Aktiv


Ein Tag zum Durchatmen, je nachdem wie man es sieht. Der Taktstock der Zeit plärrt unaufhörlich wie die U-Bahn auf der Hochtrasse – alle paar Minuten. Ich denke an Vater und Mutter, die beide Anfang Februar Geburtstag haben. Vor mir ist die weiße Zimmerwand. Bluesmusik unterschiedlicher Interpreten tönt aus den Lautsprechern. Die meisten tot oder nahe dran. Ich höre ihr Echo in der Zeit. Irgendwo sind sie alle… zusammen mit meinen Eltern. Das Leben pulsiert indes weiter und spuckt neue Seelen aus. Jede Sekunde, Minute. Willkommen auf der Welt! Und nun geht`s zum Beschäftigungsprogramm. Wir machen es alle durch und stecken altersbedingt in verschiedenen Phasen. Gottverdammt, warum liebe ich das Leben nur so?!?
Ich blicke auf Hausfassaden, auf einen grauen Tag, auf vorbeigehende Passanten, auf parkende Autos. Ich suche nach Worten. Ich tanze zur Musik. Ich mixe mir einen Drink. Ich dachte nie, dass ich so weit kommen würde. Ich sitze am Strand des großen Meeres und genieße den Blues.
Wir (Schüler) sollen uns um einen Praktikumsplatz bemühen, sagte die Schulleiterin. Dafür gab sie uns einen Tag frei. Wir sind einfach nur froh, dass wir ein verlängertes Wochenende haben. Um kein allzu schlechtes Gewissen zu haben, schickte ich noch zwei Online-Bewerbungen ab und fragte bei ein paar Krankenhäusern telefonisch nach, ob ein Praktikum möglich wäre. Es wird sich schon etwas ergeben. Bisher ergab sich immer was. Wenn ich nur mal richtigen Ehrgeiz für eine Sache entwickeln könnte… im Hier und Jetzt. Das Beschäftigungsprogramm des Lebens liegt mir nicht. Weiß der Teufel, warum. Am liebsten verbringe ich die Tage mit Nichtstun.
Quatsch! Ich schreibe mich hier um Kopf und Kragen. Natürlich bin ich gerne aktiv. Wenn es nur nicht so mühsam wäre.

KarenS - 05. Feb. 16, 19:44

Ich bedaure jeden Menschen der nicht fähig ist, auch mal einen Müßiggang zu „schalten“. Einfach mal faul sein, die Seele baumeln lassen. Ist besonders für kreative Menschen wichtig.

Hektik kann ich nicht leiden, bin gerne mal so richtig faul *lach.

Einen Praktikumsplatz findest du schneller als dir (vielleicht) lieb ist.

Wünsche noch einen schönen Abend.

bonanzaMARGOT - 05. Feb. 16, 19:55

danke - das hoffe ich auch, dass ich schnell einen praktikumsplatz finde.
ein vorstellungsgespräch hatte ich (am dienstag) und warte auf antwort.

wenn man mich fragen würde, was ich am liebsten mache, würde ich sagen: tagträumerei. es gibt für mich nichts schöneres, als mich einfach meinen gedanken hinzugeben, oder den eindrücken, die ich habe.
ganz ohne aktivität kann ich diesen müßiggang aber nicht wirklich genießen - das weiß ich.
in unserer leistungsgesellschaft ist "mal faul sein" immer noch negativ besetzt. und darum spiegeln viele menschen wie wahnsinnig aktivität vor. wenn man dann näher hinschaut, sieht man...

dir auch noch einen schönen abend!
Gehirnsplitter - 05. Feb. 16, 19:52

ich

schließe mich da frau karens an...faul sein und langeweile genießen hat was....und tut seele und herz gut...

