Sonntag, 24. November 2013

TV-Tipp:

"Nokan - Die Kunst des Ausklangs", 23 Uhr, RBB

So oder so


Wie oft habe ich mir schon überlegt, meinem Chef die Meinung zu geigen und dabei meinen Job zur Disposition zu stellen. Sogar an der Wortwahl feilte ich in Gedanken. Gestern klingelte das Telefon, und ich nahm nicht ab. Heute Morgen wieder, und diesmal griff ich zum Hörer, wohl wissend, worum es gehen wird. Ich sollte einspringen. Eine Kollegin ist krank. Nach kurzem Zögern sagte ich zu. Ich hatte zwar eine ganze Nacht Zeit, um mir eine Ausrede zurecht zu legen, warum es mir unmöglich sei, heute Abend einen Nachtdienst zu schieben …, aber so was liegt mir einfach nicht. Ich hätte ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Kollegen gehabt und den freien Tag nicht wirklich genießen können. In der Nacht träumte ich vom Altenheim, und es war nicht angenehm. Jetzt fluche ich an diesem sonnigen Totensonntag leise vor mich hin: Scheiße! Bereits das zweite Mal innerhalb einer Woche springe ich ein. Der Tag ist futsch! Das Hin und Her geht mir gehörig auf den Geist! Die Nachtdienste sind anstrengend und nervenaufreibend. Ich brauche jeden verdammten Tag, um mich von ihnen zu erholen. Darum arbeite ich bewusst nur 70%.
Ich warte auf den Tag, an dem aus mir herausplatzt, was ich mir oft im Geiste zurecht lege – wie ich den Job hinschmeiße und gegenüber meinem Chef ordentlich Druck ablasse. Etwa so, wie ich es vorgestern bei der Dame hinter Schalter 2 des Reisezentrums machte. (Badamm! Mitten zwischen die Augen!)
Warum hänge ich so sehr an dieser Arbeitsstelle? Als Altenpfleger wäre ich sicher nicht allzu lange arbeitslos; und ich könnte mir zur Zeit die drei Monate finanziell leisten, bis ich Arbeitslosengeld bekomme. Ich könnte mir sogar ein ganzes Jahr Auszeit gönnen. Wovor habe ich Angst? Wäre es nicht eine Erlösung? Außerdem geht es um meine Gesundheit. Offensichtlich ist das Altenheim, obwohl ich mich häufig über die Arbeitsbedingungen aufrege, so was wie ein Haltepunkt in meinem Leben, der mir Sicherheit, Wertschätzung und soziale Kontakte gibt. Ich müsste andere Wege einschlagen und auf diesen Wegen erst das Gehen lernen. Wichtig wäre auch, überhaupt eine andere Perspektive zu haben!
Die Sonne scheint in meine Bude, doch in meinem Kopf bleibt es düster. Ich grübele vor mich hin, als könnte ich eine Lösung herbei denken. Heute Abend werde ich wieder funktionieren, und morgen früh wird man mir danken, dass ich einsprang; und ich werde froh sein, weil ich Feierabend habe und wieder einen Nachtdienst schaffte. Hinterher überwiegen die Erleichterung … und die Müdigkeit. Ich werde die Morgenluft einsaugen und den Mond suchen, hinunter zur Bushaltestelle schreiten und mich bei den Wartenden einreihen, die zur Schule und zur Arbeit fahren. Ich werde wie immer im Bus neben der Lehrerin sitzen, die in einer Behindertenschule arbeitet, und sie wird mich fragen: „Ich habe Sie erst Dienstag erwartet?“ Und ich werde antworten: „Ich hatte es im Gefühl, dass ich einspringen muss.“ Und sie wird sagen: „Ja, das sagten Sie das letzte Mal.“ Und ich werde sie nach ihrem Wochenende fragen, und dann werden wir wie so oft über die beschissenen Arbeitsbedingungen in unseren Berufen reden.

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