Ein Wochenende


Das Wochenende bestand aus Nachtdienst und Schlafen. Eine alte Freundin rief mich am Samstag an. Sie wohnt seit einigen Jahren im Hunsrück. Als ihre Eltern zum Pflegefall wurden und verstarben, erreichte mich das wie ein Warnschuss – da waren Vater und Mutter noch wohlauf – , und ich versuchte sie auf die Pflegeproblematik und ihre Vorstellungen dahingehend anzusprechen … Nun ist alles vorbei. „Hallo, du Vollwaise“, begann sie das Telefonat. Wir redeten lange. Sie haderte wie früher mit den Zuständen in der Altenpflege. Ihren kämpferischen Geist hat sie noch, dachte ich. Wir waren gute Nachtwachen-Kollegen gewesen, und mehr. Vielleicht war ich ihr zu spießig, zu wenig idealistisch. Sie suchte mehr den Aussteigertypen und Freak. Dabei traf sie dann die kaputten Typen. That`s life. Jedenfalls blieb sie einer der wenigen Menschen, die mir am Herzen liegen, und andersherum gilt das wohl auch. Wenn ich nur nicht so ein Telefonmuffel wäre. Selten rufe ich an.

Sonntagfrüh musste ich mangels Direktverbindung mit dem Bus über den Bahnhof zurückfahren. Ich nutzte die Gelegenheit für einen kleinen Einkauf und schaute den morgendlichen Ausflügler und Reisenden zu. Die Müdigkeit überfiel mich, kaum dass ich mich irgendwo setzte. Ich hatte nur den einen Nachtdienst, war also schon über 24 Stunden wach. Taxi wollte ich diesmal keins nehmen. Die Taxifahrerei ist zwar bequem aber geht mit der Zeit ins Geld. Also riss ich mich zusammen und machte mich vom Bahnhof aus auf den Nachhauseweg mit Straßenbahn und Bus.
Es war ein typischer Sonntagvormittag. Nichts los auf den Straßen. Mir begegneten lediglich einige Kirchgänger. Vor mir lag das Kaffeehaus. Fast hätte ich sofort wieder die Flucht ergriffen. An der Bar war ein Frühstücksbuffet aufgebaut, und der Laden brummte voll Familien mit Kind und Kegel. „Brauchst du einen ganzen Tisch?“ fragte mich der Chef, der mithalf. „Nein“, antwortete ich und schaute mich um. Ich durfte sitzenbleiben und mein Weizenbier trinken. „Nachtdienst gehabt?“ „Ja, ich warte auf den Bus. Ich räume gleich wieder das Feld.“ „Lass dir ruhig Zeit“, meinte der Chef grinsend. In der Folge kamen allerdings immer mehr Gäste, und ich fühlte mich unbehaglich, weil ich einen Tisch mit drei Plätzen belegte. Es war, als befände ich mich im falschen Film: Um mich herum die saubere, heile Sonntagswelt und ich dazwischen mit müden Augen, zerknautschter Lederjacke und einem Bier. Zügig trank ich aus und verabschiedete mich. Lieber betrachtete ich mir noch die Auslagen einiger Schaufenster auf dem Weg zur Bushaltestelle.

Ich machte es mir in meinem Bett gemütlich, wo ich bis heute, Montagmorgen, verblieb. Überflüssig zu sagen, dass ich Sonntage nicht mag. Sie sind für mich toter als tot. Es sollte sie nicht geben. Den Sonntag nach einem Nachtdienst zu verschlafen, war also nicht die schlechteste Lösung.

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