Die Pflege verfolgt mich
Im Fach Qualitätsmanagement kam vieles wieder hoch, die ganze Quälerei, warum ich schließlich aufhörte. Wir kotzten uns zum Thema aus. Fast alle in der Klasse kommen aus der Pflege. Selbst die Lehrerin, noch jung, d.h. höchstens Vierzig, sagte offen, dass sie nicht wisse, wie lange sie den inneren Zwiespalt noch aushalte (zur Erklärung: sie unterrichtet hauptsächlich angehende Altenpfleger(innen)).
Immerhin ist sie gelernte Krankenschwester und studierte Pflegemanagement. Man macht, was man kann, und wechselt von der Praxis in die Theorie - dabei brockten uns doch die (verdammten) Theoretiker den Mist ein. „Wer aber soll etwas verändern, wenn wir es nicht tun?“ sagte sie. Ich hörte diesen Satz bereits vor zwanzig Jahren, Mitte der Neunziger, als ich die Altenpflegeausbildung machte. Ich verfolgte Jahr für Jahr die gesellschaftliche Diskussion zum Pflegenotstand; und das Einzige, was sich in der Praxis seitdem änderte, war, dass die Leitung in den Dienstbesprechungen immer mehr von Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung faselte. Ich fühlte mich bei diesen Besprechungen wie im falschen Film…; die Wände flüsterten zu mir: „Selber schuld. Hättest du studiert, müsstest du dir nicht im Altenheim den Arsch aufreißen. Die Klugscheißer sitzen heutzutage oben.“ „Ja, klugscheißerisch und machtgeil muss man sein“, antwortete ich den Wänden des Besprechungszimmers, „und außerdem ein Wortverdreher.“ Ich blickte in die müden Gesichter meiner Kolleginnen und Kollegen nach einem anstrengenden Frühdienst, die wie ich nur darauf warteten, endlich in den Feierabend zu kommen.
Eigentlich drücken wir alten Säcke (und Hühner) deswegen wieder die Schulbank, weil wir den Moloch Pflege gründlich satthaben. Irgendwie muss es schließlich weitergehen. Die Arschwischmaschine hängte ich an den Nagel. Füttere ich eben in der Zukunft den Computer mit ICDs und DRGs für eine schwachsinnige und kranke Gesundheitsindustrie…
Die junge Lehrerin will uns ausgebrannten und desillusionierten Pflegekräften also das Qualitätsmanagement näherbringen. Einer der vielen Leitsätze der Pflege lautet: „Hole den Menschen dort ab, wo er ist.“ Viel Spaß dabei, Frau Lehrerin.
ich finde es auch erstaunlich, dass solche systeme trotz aller manquos eine relative stabilität behalten.
am liebsten nehme ich da den verkehr in einer großstadt (wie berlin) als beispiel - man sollte denken, dass viel mehr unfälle passieren... noch krasser ist es in metropolen wie bombay.
unglaublich, dass alles irgendwie trotzdem funktioniert.
ich denke, dass wir menschen viel zu sehr in der welt herumpfuschen. in der theorie hört sich alles immer wunderbar an - leider wird dabei außer acht gelassen, dass die realität meist nicht theoriegerecht ist; und wenn es wie in der pflege um menschen geht, ist dies fatal.