*gefällt*

lieben gruß

bonanzaMARGOT - 05. Feb. 16, 20:01

schön. ich bin immer skeptisch, wenn mir menschen sagen, ihnen wäre nie langweilig.
neben dem "keine angst vor dem tod haben" ist das auch eine maxime, die ich nicht glauben mag.
es ist wahrscheinlich eine frage, wie man begriffe wie "langeweile" und "faul sein" für sich interpretiert.
steppenhund - 06. Feb. 16, 12:54

Langweilig war mir zumindest bisher noch nicht, obwohl ich der Augen wegen nicht mehr so viel lese wie früher.
Angst vor dem Tod habe ich keine, allerdings fürchte ich mich vor den Schmerzen, wenn ich durch Unfall oder Krankheit ein langes Siechtum erleiden müsste. (Und dann wäre mir vermutlich sehr wohl langweilig.)
Doch Angst vor dem Tod beschreibt ja etwas anderes: die existentielle Unsicherheit. Kann denn das Leben weitergehen, wird die Erde weiter bestehen, das Universum, wenn es mich nicht mehr gibt. Diese Angst des Todes bezeichne ich als die Hypertropie des Sich-selbst-ernst-nehmens.
Tatsächlich bin ich der wichtigste Mensch auf der Welt. Aber wenn ich tod bin, wird es halt ein anderer werden. Irgendwelche Kandidaten?
bonanzaMARGOT - 06. Feb. 16, 19:02

steppenhund

das eine:
möglicherweise ist für dich langeweile zu negativ besetzt, so dass du symptome der langeweile einfach leugnest oder anders benennst. ich kann mir nicht vorstellen, dass ein mensch den zustand der langeweile gar nicht kennt.

das andere:
dass du die angst vor dem tod als hypertropie des sich-selbst-ernst-nehmens bezeichnest, kann ich ebensowenig nachvollziehen bzw. verstehen. wenn ein mensch sich z.b. vor angst vor dem tod einnässt, dann hat dies sicher nicht mit einer hypertropie des sich-selbst-ernst-nehmens zu tun, sondern ist in meinen augen eine überaus verständliche angstreaktion vor dem nahenden ende, welche übrigens nicht nur menschen zeigen sondern auch tiere.
meiner ansicht nach ist die angst vor dem tod ebenso genetisch in die lebewesen eingeprägt wie gewisse andere ängste. wenn du also für dich behauptest, dass du keine angst vor dem tod empfindest, dann... finde ich dies äußerst merkwürdig und möglicherweise eher als ein anzeichen einer hypertropie des sich-selbst-ernst-nehmens.
du trennst zwischen der angst vor dem tod und der angst vor dem sterbensprozess vorher. diese trennung höre ich oft... auch (oder gerade) von meinen kolleginnen in der altenpflege, weil wir hautnah den sterbensprozess und leidensweg mitkriegen. oberflächlich ist diese einstellung durchaus nachvollziehbar, aber wenn man genau beobachtet (und mitfühlt), dann wiegt die angst vor dem tod (fast immer) stärker als das leid und die schmerzen. die menschen klammern sich ans leben, auch wenn es ihnen noch so dreckig geht...
steppenhund - 06. Feb. 16, 21:52

Naja, da ist schon was dran. Die Angst vor dem Tod gibt es natürlich auch bei mir, allerdings erst dann, wenn lebensbedrohliche Situationen existieren. Es ist bekannt, dass der Arterhaltungstrieb vor dem Selbsterhaltungstrieb rangiert. Und so häufig muss man nicht sein Leben für die Kinder riskieren.
Ich könnte also durchaus verstehen, dass die Angst vor dem Tod existieren muss, sonst wäre der Selbsterhaltungstrieb ja sinnlos. Auch ich werde um mein Leben kämpfen, wenn es bedroht ist.
Ich grüble aber nicht über den Tod und mache mir selbst das Leben zur Hölle, weil ich Angst davor habe.
Und es gibt ja genügend berühmte Menschen, die sich angesichts einer fortschreitenden Demenz oder eines Alzheimers dazu entschließen, ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten.
Wenn die Angst vor dem Tod wirklich so wesentlich wäre, dann wäre es unverständlich, warum sich Menschen an eine Front schicken lassen. Aber ich weiß, dass ich nicht alles verstehen kann ...
bonanzaMARGOT - 07. Feb. 16, 10:15

