aufgezeigt wird?

bonanzaMARGOT - 11. Dez. 07, 11:49

Hi irie,

seit vielen Jahren ist bekannt, dass Gewalt in Heimen und in der Pflege kein Ammenmärchen ist. Sie ist auch keine Einzelerscheinung, wie vorallem die Heimbetreiber uns immer wieder weis machen wollen. Gerade die subtilen Übergriffe im Pflegealltag, wie ich sie aufzähle, gibt es in nahezu jeder Pflegeeinrichtung. Ebenso wie die Gewalt gegen Kinder ein Skandal ist, ist die Gewalt gegen wehrlose Alte ein Skandal, von dem wir immer nur die Spitze des Eisberges erkennen. Es ist eine Schande, dass unsere Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre schwächsten Mitglieder ausreichend zu schützen und sie würdevoll zu behandeln. Es ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit!
Während man die Privatbereiche wirklich schwer einsehen kann, so könnte man doch wenigstens die vielen Pflegeheime besser kontrollieren. Ich wäre z.B. dafür, dass jedes Pflegeheim sporadisch und unangemeldet Besuch von der Heimaufsicht bekommen kann - besser noch wäre es, wenn man in auffällige Heime einen Mitarbeiter einschleusen würde, der die "wahren Zustände" direkt in der Arbeitssituation des Pflegepersonals wahrnehmen könnte. Außerdem vermisse ich in vielen Heimen die Möglichkeit der Supervision. Supervision sollte Pflicht sein. Ebenso sollten regelmäßige Fortbildungen Pflicht sein.
Die Arbeitgeber wollen das Heim voll haben und gleichzeitig am Personal sparen. Jedem klar denkenden Menschen dürfte aufgehen, dass darunter die Qualität der Pflege leidet. Und es ist ebenso klar, dass die gewaltsamen Übergriffe mit den schlechten Arbeitsbedingungen korrelieren. Ich würde behaupten, dass die meisten Gewalthandlungen und verbalen Entgleisungen aus einer Überforderungssituation der Pflegenden resultieren. Dazu kommt dann der Charakter, die Persönlichkeit des Einzelnen. Leider gibt es unter den Pflegenden auch Sadisten und Menschen, die für den Beruf absolut nicht geeignet sind.
Der geborene Altenpfleger bin ich sicher auch nicht. Ich bin bestimmt kein Engel. Doch ich gebe mir große Mühe, dass ich meine menschliche Sicht bewahre und die Alten mit Güte und Respekt behandle, so weit es mir möglich ist ... auch meine Geduld hat ihre Grenzen, auch ich bin manchmal überfordert, und meine Nerven werden auch nicht besser. Ich würde mir für mich und meine Kollegen/Kolleginnen mehr Unterstützung von unserem Arbeitgeber wünschen, in Form von Supervision, besserer Organisation, besserem Personalschlüssel, besserem Material, mehr Fortbildungsangeboten und auch einem besserem Gehalt - kurz: Alles sollte besser werden.
Mein Arbeitgeber würde mich auslachen, wenn ich diese Forderungen stellte ... denn freilich gibt`s für alles kein Geld, und er würde mir erklären, dass man sogar noch Abstriche machen müsse, wir sollten doch froh sein, dass wir noch auf einem relativ hohen Niveau pflegen ...; und meine PDL (Pflegedienstleitung) würde seinen Worten beipflichten und zum zigsten Male ihren Spruch wiederholen: "Bald wird hier ein rauherer Wind wehen!"
So ist es jedesmal bei den Dienstbesprechungen - wie geprügelte Hunde verlassen wir die Veranstaltung; und ich sage dem Heimleiter und der PDL noch zum Abschied: "Die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eklatant auseinander, wie soll man unter diesen Bedingungen gut pflegen?" Meine PDL schaut mich an, als wolle sie sagen: "Du Idiot! Ich habe dich für intelligenter gehalten." Und der Heimleiter sagt achselzuckend: "Dafür ist die Politik zuständig. Wir müssen den Laden am Laufen halten. Es sind eure Arbeitsplätze."
Nach solchen Dienstbesprechungen habe ich immer große Lust mich zu besaufen. Offensichtlich muß man sich in die Tasche lügen, denn der Kampf für eine menschlichere Pflege erscheint wie ein Kampf gegen Windmühlen.
Viele meiner Kollegen und Kolleginnen haben sich längst mit der Situation im Heim abgefunden - aus Selbstschutz.
Und die Alten haben keine Stimme - es zählen die belegten Betten.
Auch ich mache nichts anderes als reden. Ich möchte ... ach, was weiß ich, was ich will ... ich bin ziemlich desillusioniert.

F.

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