Aus "Plädoyer des Müßiggangs"
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Was war denn Sokrates anderes als ein Müßiggänger? Es ist uns kein einziges Zeugnis einer Skulptur bekannt, die er hinterlassen hätte, obwohl er doch Bildhauer war. Und wenn er nichts geschrieben hat, so nehme ich an, dass dies auf seine Bequemlichkeit zurückzuführen ist, weil er sich nicht die Mühe nehmen wollte, zur Feder zu greifen. Die Zeit, die er aufs Schreiben hätte verwenden können, verwandte er darauf, durch die Straßen zu schlendern auf der Suche nach dem nächstbesten Jüngling, mit dem er über Gott und die Welt plaudern konnte. Wenn er heutzutage lebte, würdet ihr ihm bestimmt in irgendeinem Café beim Klatsch mit anderen Müßiggängern seinesgleichen begegnen. Und wie viele Sokrates sterben wohl, ohne dass wir von ihrer enormen Leistung hören, weil ihnen ein Plato oder Xenophon fehlt, die ihn uns schriftlich erhalten würden!
Ein Schriftsteller, der zu Geld gekommen ist mit ein paar Stückchen der leichten Muse, in denen sich mehr oder weniger witzige Witze aneinanderreihen, sagte einmal von einem armen Bohémien, der im Elend starb, er sei "ein Nichtsnutz gewesen"; dabei hatte er die meisten Witze, die ihm zu seinem Ruf und seinem Geld verholfen hatten, von jenem, dem Verschwender, dem Nichtsnutz, gehört. Sowas soll öfter vorkommen.
Überall, aber vor allem dort, wo das Fieber der Geschäftemacherei verheerende Wirkungen zeigt, muss man lernen, Achtung vor den Müßiggängern zu haben. Sie sind es deshalb, damit sich andere den Genuß des Arbeitens leisten können.
(Miguel de Unamuno)
bonanzaMARGOT
- 25. Nov. 13, 14:26
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