Donnerstag, 6. November 2014

Eindrücke am Rande des Vulkans


Während meine Freundin in der Universitätsbibliothek ist, sitze ich in Unterhosen und rotem T-Shirt im Berliner Appartement. Ich höre Joan Armatrading und trinke Berliner Kindl. Ich spüre den kalten Gerstensaft meine Kehle hinunterrinnen. Die Wolkendecke über der Millionenmetropole reißt auf. Ich blinzele ins Tageslicht. Ich schaue in den Innenhof, auf dem ein Flickenteppich aus Herbstblättern liegt. Ich denke an die Liebe und das Leben. Alles kann jäh ein Ende nehmen. Tod und Krankheit lauern wie Raubtiere unsichtbar im Dschungel – sie gehören zum Plan … oder zum Spiel, wenn man eine Spielernatur ist. Ich spiele nicht. Die Einsätze sind mir zu hoch. Ich glaube nicht, dass man das Schicksal wesentlich beeinflussen kann. Man kann Glück oder eben Pech haben. Man gehört zu den Gewinnern oder zu den Verlierern. Beides muss man hinnehmen, und je nachdem, wie man es „trägt“, das macht das eigentliche Glücklichsein aus, auf welches es ankommt.

Die Großstadt um mich herum tobt, aber ich sitze im Hinterhaus in einer Oase der Ruhe. Lediglich gegenüber auf einem Gerüst bewegen sich Arbeiter, die eine Fassade sanieren. Ich schaue manchmal zu ihnen rüber. Sie geben mir ein gutes Gefühl. Ich mag Menschen in meiner Umgebung, wenn es nicht zu viele sind, wenn sie mir nicht zu dicht auf die Pelle rücken. Wir sind alle Schicksalsgenossen beim Tanz auf dem Vulkan.

Unmerklich rücken die Zeiger der Uhr gen Mittag. Nachher treffe ich meine Freundin am Wittenbergplatz. Ich könnte schon die U-Bahn zum Alex nehmen, mich dort ein wenig herumtreiben, in die Blutadern der Großstadt eintauchen, mitschwimmen … in Gesichtern lesen, wegschauen, wenn Bettler die Hand aufhalten, vorbei eilen, auf- und untertauchen …, die Zugluft in den U-Bahnschächten genießen. Die Menschen versuchen dem Grau zu entkommen, indem sie Graffitis an Wände sprühen, indem sie sich bunt kleiden. Sie gestalten sich eigene Räume – zum Vergessen, zum Tanzen und zum Träumen. Ich liebe sie, obwohl mich einige ziemlich ankotzen.
Wir werden oft selbst zu Raubtieren – vor allem im Großstadtdschungel.

Ich schlurfe zum Kühlschrank und öffne mir noch eine Dose Berliner Kindl ...

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