gerade (halbwegs realistischen) kriegserzählungen kann man entnehmen, dass die angst vor dem tod bei den soldaten scheiße groß ist. nur geht jeder anders damit um: die einen flennen wie kleine kinder, beten zu gott, andere erzählen sich zoten, besaufen sich, nehmen drogen..., manche soldaten verstümmeln sich selbst, nur um dem wahnsinn an der front zu entgehen. die angst vor dem tod ist nicht nur in akut lebensgefährlichen situationen vorhanden, sie setzt bereits früher ein, wenn der verstand realisiert, dass die chance, lebend aus der hölle des krieges zu entkommen, nicht allzu groß ist. viele schreiben darum ihren lieben abschiedsbriefe. viele stumpfen auch ab, und viele kommen als psychische grüppel nach hause. natürlich geht es beim krieg neben der bedrückenden todesangst um viele andere grausamkeiten.
dass viele menschen nach wie vor euphorisch in kriege ziehen, ist mir auch unverständlich. offensichtlich realisieren sie die todesgefahr nicht für sich und müssen erst durch die hölle gehen...
KarenS - 05. Feb. 16, 21:10

Die sogenannte Leistungsgesellschaft geht mir schon lange am Ärmel vorbei. Und ich bin seeeeehr froh darüber …

bin keine Marionette mehr, lasse mich nicht leben, sondern lebe wie es MIR passt, ohne andere Menschen dabei zu „verletzen“.

Als Frührentnerin kann ich mir das leisten. Ansonsten ... hm?

Freut mich, Gehirnsplitter:-)

Gehirnsplitter - 05. Feb. 16, 21:35

rente ist bei mir noch lange hin...und ich bin fest davon überzeugt, dass vater staat dann doch nicht mehr für mich aufkommen muss, aber wer weiß das schon...trotzdem habe ich mir eins immer bewahrt: allein sein, langeweile genießen und einfach mal nichts tun...das finde ich sehr wertvoll...dafür gibt es auch dann wieder tage, an denen man schafft bis der arzt kommt....;-))
danke;-)
bonanzaMARGOT - 06. Feb. 16, 09:47

schön, so stelle ich mir auch meinen lebensabend vor. allerdings wird die rente ziemlich dünn sein. ich lasse es auf mich zukommen - ich will mich nicht unter druck setzen lassen. scheiß kapitalismus! (entschuldigung.)
an überarbeitung werde ich sicher nicht sterben.
KarenS - 05. Feb. 16, 22:19

ja...

wer weiß das schon:-)

Gutes Nächtele.

SpeziellesKänguru (Gast) - 07. Feb. 16, 11:02

aktivsein ist allerdings genauso mühsam wie nichtstun.. je nachdem was man darunter versteht. selbst wenn man nichts tut, ist man im nichtstun aktiv und andersherum. tz tz tz tz

bonanzaMARGOT - 07. Feb. 16, 11:17

... für den künstler gibt es ein sehr produktives nichtstun. es kommt, wie du es sagst, auf den kontext an, in dem sich ein mensch sieht.
konzentriertes nichtstun kann weit anstrengender sein als aktivität. ich erlebe genau das fast täglich in der schule.
allerdings gibt es menschen, die von sich behaupten, nicht nichts tun zu können. kann das sein? oft wird man doch zum nichtstun gezwungen. ja, es ist wohl eine ganz individuelle definitionssache. für manchen besitzt schon in-der-nasebohren einen ausreichenden aktivitäts-status.
SpeziellesKänguru (Gast) - 07. Feb. 16, 11:32

jaaa ... oder den müll rausbringen .. alles kostet energie. die menschen, die sich für permanent aktiv halten, kommen mir recht suspekt vor. statt "aktiv sein" würde ich in dem kontext eher "hummeln im arsch haben" benutz tz tzen.

steppenhund - 07. Feb. 16, 17:59

Ich bin ja eher faul. Aber ich habe in der Vergangenheit festgestellt, dass ich permanent denke. Manchmal tagträume ich, aber das ist jetzt schon sehr selten. Aber das mit dem Denken ist schon sehr schlimm. Manchmal beneide ich die Menschen, die einfach "nichts denken" können. Aber inzwischen habe ich mich abgefunden.
Nicht denken können würde bedeuten, dass ich diese Antwort gar nicht schreibe. Einfacher wäre es, einfach nichts zu tun:) liebe grüße

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